In der Süddeutschen Zeitung hat Tomas Avenarius mit seinem Kommentar zum 7. Oktober 2023 ein Lehrstück dafür geliefert, wie sich sämtliche moralische Kategorien verschieben lassen.
Am Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 veröffentlichte Tomas Avenarius in der Süddeutschen Zeitung einen Text, der auf den ersten Blick wie eine politische Rückschau auf „den Tag, an dem alle Hemmungen fielen“, wirkt. Doch die Hemmungen, von denen Avenarius schreibt, sind nicht jene der Hamas-Terroristen, als sie über 1.200 Israelis töteten, folterten, vergewaltigten und entführten.
Von den Taten, die diesen Tag zu einem Zivilisationsbruch machten, ist bei ihm keine Rede. Nicht von den Frauen, die öffentlich in Gruppen vergewaltigt wurden. Nicht von den Familien, die in ihren Häusern verbrannt oder mit Gas erstickt wurden. Nicht von den Leichen, die mit gefesselten Händen, verstümmelten Gliedmaßen und zerschnittenen Genitalien gefunden wurden. Laut dem Bericht der Association of Rape Crisis Centers in Israel (ARCCI) „wandten die Terroristen der Hamas sadistische Praktiken an, um den Grad der Erniedrigung und des Terrors, der mit sexueller Gewalt einhergeht, noch zu verstärken“.
Palästinensische Männer reichten eine Frau zur Vergewaltigung herum. „Sie schnitten ihr die Brust ab und warfen sie auf die Straße“, sagte Zeugin S., „sie spielten damit“. Das Opfer wurde anschließend einem anderen Mann in Uniform übergeben: „Er drang in sie ein und schoss ihr in den Kopf, bevor er fertig war. Er hob nicht einmal seine Hose auf; er schoss und ejakulierte.“
Doch das meint Avenarius nicht, wenn er schreibt, dass die Hemmungen fielen; denn diese Ereignisse kommen bei ihm schlicht nicht vor. Auch die Szene, wie der leblose Körper der zweiundzwanzigjährigen Deutsch-Israelin Shani Louk als Trophäe auf einem Pickup durch die Straßen in Gaza gefahren wurde, unter dem Jubel von Gazas Bevölkerung, die Allah dankte, hatte Avenarius nicht im Sinn.
Die Hemmung, die ihn interessiert, ist die angebliche Enthemmung Israels. Der Satz steht am Anfang eines Artikels, der den Blick von den Tätern auf die Reaktion ihrer Opfer lenkt, um sie an den Pranger zu stellen.
Israel auf der Anklagebank
Avenarius bilanziert, der 7. Oktober 2023 sei für Israel eine „Rechtfertigung für Kriegsverbrechen, Hungerpolitik und – möglicherweise – einen drohenden Genozid“. Israel habe „den Vorwand“ erhalten, „die Palästinenser zu bombardieren, zu vertreiben und zu töten“. Das Wort „Rechtfertigung“ taucht in seinem Text gleich viermal auf – eine auffällige Häufung in einem Kommentar dieser Länge.
Israel „nutze den 7. Oktober als Rechtfertigung“ für Kriegsverbrechen, „als Rechtfertigung“ für „großisraelische Ziele“ (welche?), „als Rechtfertigung“ für den Traum vom „gottgelobten Land“, und der 7. Oktober „rechtfertige in Israel inzwischen fast alles“. Diese ständige Wiederholung wirkt nicht argumentativ, sondern suggestiv: Sie verschiebt den moralischen Schwerpunkt vom Angriff auf dessen vermeintlichen „Nutzen“ für die Opfer.
Israel, so der Subtext, habe das Massaker nicht erlitten, sondern verwertet. Damit ist die Richtung vorgegeben: Der Terror der Hamas wird zum Vorwand Israels, das Morden der Täter zum Auslöser israelischer Schuld. Die Opfer der Massaker erscheinen als Nutznießer. Israel, so die Logik, schlägt Kapital aus dem eigenen Trauma.
Das ist kein Ausrutscher, sondern die Fortschreibung eines alten journalistischen Reflexes: Wenn Palästinenser töten, muss erklärt werden, warum Israel daran schuld ist. Schon am 7. Oktober 2023, während die Massaker im Süden des Landes noch andauerten, schrieb SZ-Autor Peter Münch, die Eskalation dürfe „nicht ohne Vorgeschichte betrachtet werden“. Zur „Vorgeschichte“ zählte Münch unter anderem, dass Israels Regierung „die Armee als Antwort auf palästinensischen Terror seit Monaten im Westjordanland mit aller Härte vorgehen“ lasse. Der Terror selbst gehörte offenbar nicht zur „Vorgeschichte“. Die Täter des 7. Oktober also hätten bloß reagiert.
