Thomas Rietzschel / 21.09.2014 / 15:08 / 8 / Seite ausdrucken

Alles der gleiche Kaffee!

Kaum dass die große Blamage eine Woche zurückliegt, soll schon wieder Gras über die Geschichte wachsen. In Potsdam wie in Erfurt spreizen sich die Verlierer als Sieger, in Vergessenheit gerät der eigentliche Gewinner beider Landtagswahlen: der Nichtwähler. Fast fünfzig Prozent zählten in Thüringen zu seinem Lager, mehr noch, 52,1 Prozent, waren es in Brandenburg. Keine der angetretenen Parteien konnte ein ähnliches Ergebnis erzielen, nicht einmal annähernd.

Wer das beiseite zu wischen versucht, indem er die Nichtwähler - immerhin die Hälfte aller Wahlberechtigten - kurzerhand als faule Säcke, wenn nicht gar als schlechte Demokraten diffamiert, sollte selbst noch einmal in die Grundschule der Demokratie gehen. Schließt doch das grundgesetzlich verbriefte Wahlrecht auch das Recht ein, davon keinen Gebrauch zu machen. Auch wenn er sich dafür entscheidet, handelt der Bürger als Demokrat. Warum sollte er irgendeine Partei wählen, wenn er keiner mehr zutraut, seine Interessen zu vertreten?

Niemand muss jemanden in den Sattel heben, von dem er von vornherein weiß, dass er nicht reiten kann. Politiker, die das Gegenteil erwarten, treiben ihrerseits Schindluder mit der Demokratie. Sie wollen dem Bürger ein schlechtes Gewissen machen, sie nötigen ihn, um ihre eigene Existenz abzusichern.

Wo die Politik derart professionalisiert ist, dass jede Partei darum kämpfen muss, irgendwie, regierend oder oppositionell, im Geschäft zu bleiben, werden dem Wähler keine Alternativen mehr angeboten, zwischen denen er sich sinnvoll entscheiden könnte. Am Ende verfolgen ja doch alle das selbe Ziel: den Erhalt eines politischen Kartells, das um seiner selbst Willen existiert. Die Aufgaben, die es sich erfindet, liegen eher in seinem Interesse als in dem der Gesellschaft. Gleich, ob es um eine Europapolitik geht, die die Völker gegeneinander aufbringt, oder um Bildungsreformen, die der Bildung den Garaus machen.

Und man geht gewiss nicht fehl in der Annahme, dass viele in das Lager der Nichtwähler wechseln, weil sie sich nicht länger als Handlanger bei dieser Ausplünderung der Demokratie missbrauchen lassen wollen. Natürlich gibt es darunter immer auch einige, die aus Bequemlichkeit zu Hause bleiben. Der Hälfte aller Wähler aber kann man nicht mehr so ohne weiteres das politische Gewissen absprechen, nicht in einer Demokratie, die noch als solche ernst genommen werden will.

Vielmehr zeigen die Ergebnisse von Thüringen und Brandenburg, dass sich das etablierte Parteiensystem nur noch auf eine Minderheit stützen kann, zumal sich zehn und mehr Prozent derer, die in die Wahllokale gingen, für eine Partei entschieden haben, von der sich das politische Kartell einstimmig distanziert.

In Thüringen wie in Brandenburg konnte die AfD aus dem Stand heraus punkten, weil sie die anderen bei Hofe nicht zulassen wollten, sie von vornherein verleumderisch auszugrenzen versuchten. Als Fluch der bösen Tat erweist sich der Aufstieg der Neuen im Nachhinein. Die Altparteien, CDU, SPD, Grüne und Linke, haben sich selbst ein Bein gestellt, indem sie sich eine gleichsam göttliche Verfügungsgewalt über die Demokratie anmaßten. Für diese Hybris wurden sie mit überwältigender Mehrheit abgewählt, von einem Verbund aus AfD- und Nicht-Wählern. 

