Michael Miersch / 06.01.2007 / 17:47 / 0 / Seite ausdrucken

“Alles, was Sie wissen, stimmt nicht”

John Stossel macht in den USA ziemlich genau das Gleiche, was Maxeiner und ich hierzulande tun: Aufklären wo der kuschelige Konsens in den Medien die Tatsachen vernebelt. Mit einem feinen Unterschied: Er hat großen Erfolg damit und eine eigene Fernsehsendung.

Der Text erschien am 06.01.2007 in DIE LITERARISCHE WELT

Es gibt bei vielen Themen einen Konsens von konservativ bis links, den kaum jemand zu bezweifeln wagt: “Immer mehr Menschen werden krank”, “Der Natur geht es immer schlechter”, “Armut nimmt unentwegt zu”, “Kriminalität steigt ständig an”. Solche Behauptungen ernten Kopfnicken allerorten. Dauernd bestätigen sich alle gegenseitig Prämissen dieser Art. Die Amerikaner nennen solchen allgemein verbreiteten und nahezu unumstößlichen Irrglauben conventional wisdom - konventionelle Weisheiten.

Wer im Journalismus etwas werden will, stellt solche Glaubenssätze lieber nicht in Frage, sondern macht sich besser daran, auf der Basis des conventional wisdom “Skandale” aufzudecken: wahnsinnige Kühe, böse Kapitalisten und bedrohliche Gen-Tomaten. Das sorgt bei den Lesern und Zuschauern für wohlige Schauer und in der Branche für einen Ruf als tapferer Ermittler. Auf diese Weise läuft die Medienmaschine wie geschmiert und die große Mehrzahl der Redakteure findet das völlig in Ordnung.


Doch wenn alle sich allzu einig sind, bilden sich in pluralistischen Gesellschaften Gegenkräfte. Schwarze Schafe, die den Konsens nicht teilen mögen, treffen sich in publizistischen Nischen. Nur selten gelingt es einem, aus der Nische auszubrechen und auf die große, fette Weide der Mehrheit zu grasen. John Stossel ist dieses Kunststück gelungen. Er ist heute der prominenteste Libertäre in den großen TV-Networks der USA.

Libertär das ist die verschärfte Version von liberal. Libertäre sind bei den Linken (die sich in Amerika “Liberale” nennen) unbeliebt, weil sie der ausufernden Bürokratie im Sozialbereich, im Umwelt- und Verbraucherschutz misstrauen. Und die Konservativen mögen sie nicht, weil sie bigotte Sexualmoral ablehnen und die Legalisierung von Drogen befürworten. Können Sie sich einen flammenden Aufruf zur Freigabe von Drogen im deutschen Fernsehen vorstellen? Eher nicht? Stossel schreckte auch davor nicht zurück, und das bei “20/20”, einem Nachrichtenmagazin des Senders ABC zur besten Sendezeit.

Er kann es sich mittlerweile erlauben. Der 59jährige, dessen Vater aus Deutschland auswanderte, ist in den USA zu einer Institution geworden: ein Medien-Enfant terrible vom Dienst, das seinen Skeptizismus so gut verkauft wie andere ihre Hypes. Nachdem Rupert Murdoch versucht hatte, ihn abzuwerben, bekam er bei ABC einstündige “Primetime Specials”. Die Einschaltquoten bei diesen Sternstunden der Aufklärung liegen fast immer unter den ersten 20 des Abends. Über tausend Zuschauerbriefe nach der Sendung sind keine Seltenheit. Wöchentlich präsentiert er freche Reportagen bei “20/20”. Sein erstes Buch stand elf Wochen auf der Bestsellerliste der “New York Times” (in der sonst wenig Gutes über ihn steht). DVDs auf Basis seiner TV-Specials werden in 35 Prozent aller höheren Schulen Amerikas als Unterrichtsmaterial eingesetzt.

Heute ist John Stossel definitiv keine Randfigur mehr, obwohl er sagt, dass der Grossteil seiner linksbürgerlichen New Yorker Freunde ihn für einen durchgeknallten “Rechten” halten. “In meinem Milieu ist man einfach links”, sagt Stossel. “Man hält sich für aufgeklärt, wenn man strengere Umweltgesetze, höhere Steuern und gut gemeinte Regierungsprojekte begrüßt.” Und wer dagegen ist, gilt als rechts. Links sein ist in diesen Kreisen so selbstverständlich wie Wasser für Fische. “Fragen Sie einen Fisch nach der Beschaffenheit von Wasser. Er wird antworten: Was ist Wasser?”

