Der Dreh- und Angelpunkt zur Veränderung in Deutschland ist die mediale Wirklichkeit. Und hier besonders das öffentlich-rechtliche Medienimperium.
Es soll gar nicht so selten sein, dass infolge einer Fehldiagnose mal ein Patient an einer Krankheit behandelt wird, die er nicht hat. Für den Patienten ist das – je nach Schwere der wirklichen Erkrankung und je nach Nebenwirkung der Therapie – gefährlich, vielleicht tödlich. Aber darum soll es hier nicht gehen. Es geht um den Arzt. Zunächst glaubt er an seine Diagnose. Da aber die Medikamente nicht anschlagen, erhöht er die Dosis, wechselt die Wirkstoffe. Ohne Erfolg. Erkennt er schließlich, dass er mit seiner Diagnose falsch gelegen hat und nimmt er seinen hippokratischen Eid ernst, dann wird er dem Patienten seinen Fehler mitteilen, die Folgen für seinen Ruf als Arzt auf sich nehmen, den angerichteten Schaden, soweit möglich, begrenzen und für irreparable Folgen geradestehen.
Nun aber ist der Arzt vielleicht doch auch ein Mensch mit Schwächen und Fehlern. Er fürchtet um seinen Ruf, vielleicht sogar um seine Approbation. Und da der Patient, der kein Mediziner ist, keinerlei Verdacht schöpft und sich vertrauensvoll und voll Respekt vor dem weißen Kittel des Arztes klaglos in sein Befinden fügt, trägt der Arzt immer neue wirkungslose Salben auf, wohl wissend, dass der Patient keinen Fußpilz, sondern einen bösartigen Hautkrebs hat, und hofft insgeheim auf dessen baldiges Ableben. Ich will die deutsche Politik nicht pauschal mit einem solchen verantwortungslosen Arzt vergleichen. Dennoch nehme ich weder meiner Partei noch den anderen regierungstragenden Parteien der letzten 25 Jahre ab, dass sie bis heute nicht das Fehlerhafte in wesentlichen Teilen ihrer politischen Diagnosen dieses letzten Vierteljahrhunderts entdeckt hätten. Womit keinesfalls gesagt werden soll, dass ihre Entscheidungen überall und in jeder politischen Disziplin Fehlentscheidungen waren. Die Arbeitsmarktreform von Gerhard Schröder war vernünftig, zukunftsweisend und zur wirtschaftlichen Stabilisierung unausweichlich. Seine Weigerung, am Irakkrieg teilzunehmen, war auch richtig.
Die Fehlleistungen der letzten 25 Jahre füllen aber mittlerweile schon halbe Bibliotheken, die Autoren heißen (unter vielen anderen!) Hans-Werner Sinn, Fritz Vahrenholt, Frank Hennig, Bernd Raffelhüschen, Josef Kraus, Klaus-Peter Willsch, Thilo Sarrazin, Thomas Mayer, Horst-Joachim Lüdecke, Gunter Frank, Axelle Kabou, Volker Seitz – alles Autoren und eine Autorin, die sich zwar gegenseitig gewiss nicht alle mögen und sich verbitten könnten, in einem Atemzug miteinander genannt zu werden, deren Beiträge ich aber in ihren jeweiligen Fachgebieten für signifikant und relevant halte und von denen ich sicher bin, dass ihre Arbeiten die korrumpierte Panegyrik der medial hoffähigen Sachbuchliteratur überdauern werden und auch noch in fünfzig Jahren als die Standardliteratur zur politischen Analyse des ersten Viertels nach der Jahrtausendwende in Deutschland herangezogen werden. Nicht zu vergessen übrigens Boris Reitschusters Arbeiten zu Russland und die FAZ-Autoren Reinhard Bingener und Markus Wehner, die die an Hochverrat grenzende Anbiederung, die Raffgier und – meines Erachtens – Korruption im großen Stil maßgeblicher SPD-Kreise in der Beziehung zu dem Massenmörder Putin offenlegen.