Das Bild, das diese Verlierer der Geschichte abgeben, gleicht in fataler Weise dem der untergehenden Aristokratie im 18. und 19. Jahrhundert. Auch damals war der Adel, über Jahrhunderte Träger der politischen Verantwortung, darauf bedacht, jegliche Veränderung mit aller Macht zu verhindern. Den Gedanke, dass die Gesellschaft seiner nicht mehr bedürfe, dass es neue Kräfte geben könnte, die an seine Stelle treten, wollte er so wenig zulassen wie die regierenden „Eliten“ unserer Tage.

Obwohl ihre Partei nur 12,4 Prozent der abgegeben Stimmen bekommen hatte, erklärte die Parteispitze der SPD Thüringen umgehend, „der Wähler erwartet, dass wir wieder regieren“. Ohne rot zu werden beriefen sich die Genossen auf den Wähler schlechthin, auf alle wahlberechtigten Bürger des Landes, nicht etwa nur auf die, deren Stimme sie bekommen hatten. Dieser Anteil lag gerade mal bei 6,44 Prozent. Wer so rechnet, ist entweder zu dumm, 1 und 1 zusammenzählen, oder der Wille des Bürgers geht ihm schlichtweg am Arsch vorbei.

Nein, wir vergreifen uns nicht im Ton. Wir begeben uns nur kurz auf eine Sprachebene, die der Rüpelhaftigkeit entspricht, die sich die Politik im Umgang mit dem Volk angewöhnt. Wir werden in einer Weise verschaukelt und für dumm verkauft, die jeglichen Respekt vor dem Souverän der Demokratie vermissen lässt.

Die Hoffnung, dass sich daran unter den gegebenen Verhältnis noch etwas ändern könnte, stirbt nicht zuletzt - sie ist längst dahin. Die Nichtwähler haben das erkannt. Ihre Verweigerung ist keine Bedrohung der Demokratie, sondern der letzte Versuch ihrer Rettung. Was wir dagegen vom politischen Establishment zu erwarten haben, verrät ein Vorschlag der SPD-Generalsekretärin. Um die Wahlbeteiligung wieder zu erhöhen, möchte sie die Wahlurnen zukünftig auch in Fußgängerzonen und Supermärkten aufstellen.

Kein Gedanke mehr daran, dass die Demokratie auch gewisse Rituale braucht, um in Ehren gehalten zu werden. Statt dessen die Absenkung auf das Niveau einer wohlstandsverblödeten Konsumgesellschaft. Die Wahl als Kaufentscheidung:‚ Tchibo oder Eduscho, SPD oder CDU, alles der gleiche Kaffee.

Es möchte einen angst und bange werden, gäbe es nicht die wachsende Partei der Nichtwähler. Aber das Neue ist ja in der Geschichte noch immer aus den Reihen derer entstanden, die dem Alten den Rücken kehrten, genauso wie vor einer Woche in Thüringen und Brandenburg.

Über diese Geschichte wird so schnell kein Gras wachsen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Bärbel Schmidt / 24.09.2014

Vielleicht täusche ich mich, aber ist es nicht so, dass es für ungültige Stimmen kein Geld gibt?

Klaus Kalweit / 22.09.2014

Man tut den Politikern einfach Unrecht, wenn man sie immer wieder als inkompetent hinstellt. Tatsächlich sind sie unglaublich weitsichtig. Das Problem der immer geringer werdenden Wahlbeteiligung haben sie schon vor Jahrzehnten vorausgesehen. Die Parteien bekommen pro Stimme einen bestimmten Betrag ausgezahlt, meines Wissens sind es fünf Euro. Pro Stimme? Nein, nicht ganz. Tatsächlich wird hochgerechnet auf alle Wahlberechtigten, so daß der Betrag sich verdoppelt bei 50 Prozent Wahlbeteiligung. Bei 25 Prozent würde er sich vervierfachen. Es sage niemand, Politiker seien dumm.

