Rainer Bonhorst / 25.07.2017 / 06:25 / Foto: Unbekannt / 10 / Seite ausdrucken

Als man vor den Nazis in die Türkei flüchtete

Im Jahr 1947 wurde Ernst Reuter Oberbürgermeister von Berlin und eine der bedeutendsten Figuren der geteilten Stadt. Es hätte auch anders kommen können. Denn die Nazis hatten ihn als Sozialisten verfolgt. Er musste raus aus Deutschland. Aber wohin? Gab es ein fortschrittliches Land, das ihm einen sicheren Platz und sogar Arbeit geben würde? Ja, gab es: Reuter floh in die Türkei, wo er elf Jahre lang in Ministerien und als Hochschullehrer arbeitete.

Er war nicht der einzige, der vor den Nazis in die Türkei floh. In Ankara brachte Reuter sogar eine Skatrunde zusammen, mit einem Dirigenten und einem Assyriologen. Dort und in Istanbul traf er auf Künstler, Wissenschaftler, Ärzte und Lehrer, die wie er in die Türkei entkommen waren. Dass deutsche Emigranten in der Türkei eine moderne, fast westlich anmutende Bleibe finden konnten, hatte viel mit Mustafa Kemal zu tun, der sich später den Nachnamen Atatürk , Vater der Türken, geben ließ. Atatürk verordnete allen seinen Landsleuten die Umwandlung des islamisch geprägten und kränkelnden Osmanischen Reichs in eine moderne Republik.

Er  trennte die Kirche vom Staat, setzte die Scharia außer Kraft und führte ein Rechtssystem ein, bei dem er sich in der Schweiz, in Deutschland und in Italien bediente. Er förderte die Emanzipation der Frauen, gab ihnen das Wahlrecht und befreite sie vom Kopftuch. Seine eigene Frau Latife war derart emanzipiert, dass er sich genervt von ihr scheiden ließ.

Für Reuter und andere Nazi-Flüchtlinge war die Türkei ein Hafen auf Zeit. Atatürk wollte mehr. Er wollte sein Land auf ewig in der modernen Welt verankern. Aber was währt schon ewig? Ata Erdogan schickt sein Land zurück in die Vorvergangenheit. Die Rückkehr des Kopftuchs ist das harmloseste Markenzeichen seiner Herrschaft. Erdogans Türkei ist zum Massengefängnis für Journalisten und Andersdenkende geworden. Heute flüchten Türken aus ihrer wieder rückwärtsgewandten Heimat nach Deutschland. Am liebsten nach Berlin, von wo damals Ernst Reuter vor den Nazis in die Türkei geflohen ist.

Ein weiterer Beleg dafür, dass die Geschichte nicht voranschreitet sondern sich immer wieder genüsslich in den Schwanz beißt.

Foto: Unbekannt via Wikimedia Commons

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Murat Aksoy / 25.07.2017

Die Westliche Geschichtsschreibung verklittert Mustafa Kemal jedesmal als eine Person die Antireligiös bzw Antiislamisch eingestellt war. Hmm..Deswegen hat er auch als Staatsreligion den Islam bestimmt und im ganzen Land Imam-Hatip-Schulen also staatliche Berufsfachgymnasien für die Ausbildung zum Imam einführen lassen von denen aber mangels Nachfrage und Unterstützung die meisten schulen schließen mussten. Das Kalifat hat er abgeschafft und aus der Türkei einen laizistischen Staat geformt…das stimmt. Was das Zitat betrifft wo er sich über den Propheten und den Islam abwertend geäußert haben soll so gibt es keinen einzigen Beleg dafür. Dafür gibt es genug Fotos und Belege dafür dass Mustafa Kemal ein religiöser Mensch war die ihm u.a auch beim Beten in der Moschee zeigen.  Die einzige Quelle für dieses Zitat was frei erfunden wurde kann man auch nur in einem Buch finden und dass ist ein Buch über Mustafa Kemal von einem französischer Nazi Sympathisanten und Hitler Bewunderer namens Jacques Benoist-Méchin. Er ist Mustafa Kemal nie begegnet. Kopftuchverbot gab es nur in Staatlichen Einrichtungen und nicht generell.  Unglaublich und dass scheinen einige der Achgut Leser die hier kommentieren nicht zu wissen. Genauso ist es mit dem Zitat bezüglich Atatürks aussehen usw von Adolf Hitler. Es gibt keine einzige Historisch belegte Quelle für diese Zitat.

