Wolfgang Meins / 05.01.2018 / 16:05 / Foto: Nevit Dilmen / 12 / Seite ausdrucken

Altersdiagnostik – Seltsame Stimmen aus dem Funktionärskörper

Von Wolfgang Meins.

Der Anlass ist zweifellos ein trauriger: Aber durch den Mord von Kandel – dringend tatverdächtig ist bekanntlich ein angeblich erst fünfzehnjähriger afghanischer Migrant – ist die Diskussion zum Thema Altersdiagnostik bei (angeblich) unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (im folgenden UMF) in Bewegung geraten. Darauf deuten jedenfalls einige vergleichsweise unaufgeregte und sachkundige Artikel in überregionalen Medien hin, wobei in einem Fall möglicherweise der Blick auf einen Beitrag auf der Achse des Guten hilfreich war.

Aber auch die Politik rührt sich. Innenminister de Maizière fordert endlich ein bundeseinheitliches Vorgehen. Man müsse den „zuständigen Jugendämtern verbindlich vorgeben, was zu tun ist.“ Also „in allen Fällen, in denen kein offizielles und echtes Dokument vorgelegt werden kann“, durch „ärztliche Untersuchung“ das Alter feststellen.

Es gibt zwar bereits seit dem 28. 10. 2015 ein Gesetz, das nach einer Inaugenscheinnahme durch die Jugendämter eine medizinische Altersfeststellung bei UMF problemlos ermöglicht. Aber das wird zum Beispiel vom Sozialministerium in Baden-Württemberg durch eine Empfehlung torpediert, in der es heißt:

„Lässt sich das Alter eines unbegleiteten ausländischen jungen Menschen im Rahmen einer qualifizierten Inaugenscheinnahme nicht hinreichend zuverlässig feststellen, dürfte nach Lage der Dinge auch eine zusätzliche ärztliche Untersuchung … keinen zusätzlichen, validen Erkenntnisgewinn bieten.“

Ein besonders schönes Beispiel für den Sieg der Ideologie über die Wissenschaft. Da kann man nur hoffen, dass diesem Spuk möglichst bald ein Ende bereitet wird.

Ohne Sachkenntnis und ohne Röntgenstrahlen

Der Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte Fischbach äußert sich überwiegend sachlich und pragmatisch, allerdings auch ohne tiefere Sachkenntnis zu „verpflichtenden“ Altersuntersuchungen bei Flüchtlingen: „Ein solches Vorgehen ist medizinisch schwierig und organisatorisch kaum zu bewältigen.“ Und: „Als niedergelassene Ärzte sind wir froh, wenn wir unsere regulären Patienten versorgt bekommen.“

Vielleicht sollte ihm mal jemand stecken, dass in Deutschland üblicherweise Rechtsmediziner beziehungsweise entsprechende Institute diese Aufgabe ausfüllen, und nicht der Kinderarzt um die Ecke. Auch wenn einige seiner Kollegen genau diese Zuständigkeit im Rahmen einer Jugendvorsorgeuntersuchung für ihren Berufsstand reklamieren, natürlich ganz ohne böse Röntgenstrahlen. Interessant auch, was Spon aus diesem kleinen Interview mit Präsident Fischbach macht: „Kinderärzte lehnen Alterstests für junge Flüchtlinge ab.“

Und was sagt der früher einmal als Radiologe tätige und jetzige Präsident der Bundesärztekammer Montgomery? Der langjährige und entschiedene Kämpfer gegen die medizinische Altersdiagnostik bei UMF (zum Beispiel hier) verbreitet zwar weiterhin – man darf getrost annehmen, wider besseres Wissen – die ollen Kamellen, dass Röntgenuntersuchungen zur Altersfeststellung nur im Rahmen eines Strafprozesses zulässig seien.