Da das also alles schon in weit besserer Qualität schriftlich niedergelegt ist, als ich es könnte und einige Autoren schon angesichts der angerichteten Dilemmata in Sarkasmus, Satire und den bitteren Humor geflüchtet sind (Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner), muss ich nicht – wie eine gesprungene Schallplatte – zum zehnten oder tausendsten Male ausführlich begründen, warum die eklatanten Fehlleistungen der deutschen Politik eben eklatante Fehlleistungen sind. Es genügt, einige aufzuzählen: Eine Energiepolitik, die dabei ist, unserer Industrie das Rückgrat zu brechen und unsere Umwelt bedroht. Eine Geldpolitik der EZB, die die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Südländer zementiert und die Spareinlagen der Nordländer wegfrisst. Eine Europapolitik, die in wichtigen Fragen (gemeinsame Außenpolitik, Asyl, Zuwanderung) versagt, sich ersatzweise auf Nebenkriegsschauplätzen (Datenschutzgrundverordnung) festbeißt, Europa durch Bevormundung spaltet und dezimiert (Brexit) und die Attraktivität des Europäischen Projekts beschädigt. Eine Entwicklungspolitik, die extrem teuer ist, nirgends durchschlagende Erfolge zeitigt, zu einer Spielwiese für Aussteiger wurde und deren Aufwendungen in den Zielländern als „stupid german money“ verspottet werden. Eine Verteidigungspolitik, die mutwillig die Bundeswehr zerstörte und ihrer Reserve beraubte. Eine Forschungspolitik, die ideologisch fixiert ihre Technologieoffenheit aufgab. Eine Schulpolitik, die die Qualität des Abiturs verwässerte und darauf hinwirkt, künftiges akademisches Prekariat heranzuziehen, damit den Facharbeiterpool austrocknet und die Lehrer in die Flucht jagt und die Dysfunktionalität der gesamten Gesellschaft vorprogrammiert.
Zweierlei Maß
Eine Hochschulpolitik, die die Universitäten zu Wachtürmen eines linken McCarthyismus degeneriert, in denen Wissen und Leistung zweitrangig werden. Eine Zuwanderungspolitik, die durch die faktische Gleichsetzung von Asyl und Zuwanderung die öffentliche Akzeptanz sowohl von Asyl wie von Zuwanderung untergräbt. Eine Gesundheitspolitik, die durch Übergriffigkeit, Hysterie, Unterdrückung von Fakten (Intensivbettenunterauslastung, Impfschäden) und der wissenschaftlichen Debatte einen irreparablen Ansehensverlust in der Coronakrise erlitt. Eine Sozialpolitik, die seit Jahrzehnten in ursprünglich als selbsttragend konzipierten Systemen (Rente, Krankenkassen) die Defizite durch immer steigende Steuerzuschüsse verschleiert und sich der demographischen Wahrheit verweigert.
Eine Innenpolitik, die hilflos das Umsichgreifen rechtsfreier Räume in den Großstädten durch die Flucht der Polizei aus den Kriminalitätsbrennpunkten geschehen lässt, großen Eifer bei Geschwindigkeitskontrollen zeigt (bei tatenlosem Herumstehen der Polizei bei systematischer und vorsätzlicher Verkehrsgefährdung durch Autokorsos bei türkischen Hochzeiten), die das immer unverfrorenere Sichaufschwingen des Verfassungsschutzes duldet zu einer Art richterlicher Instanz, zu einer Knute, die über der freien Meinungsäußerung schwebt, mit einer angemaßten Definitionsmacht, als stünde sie über der Verfassung und hätte Urteile auszusprechen über Sein und Nichtsein wie einst die Stasi und ungestraft rechtssystematisch komplett widersinnige Begriffe wie „Delegitimierung der verfassungsmäßigen Ordnung“ zu Verfolgungszwecken etabliert, die Denunziationsportale einrichtet bei gleichzeitiger Unfähigkeit zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.
Eine Justiz, die mit zweierlei Maß misst: Einerseits free Lina in Dresden für erwiesene Verstrickung in widerlichste Gewalttaten, andererseits Fußfesseln und sofortige Inhaftierung eines Arztes, der seinen hippokratischen Eid ernster genommen hat als ein Bundesgesetz und damit vielleicht Leben gerettet hat. Einerseits: Tatenlose Staatsanwaltschaft nach Aufdeckung (durch Apollo-News) der Planung von Straftaten durch sogenannte Klimaaktivisten. Andererseits eine martialische Staatsaktion mit mehreren tausend Polizisten gegen einen verwirrten alten Mann, der angeblich mit ein paar Gleichgesinnten und Prepperware den Umsturz der Republik geplant haben soll. Dies alles geht einher mit einem Klima in der Gesellschaft, das diese Dinge bewusst ignoriert und die Debatte darüber unterbindet, ein Klima der Einschüchterung, ein Klima der Feindseligkeit gegenüber dem eigenen Nachwuchs (Initiative „Kinderfrei“ einer Frau Brunschweiger, Sterilisierungen auf eigenen Wunsch von jungen Frauen aus der Klimaszene), gegenüber dem herkömmlichen Familienmodell, gegenüber Heterosexualität im Allgemeinen (Schimpfwort: „cis-Menschen“). Offener Rassismus gegen Weiße (die „Weißbrot“-Hetze des staatlich geförderten Aktivisten Steier). Ein Klima der Dekonstruktion elementarster Gegebenheiten bis hin zu biologischen Grundsachverhalten.
