Alexander Wendt / 30.10.2013 / 17:28 / 4 / Seite ausdrucken

Als Frau gescheitert

Als Susanne Gaschke ihr Amt als Oberbürgermeisterin von Kiel hinwarf, teilte sie der Öffentlichkeit noch schnell den eigentlichen Grund ihres Scheiterns mit: ihr Geschlecht. Als „Frau, die nicht aus dieser Szene kommt, ein Seiteneinsteigerin, die nicht den üblichen Jargon spricht“, habe sie gegen die „testosterongesteuerten Politik- und Medientypen“ keine Chance gehabt. Kurzum: Sie sei als Frau in der Politik gescheitert.

Als Frau - woher kennt man nur diese Wendung? Richtig, aus den Zeiten, als Frauen noch Sturzhelmfrisuren und Männer in Volkshochschulkursen Krawatte trugen wie in Loriots „Jodeldiplom“:

„Frau Hoppenstedt, was hat Sie als Frau dazu veranlasst, in eine Jodelschule einzutreten?
Da regt mich ja schon die Frage auf! Was heißt denn hier ‚als Frau’?“

Zu den Zeiten des Sketches galt es immerhin in halbwegs weltläufigen Kreisen als truschig, albern und hinterletzt, Umstände auf das Geschlecht zu beziehen, die damit offensichtlich in keinem Zusammenhang stehen. Vorübergehend schien es so, als wäre dieser Als-Frau-Topos ohne großes Aufsehen aus der Öffentlichkeit verschwunden. In der Postmoderne begegnet uns allerdings vieles wieder: auch diese Diskurs-Schabracke, einmal gewendet und neuerdings als taufrisches feministisches Argument in die Arena geführt.

Politisches Scheitern, ein Schicksal, das auf den ersten Blick geschlechtsunabhängig zuschlägt und bisher so unterschiedliche Phänotypen wie Björn Engholm, Friedrich März, Günther Beckstein, Kurt Beck, Oskar Lafontaine und Norbert Röttgen erwischte, ein vermeintliches Serienschicksal also – es muss ganz anders gelesen werden, wenn es eine Politikerin betrifft. Die einstige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis meinte hellseherisch über den Anonymus, der oder die sie 2005 aus dem Amt kegelte: „Diese Männer, die so etwas tun, hassen Frauen.“

In diesem Jahr beschwerten sich elf feministische Wissenschaftlerinnen beim Hessischen Rundfunk mit leichter Verspätung über den phallokratischen Umgang des Senders mit der schon 2008 gescheiterten Andrea Ypsilanti. „Der Sender habe „sexistische Klischees der Vergangenheit“ bemüht, und verfolge ganz grundsätzlich eine „Frauen verachtende Strategie“. Schon vor längerer Zeit – die elf feministischen Wissenschaftlerinnen feilten da wahrscheinlich noch an ihrem Manifest – stellte Ypsilanti in eigener Sache fest: „Wenn mein Name Andreas Ypsilanti gewesen wäre, wäre manche Debatte sicher anders geführt worden.“ Fachfrau Simonis wiederum befand damals über ihre hessische Leidensgenossin: „Sie hat Fehler gemacht. Aber wäre ein Mann so hart bestraft worden?“

Eins fällt allerdings in diesem Als-Frau-gescheitert-Diskurs auf: Er betrifft nicht alle Politikerinnen mit jähem Karriereende. Den Grund für den Sturz Margaret Thatchers durch die eigenen Parteifreunde sieht bis heute jeder in der Poll Tax beziehungsweise in der wachsenden Ungeduld ihrer jüngeren Königinnenmörder.

Niemand schwingt sich bisher zu der These auf, die Präsidentschaftsambitionen der Republikanersirene Sarah Palin wären an ihrem Chromosomensatz gescheitert. Und wenn Marine Le Pen dabei ertappt würde, wie sie einen dunkelhäutigen Liftboy in einem New Yorker Hotel sexuell belästigt, dann fände vermutlich niemand, dass sie gegen die Männerwelt des Front National keine Chance hatte.
Als Frauen scheitern Politikerinnen nur dann, wenn sie zum Lager des Schönen, Guten und Wahren gehören. Dann kann es nämlich nicht an ihrer Politik liegen, nicht an der Konkurrenz in der eigenen Partei, an einem gebrochenen Wahlversprechen oder an einem rechtswidrigen Steuererlass. Dann liegt es an den Östrogenen.

Um das noch einmal zu unterstreichen, sagte Gaschke in ihrer Abschiedsrede, die sei Oberbürgermeisterin geworden, „weil ich das beste für diese wundervolle Stadt wollte“. Das ist ein beeindruckendes Distinktionsmerkmal gegenüber den anderen Kieler Politikern, die bekanntlich das Ziel verfolgen, die Stadt auf die UNESCO-Schandfleckenliste zu setzen und anschließend dem Erdboden gleichzumachen.
Vielleicht richtet sich Susanne Gaschke nach ihrem Abschied aus der Politik eine neue Kolumne ein: „Ansichten einer Geschlechtspessimistin.“

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Leserpost

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Frank Holbers / 31.10.2013

Gescheitert ist sie, weil sie weder politische Erfahrung (journalistische Schreiberei ist kein Ersatz dafür!) noch Erfahrung im Verwaltungsmanagement hat. Zudem ist sie äußerst beratungsresistent und völlig frei von Selbstkritik. Alles denkbar schlechte Voraussetzungen, um eine Stadt mit ca. 220000 Einwohnern leiten zu können. Bloßes ‘Wollen’ reicht dafür nicht aus. Vielleicht hätte Gaschke ersteinmal in einem kleinen Ort mit 500 Einwohnern das Bürgermeisteramt üben sollen. Aber Bescheidenheit ist auch nicht ihre Stärke.

Heino Rübenstein / 30.10.2013

Diese Larmoyanz, dieses tränenerstickte Selbstmitleid der Größenwahnsinnigen. Richtig: Sie hat das Beste gewollt. Nun weiß aber wirklich jeder, daß das gut Gemeinte exakt das Gegenteil des gut Gemachten ist. Das hat die gute Gaschke in ihrem Zeit-Harmonie-Mikrokosmos nicht gelernt. Ist nicht schade. Vielleicht bekommt sie jetzt dort tatsächlich eine neue Kolumne. Egal. Wissen muß sie nun jedenfalls wieder nichts mehr. Besserwissen reicht.

Wolfgang Janßen / 30.10.2013

Frau Ypsilanti wurde von drei Frauen (!) und einem Mann nicht zur Ministerpräsidentin gewählt. Wie verträgt sich das mit dem Chromosomensatz? Und eine Frau, die Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen aus Frankfurt, wünschte sich in einer Parteitagsrede im Anschluß an Ypsilantis Scheitern, dass den vier Abweichlern “die Beine abfaulen (!!!)” sollten. Und dafür erhielt sie Aplaus!!! DieWiderwärtigkeit dieser Äußerung erhielt noch eine besondere Note, weil eine der drei Frauen als Kind bei einem Unfall tatsächlich ein Bein verloren hatte. So viel zum Umgang von Frauen mit Frauen.

Susanne Nadas / 30.10.2013

Oh je, dabei war’s eher das alles besser machen wollen. Man kann kaum Rueckendeckung erwarten, wenn man mit pauschalierender Kritik und wenig politischer Erfahrung erwartet, dass sich die Dinge von alleine und ohne Widerstand in dem angestrebten Sinne veraendern - wenn man sich noch nicht mal fragt, ob andere es denn auch wollen. Soviel Blauaeugigkeit kann nur so enden.

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