Wolfgang Röhl / 13.12.2020 / 06:15 / Foto: Pixabay / 95 / Seite ausdrucken

Alltagsrassismus und Sonntagsrassismus

Wenn sie nicht gerade die ökologische Neupositionierung des Tierbedarfshändlers „Fressnapf“ analysiert oder darüber informiert, welcher „Tik-Tok-Creator im November durch die Decke gegangen“ ist, dann zeigt die Werber-Plattform Horizont auch mal politisch Flagge. Neulich informierte sie ihre mutmaßlich geschockten Leser, dass „Alltagsrassismus eines der größten und komplexesten Probleme unserer Zeit“ ist. Konkret ging es um eine Agentur, die den lukrativen Etat des „Bundesprogramms Demokratie leben!“ abgegriffen hat. Mission: den werktäglichen Rassismus durch Plakate bekämpfen.

Moment mal, mag sich der eine oder andere fragen. Um was handelt es sich beim Alltagsrassismus (AR) eigentlich? Klar, wir alle kennen den Rassismus an Sonn- und Feiertagen, wenn vielerorts Hakenkreuzfahnen von den Balkonen heruntergelassen werden und aus weit geöffneten Fenstern millionenfach der Ruf „Kanacken raus!“ erschallt. Das ist schlimm genug.

Subtiler, doch nicht weniger toxisch, kommt der stinknormale Alltagsrassismus daher. Oft werden die Täter sich dessen gar nicht richtig klar. Zum Beispiel, wenn eine junge Frau ein U-Bahnabteil betritt, in dem eine Gruppe von Migranten etwas breitbeinig hockt. Und wenn diese Frau, gefangen in unbewussten Klischees und Vorurteilen, sich dann in den nächsten Waggon begibt. 

Genau das ist mit AR gemeint. Anders verhält es sich natürlich, wenn die Frau es angelegentlich vorzieht, sich in sicherer Entfernung von einer Horde bierdeutscher Hansa Rostock-Fans zu platzieren. Das ist berechtigte Vorsicht, zumal unter Fußballfanatikern nicht selten rechtsradikale Hools zu finden sind.

Rundumdieuhrrassisten

Der Tatbestand des Alltagsrassismus liegt auch vor, wenn zwei Schwule, die von Hamburgs ZOB aus zur schicken, queeren Gastromeile Lange Reihe streben, nicht den direkten Weg über den Steindamm einschlagen, wo eine bunte Community ihre Handyshops, Sisha-Bars, Wettbüros und Gemüseläden betreibt. Sondern wenn diese paranoiden Homos lieber den Umweg über die dem Hauptbahnhof nahe, von uniformierten Polizisten und Zivilfahndern gut kontrollierte Kirchenallee nehmen.

Oder, wenn einem bis zum Stiernacken in dumpfen Vorurteilen verstrickten Weißarsch beim Anblick einer Gruppe von People of Color an der Balduintreppe – um in der rassismusgeplagten Hansestadt zu bleiben – sofort die Assoziation Abschiebung durch die Birne rauscht. Obwohl ja gar nicht fest steht, dass es sich bei den dort lungernden Personen tatsächlich ausschließlich um zumeist schon dutzende Male erwischte Drogendealer handelt. Das behaupten zwar auf St. Pauli tätige Bullen. Aber die sind sowieso Rundumdieuhrrassisten.

Oder, wenn die deutsche Kartoffel einen Taxifahrer, der ihr Idiom verstehbar spricht, unsensibel fragt: Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?

Das Leid eines Mannes, der vielleicht schon zwei, drei Jahre in Schland wohnt, aber feststellen muss, dass er immer noch ausgegrenzt wird – das ist es, was Alltagsrassismus anrichtet. Wie sang Bob Dylan? „You can hurt someone and not even know it.”

Die Agitationskommission des ZK der SED, Quatsch, die Bundeszentrale für politische Bildung, klärt auf:

Alltagsrassismus hat viele Gesichter. Es ist die Frage nach der – vermeintlichen – Herkunft, obwohl man in Rostock geboren wurde. Es sind die abwertenden Blicke im Bus, die rassistischen Rufe im Stadion oder auch die Zurückweisung an der Diskotür. Der mit zweierlei Maß messende Ausbilder, die rassismusunsensiblen Kolleg*innen oder die diskriminierenden Darstellungen in Büchern, Zeitungen und Filmen. Vermeintliche Komplimente wie ‚Du sprichst aber gut Deutsch‘ oder lobend gemeinte Verallgemeinerungen wie ‚asiatische Schüler_innen sind immer so fleißig‘ sind weitere Beispiele für Alltagsrassismus.“ 

„Die Tyrannei der gutmeinenden Fremdenfreunde“

Gegen den AR hilft ferner, wenn sich potenzielle Täter – also praktisch alle Bio-Deutschen, die noch nicht woke sind – intensiv mit kritischer Weißheitsforschung, Dominanzkultur, struktureller Diskriminierung, Ethnisierung sowie postkolonialen Konzepten beschäftigen. 