Deformiertes Risikobewusstsein
Randthemen wie die zweifellos ernst zu nehmenden aber nur sehr wenige Menschen betreffenden Probleme von sexuellen Minderheiten werden dabei zu endlosen politischen Debatten aufgeblasen und avancieren zu Hauptthemen, und Hauptthemen wie die katastrophale demografische Situation und die schon erwähnte, aus schlichtem Fachkräftemangel zu erwartende, schleichend um sich greifende Dysfunktionalität nach und nach aller wirtschaftlichen und sozialen Prozesse sowie all die oben genannten Missstände infolge langanhaltender permanenter und sich noch heute fortsetzender politischer Fehlleistungen degenerieren zu Randthemen. Das ist alles natürlich nicht neu. Der Evangelist Matthäus, der vor fast 2.000 Jahren (ungefähr im Jahre 80) schrieb, lässt Jesus in dessen Predigt gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (Matth. 23,24) sagen: „Ihr blinden Führer, die ihr Mücken aussiebt, aber Kamele verschluckt!“ Auch damals also wurden schon kleine Risiken (Mücken) zu gewaltiger Größe aufgeblasen und große Risiken (Kamele) ignoriert. Ein völlig deformiertes Risikobewusstsein prägt die Politik also schon seit frühester Zeit. Es ist somit kein Wunder, dass es auch das politische Bewusstsein von heute – und wohl nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland – prägt.
Zuerst wurde ich darauf aufmerksam im Jahr 1987. Wir hatten Besuch aus dem Westen, ein junges Ehepaar, ungefähr so alt wie wir. Nach einem langen Gespräch über die DDR, in dem ich immer ein Unbehagen unserer Gäste spürte, als verdächtigte man mich, ich wolle die DDR schlechter reden, als sie ist, fragte ich, was denn jetzt in der Bundesrepublik das Thema sei, das die beiden am meisten bewegt. Und ich traute meinen Ohren nicht: Es sei die bevorstehende Volkszählung! Eine absolute Ungeheuerlichkeit sei das! Aber wirklich! Hitler habe auf solch einem Weg die Wohnungen der Juden ausfindig gemacht, und nun finge die Bonner Republik auch so an! Man müsse alle Kräfte mobilisieren, um das zu verhindern. Meine Antwort – das sei doch normal, dass der Staat ein paar grundlegende statistische Informationen benötige, um öffentliche Leistungen korrekt planen zu können, und sowas gäbe es doch bei uns auch und kein Mensch rege sich darüber auf – wurde empört zurückgewiesen, und hätte ich nicht sofort begütigend eingelenkt und meine Einwände relativiert – die harmonische Stimmung wäre dahin gewesen. Als wir zu Bett gingen, fragte ich meine Frau, was sie von den beiden hielte. Wir hatten sie ja eben erst kennengelernt. Sie seien, so meine Frau, ganz ok. Aber nach einer Weile fügte sie hinzu: Aber, wenn Du mir’s nicht übelnimmst: Eine klitzekleine Unwucht haben sie. Ich darauf: Die haben wir alle. Sie: Aber anders.
Ich hatte schon während der gesamten achtziger Jahre immer mehr Äußerungen aus dem Westen über die deutsche Frage als Schläge in die Magengrube empfunden. Tonangebende Kreise taten alles, um jeden Gedanken an eine mögliche Wiedervereinigung zu ersticken. Ich merkte es am Umgang mit Reiner Kunze, den ich über alle Maßen verehrte, und der plötzlich aus dem West-Schriftstellerverband austrat. Die Art, auf die alle kritischen Stimmen über die DDR im Fernsehen und im Deutschlandfunk, den ich täglich hörte, marginalisiert und in die hintersten Sendeecken verbannt wurden, widerte mich an. Es hatte sich ein Ton der Anbiederung an die SED eingebürgert, der mir klar machte: Diese Leute im Westen sind nicht auf meiner Seite. Einen jungen Mann aus Westberlin, der die Politik von Wandel durch Annäherung über den grünen Klee lobte, fragte ich, welches Ziel diese Politik seiner Meinung nach verfolgte. Er: Na, mehr Freiheiten. Dass man bei Euch die politischen Gefangenen freilässt, niemanden mehr benachteiligt, der in die Kirche geht und dass das Reisen leichter wird. Und dass es besseres Zeug zu kaufen gibt bei Euch. Ich: Du meinst: Offene Grenzen? Er: Zum Beispiel. Ich: Und du weißt, dass dann in einer Woche die Hälfte der Leute weg ist? Er: Glaub ich nicht. Ich: Und wie ist das mit Parteien, freien Wahlen und so? Ist das auch das Ziel von Wandel durch Annäherung? Er: Das gibt es nie und nimmer. Ich: Also Wandel durch Annäherung heißt für uns, dass alles ein bisschen erträglicher wird, aber im Großen und Ganzen alles bleibt, wie es ist, Stasi, SED, keine Wahlen, arbeiten für Geld, für das es nichts gibt. Wir sollen also niemals die Freiheiten wie Ihr haben, ja? Er: Ja, damit müsst ihr Euch wohl abfinden.