Diesen kuscheligen Konsens hat er durchbrochen. Das Resultat: “Manche ABC-Kollegen schauen weg, wenn sie mir begegnen.” - “Er schleimt sich bei den Republikanern an”, damit er von ihnen zum “Giraffen-Tartar-Essen” eingeladen wird, schrieb die “Washington Post”. Und der grüne Verbraucheranwalt Ralph Nader (der sich vor Stossels Mikrofon blamiert hatte) nannte ihn den “ehrlosesten Journalisten, dem ich jemals begegnet bin”.

Stossel bekam 19 Emmy-Auszeichnungen und wurde fünfmal von National Press Club ausgezeichnet. Aber das war, bevor er sich zum Libertären mauserte. Denn zuvor hatte er sich einen Namen als grüner Verbraucher-Journalist gemacht. Und darin liegt wohl auch das Geheimnis seines ungewöhnlichen Erfolgs.


Er war bereits bekannt, als er anfing, den conventional wisdom in Frage zu stellen. Im Brustton der Empörung entlarvte er geldgierige Kapitalisten, die mit ihren fragwürdigen Produkten die Gesundheit der Bevölkerung ruinieren. Und Gefahr lauerte überall: in Zahnfüllungen, Mobiltelefonen, Kartoffelchips, Teflonpfannen, Haarfärbemitteln, Reinigungsmitteln, in Kaffee und Kaugummi, Impfstoffen, Süßstoffen und sogar in Badeentchen. Amerikanischer Verbraucherjournalismus unterscheidet sich im Panikmachen kaum vom deutschem.

Doch über die Jahre nagten immer mehr Zweifel Stossels grünes Weltbild an. “Wo sind die Leichen? Die Menschen müssten eigentlich massenweise sterben”, schrieb er. “Aber das Gegenteil findet statt. Obwohl die Amerikaner radioaktiver Strahlung und all diesen üblen Chemikalien ausgesetzt sind, leben sie länger als je zuvor.” Nach und nach begann Stossel, die Rolle der Verbraucherschutz- und Umweltschutzverbände und der staatlichen Regulierungsbehörden skeptischer zu sehen. Ein Freund der Industrie ist er bis heute nicht geworden, denn “die Wirtschaftleute sind auch nicht für freie Märkte. Sie benutzen gern die Regierung um ihre Interessen zu verfolgen und den Wettbewerb zu ersticken.”

Sein erstes “Prime Time Special” hieß “Ängstigen wir uns zu Tode?” Darin verglich er die realen Risiken des Lebens mit den Gefahren, die die meiste öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. In den neunziger Jahren war Asbest so ein Thema. Asbeststaub - das ist eine Tatsache - ist höchst gefährlich. Viele Minenarbeiter sind daran gestorben.

Doch unter Putz in Gebäudewänden können die lungenschädlichen Partikel nichts ausrichten. Dennoch kam es zu einer heftigen öffentlichen Erregung. Bürgerinitiativen erreichten, dass Schulen und andere öffentliche Gebäue abgerissen oder aufwendig saniert werden mussten. Dabei setzt erst die Offenlegung der Asbest-Schichten den gefährlichen Staub wieder frei. “Ist denn irgendein Risiko für Sie akzeptabel?” fragt Stossel eine besorgte Mutter. “Nein”, antwortet die empört. Doch das Risiko während der wegen Asbestsanierung schulfreien Zeit an einem Verkehrunfall zu sterben, ist für die Kinder wesentlich größer als das hysterisch überhöhte Asbest-Risiko. Während minimale Gefahren die Schlagzeilen beherrschen, sterben die Menschen an ganz banalen Ursachen, über die sich niemand aufregt. Doch das interessiert weder Verbraucher- oder Umweltverbände noch Journalisten.

Stossels gerade erschienenes zweites Buch trägt den Untertitel “Alles, was Sie wissen, stimmt nicht”. Er stellte nun Öko-Aktivisten und Regulierungsbeamten die kritischen Fragen, mit denen er sich zuvor bei Wirtschaftsleuten unbeliebt gemacht hatte. Er recherchierte die Folgen grüner Kampagnen und der durch sie herbeigeführten staatliche Eingriffe. Meistens kam dabei nichts Gutes für Mensch und Natur heraus.

Je sicherer und wohlhabender die Menschen leben, desto mehr Angst haben sie. “Das ganze Ziel der Politik ist, die Bevölkerung ständig im Alarmzustand zu halten”, hatte der Schriftsteller Henry Louis Mencken einst geschrieben. Eine Diagnose, die Stossel mehr und mehr teilte. Das führte zu einer zunehmend staatsskeptischen Haltung. Er untersuchte, wie und wo Steuergelder eingesetzt werden und was sie dort bewirken. Die Ergebnisse waren meist niederschmetternd.