Ralf Tetzner / 21.09.2014

Geradezu erfrischend Ihre Formulierungen! Allerdings sind wir mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo sanftere Formulierungen den Tatbestand der Verharmlosung erfüllen würden… Aber ich befürchte, das mit den “Verlierern der Geschichte” ist etwas zu optimistisch gedacht. Wen sehen Sie denn als den/die kommenden Gewinner? Ohne Alternative keine Ablösung.

Manfred Haferburg / 21.09.2014

Das etablierte Parteienkartell beansprucht die politische Bühne für sich allein. Die CDU meint im Einklang mit SPD, Linkspartei und Grünen, dass rechts von ihnen kein Platz auf dieser Bühne mehr sei. Folgerichtig sei die AfD rechtsradikal und daher nicht koalitionsfähig. Der Wähler steht erstaunt vor der politischen Bühne und sieht das Gedränge auf der linken Seite, mit hochgehaltenen politischen Phrasen: “Energiewende und Atomausstieg, koste es was es wolle”; “Genderpolitik für alle, auch die nicht wollen”, “Einwanderung für alle, auch wenn sie uns verachten und nur die Hand aufhalten”, “Soziale Wohltaten für Klientel auf Kosten der nächsten Generationen”, “Höhere Steuern für Besserverdienende, auch wenn das längst der Mittelstand ist”, “Demokratieabgabe für ARD und ZDF, auch wenn das nicht mehr weit vom DDR-Fernsehen entfernt ist”, “Maut für Ausländer, auch wenn sie dann am Ende doch vom kleinen Mann bezahlt werden muss”, “Veggiday und Dosenpfand” und was noch alles für sozialistische Beglückungsideen so in den Köpfen der bestalimentierten Politiker schwirren. Die Parteien unterscheiden sich nur noch durch die Farben der Krawatten, ihre politische Korrektheit liegt wie Mehltau über dem Land. Der Wähler sieht auch die leere Mitte und rechte Seite der Bühne. Aber die Politik hat ihn in Einklang mit den Medien dauerberieselt: “Wer AfD wählt, wählt böse Populisten”. Wen soll er denn noch wählen, wenn er begriffen hat, das den politischen Volks-Beglückern demnächst wieder mal das Geld anderer Leute ausgehen wird? Wenn er mit dem Mainstream nicht einverstanden ist? Sein Votum ändert ja ohnehin nichts. Dann bleibt er eben zähneknirschend zu Hause.

Barbara Darius / 21.09.2014

So lange die Parteien durch die Millionen Nichtwähler keinerlei Einbußen ihrer Pfründe fürchten müssen - so lange wird sich nichts ändern. Denn selbst wenn nur noch die Kandidaten selbst und ihre sie liebenden Muttis zur Wahl gehen: Es werden trotzdem Tausende von Abgeordneten die Parlamente füllen. Erst wenn die Größe der Parlamente an die Wahlbeteiligung gekoppelt würde - erst dann würden die Parteien geruhen, der Wahlbeteiligung etwas mehr Aufmerksamkeit als ein paar rituell abgesonderte Krokodilstränen am Wahlabend zu widmen.

Peter Arbogast / 21.09.2014

Eine feinsinnige und bitterwahre Analyse. Bleibt freilich die Frage err die nächsten Eliten sein werden; nach Adel und Parteien -Diktatoren? Meine Phantasie reicht nicht für eine Antwort. Aber Dank noch mal für den Aufsatz. Für derartiges ist offenbar nur noch Platz auf der “Achse des Guten”.

Bircan Demirci / 21.09.2014

Exzellente, intelligente Analyse der Geschehnisse in Thüringen und Brandenburg. Ausnahmsweise Journalismus der sich auch so nennen darf.

Frank Jankalert / 21.09.2014

Ich teile viele Ansichten des Autors. Nichtwählen ist legitim. Aber nicht wählen gehen und sonst auch nichts tun ist schon ein Problem. Ich frage mich zum Beispiel, warum die vielen Nichtwähler denn nicht statt dessen demonstrieren gehen oder Bürgerbewegungen und neue Parteien gründen. Fatalismus nützt niemanden.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 25.09.2022 / 13:00 / 35

Vom heißen Herbst kalt erwischt

Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com