Ein kollektiver Irrtum
Auch im Osten glaubte niemand so recht an eine Wiedervereinigung zu Lebzeiten. Wenn man aber fragte, ob man sich im Osten vorstellen könne, dass dieses Eingesperrtsein, die Abschottung von aller Welt nun auf alle Zeiten alle Generationen betreffen würde, so konnte sich dies allerdings niemand vorstellen. Der Glaube oder Unglaube an eine Wiedervereinigung war also streng zu unterscheiden von der Frage, ob man die Wiedervereinigung für ein legitimes politisches Ziel hielt. Und diese Frage war es, die der medial tonangebende, sich progressiv wähnende Westen mit seinen vielen von Moskau gepamperten Kadern verneinte. Dagegen standen Persönlichkeiten wie zum Beispiel Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Axel Springer, Gerhard Löwenthal und Reiner Kunze. Aber auch in der CDU war man in den achtziger Jahren schon dabei, auf DDR-Linie umzuschwenken. Heiner Geißler versuchte noch 1989, das Wiedervereinigungsziel aus dem Grundsatzprogramm zu streichen. Aber die Linken dominierten die CDU damals noch nicht, weshalb die CDU gerade noch die Kurve kriegte und Geißlers Aktion scheiterte. Ein Jahr später war genau jene Wiedervereinigung, die die tonangebenden Meinungsmacher im Westen als reaktionäre Träumerei denunziert hatten, plötzlich da.
Der mediale Olymp der Bundesrepublik war einem gewaltigen kollektiven Irrtum erlegen. Es wäre nun zu erwarten gewesen – siehe das Bild des rechtschaffenen Arztes – dass sich die Einschärfer dieser Fehlorientierung (Zeit, Spiegel, Stern, Süddeutsche, Frankfurter Rundschau, aber auch ARD und ZDF) für ihr antizipatorisches Totalversagen entschuldigen, die Gründe dafür suchen und erklären, wie sie nach diesen Fehlleistungen öffentliches Vertrauen zurückgewinnen wollen. Es geschah nichts dergleichen. Aber ihre Reputation litt nicht! Die bundesdeutsche Öffentlichkeit weigerte sich, überhaupt zu bemerken, in welchem Maße sie von ihrer medialen Oberschicht getäuscht und an der Nase herumgeführt worden war.
Die Medienprominenz hielt Hof im Osten, als sei nichts geschehen. Am säuerlichen Lächeln diverser Journalisten – ich erinnere zum Beispiel die Herren Bednarz (WDR) und Böhme (Spiegel) – war zu erkennen, dass unsere neu gewonnene Freiheit in ihnen als die größte vorstellbare politische Niederlage ihres Lebens fraß. Es war bei ihnen nicht so, dass sie die Wiedervereinigung aus den Augen verloren hatten, weil sie diese zwar wünschten, aber als unerreichbar ansahen wie wir Ostdeutschen. Sie wollten keine Wiedervereinigung, die hassten sie. Sie hassten sie nicht deshalb, weil sie uns nicht mochten. Sie hassten sie, weil sie ihr politisches Koordinatensystem zerstörte und weil sie obendrein unleugbar auch auf das Konto des von ihnen verlachten und als intellektuell unterbemittelt angesehenen, sie aber an Klugheit weit überragenden Bundeskanzlers Helmut Kohl ging.
Großartige, elanvolle und ereignisreiche Jahre
Es waren wohl zwei Entschlüsse, die in diesen Tagen zustande kamen: Einen kenne ich, er ist mein eigener: Ich entschloss mich, diese Leute, denen ich keinerlei Leid zugefügt hatte, für die aber die Freiheit der Menschen in der DDR, also auch meine Freiheit, ein Ärgernis und eine narzisstische Kränkung war, als meine Feinde auf Lebenszeit anzuerkennen. Und die eben Genannten dürften sich damals entschlossen haben, die von mir ersehnte und mir schließlich geschenkte Wiedervereinigung, egal, ob sie glückt oder scheitert, mit all ihrer Macht, mit ihrer investigativen Energie, ihren vielköpfigen Redaktionen und der gesamten logistischen Kraft ihrer Verlage zu einem Desaster niederzuschreiben, sie mit Worten zu zerbomben wie eine Armee, die ihre bevorstehende Kapitulation durch verbrannte Erde vorbereitet.
