Gastautor / 15.01.2021 / 16:00 / Foto: Hamid Mir / 11 / Seite ausdrucken

Als der „Spiegel“ das Ende des Terrorismus verkündete

Von Lukas Mihr.

Vor fast 10 Jahren starb Osama bin Laden bei einem Einsatz der US-Spezialkräfte im pakistanischen Abottabad. Die Welt reagierte erleichtert auf den Tod des Gründers der Terrororganisation al-Qaida, der die verheerenden Anschläge vom 11. September 2001 orchestriert hatte.

Teilweise zu erleichtert. Der Spiegel hatte damals das Ende des Terrorismus ausgerufen:

„Zehn Jahre (nach dem 11. September 2001) zeigen die Revolutionen in Arabien, dass sich die Mehrheit der Muslime nach Demokratie sehnt und dass Bin Ladens Ideologie eines mörderischen Fundamentalismus wohl schon vor seinem Tod an Anziehungskraft verloren hatte.“

Im Beitrag „Ende eines Massenmörders“ hieß es über den Terrorführer, dass seine „Bedeutung inzwischen erloschen“ sei. Die „moderne muslimische Welt“ habe „den Alten vom Berge fast vergessen.“ 

Der Artikel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ konstatierte, die „Verirrten in der islamischen Welt verlieren ihren Fixstern“, die arabischen „Freiheitskämpfer“ würden sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

Bekanntlich kam es anders.

Keine Argumente, außer Umfragen

Im Jahr 2011 starben laut der Global Terrorism Database der University of Maryland weltweit 8.246 Menschen bei Terroranschlägen. Diese Zahl stieg bis 2014 auf 44.490 und sank 2019 auf 20.309.

Dies entspricht mehr als einer Verfünffachung der Opferzahlen und selbst nach der militärischen Zerschlagung des Islamischen Staats liegen diese Zahlen noch beim etwa 2,5-fachen des vorherigen Stands.

Selten dürfte der Spiegel falscher gelegen haben als hier, aber wie kam er zu der Prophezeiung, „als politische Ideologie ist der Dschihadismus im Nahen Osten kaum noch relevant“?

Schon auf ein Ende der Gewalt im arabischen Raum zu hoffen, wäre mehr als optimistisch gewesen, aber warum sollte eine Gruppe wie Boko Haram in Nigeria mit dem Morden aufhören, wenn die Qaida ihren Anführer verliert?

Der eben zitierte Artikel „Sinkende Feldherren“ enthält kaum sachliche Argumente, die ein Ende des Terrorismus plausibel erscheinen lassen. Ein beständiger Rückgang der Terrortoten, eine Verurteilung der Gewalt durch die obersten islamischen Autoritäten oder die Etablierung von Demokratien im Nahen Osten wären gute Indizien gewesen – doch ein solcher Trend existierte schlicht nicht.

Lediglich auf Umfragen aus der islamischen Welt wird verwiesen. In den 2000er Jahren nahm der Rückhalt bin Ladens von Marokko bis Indonesien stetig ab. Die Erklärung für dieses Phänomen liefert der Artikel jedoch gleich selbst. Al-Qaida verübte viele Terroranschläge im arabischen Raum. Vor allem im Irak brachten sich ab 2003 die Glaubensbrüder gegenseitig um.

Bin Laden als „dunkler Doppelgänger George W. Bushs“

Terrorismus abzulehnen, weil man ihm selbst zum Opfer fallen könnte, ist jedoch keine Abkehr vom Terrorismus als solchem.

Spöttisch wird im Beitrag „Sinkende Feldherren“ der kurz zuvor gestürzte ägyptische Präsident Husni Mubarak zitiert, der damals gewarnt hatte, ihm würden „hunderte bin Ladens“ nachfolgen. Tatsächlich hatte der Diktator Mubarak immer behauptet, nur er könne eine Machtergreifung der Muslimbruderschaft verhindern. Dies war eine willkommene Ausrede, um jede demokratische Opposition im Keim zu ersticken – doch sie entsprach der Wahrheit. Bei den Wahlen 2012 wurde Mohammed Mursi, ein Vertreter der Muslimbruderschaft, zum neuen Präsidenten gewählt. Nach dem Sturz Mubaraks erlebte Ägypten eine Zunahme an Terroranschlägen. Vor allem die Kopten, eine christliche Minderheit, müssen um ihr Leben fürchten.