„Die Palästinenser müssen sich endlich fragen, ob ihre Sache nicht weiter wäre, hätten sie auf Argumente statt auf Gewalt gesetzt. Ja, die Diplomatie hat bisher auch nicht viel gebracht. Die Gewalt und der Terror von Gruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad aber sind Selbstzweck. Und liefern Israel den Vorwand, die Palästinenser zu bombardieren, zu vertreiben, zu töten“, schreibt Journalist Avenarius gleichsam in der Rolle eines Ratgebers der Täter: „Sie müssen sich fragen …“
An wen ist die Forderung gerichtet? Diejenigen, die mit Israel in Frieden leben wollen, müssen sich das nicht fragen. Also müssen die Mörder gemeint sein. Ist es Aufgabe eines Journalisten, denen, die eine Welt ohne Juden anstreben, zu raten, „auf Argumente“ zu setzen? Wie könnten diese Argumente aussehen? Wenn er sich sorgt, dass die palästinensischen Täter des 7. Oktober Israel einen „Vorwand“ geliefert hätten, zeigt er damit, dass er Israel für das eigentliche Problem hält.
Laut Thomas Avenarius hat sich zwei Jahre nach dem Terror der Hamas im Süden Israels die Sache der Palästinenser nur zum Schlechteren gewendet. Die Palästinenser, die am 7. Oktober 2023 mordeten, vergewaltigten und entführten, erscheinen bei ihm als Bewegung, die ihre beste Zeit hinter sich hat.
Ihr Terror habe sie zurückgeworfen – so, als sei das eigentliche Verhängnis nicht das Massaker selbst, sondern sein politischer Misserfolg. Damit wird das Massaker nicht als moralischer Abgrund verstanden, sondern als verfehlte Strategie. Die Täter werden zu gescheiterten Akteuren eines an sich doch „legitimen Bemühens“ – dem angeblichen Streben nach einem palästinensischen Staat, das er ihnen unterstellt, während sie selbst kein Hehl daraus machen, eine Welt ohne Israel anzustreben und die Schimäre vom Palästinenserstaat nur ein Werkzeug dazu ist. Avenarius bedauert, nichts habe dieses Bemühen stärker zurückgeworfen als der Terrorakt vom 7. Oktober. Das klingt, als sei das Schlimmste an der Tat ihr Mangel an politischer Rendite.
Gottgelobtes Land
Für seine Beschreibung Israels greift Avenarius zu Begriffen, die aus dem politischen Giftschrank stammen. Er spricht davon, Israel habe den „Lebensraum“ der Palästinenser „gezielt stranguliert“. „Lebensraum“ war die zentrale ideologische Formel der nationalsozialistischen Expansionspolitik, ein Synonym für Eroberung, Vertreibung und Vernichtung. Wer Israel heute in diesen Begriff zwängt, überträgt den Jargon der Täter auf das Land der Überlebenden.
Ebenso befremdlich ist seine Formulierung vom „größenwahnsinnigen Traum vom angeblichen gottgelobten Land“. „Gottgelobt“ ist kein Ausdruck israelischer oder religiöser Rhetorik, sondern eine veraltete deutsche Redewendung im Sinne von „glücklicherweise“. Avenarius benutzt sie wie ein biblisches Zitat, um Israels religiöse Rechte zu karikieren – und zeigt damit doch nur, dass er sich seine Formulierungen einfach ausdenkt, anstatt zu recherchieren, was israelische Politiker tatsächlich gesagt haben.
An anderer Stelle stellt Avenarius fest, Kriege gegen Besatzung würden von Armeen gewonnen, nicht von „Untergrundgruppen“; diese hätten mit ihrer „Opferbereitschaft die Sache ihrer Völker hochgehalten, mehr aber nicht“. Gemeint sind die Täter vom 7. Oktober 2023. In seinem Vokabular werden sie zu Untergrundkämpfern, ihre „Opferbereitschaft“ wird moralisch aufgewertet. Die Ermordeten dagegen kommen nicht vor. Der 7. Oktober wird zu einem Kapitel der palästinensischen Selbsttäuschung und nicht der Barbarei.