Die Geschichte wird die Revolution von 1989 als ein herausragendes Ereignis einordnen, das sowohl bezüglich der gewaltlosen politischen Kultur, in der es ablief, als auch in der Reichweite seiner Wirkung von Berlin bis Wladiwostok und schließlich auch in Bezug auf die erreichten Ziele in der Zeit des nachrömischen Europa einzigartig und in seiner Wirkung durchgehend positiv zu beurteilen ist. Die Geschichte wird feststellen, dass die Einzigen, die dieses Ereignis mit ihrer narzisstischen Gekränktheit besudelten, die westdeutschen Linken und ihre journalistischen Sprachrohre waren. Und dass ihnen der Neid des verdatterten Zaungastes, der sich eingestehen muss, dazu nichts beigetragen, sondern ausschließlich im Wege gestanden zu haben, den Verstand und die Urteilskraft raubte. Um die heutige Rolle der deutschen Medien zu verstehen, muss man dies beachten.
Die Jahre bis 1998 waren großartige, elanvolle und ereignisreiche Jahre. Täglich sah man, wie sich aus dem alten Grau der DDR, den zerbröckelten Straßen, dem Gestank nach Zweitaktgemisch und Braunkohle, eine neue Welt herausschälte: blühende Landschaften. In einer Geschwindigkeit, die wohl niemand für möglich gehalten hat, der die seit zwanzig Jahren vor sich hinsiechende Bausubstanz, die nicht vorhandenen Handwerker, den allgemeinen Mangel und den täglichen Zwang zu immer abenteuerlicheren Improvisationen beobachtet hatte. Und man sah auf dem Bildschirm Oskar Lafontaine, der für alles nur gehässige Bemerkungen und galliges Gelächter übrig hatte. Und mir hielt man gefühlte tausende Male ein Mikrofon vor die Nase und wollte wissen, was alles bei der Wiedervereinigung schiefgegangen sei und wandte sich schnell jemand anderem zu, wenn ich sagte, dass es sehr viel besser nicht hätte verlaufen können.
Identifikationsloch
Mit Angelas Kanzlerschaft verband ich große Hoffnungen. Es war beeindruckend, wie sie Schröder rhetorisch die Stirn bot. Ich hatte sie als Umweltministerin in Gorleben erlebt und war schlichtweg beeindruckt, weil ich wusste, was es bedeutet, einer vor Aggressivität kochenden Menge gegenüber Contenance zu bewahren und Rückgrat zu zeigen. Auf dem Leipziger Parteitag 2003 wurden die Vorschläge der Herzog-Kommission zur Gesundheitsreform angenommen. Die Rede von Friedrich Merz wurde mit Ovationen aufgenommen. Was wir nicht ahnten: Der Leipziger Parteitag sollte einer der letzten großen ordnungspolitischen Lebenszeichen der CDU gewesen sein. Zuerst unmerklich, aber mit der Zeit immer zwingender, bauten sich nun die eingangs beschriebenen Missstände auf. An all diesen Entwicklungen war die CDU maßgeblich beteiligt. Ich begriff erst nach und nach, was die Unaufhaltsamkeit dieses fatalen Prozesses ausmachte. Ein durchgehendes Kennzeichen der Ära Kohl war gewesen, dass Helmut Kohl von Beginn bis zum Ende seiner Amtszeit gegen die tonangebenden Medien regiert hat. Kohl revanchierte sich gegen deren herablassende Aggressivität seiner Person und seiner Partei gegenüber, indem er diese Medien ignorierte. Kohl war deshalb zu keinem Augenblick mediengesteuert (was natürlich nicht hieß, dass er sich nicht wohlkalkuliert in der medialen Öffentlichkeit zu bewegen verstand).
