Thilo Schneider / 24.05.2025 / 14:00 / Foto: Montage achgut.com / 9 / Seite ausdrucken

Alle meine Assistenten

Moderne Autos können alles – außer die Klappe halten. Ein Erlebnisbericht zwischen Piepskonzert, Panik-Assistenten und Beifahrer-Schreien.

Der Datschia musste in die Erstinspektion, und weil der Verkäufer meine Trauer bemerkt hatte, dass ich keinen Renno-Raffael oder so (Sie erinnern sich. Das no-go-show-boat, das bei 170 abriegelt) fahren werde, hat er mir damals einen Gutschein für die Erstinspektion gegeben, die auch bei einer Rumänien-Möhre wie dem Datschia gerne mal 500 € kosten kann.

Also habe ich den Schatz geschnappt und wir sind in unser Schtetl gejuckelt, wobei der Datschia noch den Vorteil hat, dass er nicht da, wo 50 km/h erlaubt sind, ich aber in revoluzzerhafter Fahrweise die Messtoleranz bis 54 km/h voll ausreize, in eine piepsende Hysterie verfällt, wie es der nagelneue Renno, den ich als Leihwagen hatte, tut. 

Überhaupt sind die Assistenzsysteme des Jahres 2025 eine extra Klasse für sich: Was einst mit einem Piepsen bei einem nicht angelegten Sicherheitsgurt begann, sich zu einem Stöhnen bei nicht geschlossener Heckklappe und einem schlecht gelaunten Brummen beim Vergessen des Loslösens der Handbremse begann, hat sich zu einem Crescendo aus blinkenden Lichtern und hupenden, fiepsenden, piependen, röchelnden, grummelnden und plärrenden Tonsignalen entwickelt, gegen das der „Rote Alarm“ auf der Enterprise geradezu eine buddhistische Ruhe ausstrahlt. Düsenjägerpiloten dürften weniger Signale in Auge und Ohr haben.

Drosseln Sie mal ihr Tempo

Es gibt da beispielsweise einen „Spurhalteassistenten“, der, wenn ich zu blöde zum Geradeaus-Fahren bin, nicht nur fiept, sondern gegenlenkt. Ein Feature für alle, die sich gerne mit der Elektronik um die Interpretation von „Fahrbahnmitte“ streiten.

Und es gibt – schon seit geraumer Zeit – Systeme, die Straßenschilder lesen. Also, nicht die komplizierten, wie „Hier baut das Land Sachsen-Aushalt mit Fördermitteln der EU in nicht unerheblicher Höhe, wie wir erwähnen möchten, eine Autobahnbrückenunterführung bis zum, sagen wir mal, August 2044, vielen Dank für Ihr Verständnis, drosseln Sie mal auf 60 km/h runter“, aber immerhin die einfachen Schilder wie „50“ oder „44,3“. Das wird dem Piloten dann auf seinem HUD-Display eingeblendet, damit er weiß, warum sich die Mühle jetzt nicht schneller als 50 km/h bewegt und den Druck aufs Gaspedal härter ignoriert als ein Ehemann mit X-Account auf dem Handy seine Gattin beim Frühstück. Ich weiß, wovon ich rede.

Außerdem gibt es einen Höhenmesser. Vor allem in Frankreich war das witzig, als wir in der Ardeche die Serpentinen „rauf und runter“ kletterten, da konnte man dann schon schön sehen, wohin man in der Klimakatastrophe vor steigenden Pegelständen durch abschmelzende Gletscher fliehen könnte, wenn man da ein altes Bauernhaus hätte.

Das Blinken des tote-Winkel-Assistenten hat sich in meinem linken Auge derartig in mein Gehirn gefressen

Sinnvollerweise befindet sich neben dem Höhenmesser auch ein Kompass, falls das Navi versagt oder von den Karpaten keine Karte hat. Da kann man dann immer noch nach Himmelsrichtung fahren, sofern man keinen sehr starken Magneten im Auto hat. Aber wer fährt auch mit einem sehr starken Magneten durch die Gegend?