Die israelischen Opfer existieren bei Avenarius nur in Form politischer Folgen. Ihr Tod, ihr Leid, ihre Familien sind eine lästige Nebensache, weil sie angeblich ja „Vorwand“ für all das sind, was Avenarius eigentlich schlimm findet. Das Mitgefühl gilt denjenigen, die „seitdem alleinstehen“. So verschiebt sich das moralische Gewicht von den Ermordeten zu ihren Mördern.
„Verhasstes Brudervolk“
Avenarius beschreibt die Palästinenser als das bei Israelis „verhasste Brudervolk“. Belege für den angeblichen Hass liefert er keine. Wer ein israelisches Krankenhaus kennt, weiß, dass dort jüdische und arabische Ärztinnen, Pfleger und Chirurgen gemeinsam arbeiten – und auch Patienten aus den palästinensischen Gebieten behandelt werden. „Hass“ ist die Projektion des Autors.
Am Ende steht das Klischee: Die Palästinenser zahlen die Zeche, Israel zieht den Nutzen. Die Vorstellung dahinter ist, dass Juden vom Leid anderer profitierten, sei es politisch, moralisch oder ökonomisch. Es ist die moderne Variante der alten Schuldumkehr, die in eleganter Sprache daherkommt, aber denselben Subtext beinhaltet.
Thomas Avenarius hat mit seinem Kommentar ein Lehrstück geliefert, wie sich moralische Kategorien verschieben lassen: Der Terror der Hamas wird zur „Militanz“. Den Tätern mangelte es nicht etwa an jedweder Menschlichkeit, sondern bloß an den klugen Einsichten, wie sie etwa die Leser der Süddeutschen Zeitung haben. Die Täter werden bei Avenarius zu tragischen Idealisten, ihr Scheitern zu einer verpassten Gelegenheit. Israel dagegen wird zum Täter, der sich seiner Opfer noch bedient. Das ist eine rhetorische Entlastung der Mörder.
Die Zeitung, die Israel immer wieder auf die Anklagebank setzt und in der Vergangenheit mehrmals antisemitische Karikaturen veröffentlicht hat, hat am Jahrestag des größten Pogroms gegen Juden seit dem Holocaust nichts anderes anzubieten als diesen alten Reflex.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).

“Die Vorstellung dahinter ist, dass Juden vom Leid anderer profitierten, sei es politisch, moralisch oder ökonomisch.” - Mittlerweile ist der jüdische Geldwechsler als einziger Wucherer widerlegt. Die Quellen des Mittelalters belegen, dass die christlichen Geldwechsler weitaus schlimmer waren. Wobei man Geldverleiher eher als Misstand betrachtete und anscheinend immer zinsfreie Darlehen mit Rückzahlung fünfzig Jahre wünschte. Bis heute ist der Leihzins obligatorisch und niemand beschimpft Banken - egal ob christliche, muslimische oder jüdische Nähe - als Wucherer. Es sei denn, man hat sozialistische Grütze im Kopf.
Wer liest denn noch die Deutsche Ekelpresse?? Oder schaut das Lügen-TV??
Das zitierte Papierprodukt käme mir nicht einmal ans Gegenteil meines Gesichts.
Ein kleiner Trost, dass dieses ominöse Blatt beständig Leser verliert. Für die die “taz” wird auch kein Papier mehr verschwendet, wie man erfreut hört.
Ich fasse zusammen: Thomas Avenarius ist ein lupenreiner Antisemit. Er steht damit in einer langen Tradition der SZ (sozialistische Zeitung), die bis in die 90er Jahre von ehemaligen SS-Leuten geführt wurde. Unternehmenskultur ist eben sehr beständig. Ich hoffe sehr, dass die Friedensinitiative von Trump und Netanjahu nicht auf einer naiven Hoffnung basiert. Das 3. Reich musste für eine bedingungslose Kapitulation völlig vernichtet werden. Millionen zivile Opfer waren leider nötig, um die Unterstützung für die NSDAP zu brechen.
Die SZ auch Alpen-Prawda genannt. Oder wie wärs mit “Der (linke) Stürmer”. Man möchte solche, ähm, Journalisten am liebsten in einem Kibbuz, der sich in der Gefahrenzone befindet, teleportieren , wo er sich dann leibhaftige Erfahrungen sammeln könnte.
Vom Süddeutschen Beobachter zur Süddeutschen Zeitung. Zwei Namen - EINE Gesinnung! Am Yisrael chai.