Angela Merkel regierte vom ersten bis zum letzten Tag ihrer Kanzlerschaft nicht gegen, sondern im Bunde mit diesen eben beschriebenen Medien. In dem Maße, wie sie die CDU eigentlich nicht mehr brauchte, da es in einer großen Koalition auf dreißig Stimmen gegen sie im Regierungshandeln nicht ankam, verstärkte sich dieser Trend. Sie tat, was die Medien – und hier besonders die öffentlich-rechtlichen – von ihr erwarteten, pflegte zu den Damen Springer und Mohn ein enges Verhältnis, sammelte eine ihr ergebene Entourage um sich und war von nun an unantastbar. Sie verwandelte medienkonform die CDU in eine linke und grüne Partei. Zwar verblieb in ihr eine starke konservative Basis, die aber gegen die mittlere und obere Funktionärsschicht ohne Machtperspektive blieb und obendrein in dem Maße an Stärke abnahm, in dem die Austritte (Begründung: wegen Merkel) und die Eintritte (Begründung: wegen Merkel) zunahmen und das Mitgliederspektrum grundlegend nach links und grün verschoben, sodass Friedrich Merz heute mit seinem bürgerlich-liberalen Profil gezwungen ist, auf den Merkel-Flügel Rücksicht zu nehmen, der obendrein in der Fraktion die Mehrheit stellt.
Zudem hat Angela Merkel durch das so entstandene Identifikationsloch mittelbar die AfD geschaffen. Diese Partei ist komplett desavouiert, wozu sie auf dem Weg von Lucke nach Höcke reichlich selber Anlass gegeben hat. Sie fungiert heute gemeinsam mit Sahra Wagenknecht, Michael Kretschmer und diversen SPD-Funktionären aus dem Dunstkreis von Gerhard Schröder faktisch als Lautsprecher der strategischen Interessen des Kreml. Dies macht sie unwählbar. Sie ist ohne Machtperspektive, zieht jedoch zwanzig Prozent der Wähler auf sich. Diesen Wählern ist es in der Regel egal, ob die Ukraine fortexistiert oder ausgelöscht wird, sie sehen sich von den eingangs erwähnten Missständen bedroht, erwarten von den Parteien, die diese Missstände verursacht haben, keine Abhilfe und halten die Dämonisierung der AfD für übertrieben und deuten sie als Ausdruck der Existenzangst der anderen Parteien.
Der archimedische Punkt
Wollte die CDU einen entschlossenen Kurswechsel vollziehen, so müsste sie zunächst selbst zugeben, in der Ära Merkel all diese Probleme geschaffen zu haben, die sie zu beseitigen nun anheben wolle. Sie müsste zu Grundüberzeugungen zurückfinden, die sie bis in die Nullerjahre hinein einmal prägten und die sie unter Merkel aufgegeben hat. Sie müsste auch dann zu diesen Positionen zurückfinden, wenn dies heute Positionen der AfD sind. Wir sind deshalb wieder bei dem eingangs erwähnten Arzt, dem zugemutet wird, seine Irrtümer einzugestehen und seine Therapie zu ändern. Dies wird in der Politik nicht geschehen und zwar deshalb, weil es völlig ausgeschlossen ist, dies einerseits zu tun und andererseits politisch am Leben zu bleiben – und zwar nicht, weil die Wähler einen solchen Kurswechsel nicht goutierten, sondern weil die strikt links und grün gepolten Medien im Lande alle Magazine auf jeden und jede leerschössen, der die von diesen Medien aufgestellten Wegweiser in die politische und wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit Deutschlands, die zahllosen linksgrünen Geßlerhüte, einsammelt, anstatt sie täglich zu grüßen.
Deshalb ist der archimedische Punkt zur Veränderung in Deutschland die mediale Wirklichkeit. Und hier besonders die Abschaffung der Lordsiegelbewahrer der Geßlerhüte, des öffentlich-rechtlichen Medienimperiums aus neun Landesmedienanstalten, der Deutschen Welle, dem ZDF und dem Deutschlandfunk. Diese Anstalten mit einem inzwischen bis ins Irrsinnige aufgeblähten rotgrünen Propagandaprogramm werden Jahr für Jahr mit fast neun Milliarden Euro aus Zwangsbeiträgen gemästet. Sie sind das letzte feudale und de facto hermetisch vor jeder Veränderung geschützte Machtzentrum, das mit redaktionellem Segen nur dann Wortbeiträge aussendet, die etwaigen Kernüberzeugungen der Grünen und Roten in Deutschland zuwiderlaufen, wenn gewährleistet ist, dass in der gleichen Sendung mit Übermacht von Masse oder Moderation sofort Einspruch erhoben wird und dieser Einspruch das letzte Wort hat.
Die sicher eintreffenden Zahlungen an das Imperium, der sich die Bürger nur dann entziehen können, wenn sie obdachlos sind, erlauben den Sendern, beliebig an ihrem Publikum vorbeizusenden. Sie erlauben ihnen, ihre Beitragszahler – wozu auch die Wähler der AfD zählen – nach Herzenslust zu beschimpfen, herabzusetzen und zu demütigen. Sie dürfen den für sie als politisch am brauchbarsten empfundenen Teil der brauchbaren Wahrheit auswählen und zur Belehrung und Erziehung ihres Publikums nach Belieben einsetzen. Ihre Intendanten und Chefredakteure müssen sich nie einer allgemeinen geheimen und gleichen Wahl stellen wie die Abgeordneten der Parlamente – sie werden von einem übersichtlichen Gremium bestimmt, bei dem meist gewährleitet ist, dass es darin eine satte rotgrüne Mehrheit gibt.