Auch sollte dem Spiegel eigentlich bekannt gewesen sein, dass bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Verbindungen zu seiner Terrororganisation kappte, um nicht aufgespürt werden zu können. Nur noch gelegentlich meldete er sich in Videobotschaften zu Wort. In seinen letzten Jahren war er weniger Organisator, sondern vielmehr Symbolfigur. Die operative Leitung des Terrornetzwerks lag bei seinem Stellvertreter und Nachfolger Aiman al-Sawahiri. Denn genau diesen Zusammenhang hatte der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, der daher weiterhin mit Anschlägen rechnete, in der gleichen Ausgabe zu Protokoll gegeben.

Der Spiegel zog daraus jedoch die Schlussfolgerung, dass bin Laden als Zivilist, gewissermaßen als „Terrorist im Ruhestand“ (siehe Beitrag „Ende eines Massenmörders“) einzustufen sei – und seine Tötung damit rechtswidrig. Al-Qaida sei „ein eher locker verknüpftes Netzwerk des Bösen“ und „als Kriegspartei untauglich“. Auch Spiegel-Erbe Jakob Augstein schloss sich dieser Deutung an („Bin Laden, der Sieger“). Die Worte des Theologen Lutterbach, aus „Nächstenliebe“ verbiete sich „Schadenfreude“ über die Ausschaltung bin Ladens, wurden gar zum „Zitat des Tages“ erhoben.

Amerika dürfte „nicht wieder in jene außenpolitische Hybris verfallen“, da Washington sonst „Monstern“ wie bin Laden neue Vorwände liefern würde. Auch müsse endlich ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern geschlossen werden. Es sind also mal wieder die Juden schuld.  

Augstein meinte, der Westen „mit seinem Übermaß an Arroganz und seinem Mangel an Respekt, ist ein passendes Feindbild“. Bin Laden sei, so Arundhati Roy „der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten“ George W. Bush.

„Al-Qaida wurde auf dem Tahrir-Platz von Kairo begraben“

Schriftsteller Lawrence Wright (Spiegel-Beitrag „Ein neues Drehbuch“), der für sein Buch über al-Qaida („Der Tod wird euch finden“) den Pulitzerpreis erhielt, sah einen „Wendepunkt“. Er bezeichnete die alten Terrorfürsten als „Gerontokratie“. Die junge Generation sei „der Demokratie und der Moderne gegenüber viel aufgeschlossener“. Syrien schätzte er als „stabil genug“ für „demokratische Strukturen“ ein. Tatsächlich haben zehn Jahre Bürgerkrieg in der Levante etwa 400.000 Opfer gefordert.

Wright hatte das Drehbuch zum Hollywoodblockbuster „Ausnahmezustand“ verfasst. Im Film mit Denzel Washington und Bruce Willis in den Hauptrollen gleiten die USA nach Terroranschlägen in eine Militärdiktatur ab, in der Araber in Lagern interniert werden.

Besonders peinlich: Als weiteren Gewährsmann für ein baldiges Ende des Terrorismus zitierte der Spiegel ausgerechnet Jamal Khashoggi. Dieser durfte den ersehnten friedlichen Nahen Osten nicht miterleben, im Gegenteil: Im Jahr 2018 wurde er mutmaßlich auf Geheiß des saudischen Herrschers, Kronprinz Mohammed bin Salman, in der Türkei ermordet und zerstückelt.

Ein neutraler Beobachter war Khashoggi jedoch nicht. Er galt als einer der wichtigsten Vertreter des legalistischen Islamismus, der einen Gottesstaat eben nicht per Gewalt, sondern auf dem parlamentarischen Wege errichten wollte. Terroranschläge stören da nur.

