Der Attentäter von Orlando, Omar Mateen? Instabil und psychisch krank, leicht reizbar und drogenabhängig. Außerdem irgendwie schizophren, schließlich hat er den schwul-lesbischen Nachtclub »Pulse«, in dem er 49 Menschen ermordete, oft selbst besucht. Der Attentäter von Nizza, Mohamed Lahouaiej-Bouhlel? Depressiv und labil, hatte einen Nervenzusammenbruch, darüber hinaus war er Alkohol- und Haschischkonsument. Verurteilt wegen Gewalt-, Diebstahls- und Drogendelikten, aber alles ohne politischen oder religiösen Hintergrund. Der Attentäter von Würzburg, Riaz Khan Ahmadzai? Ein ruhiger Zeitgenosse, gläubig, aber nicht radikal. Als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling vielleicht ein bisschen einsam und überfordert. Der Attentäter von Ansbach, Mohammad Daleel? Kriegstraumatisiert, misshandelt, psychisch krank, zwei Suizidversuche. Trotzdem unauffällig und nicht besonders religiös.
So oder so ähnlich stand es in deutschen Medien zu lesen, so oder so ähnlich haben sich Politiker und Behörden geäußert.
Bei der Suche nach den Ursachen und Hintergründen von Gewalttaten von Muslimen zeichnet sich stets ein ähnliches Muster ab: Geltend gemacht werden vor allem psychische Probleme, Krankheiten oder Suchtverhalten, während man sich eine bewusste, religiös-politische Motivation der Täter kaum vorstellen kann oder will. Wenn der »Islamische Staat« (IS) Attacken wie jene in den USA, Frankreich und Deutschland »für sich reklamiert« – diese Formulierung hat sich in vielen deutschen Medien durchgesetzt –, hält man das vor allem für einen Propagandatrick. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass ein Angriff oder Anschlag nur dann dem IS zugerechnet werden kann, wenn der Täter gewissermaßen einen Mitgliedsausweis dieser Terrororganisation vorlegen kann oder doch zumindest nachweislich von ihr beauftragt worden ist. Andernfalls geht man in der Regel lediglich von einem Amoklauf eines durchgeknallten Psychopathen aus, nicht aber von einer Überzeugungstat. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach nach dem Würzburger Attentat von einem »Einzeltäter«, der sich durch den IS bloß »angestachelt gefühlt« habe; es gebe jedenfalls keine Hinweise auf eine Anordnung des IS.
Nicht nur de Maizière begreift offenkundig nicht, dass es einer solchen Anordnung längst nicht mehr bedarf. Die Täter von Würzburg und Ansbach hatten vielmehr in Eigenregie Videos produziert, in denen sie den IS priesen und deutlich machten, in dessen Sinne zu handeln. Auch der Mörder von Orlando gab ein solches Bekenntnis ab, als er vor seinem Angriff den Polizeinotruf wählte und sich auf die Jihadisten berief. Der Attentäter von Nizza legte zwar kein direktes Zeugnis ab, doch die Ermittler fanden auf seinem Computer eindeutige Bezüge zum IS – und auch die nachweislich lange geplante Tat als solche trug die Handschrift des »Islamischen Staats«. Denn wie hatte es der IS-Sprecher Mohammed al-Adnani schon im September 2014 formuliert? »Tötet sie, wie ihr wollt. Zertrümmert ihnen den Kopf, schlachtet sie mit einem Messer, überfahrt sie mit einem Auto, werft sie von einem hohen Gebäude, erwürgt oder vergiftet sie.« Zum »Soldaten des Kalifats« – so nennt der IS sein terroristisches Personal – wird man eben nicht durch einen förmlichen Beitritt, sondern indem man in seinem Namen mordet und verletzt. Dann, so das Versprechen aus Raqqa, gehört man posthum dazu, dann wird man zum »Märtyrer«. Mehr
Und hier der neueste Fall aus London. Tödlicher Messerangriff wegen "mentaler Probleme".