Nur zwei realistische Wege
Sollte einer mit der falschen Grundüberzeugung für solch einen Posten kandidieren, dann ist augenblicklich der Teufel los. So geschehen, als der als konservativ eingeschätzte Journalist Bernd Hilder sich dazu beim Mitteldeutschen Rundfunk im Jahr 2011 anschickte. Er wurde gemobbt, als stünde mit ihm als Intendant der Weltuntergang bevor. Erst als eine gewisse Frau Professor Dr. Carola Wille für 12 Jahre in das Intendantenbüro einziehen durfte, war der Friede mit dem linken Mob wieder hergestellt. Sie hatte als geschiedene Frau eines DDR-Militärstaatsanwalts einen passenden familiären Hintergrund. Sie war studierte DDR-Juristin – eine Laufbahn, die bekanntlich eine gewisse Linientreue und einen zuverlässigen Stammbaum vorausgesetzt hatte – und ihre Qualifikation bestand unter anderem in einer Dissertation zum Thema „Der Rechtsverkehr in Strafsachen zwischen der DDR und anderen sozialistischen Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Übernahme der Strafverfolgung“ (Jena, Diss. 1986 doi:10.22032/dbt.46784).
Solange der öffentlich-rechtliche Moloch in seiner jetzigen Form existiert, die Grenzen des Sagbaren absteckt und die Unversehrtheit der Tabus überwacht, wird unser Land immer tiefer in das Dickicht seiner Fehlentwicklungen hineinrennen, weil jeder, der daran etwas ändern will, von diesem Moloch filetiert wird. Denn da unsere Politiker Mehrheiten benötigen, um mit Mandaten ausgestattet zu werden, können sie nur selten wagen, sich in das Sperrfeuer der Medien zu begeben, da sie deren logistischer Kraft immer unterlegen sind und mit verlorenen Wahlen nichts mehr bewegen können. Und die Medien sind gewohnt, sich die Politiker zurechtzulegen, wie ein Fußballer sich den Ball auf den Elfmeterpunkt zurechtlegt. Nach meiner Überzeugung gibt es nur zwei realistische Wege aus unseren Fehlentwicklungen heraus. Den ersten und leider wahrscheinlichsten gilt es zu vermeiden. Es ist der Weg der Erziehung der Gesellschaft zur Katastrophe. Eine solche ist schon eingetreten: Es ist der Ukrainekrieg. Der zweite Weg besteht darin, die öffentlich-rechtlichen Medien zu veranlassen, ihren eigentlichen Sendeauftrag wieder zu erfüllen: Information statt Erziehung, Debatte statt Indoktrination, Freiheit der Sprache und des Denkens statt Dressur und Inquisition.
Hier bieten sich zunächst die rundfunkvertraglich festgelegten Einspruchsmöglichkeiten an. Dies versuchte ich mehrfach. Ein Beispiel: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise am 3.12.2021 bezeichnete im ZDF die linke Hetzerin Bosetti Andersdenkende als „Blinddarm“ der Gesellschaft. Diese Bezeichnung ist an sich schon mit dem Sendeauftrag des ZDF unvereinbar, weil sie suggeriert, gewisse Menschen seien ebenso überflüssig wie ein Blinddarm und können demzufolge aus dem Gesamtorganismus problem- und schadlos entfernt werden. Der Vergleich entspringt also einer Vernichtungsphantasie. An Brisanz gewann er noch dadurch, dass ein Journalist auf genau diesen Blinddarmvergleich als Zitat des Nazi-Arztes Fritz Klein stieß, der „den Juden“ als den „eiternden Blinddarm der Menschheit“ bezeichnete, den es aus dem „Körper der Menschheit“ zu entfernen gälte. Ich meinte, nun müsse auch der Dümmste begreifen, dass diese Hetzerei etwas zu weit geht und reichte Programmbeschwerde ein. Die Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates antwortete: „Es wurde kein Verstoß gegen die für das ZDF geltenden Rechtsvorschriften festgestellt.“ Aufsichtsinstanz und zu beaufsichtigende Körperschaft waren ein und dasselbe. Die Wagenburg des ZDF um ihre linken Schützlinge hatte sich geschlossen.