Seine Worte, „Al-Qaida wurde auf dem Tahrir-Platz von Kairo begraben“, klingen salbungsvoll, halten einer genauen Betrachtung jedoch nicht stand. Denn auf eben jenem Tahrir-Platz, wo die Demonstranten das Ende der Herrschaft Mubaraks forderten, ereigneten sich massive sexuelle Belästigungen. Auch kann dem Spiegel kaum entgangen sein, dass die amerikanische Reporterin Lara Logan dort unter antisemitischen Beschimpfungen von einem Mob vergewaltigt wurde.

Keine Ausnahme, sondern Trend

Fast konnte man hier schon erahnen, dass der Spiegel, wie die anderen großen deutschen Medien auch, knapp fünf Jahre später die massenhaften sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015 totschweigen sollte, bis er durch massiven Druck in den sozialen Netzwerken und alternativen Medien zu einer Berichterstattung gezwungen wurde.

Als ähnlich fehlerhaft hatten sich auch die Beschwichtigungen der Presse erwiesen, durch die Flüchtlingskrise drohe keine erhöhte Terrorgefahr. Über 400 Tote in Europa seit 2015, davon 16 in Deutschland, sprechen eine andere Sprache.

Natürlich muss man jedem Medium einzelne Fehler verzeihen, nicht jedoch, wenn sich ein systematischer Trend erkennen lässt. Bekanntermaßen setzt der Spiegel schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf fachliche Kompetenz, sondern auf ideologische Stromlinienförmigkeit.

Wer wirklich glaubt, dass der Islam friedlich ist, für den ist ein Osama bin Laden nur die Ausnahme von der Regel, ohne die schon bald die Normalität zurückkehrt. Nur gehört zu dieser Normalität allerdings auch, dass schon Mohammed ein Feldherr war und der Koran zahlreiche Gewaltaufrufe enthält. Der Islam ist eben keine friedliche, sondern eine kriegerische Religion. Ein toter Terrorfürst mehr oder weniger fällt da kaum ins Gewicht.

„Wir werden unsere Art zu leben nicht ändern“

Ein wenig Angst vor dem eigenen Mut überkam den Spiegel dann aber doch noch (siehe Beitrag „Sinkende Feldherren“). Islamisten und Despoten könnten „noch viel Unheil anrichten, aber ihre Philosophien sind erledigt.“ Eine solch doppeldeutige Leerformel, die künftige Terroranschläge nicht kategorisch ausschließen will, ermöglicht es, hinterher auch mit einer falschen Prognose doch noch recht gehabt zu haben. Die zehntausenden Opfer des Islamischen Staats lassen sich dann umso einfacher unter den Teppich kehren, womöglich starben sie auch nur auf der philosophischen Ebene.

Wie aus einer vergangenen Zeit mutet es an, dass der Spiegel nach dem Anschlag auf das World Trade Center Terrorismus trotzig eine Absage verurteilte:

„Wir werden unsere Art zu leben nicht ändern. Und erst recht nicht, wenn uns ein paar mittelalterliche Fundamentalisten, die ihre Frauen verschleiern und zu Hause einsperren, dazu zwingen wollen.“

Mittlerweile entsteht durch die vielen beschwichtigenden und relativierenden Meinungsbeiträge der Eindruck, dass der Spiegel Terrorismus als eine zwar bedauerliche, aber eben auch unvermeidbare Begleiterscheinung der schönen, neuen (diversen) Welt ansieht, mit der man sich eben arrangieren muss.

Lukas Mihr, geb. 1985, ist Historiker und Journalist. Bislang schrieb er u.a. für die Junge Freiheit sowie Tichys Einblick. Er ist Mitglied der kritischen Islamkonferenz.

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Wolfgang Nirada / 15.01.2021

Augstein und der Spiegel - das passt wie Arsch auf Eimer…

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