Dr. Ralph Buitoni / 25.07.2017

Sehr geehrter Herr Bonhorst, Sie sollten aber nicht unterschlagen, dass die Türkei damals nur einen SEHR ausgewählten KLEINEN Kreis von renommierten Akademikern und Spitzenkräften aus Deutschland ins Land lies. Es handelte sich um wenige tausende Personen. Ein Durschnittsdeutscher hätte da keine Chance gehabt. Mit “Asyl”- geschweige denn “Flüchtlingspolitik” à la Merkel hatte das schon gar nichts zu tun. Und was die “moderne Türkei” angeht - Sie sollten auch wissen, dass diese wenigen deutschen und österreichischen Spitzenkräfte einen ENTSCHEIDENDEN Anteil bei den nächsten Modernisierungsschritten hatten, nicht zuletzt in der Sprachreform, für welche diese ausländischen, ursprünglich nicht türkischsprachigen Ungläubigen wesentliche neue Begriffe und Sprachformen entwickelten. Denn im damaligen Türkisch konnte man weder die technische Moderne, oder komplexe verwaltungstechnische Dinge und Abläufe benennen, denn die Hoch- und Hofsprache des osmanischen Reiches war Persisch gewesen…. wie gesagt, nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich….

Axel Kilian / 25.07.2017

Tja, so ist das in einer Demokratie. Erdogan hat die Mehrheit hinter sich. Da die Mehrheit so ist wie sie ist, ist es dort eben wie es ist. Aber ist es bei uns nicht ähnlich?

Rudi Knoth / 25.07.2017

Nun das passiert wohl jetzt öfters in der “islamischen Welt”. Man kann dies nicht nur in der Türkei sondern auch im Iran (Chomeini) beobachten. Und die Palistinenser sind auch nicht mehr säkular (PLO) sonder islamisch (Hamas).

Anders Dairie / 25.07.2017

Lesen Sie,  lieber Herr Bonhorst,  die abqualifizierenden Bemerkungen des Mustafa Kemal über den Verkünders Mohamed und verstehen Sie die latente Wut des Muslimschülers Erdowan ggü. Kemalisten.  Dass sich Erdowan ein Bild Kemals über den Schreibtisch hängen ließ,  läßt unsereinen über soviel politische Dreistigkeit erschauern.  Es geht nur scheinbar gegen den Konkurrenten Gülen. Erdowans Politik geht gegen den Kemalismus.  Es dient dem Übergang zum Gottesstaat.  Den Mitteleuropäern ist nicht mehr bewusst, welche Kraft in der Frömmigkeit steckt.  Es ist aussichtslos zu glauben, dass das ohne Gewalt an uns vorbeigeht.  Derweil füllt die Kanzlerin das Land weiter mit solchen Gegnern.

Zsolt Hüter / 25.07.2017

Unsere jüdischen Freunde, die uns in den 50er Jahren in Budapest vor der Deportation durch Stalin bewahrten, haben sich vor der drohenden Deportation in deutsche Vernichtungslager auch in die Türkei gerettet und haben aus dieser Zeit, obwohl schon sehr alt, enge Freunde dort. Es sind also nicht nur deutsche Juden in die Türkei geflüchtet.

Friederike Klebert / 25.07.2017

Vielleicht war der Dritte in der Skatrunde mein Großonkel Ernst. Als entlassener Generalmusikdirektor der Weimarer Staatsoper ging er zusammen mit seiner jüdischen Frau Käthe in den 30er Jahren nach Ankara. Dort trafen sie auf einen weltoffenen und die Kultur fördernden Kemal Atatürk. Gemeinsam mit Hindemith und Amar gründeten sie ein Sinfonieorchester, das er dann leitete.  Sie konnten Geld verdienen und ihre Musik leben. Sie blieben. Und dem Land in Dankbarkeit verbunden.

Herbert Müller / 25.07.2017

Erdogan ist ein gläubiger Muslim, welcher an die Weltherrschaft des Islam glauben muss. Ziel ist das Dar al Islam. Deshalb ist die Demokratie nur der Zug, auf den man aufspringt, bis man an der Macht ist, um dann Allahs Gesetze durchzusetzen. Im (noch!) freien Europa hat man das noch nicht gerafft (außer bei unseren östlichen Nachbarn). Wer das offen sagt wird als islamophob abqualifiziert. Interessant wird es, falls die Türkei wieder die Todesstrafe reaktiviert und für welche Tatbestände diese dann wieder vorgesehen ist. Anzumerken ist hier, dass Erdogan Islamophobie als “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” bezeichnet hat.

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