Die Tür zur Freiheit
Leider ist also der Widerstand gegen das Gebaren der Medien im Rahmen der Einspruchsrechte wie Programmbeschwerden, Klagen wegen Nichterfüllung der Staatsverträge und Ähnliches komplett wirkungslos. Die Aufsichtsgremien über die Sender sind meist mehrheitlich ebenfalls so strikt links-grün orientiert wie die Redaktion und in ihrer gesamten Denkweise den Argumentationsgewohnheiten des jeweiligen journalistischen Personals weitgehend angeglichen. Es gibt somit keine Aufsicht. So wie dieser Programmbeschwerde geht es fast allen Beschwerden, und selbst wenn sie erfolgreich sind, ändert sich nichts Wesentliches. Da die Nutzung der zur Verfügung stehenden Appellationswege sinn- und wirkungslos ist, bleibt nur noch ein realistischer Weg: die Alimentation der Sender zu kappen. Dies ist nur auf dem Weg über die Gesetzgeber in den Ländern und mit Duldung des Bundesverfassungsgerichts zu erreichen. Dieser Weg wird dann realistisch, wenn die Verweigerungshaltung der Beitragspflichtigen zu einem politischen Problem wird, das mehrheitsrelevant bei Landtagswahlen wird und eine Dimension erreicht, die auch das Bundesverfassungsgericht um des inneren Friedens willen nicht länger ignorieren kann. Ich halte eine solche Entwicklung bei der zu erwartenden zunehmenden Verdichtung der Problemlagen und einer immer platteren Apologetik der Sender für nicht ausgeschlossen.
Beim Ausfall der Beiträge könnten die bisher durch faktische Steuer alimentierten Sender ihre Programme zum Beispiel verschlüsseln, so, wie das verschiedene Private schon immer tun. Wer dann will, kann öffentlich-rechtliche Programme abonnieren, wer nicht, der lässt es sein. Die Sender werden dann merken, dass sie schnurstracks auf die Pleite zumarschieren, wenn sie sich weiter an ihre Rolle als Oberlehrer und Anstandswauwau der Gesellschaft klammern. Von Stund an bleibt den Sendern nichts anderes mehr übrig, als bei der Auswahl des journalistischen Personals, der Themen und des Senderprofils sich des legendären Markwortschen „ceterum censeo“ zu erinnern: „Und immer an die Leser denken!“ Dann tut sich die Tür zur Freiheit auf, die Denkverbote verdampfen in den Debatten, die Scheinprobleme lösen sich in Luft auf, und die wirklichen Probleme treten in ihrer tatsächlichen Dimension ins Blickfeld. Die korrekten Diagnosen lassen sich nicht mehr von ideologisch gewollten Fehldiagnosen verdrängen, und die Debatte um die richtige Therapie der Missstände kann beginnen.
Als Einwand höre ich an diese Stelle immer: Na, dann schau dir doch mal die Seichtheit diverser privater Programme an! Willst du von solchem Schwachsinn noch mehr? Nun: Wer dies einwendet, ist sich vermutlich seines paternalistisch-vormundschaftlichen Misstrauens gegen die Demokratie nicht im Klaren, denn dahinter steckt die Auffassung, zu einer Elite zu gehören, die darauf zu achten hätte, dass die große Mehrheit, die aus an primitiven Späßen sich ergötzenden Plebejern bestehe, zu ihrem Besten gezwungen werden müsste, für kluge Lehren zu bezahlen, die sie vor ihren Dummheiten schützen. Ich denke entschieden nicht so. Ich vertraue der Demokratie, weil ich 1989 selbst erlebt habe, wie unwiderstehlich sie sich Bahn bricht und die Spreu vom Weizen zu trennen vermag. Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen mächtigen und strengen Markt für anspruchsvollen, die Kontroverse und den intellektuellen Schlagabtausch pflegenden Qualitätsjournalismus gibt, der seine Konsumenten in den Bann zu ziehen vermag, deren Zahlungsbereitschaft herausfordert und den Sendern, die ihn anbieten, eine Existenz sichert. Und ich vertraue darauf, dass unsere Gesellschaft, bevor sie an dem klebrigen Einheitsbrei der gegenwärtigen öffentlich-rechtlichen Medien erstickt, sich von diesen Medien befreien wird.
Dies ist der Beginn einer Folge von Grundsatzbeiträgen der Achgut-Autoren Arnold Vaatz, Annette Heinisch und Gunter Weißgerber zum Zustand der Republik.
Arnold Vaatz ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter und ehemaliger DDR-Bürgerrechtler. Er war von 2002 bis 2021 einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Es folgen weitere Beiträge von Annette Heinisch und Gunter Weißgerber.