Vom sozialen Wohnungsbau bis zur Subventionierung von Indianer-Siedlungen wird durch viel Geld Abhängigkeit und soziale Verwahrlosung gefördert. Und obendrein konnte “20/20” belegen, dass ein Grossteil staatlicher Sozialausgeben nicht an Bedürftige geht, sondern an Gutsituierte, die trickreich Ansprüche geltend machen. “Stossel”, schrieb der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman, “ist ein seltenes Wesen, ein TV-Kommentator, der was von Wirtschaft versteht.”


Dass Stossel nun nicht mehr nur die Industrie kritisierte, sondern auch Behörden, Umweltverbände und andere NGO’s, machte ihn zum Feindbild vieler Linker. Ganze Websites beschäftigen sich damit, ihn zu beschimpfen. Als er in der Special-Folge “Das darf man nicht sagen” auch noch die Sprachkontrolle der political correctness aufspießte, steigerte sich die Wut. Sie wollten ihn kriegen. Und einmal gelang es auch. Zwar auf einem Nebenkriegsschauplatz, doch die Anwälte seiner Gegner zelebrierten den Triumph ausgiebig (zumal Stossel auch ein Special über die obszönen Honorare amerikanischer Anwälte gemacht hatte).

In einer Sendung, in der er herkömmliche Lebensmittel mit Öko-Nahrung verglich, behauptete er, die von ABC beauftragten Labors hätten auf Bakterien und Chemikalien getestet. Sie hatten aber nur nach Bakterien gesucht. Rumms! Der von vielen lange ersehnte Sturm der Entrüstung brach los. Der Redakteur, der die Information fehlerhaft übermittelt hatte, wurde gefeuert, und Stossel musste sich vor der Kamera öffentlich entschuldigen. Dem Druck, auch Stossel zu entlassen, hielt ABC allerdings stand. Der “New York Times” war der Fehler gleich zwei Artikel wert.

Auf der anderen Seite richteten Stossel-Fans eine Unterstützer-Website ein, wo sie Unterschriften sammelten und aufmunternde Kommentare abgaben. “Danke, dass Sie der Vernunft eine Stimme gegen”, lautet einer davon. Eine Zuschauerin schreibt: “Ich will den Kerl heiraten.” Stossel spaltet die TV-Nation wie kein anderer.

Dass er mal ein prominenter Fernseh-Reporter werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Sein älterer Bruder galt als Musterknabe der Familie, er als Versager. Er war schüchtern, stotterte und hat nie eine Journalistenschule besucht. “Vor lauter Angst, ich könnte Fehler machen, lernte ich”, sagt er.

Dass er nicht zum Moderator getrimmt wurde, tut seinem Stil bis heute gut. Die meisten Zuschauer lieben an Stossel, dass er nicht den üblichen Journalistenjargon spricht. Nach einem Psychologiestudium bekam er zunächst einen Job in der Buchhaltung einer Zeitschrift, von da wurde er als Laufbursche im Newsroom eines kleinen TV-Senders geheuert, bracht es bald zum Rechercheur und stand irgendwann das erste Mal vor der Kamera.

Zunächst versuchte er die Anfangsbuchstaben “B”, “D” und “G” aus seinen Aufsagetexten zu verbannen, weil die am ehesten einen Stotteranfall provozieren. Doch mit der Zeit überwand er seine Angst. Und heute hat er vor fast nichts mehr Angst, nicht mal vor der “New York Times” und seinen linksliberalen Nachbarn.

Stossel ist zur Marke geworden.

Mit Stossel-Hassen oder Stossel-Mögen kann man Freunde finden. Er ist die Stimme all derer, die sich vom Staat ausgeplündert und bevormundet fühlen, die dem grassierenden Öko-Alarmismus misstrauen und nicht mehr vor jedem neuen Bedrohungs-Hype erzittern. Menschen, die das, was sie interessiert, in den großen Leitmedien kaum finden. Stossels Rolle in der amerikanischen Medienlandschaft ähnelt der von Pim Fortuyn in den Niederlanden: Einer, der endlich laut ausspricht, was viele Bürger bewegt - aber von fast allen Journalisten und Politikern ignoriert wird.

John Stossel: Myths, Lies, and Downright Stupidity. Hyperion Books, New York. 304 S., ca. 21,90 EUR. Give Me A Break. Harper Collins, New York. 294 S., ca. 29,95 Euro.

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