Zwischen Menschenwohl und Tierwohl

Aber dann wird auf eine Defensivstrategie zurückgegriffen: Etwas erkennbar Absurdes kritisieren und in Ermangelung von inhaltlichen Argumenten dabei eine möglichst  große Moralkeule schwingen: „Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl.“ Niemand will natürlich jeden Flüchtling zwecks Altersfeststellung röntgen. Aber was um Himmels willen ist mit „Menschenwohl“ gemeint?

Auch Google kann mit diesem Begriff nichts anfangen, verweist einen aber immerhin bald auf „Tierwohl“. Vielleicht meint Montgomery auch Kindeswohl, aber jetzt eben irgendwie für alle. Richtig weiterhelfen würde das aber auch nicht, denn zum Kindeswohl findet sich im „Praxisbuch Ethik in der Medizin“ (2015, S. 313): „Dieser Begriff ist allerdings in hohem Maße auslegungsbedürftig und kann auf unterschiedliche Art und Weise verstanden werden.“ Vielleicht hätte er besser vorher Rücksprache mit seinem Chefethiker und Experten für medizinische Altersdiagnostik, Prof. Dr. phil. Birnbacher, halten sollen, zumal der sich auch um das Tierwohl kümmert.

Wie wird es weitergehen mit der medizinischen Altersbestimmung von UMF? Es klingt zynisch, aber wahrscheinlich bedarf es noch zwei oder drei weiterer schlimmer Vorfälle, bevor sich in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit findet, um endlich eine verbindliche, bundeseinheitliche, fachlich angemessene Regelung auf den Weg zu bringen.

Zum Autor: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins  ist Neuropsychologe und Arzt für Psychiatrie und Neurologie, außerplanmässiger Professor für Psychiatrie (UKE-Hamburg). Nach leitender Tätigkeit in der Geriatrie niedergelassen in Hamburg. Gutachterliche Tätigkeiten, in den letzten 6 Jahren als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich.

Foto: Nevit Dilmen CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Jürgen Althoff / 05.01.2018

Ist es nicht auch in unserem großzügigen Sozialstaat üblich, dass jemand, der staatliche Unterstützung begehrt, zur Offenlegung seiner persönlichen Verhältnisse verpflichtet ist? Sozialhilfe, Anerkennung als Schwerbehinderter etc. bekommt niemand derjenigen, die schon länger hier leben, einfach aufgrund mündlicher Behauptungen. Gelten rechtsstaatliche Regeln für Migranten nicht? Und wenn ja:  ist das nicht auch eine Art staatlich verordneten Rassismus?

Dr. Otto Auburger / 05.01.2018

“Ein besonders schönes Beispiel für den Sieg der Ideologie über die Wissenschaft. Da kann man nur hoffen, dass diesem Spuk möglichst bald ein Ende bereitet wird.” Das wäre zu schön um wahr zu sein.  Ohne klare Ansage durch die Verantwortlichen geht es nicht - und wenn von seiten der Regierung bzw des zuständigen Ministeriums herumgeeiert wird sind “wenig schöne(n) Auseinandersetzungen mit zwangsweise vorgeführten Betroffenen ” durchaus vorstellbar,  Sollten jedoch die Verantwortlichen einmal wirklich den Willen aufbringen, und das Recht, das für jeden Einheimischen gilt auch bei diesem Personenkreis durchsetzen wollen, sähe ich ebenso wie die Rechtsmedizin keine größeren Probleme.