Natürlich kann das nur ein Anfang sein. Um profund in das Problem des ureigenen, weißen, oft alten und männlichen Rassismus einzusteigen und nicht bloß, wie die Expertin Sabine Forschner erläutert, ein „antirassistischer Gutmensch“ zu sein, der „die Tyrannei der gutmeinenden Fremdenfreunde“ ausübt, indem er versucht, gleich dem Fußballreporter Heribert Faßbender „im Fremden das Eigene zu erkennen, statt auch durch das Fremde das Fremde in sich anzuerkennen“ – um also die ganze verflixte und zugenähte Chose wirklich aufdröseln zu können, muss man sich die Analysekategorie Rassistisches Wissen aneignen. Sie untersucht den „Rassismus nicht nur als individuelles Vorurteil, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Wertesystems.“ Alles klar?

Antialltagsrassismus ist so wichtig! Schon deshalb, weil er Arbeitsplätze schafft. Zum Beispiel an Universitäten. Wer die hier verlinkten Seminarberichte „zur gesellschaftlichen Konstruktion von (Welt-)Anschauungen“ einsieht, muss zugeben: die daran Beteiligten irgendwann einer Erwerbsarbeit jenseits von Studierzirkeln, Gesinnungskampfverbänden oder Staatsbürokratien zuzuführen, könnte kompliziert werden.

Manche staunen, dass um Alltagsrassismus solch ein Wirbel gemacht wird. Schließlich gibt es nach Erkenntnissen verdienter Wissenschaftler ja gar keine Menschenrassen. Wenn der Begriff Rasse demnächst aus dem dritten Absatz des Artikels 3 im Grundgesetz gestrichen werden sollte, was ungefähr dieselben Wissenschaftler befürworten – müsste man Rassismus dann nicht umbenennen? Nein, denn ein Rassist glaubt ja weiterhin an die Existenz von Rassen. 

Wie es auch der Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul tat. Aufgewachsen auf Trinidad als Sohn indischer Einwanderer, kreiste das Werk des „literarischen Weltumseglers“, wie ihn die Stockholmer Akademie nannte, meist „um Rassefragen, postkoloniale Probleme und die Entwurzelung und Verlogenheit des Menschen“ – so die FAZ. Was der bei Ewigmorgigen (Michael Klonovsky) wenig populäre „entwurzelte Weltbürger“Naipaul in seinen Büchern als Spezies mit sehr unterschiedlichen Mentalitäten und Verhaltensweisen beschrieb, hatte er sich natürlich bloß eingebildet. 

Negativpreis „Goldene Kartoffel“

Weshalb auch er, zusammen mit vielen anderen toten weißen Männern (hallo Joseph Conrad!) endlich aus den Bibliotheken verbannt gehört. Entsprechende Vorstöße gibt es schon lange. Und auch Brechts „Dreigroschenoper“ sollte mal gehörig auf Zeitgeist gebracht werden. Rassistische Passagen wie im „Kanonen-Song“ gehen gar nicht mehr.

Dafür geht es den Alltagsrassist*innen an die Kragen, die weißen. Lange galt das Format Spiegel TV als eine Bastion politisch korrekten Fernsehens. Doch nun verliehen die „Neuen deutschen Medienmacher*innen, ein Zusammenschluss von Multikultiklünglern, dem Magazin ihren Negativpreis „Goldene Kartoffel“(sic) für besonders schlechte Berichterstattung, wie der Branchendienst „Meedia“ meldete

Begründung: Ein Spiegel TV-Bericht über Clan-Kriminalität in Deutschland sei „verzerrt, stigmatisierend und rassistisch“. Tatsächlich hätte der Beitrag den selbstredend irreführenden Eindruck erwecken können, Clan-Kriminalität werde vorzugsweise von Menschen mit Migrationsvorder- beziehungsweise -hintergrund betrieben.

Die Preisvergabe sei, so „Meedia“, aus einer Shisha-Bar heraus erfolgt. Falls das nicht ein kleiner Scherz des Branchenblatts war.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Dieter Franke / 13.12.2020

Folgt man den im Text eingestreuten Links gerät man in ein Paralleluniversum von Schwachsinn und Unfug, das sich ständig ausdehnt. Mich beschleicht allerdings der begründete Zweifel, ob diese “woke” Blase an Universitäten und staatsnahen Stiftungen und Institutionen weiterhin finanzierbar sein wird wenn jetzt die EU den grünen Resetknopf drückt und wir wieder nahe Null mit dem Wiederaufbau beginnen dürfen.

