Gastautor / 03.07.2019 / 15:00 / Foto: Bert Goulait / 13 / Seite ausdrucken

Als der Konservatismus noch sexy war

Von Sebastian Syndikus.

Zur Mitte des 20. Jahrhunderts war sich die liberale Elite in den USA einig: Konservative sind intellektuelle Irrlichter, skurrile Blender und schlimmstenfalls faschistoide Nostalgiker. Und in Anbetracht der Wirkmacht John Lockes und des Baron de Montesquieu auf die amerikanische Verfassung war zumindest die vergleichsweise zurückhaltende Behauptung, der amerikanische Charakter sei nun mal liberal, durchaus vertretbar. Natürlich wurden diese Aussagen von den immer noch spürbaren Auswirkungen des New Deal, der GI-Bill und der zunehmenden Säkularisierung der Universitäten unterstrichen. Doch das Establishment irrte, big time. 

Bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde die ideologische Janusköpfigkeit der USA deutlich. Unbestreitbar inspirierten die Ideen der Aufklärung die constitution. Auf der anderen Seite belegen die Federalist Papers – bis heute die wichtigste Kommentarreihe zur Verfassung der Vereinigten Staaten – die konservativen Charakterzüge der noch jungen Nation. In diesen 85 Artikeln, verfasst von James Madison, Alexander Hamilton und John Jay, findet man zentrale Strukturelemente des modernen Konservatismus: anthropologische Skepsis, Angst vor der Macht der Massen, Kritik an direkter Demokratie und den festen Glauben an die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Elite.

Es folgten genuin amerikanische Konservative wie John Adams, John C. Calhoun und Irving Babbitt. Aber auch die Rezeption europäischer Intellektueller fand statt. Über amerikanische Politiker, Schriftsteller und Philosophen, die als transatlantische Mittler fungierten, übten Edmund Burke, Klemens von Metternich, George Santayana und José Ortega y Gasset korrektiven Einfluss auf die liberale Illusion der Perfektibilität der amerikanischen Gesellschaft aus.

Trotzdem gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs keine kohärente Gruppe konservativer Denker, die sich einer gemeinsamen Aufgabe verschrieb. Doch angesichts des liberalen Lavierens gegenüber dem sowjetischen-expansionistischen Behemoth formierte sich die Konservative Bewegung mit dem Ziel, die USA auf den Kalten Krieg einzuschwören und dem mit dem Liberalismus eng verwobenen moralischen Relativismus entschieden entgegenzutreten. Der Kopf dieser Bewegung schritt mit Eloquenz, Entschlossenheit und Stil voran: Gestatten, William F. Buckley. Seine internationale Erziehung verlieh ihm einen aristokratischen Duktus. Die spanisch-französischen Einflüsse auf seine Aussprache, die er seinen Kindertagen in Mexiko und Paris verdankte, wurden zu seinem Markenzeichen. Ähnlich wie der Kennedy-Clan waren die Buckleys ebenfalls eine Großfamilie, reich und katholisch – nur eben konservativ. 

Das Gegenteil eines prüden Konservativen

Während seines Bachelorstudiums in Yale leitete er die prestigeträchtige Yale Daily News und legte sich wiederholt mit dem universitären Establishment an. Von James Burnham, einem der einflussreichsten Intellektuellen der damaligen Zeit, wurde er für die CIA angeworben. Aufgrund seines perfekten Spanischs und seiner Landeskenntnisse agierte er kurzzeitig als Agent in Mexiko. Und im Anschluss fasste er einen der weitreichendsten Entschlüsse in der amerikanisch-konservativen Politikgeschichte: Er gründete die Zeitschrift National Review. Als Herausgeber der National Review und Impresario der Konservativen Bewegung vereinte er die sich kontradiktorisch gegenüberstehenden Stränge des Libertarismus und traditionellen Konservatismus unter dem Banner der gemeinsamen antikommunistischen Flagge.