Petra Hansen / 05.01.2018

Bitte ausdrücklich darauf hinweisen. Der Titel “Präsident der Bundesärztekammer” suggeriert unzulässigerweise, daß dieser in irgendeiner Weise eine Art Vorsitzender der Ärzteschaft wäre oder gar ein politisches Mandat, für die Ärzte zu sprechen. Daß die Qualitätsmedien diesen Unfug immer wieder kolportieren, dokumentiert ein weiteres mal, daß diese auch nur kleinste Recherchen schlicht unterlassen. Auch die “Bundesärztekammer” gibt es nicht als offizielles Organ. Die Landesärztekammern, anachronistische ärztefeindliche Bürokratiemonster, die den rechtlosen Zwangsmitgliedern auch den letzten Cent aus den gläsernen Taschen abpressen, haben sich als Arbeitsgemeinschaft und Spielwiese für die Funktionärskaste in dieser Form zusammengefunden. Eine gesetzliche Verfasstheit oder ein politisches Mandat für die Ärzteschaft zu sprechen existiert nicht. Zudem ist den LÄK das Äußern zu politischen Fragen nicht gestattet, auch diese gesetzlichen Regelungen werden täglich mißachtet. Der einzelne Arzt kann als Zwangsmitglied nicht austreten, egal was für einen hahnebüchenen Stuß die selbsternannten Vertreter ständig ablassen.

Hans Jürgen Haubt / 05.01.2018

Ich denke, dass hinter den Äußerungen von Montgomery nachvollziehbare Bedenken in der niedergelassenen Ärzteschaft und in den Kliniken bestehen, dass es zu wenig schönen Auseinandersetzungen mit zwangsweise vorgeführten Betroffenen kommt, die eine Untersuchung verweigern und verhindern wollen und sich körperlich dagegen zu wehren versuchen. Es müssten durch die vorführenden Polizisten unmittelbarer körperlicher Zwang angewendet und starke Fixierungen durchgeführt werden, um brauchbare Röntgenaufnahmen sicherzustellen. Die ethischen Bedenken von Herrn Montgomery halte ich eher für vorgeschoben.

Dietmar Schmidt / 05.01.2018

Lieber Herr Meins, die komplette Diskussion ist doch total daneben. Wieso soll bei jugendlichen Migranten Röntgen plötzlich ungesund sein? Dafür fehlt mir jede Peilung und zeigt mir, dass irgendetwas nicht stimmt in diesem Land. Traurig aber wahr. Sorry. Gruß D. Schmidt

Marc Blenk / 05.01.2018

Lieber Herr Meins, danke für den Beitrag, bitte bohren sie weiter in den synaptischen Arealen pflichtvergessener Ideologen.

M. Haumann / 05.01.2018

Bezüglich des Menschenwohls hätte Herr Montgomery reichlich zu tun, wenn er sich um die Duldung von Kinderehen und Beschneidungen bei nicht einwillungsfähigen Kleinkindern sorgen würde. Da geht es immerhin ganz real um manifeste Körperverletzungen. Aber das ganze Brimborium wäre doch mit Boris Palmers Vorschlag sauber erledigt: wer sich nicht ausweist, wird als Erwachsener eingeordnet oder er stimmt einer Altersbestimmung zu. Allerdings hat Herr Meins recht mit seiner traurigen Prognose: die üblichen Verhinderer werden wieder zeter, mordio und “rechts” schreien und damit auch die nächsten Opfer verantworten. Menschenopfer für im Effekt zutiefst menschenwohl-verachtende Ideologien. Wie oft noch in Deutschland?

Frank Stricker / 05.01.2018

Ein offenbar krasses Mißverhältnis zwischen der “Inaugenscheinnahme” und dem tatsächlichen Alter liegt wohl bei dem afghanischen Täter in Freiburg vor. Beim Grenzübertritt wurde ihm anstandslos eine Minderjährigkeit attestiert, die Nachfrage beim Vater ergab, dass er offensichtlich schon 33 Jahre alt war. Auch beim Täter in Kandel besteht offenbar ein großes Mißtrauen bezüglich des Alters. Zudem ist er natürlich am 01.01. geboren. Irgendwie habe ich das Gefühl ,  dass in Syrien und Afghanistan ein Gesetzt existiert, Kinder nur am 01.01. zur Welt zu bringen…..............,Spaß beiseite, diese systematische Verarschung des deutschen Rechtsstaates muß schnellstens beendet werden !

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