Thilo Spahl, Gastautor / 27.05.2020 / 16:00 / Foto: Richard Elzey / 22 / Seite ausdrucken

Alles Verschwörer

Bis vor Kurzem waren Verschwörungstheoretiker Leute, die irgendwelchen Schwachsinn glaubten. Dass die Welt von Eidechsen übernommen werden soll, Politiker das Blut von Kindern trinken, Pharmafirmen Nanochips in ihren Impfstoffen verstecken und dergleichen. Doch in Zeiten der Krise ist man nicht mehr so streng. Jetzt reicht es auch, wenn man irgendetwas an der Regierung auszusetzen hat und dafür auf die Straße geht.

Markus Feldenkirchen, sogenannter „Koordinator für Meinungsfragen“ beim Spiegel, schreibt eine Kolumne (gleichzeitig auch Audiostory und Leitartikel) mit dem Titel: „Die Politik darf sich von verwirrten Verschwörern nicht verrückt machen lassen.“ (Moment? Macht der Meinungskoordinator hier aus den Verschwörungstheoretikern mir nichts dir nichts Verschwörer? Sind nicht Verschwörungstheoretiker die, die hinter allem irgendwelche Verschwörer sehen? Egal. Hauptsache irgendetwas mit Verschwörung.) Die Botschaft seines Textes: Demonstrationsfreiheit schön und gut. Aber warum demonstrieren ausgerechnet in Deutschland so viele Leute, wo wir doch hier so erfolgreiche Pandemiebekämpfer sind? Naja, liegt wohl daran, dass einige „Hornochsen“ sind und „chronisch einen an der Waffel“ haben. Das scheint so die koordinierte Meinung beim Spiegel zu sein.

Bei der Süddeutschen ist man auch nicht zimperlich. Sie berichtete über den Kritiker des Lockdowns, Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz-Universität Hannover, unter der schmissigen Überschrift „Corona-Infodemie. Prof. Dr. Verschwörung“, ohne in dem Artikel auch nur einen Beleg dafür nennen zu können, dass Homburg einer Verschwörungstheorie anhänge.

Wer „Verschwörung“ googelt, findet beliebig viele weitere Versuche, die rechtschaffene Presse gegen Bedrohung durch Verrückte in dieser schweren Zeit in Stellung zu bringen. Allein bei Spiegel Online bekommt man für den letzten Monat 43 Treffer. Man gefällt sich darin, allerlei Verrückte zu präsentieren, um damit die Abwegigkeit und Verwerflichkeit der Kritik am Lockdown zu illustrieren und uns zu warnen, uns ja nicht mit solchen Menschen gemein zu machen, wofür der beliebten Kontaminationslogik zufolge schon die Anwesenheit am gleichen Ort zu genügen scheint.

Gute Gründe, zu demonstrieren

Wenn wir die Spinner abziehen, die es schon immer gegeben hat, ohne dass die ganze Presse hinter ihnen her war, bleiben jene Leute übrig, die es scheinbar nicht geben darf, weshalb man alles unternehmen muss, sie in die Nähe von Verschwörungstheoretikern oder wahlweise Links- oder Rechtsradikalen zu rücken: Menschen, die an keine Verschwörung glauben und dennoch protestieren. Normale Menschen, die sich nicht mit der Einschränkung von Freiheit anfreunden wollen. Die glauben, dass massive Grundrechtseinschränkungen, egal, mit welcher Absicht eingeführt, immer problematisiert werden müssen.

Die einfordern, dass der Nutzen des Lockdowns gegen den Schaden des Lockdowns abgewogen werden muss. Menschen, die die Debatte für alternative Strategien im Umgang mit der Pandemie öffnen wollen. Menschen, deren Ideal nicht ein Obrigkeitsstaat mit expertokratischer Legitimation ist. Menschen, die wollen, dass man ihnen die Verantwortung für den Schutz ihrer selbst und auch anderer nicht entzieht. Menschen, die es als unzulässigen Eingriff in ihre Privatangelegenheit betrachten, wenn sie ihre Angehörigen nicht mehr treffen dürfen. Menschen, die sich empören, wenn es strafbar wird, allein auf einer Parkbank zu sitzen. Menschen, die einen Zustand schwer erträglich finden, in dem zur Bespitzelung und Denunziation von Mitbürgern ermutigt wird. Und so weiter und so fort.

Ja, solche Menschen gibt es. Und sie sind keine unverantwortlichen Verbrecher oder Gefährder. Und weder Verschwörungstheoretiker noch Verschwörer. (Und nebenbei auch keine Heuchler.)