Dreißig Jahre lang debattierte er in seiner Sendung Firing Line mit Größen wie Noam Chomsky, Milton Friedman, Christopher Hitchens und Henry Kissinger – immer fair und auf höchstem Niveau. Buckley war das Gegenteil des Stereotyps eines prüden Konservativen der 1950er und 60er Jahre. Auf seinen unzähligen Segelturns durften Zigarren und Scotch nie fehlen. In seinem Privatleben verkörperte der Bon Vivant der amerikanischen High Society wiederum zutiefst konservative Werte. Mit 26 Jahren heiratete er seine Frau Patricia. Nach 57 Jahren gemeinsamer Ehe – frei von Affären und Eskapaden – starb sie im Alter von 80 Jahren. Nach ihrem Tod gestand Bill Buckley, dass einzig seine feste Überzeugung, Patricia im Himmel wieder zu sehen, ihn nicht vollends in die Verzweiflung trieb. Nur ein Jahr später waren die beiden wieder vereint. 

Buckley und seine Zeitschrift trugen maßgeblich zur Klimax der Konservativen Bewegung im Jahr 1980 bei. Ronald Reagan, ihr konservativer Posterboy, wusste, bei wem er sich zu bedanken hatte. Nicht zu unrecht beschrieb er seinen Freund Bill als „our clipboard-bearing Gallahad“. Buckley war Patriot, aber kein Nationalradikaler. Buckley war tief religiös, aber kein Fanatiker. Buckley hatte Pathos, war aber nicht pathetisch. Kurzum, er war ein äußerst würdevoller Vertreter des amerikanischen Nachkriegskonservatismus. Er konnte auch offen zugeben, wenn sich im Laufe der Zeit herausstellte, dass eine von ihm vertretene Position falsch war. Im Jahr 1957 konnte man in einem Editorial mit dem Titel „Why the South must prevail“ lesen, dass weiße Südstaatler über einen legitimen kulturellen und politischen Hoheitsanspruch verfügten, solange sie die „advanced race“ darstellten. Um es klar zu sagen, das war nicht sexy. Das war schäbig. Zu recht beschrieb Buckley dieses Editorial als größte Verfehlung in seiner langen Karriere als Herausgeber der National Review. Dennoch war es Buckley, der den Konservatismus in den USA wieder salonfähig machte. 

Plötzlich verlor Buckley die Fassung

Die Konservative Bewegung ist aber nicht auf Buckley zu reduzieren, auch wenn sie ohne ihn nicht denkbar gewesen wäre. Russell Kirk, James Burnham, Willmoore Kendall, Frank Meyer, Whittaker Chambers: Sie alle trugen ihren Teil zur Erfolgsgeschichte des amerikanischen Konservatismus bei. Stets präsent waren allerdings auch deutsche und österreichische Philosophen und Ökonomen. Ludwig von Mises und sein Schüler Friedrich August von Hayek, Otto von Habsburg, Eric Voegelin, Erik von Kuehnelt-Leddihn und Wilhelm Röpke. Die Autoren der Zeitschrift stellten eben keine Armee von Reaktionären dar, sondern bildeten vielmehr die hohe intellektuelle Dichte des amerikanischen Nachkriegskonservatismus ab. Und es war Buckley, der sie stellvertretend als public intellectual vertrat. Natürlich nicht im Stile eines Milo Yiannopoulos. Sondern aufrichtig, respektvoll und auf höchstem argumentativem Niveau. 

Zum Leben eines public intellectuals – siehe Peterson vs. Zizek – gehören naturgemäß auch Niederlagen. Im Sommer des Jahres 1968 lieferte sich Buckley eine Reihe von öffentlichen Debatten mit dem Autor und bekennenden Liberalen Gore Vidal. Die Zuschauer wurden Zeugen von beiderseitigem Hass, der selbst durch den dichtesten Eloquenznebel augenscheinlich war. Und plötzlich, wohlgemerkt das einzige Mal während 50 Jahren in der Öffentlichkeit, verlor Buckley die Fassung. Gore Vidal, stets auf der Suche nach genau dieser einen Provokation, die Buckley aus der Haut fahren ließe, nannte seinen Gegenüber Crypto-Nazi. Buckleys ganzer Körper revoltierte gegen diese offenkundige Verleumdung. Zu seinem späteren Bedauern entgegnete er folgendes: “Now listen, you queer, stop calling me a crypto-Nazi or I'll sock you in your goddamn face, and you'll stay plastered.” Vidal schmunzelte amüsiert. Er hatte ihn. 