Auch hübsch: Die Frontkamera. Heckkamera kennt man, die haben so einen roten Streifen, der den Aufprallpunkt der Anhängerkupplung präzise anzeigt und bei dem man nach der Nutzung feststellt, dass zum Hintermann noch etwa fünf Meter Platz waren. Die Frontkamera hingegen zeigt an, an welcher Stelle sich der Einparker an das vor ihm stehende Fahrzeug andockt. Oder ob da eine Katze vor dem Kühlergrill spaziert, die noch nicht alle ihre Leben verbraucht hat. Mein dusterer Datschia hat sogar Seitenkameras, damit man, also, ehm, puuh, keine Ahnung. Aber er hat Seitenkameras. Kann eine ältere S-Klasse nicht unbedingt von sich sagen!

Gerne nutze ich den „toter-Winkel“-Assistent, der sich optisch und akustisch meldet, wenn sich ein Fahrzeug im toten Winkel des Rückspiegels befindet und es deswegen riskant wäre, nach links zu ziehen. Aber abgesehen von der Tatsache, dass es mit meinem Spitzenprodukt automobiler rumänischer Ingenieurskunst nur sehr wenige Situationen gibt, in denen ich „nach links“ ziehen könnte (die gibt es eigentlich nur beim Ausweichen vor ruhendem Verkehr), blinkts und fiepts auf der Autobahn regelmäßig, wenn schnellere Fahrzeuge an mir wie Wolken an einem windigen Sommertag vorbeiziehen. Und das sind fast 95 Prozent aller Fahrzeuge auf Deutschlands zu Tode geschwindigkeitsbegrenzten Straßen. Das Blinken des tote-Winkel-Assistenten in meinem linken Auge hat sich derartig in mein Gehirn gefressen, dass ich es sogar am heimischen Küchentisch sehe, wenn sich mir jemand von links nähert.

„Du fährst wie ein Idiot“

Daneben gibt es noch viele weitere Assistenten, wie den Brems-Assistenten, den ABS-Assistenten, den Ad-Blue-Assistenten, den Notruf-Assistenten, den Airbag-Assistenten und sicher viele weitere Assistenten, die in den Untiefen der Elektronik noch ihrer Entdeckung harren.

Ganz charmant finde ich übrigens den Fahrzeugplatzassistenten, der mir anzeigt, wie viele Personen sich im Fahrzeug befinden und wo sie sitzen. Nur, falls ich mich frage, warum der Öko-Fahrmodus-Assistent mir plötzlich 0,25 Liter höheren Dieselkraftstoffverbrauch anzeigt oder ich zu doof bin, um bis maximal Fünf zu zählen. Wenn Sie also richtig Action haben wollen, dann schnallen Sie sich nicht an, fahren hart rechts am Seitenstreifen mit gezogener Handbremse und offener Heckklappe mehr als die zulässige Höchstgeschwindigkeit und bringen Sie die Elektronik zum hysterischen Ausrasten.

Alternativ leihe ich Ihnen den Schatz als Beifahrerin, der greift auch mal beherzt in den Lenker oder sorgt mit einem völlig grundlosen lauten Aufschrei wie „ACHTUNG!“ für erfrischende Aufmerksamkeitsmomente auf langweiligen Strecken. Daneben erhalten Sie in Echtzeit Erkenntnisse und fachliche Auswertungen („Du fährst wie ein Idiot“) über Ihre Fahrweise und warum „die nächste links“ auch „die nächste rechts“ bedeuten kann, was selbstverständlich Ihre Schuld ist. Außerdem aber kann mir meine menschliche Fahr-Assistentin, Navigatorin und Co-Piloten, aber auch Stewardess auf Anforderung Kaffee, Obst, Gebäck und liebevoll geschnittene Rohkost während des Fahrens reichen. So weit sind Renno und Datschia dann leider doch noch nicht! Aber: Die lassen mich den Radiosender aussuchen. Das wiederum kann der Schatz noch nicht. 