Emmanuel Precht / 13.12.2020

Immerhin kann man im “besten…je gab”, auch ohne etwas brauchbares gelernt zu haben, als Spezialistin für “Unverständliches Sprechen und Diversititis ” reichlich Kohle abgreifen und dabei sich wichtig fühlen. Ich habe mal ein angeheiratetes Etwas einer solchen Spezialistin kennengelernt, ja das war ein Vögelchen. Wohlan…

Joachim Lucas / 13.12.2020

Konsequent zu Ende gedacht muss man sich jetzt jeden Menschen einfach als etwa 75 Kilo Lebendfleisch vorstellen -ganz neutral. Und man darf auf keinen Fall dabei an Rindviecher denken, was die Protagonisten solchen Schwachsinns ganz ohne Frage sind.

Markus Kranz / 13.12.2020

Alltagsrassismus liegt vor, wenn einem Linke angesichts von 9/11, Bataclan, Manchester erzählen wollen, wie “intolerant” Amerikaner, Europäer und Israelis sind.

Wilhelm Lohmar / 13.12.2020

Tja, I see black for white man.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfgang Röhl / 19.04.2024 / 06:00 / 72

Künstliche Intelligenz vs natürliche Dummheit: Wer siegt?

Mainstream-Journalisten fürchten, dass ihre Jobs durch KI entbehrlich werden. Zu Recht. Die herrschende Meinungseinfalt können auch Maschinen bewerkstelligen. Doch ein paar Journos werden an Medienbord…/ mehr

Wolfgang Röhl / 03.03.2024 / 10:00 / 68

Ist Peak Woke schon erreicht?

Zeitgeist-Buster Alexander Wendt (Foto oben) untersucht, wie es zum Aufstieg der Moralbourgeoisie und ihrer Glaubenssätze kommen konnte. Und ob der Scheitel der Erwecktenschwemme mittlerweile überschritten ist. Wer…/ mehr

Wolfgang Röhl / 08.02.2024 / 06:00 / 119

Anständigenaufstände: Zwischen Sebnitz und Potsdam

Kampagnen von Medien und Parteien gab es schon immer. Gerne gegen Rechts. Aber manche Kreuzzüge entpuppten sich rasch als haltlose Flops. Eine Blütenlese im Dschungel der Empörungskulturen. „Eine…/ mehr

Wolfgang Röhl / 26.01.2024 / 06:15 / 53

Der „Putin-Schleimer“ und andere lupenreine Experten

Ein von der ARD gepriesener „Russland-Experte“ hat von dort viel Geld kassiert. Auch bei anderen Themen und Medien werden lupenreine Lobbyisten als „unabhängige Fachleute“ präsentiert.…/ mehr

Wolfgang Röhl / 17.12.2023 / 10:00 / 56

„Mikroaggression“: 50 Jahre Bullshit-Bingo

Während auf Straßen und in Schulen reale Gewalt explodiert, gehen akademische Linksradikale mit einem verstaubten Gewaltkonstrukt auf Weißen-Bashing. Mittels sogenannter Mikroaggressionen würden angeblich Marginalisierte ausgegrenzt,…/ mehr

Wolfgang Röhl / 02.12.2023 / 06:15 / 81

Den Schuss nicht gehört. Deutschland im Krimiwahn

Ohne Krimi geht der Deutsche nie ins Bett. Verrückt: Je stärker die reale Kriminalität steigt, desto lieber lassen sich Menschen von fiktiven Krimistoffen oder Podcasts…/ mehr

Wolfgang Röhl / 30.10.2023 / 06:00 / 61

Umfrage: Glanz und Elend der deutschen Journos

Endlich durch eine Studie bewiesen: Journalisten sind viel besser als ihr Ruf. Sie vermitteln das Geschehen unparteiisch anhand verlässlicher Quellen, befähigen Menschen zur Meinungsbildung, beleuchten…/ mehr

Wolfgang Röhl / 09.10.2023 / 06:00 / 49

Fernsehen: Wenn die Weltrettung zum Flop wird

Der Bundesverdienstkreuzträger, Planetensanierer und Corona-Fanatiker Dirk Steffens verwurstet bei RTL die einstige Edelmarke GEO zu einem albernen Öko-Brei. Die gute Nachricht: Seine Show geht geradewegs den Quotenbach…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com