Diese Episode hat allerdings nur zu Buckleys Popularität beigetragen. Vidal war ein unsympathischer Fiesling, das wusste nun ganz Amerika. In Erinnerung blieb auch eine andere Geschichte aus den 1960er Jahren. 1965 trat Buckley für das Amt des Bürgermeisters von New York an. Er ging für die Außenseiter der Conservative Party ins Rennen. Buckley war zwar nicht imstande, seiner republikanischen Nemesis John Lindsay ein Bein zu stellen, trotzdem gelang es ihm, sensationelle 13,4 Prozent der Stimmen zu holen. In die politischen Annalen New Yorks ging er aber wiederum aufgrund seiner Schlagfertigkeit ein. Auf die Frage eines Reporters nach seiner ersten Amtshandlung, sollte er tatsächlich gewählt werden, antwortete Buckley: „Demand a recount.“

Fähnchen im Demokratiewind

Sexy und charmant, diese zwei Attribute fallen bei der Beschreibung aktueller deutscher und amerikanischer Konservativer nur selten. Die Politiklandschaft wird zusehends von Marktschreiern und Fähnchen im Demokratiewind dominiert. Das waren William F. Buckley und seine Mitstreiter nie. In bester ciceronischer Quo Usque Tandem-Manier verstanden sie sich als die letzte Bastion westlicher Zivilisation im Angesicht liberaler Lethargie gegenüber der Sowjetunion. Sie erklärten den Amerikanern die Bedeutung von Ordnung. Nämlich, dass ohne Ordnung und Hierarchie Freiheit nicht möglich ist. Und sie machten der Welt deutlich, dass die Idee der offenen Gesellschaft nur Bestand haben kann, solange man diejenigen ausschließt, die das Prinzip der offenen Gesellschaft an sich angreifen. Sie taten noch viel mehr. Und ja, sie irrten auch. Aber das alles mit Charme, Humor und dem Herz am rechten Fleck. 

Sexy wird hier als Synonym für lässig, charmant und elegant verwendet. Diese abschließende Anekdote soll verdeutlichen, dass ein lässiger, charmanter und eleganter Konservativer in den 1950er und 60er Jahren keinesfalls als Dudenbeispiel für ein Oxymoron herhält. Als Woody Allen und William F. Buckley im Winter des Jahres 1967 gemeinsam in der Show „The Kraft Music Hall“ sitzen, kommt es zu einer Szene, die den amerikanischen Konservatismus endgültig – und manche mögen sagen in brüderlesquer Manier – aus der verstaubten Hornbrillenecke holt, die oberflächlich seine natürliche Heimat zu sein schien. Am Ende der Sendung wendete sich eine junge blonde Dame sichtlich nervös und mit großen blauen Augen an Buckley: „Mr. Buckley, do you think mini-skirts are in good taste?“ Seine nasale Antwort steht stellvertretend für seine lebenslange joviale Art: „On you, I think they are.“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste Woody Allen – und der Rest Amerikas –, dass Konservative sexy sein können. Danke, Mr. Buckley. 

Über Sebastian Syndikus: Studium der Amerikanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Aktuell Promotionsstipendiat bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Dissertationsthema: Was ist Konservatismus? Ein deutsch-amerikanischer Vergleich, 1770-1970.

Foto: Bert Goulait/ US Military via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Gabriele Schulze / 03.07.2019

Wieder etwas dazugelernt, danke! Ja, so muß es sein - intelligent, aber sexy (um einen bekannten deutschen Politiker zu paraphrasieren). Sich rüsten, um bloß nicht in eine mickrige defensive Attitüde gegenüber der allgegenwärtigen Propaganda zu verfallen. Auch Dávila, Chesterton…..

Frank Dom / 03.07.2019

Toller Artikel, Danke.

Florian von Lichtenberg / 03.07.2019

1. Sie haben an der Johann-Wolfgang-von-Goethe Uni in Frankfurt am Main studieren dürfen? Mein tief empfundenes Beileid! 2. Konservative Werte sind weiterhin, hören Sie sehr gut zu, weltweit führend, exzellent. Es gibt NICHTS Besseres. 3. Was sind konservative Werte? Wovon rede ich? Genau diese Fragen sollten Sie beantworten können, wenn Sie das Thema dominieren wollen. 4. Sich mit Etikettierungen, leeren Worten und so abzugeben und Zeitgeschichte wiederzugeben genügt NICHT. 5. Konservatismus hat den linken Fortschritt überholt und ist zeitlos elegant und überlegen. 6. Wechseln Sie Ihre Denkschule oder Sie laufen Gefahr ausgetrickst zu werden. Merci!

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