(Weitere Warnmeldungen des Autors unter http://www.politticker.de

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

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W.Schneider / 24.05.2025

Vielen Dank,  lieber Herr Schneider,  für diesen tröstlich Artikel! Ich bin also nicht allein,  dass ich mich an den diversen Mahnorgien meines neuen Fahrzeuges nicht so recht gewöhnen kann, wenn ich statt der erlaubten Höchstgeschwindigkeit nur kurz etwas schneller bin, Aufforderungen zu Kaffeepausen, Übernahme der Lenkung etc. erhalte. Ich vermisse nur das Warnsignal, wenn sich eine Möwe im Sturzflug auf der Motorhaube meines Autos rektal erleichtert. Schade eigentlich.  

W. Renner / 24.05.2025

Und dabei zeigt er noch nicht mal die G-Kräfte in der Tempo 30 Zone und die Bodenfrostwarnung für die Antarktis an …

Lutz Herrmann / 24.05.2025

Der Spurhalteassistent wollte meinen Leihwagen mal in eine Baustelle lenken.. VW-Technik ist lebensgefährlich.

Heinerich Knapp / 24.05.2025

Herrlich !  Ganz lustig wird es mit SHA ( Spur-Halte-Assistent)  bei guter Fahrbahnmarkierung eine Kurve im Autonom-Modus zu fahren…....

Else Schrammen / 24.05.2025

Und der Front-Kamera-Ansage-Assistent teilt dann mit: Der Anstand zum vorausfahrenden Fahrzeug beträgt 10 m; 7 m; 5 m; 2 m; -1 m!

Wolf Hagen / 24.05.2025

Während ich den Artikel amüsiert lese, läuft nebenbei auf dem History-Channel, eine Doku über die neusten Erkenntnisse in Sachen UFO/UAPs. In Verbindung mit der “Enterprise”, dem “Roten Alarm” und zwei Gläsern roten Weines, komme ich zu bahnbrechenden Erkenntnissen! Wenn technologischer Fortschritt sich in Blinken, Piepen und Geplapper diverser Assistenten messen lässt, dann weiß ich jetzt auch, warum die “fliegenden Untertassen”, trotz viel fortschrittlicher Technik, andauernd auf der Erde abstürzen. Nachdem die Alien-Piloten, ein paar hundert Lichtjahre, in ein paar Minuten, und relativer Ruhe durchflogen haben, schreit der “Alien-Schatz” plötzlich: “X#1!grpf, Du fliegst wie ein Idiot! Da vorne ist Deutschland! Da sollen wir nicht drüber fliegen, die sind völlig wahnsinnig und niemand weiß, ob das nicht ansteckend ist!” Worauf dann X#1!grpf technisch überlegen antwortet: “Ach Schatz, wir könnten denen den Reichstag, ohne Tarnung, mit Photonentorpedos und Laser-Guns zusammenschießen und die würden trotzdem nicht an Aliens glauben, sondern etwas von Klimawandel und rechtem Terror schwafeln und irgendeine Steuer erhöhen, oder ein Gesetz zum gendergerechten Beschuss des Parlaments erlassen. Also chill mal” Der Alien-Schatz ist nicht überzeugt und greift daher beherzt ins UFO-Lenkrad, der UFO-Spurassistent piepst verärgert, X#1!grpf tritt erschreckt auf die UFO-Bremse, welche natürlich sofort aufjault und unterschreitet so die imperiale Mindestgeschwindigkeit von Mach1, womit er den Warp-Antrieb abwürgt, weshalb der Warp-Assistent warnend das “Star Wars”-Theme abspielt und die Landeklappen ausfährt. Schon ist man versehentlich über Berlin und von unten schallt es “Alerta, Alerta, Antiverschissda!” X#1!grpf hält dies aber für den ziemlich ähnlich klingenden Warp-Kern-Bruch-Alarm und zieht den Schleudersitz… zack Absturz! Noch Fragen?! Nein! HEUREKA!

Franz Klar / 24.05.2025

Deswegen ist in heutigen Autos der Elektromotor noch das geringste Problem . Je teurer , desto häßlicher übrigens die “Cockpits” . Der Niedergang der Automobilindustrie hat schon Gründe ...

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