Beistand gegen die Verführer

Das allgemeine Suhlen im Morast der selbstgefälligen Aufgeklärtheitsbeschwörung ging in den letzten Wochen so weit, dass wenigstens einige Vertreter der Zunft sich zu mahnenden Worten genötigt sahen. Georg Restle, Redaktionsleiter von Monitor bei der ARD, twitterte am 9. Mai: „Was JournalistInnen auch begreifen müssen: Nicht jede Regierungs- oder Wissenschaftskritik ist gleich eine Verschwörungstheorie.” Und Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Berliner Tagesspiegels, wies in einem Kommentar mit dem Titel „Zweifler an den Corona-Maßnahmen sind noch keine Verschwörungstheoretiker“ darauf hin, dass es „Raum für Rede und Widerrede geben“ müsse. Es las sich ein wenig wie ein Appell an die eigene Zeitung.

Auch Herr Feldenkirchen räumt ein, dass es Demonstranten gibt, die keine Verschwörungstheoretiker sind. Sie scheinen ihm in ihrer geistigen Unterlegenheit aber zumindest als akut verführungsgefährdet. Um sie zu retten, dürfe man jetzt nicht sparen. Zitat: „Ihre Anliegen müssen wahrgenommen, ihre wirtschaftliche und soziale Not muss gelindert werden, auch wenn das teuer wird. Schon um zu vermeiden, dass sie aus schierer Not von den Spinnern verführt werden.“ Außerdem müsse man beständig auf sie einreden und ihnen die richtige Sicht der Dinge immer wieder erklären. Zitat: „Das ist mühsam, es erfordert eine Eselsgeduld und die Bereitschaft zur permanenten Wiederholung.“ Ein schweres Los, das Presse und Politik da teilen!

Im letzten Absatz des Artikels erwacht bei ihm selbst sogar noch, zumindest halb, der regierungskritische Geist: „Es gäbe übrigens gute Gründe, gegen die deutsche Corona-Politik zu demonstrieren.“ Welche das sind, soll an dieser Stelle nicht verraten werden und bleibt für alle Nichtabonnenten hinter der Bezahlschranke verborgen. Wir halten aber fest, dass der Meinungskoordinator sich nicht zu einem „gibt“, sondern nur zu einem „gäbe“ hinreißen lässt. Und vermuten, es liege womöglich daran, dass er sich der eigenen Stärke nicht ganz und gar gewiss ist und sich daher nicht der ideologischen Kontaminationsgefahr aussetzen will, die heute auf Demonstrationen herrscht. Denn wer erst einmal den Sirenenklängen der Verschwörungstheoretisierenden ausgesetzt ist, der muss schon übermenschliche Kräfte besitzen, um nicht …

Aber nein! Wie komme ich dazu, hier Selbstzweifel zu vermuten? Er fürchtet natürlich nicht um die eigene Standhaftigkeit. Aber er muss um das Bild seiner selbst in den Augen eines Betrachters fürchten, der ihn womöglich auf einem dubiosen Livestream in unmittelbarer Nähe zu weltbekannten Verschwörungsganoven entdecken könnte. Und er sieht ein, dass, bei aller Kritikwürdigkeit, der Regierung Protest in diesen schwierigen Zeiten nicht zumutbar ist. Um nicht zu sagen: als „nicht hilfreich“ wahrgenommen werden müsste.

PS.: Ich weiß, man sagt eigentlich nicht mehr „Verschwörungstheorie“. Es heißt jetzt „Verschwörungsmythos“ oder „Verschwörungsideologie“. Irgendjemand hat festgestellt, dass der Begriff „Theorie“ aus der Wissenschaft kommt („System wissenschaftlich begründeter Aussagen“) und aus Gründen der politischen Korrektheit daher nicht mehr im Zusammenhang mit einem Irrglauben genutzt werden darf.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

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Sabine Lotus / 27.05.2020

Also wirklich Herr Spahl, für Ergebenheitsadressen dieses Singsangs hat Gates doch über 2mio. für den Spiegel springen lassen. Da will der Herr doch auch was sehen. Wer ist hier noch gleich der ‘Verschwörer’? Ach richtig,  stimmt ja. Die Achsepaten, die das gleiche Spiel treiben. Dieses ‘Volk’ :)

D. Jäckel / 27.05.2020

Müffelnd arrogant war der Spiegel zwar schon immer. Aber: Früher konnte man sich das ab und an noch intellektuell leisten. Der Witz mit dem Namen des ehemaligen Spiegel kann das nicht.

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