Tagelang war das Gespräch von Alice Weidel mit Elon Musk hierzulande Gegenstand heftiger Debatten, doch heraus kam eine unvorbereitet wirkende Harmlosigkeit. Interessiert das ein internationales Publikum? Oliver Haynold blickt aus den USA auf diesen Dialog.
Politik, Bürokratie und Qualitätspresse wüteten in schwersten Gewitterstürmen; X vormals Twitter kreißte und gebar eine Maus. Am gestrigen Abend redete Alice Weidel mit Elon Musk, und das Gespräch blieb eine unvorbereitet wirkende Harmlosigkeit, an der eigentlich das Muffensausen der politischen Klasse das Bemerkenswerteste ist.
Ich hatte vor diesem Gespräch schon das Schlimmste erwartet, denn am Epiphanistag erschien ein Artikel Weidels in dem Magazin The American Conservative, der nichts Gutes versprach. Wo sie sich den Amerikanern als pragmatische Politikerin, die die Sachthemen bearbeitet, hätte vorstellen können, verstieg sich Weidel bis in die wackeligsten Äste des deutschen Idealismus. Während man einen Björn Höcke als stark gekürzte Reclamausgabe Ernst Noltes zum Gebrauch im Gymnasialunterricht kennt und er seiner Partei damit keinen Gefallen tut, erwartete man von Weidel pragmatische, konservative oder liberale Politik ohne Erschrecken und wurde enttäuscht.
Irgendein Teufel ritt Weidel, die Deutschen als „Sklaven“ der Vereinigten Staaten zu sehen, denen als solche aber das Privileg zukomme, dass ihnen nicht zugemutet werden könne zu kämpfen, denn sie hätten sich ohnehin bereits von der Geschichte verabschiedet. Diese Sklaverei sei zum Vorteil der Vereinigten Staaten, aber die Deutschen würden jedenfalls auf individueller Ebene auch profitieren. Würde man aber die „unfreien“ Deutschen zum Kämpfen motivieren, dann würden sie „Freiheit als Lohn verlangen“ und „ihr eigenes Glück suchen.“ Die Deutschen seien „ein besiegtes Volk.“ Gleichzeitig würden die Amerikaner zwischen Imperialismus und Isolationismus schwanken, damit keine guten Herren der Sklaven sein.
Hinter die Fichte geführt
Wie genau die Amerikaner die Deutschen versklavten, blieb dabei offen, aber jedenfalls ist ausgeübter oder wenigstens glaubhaft angedrohter Zwang doch ein wesentliches Kennzeichen von Sklaverei, wodurch sie sich wesentlich von einer Partnerschaft unterscheidet. Am ehesten kommt der Wendung vom „besiegten Volk“ nach noch ein von Weidel aber nicht so benannter „Schuldkult“ in Betracht, bei dem aber auch offen bleibt, warum die Amerikaner für ihn verantwortlich sein sollen. Ebenso offen bleibt, worin das „eigene Glück“ der Deutschen, an dem die Amerikaner sie hinderten, eigentlich bestehen solle. Am ehesten wohl noch, nach Weidels Verweisen auf „Nord Stream und unsere Energieversorgung“, im Bezug von russischem Gas, was als höchste Stufe nationaler Selbstentfaltung eher unambitioniert wirkt.
All dies verknüpfte Weidel dann auch noch mit einem Zitat aus Johann Gottlieb Fichtes Reden an die Deutsche Nation für die Extraportion Intellektualität und Pathos, ohne dann aber weiter auf die vorwiegend erziehungstheoretischen Ausführungen dieses Werkes einzugehen. Auch wie Fichtes Vision des Friedens durch Ethnopluralismus mit Sozialismus, Planwirtschaft, ökonomischer Abschottung und Devisenbesitzverbot in Der Geschlossene Handelsstaat mit einer konservativen oder liberalen oder gar libertären Politik oder auch nur mit dem Bezug russischen Gases vereinbar sein könnte, blieb offen.
„Sklaven kämpfen nicht“
Gleichzeitig äußerte Weidel aber auch erwartungsvolle Neugier auf die Ausrichtung der NATO unter Donald Trumps Präsidentschaft. Auch dabei blieb aber die offensichtliche Frage offen, und Weidels Interviewpartner hat sie nicht gestellt, ob eine Kanzlerin Weidel auf den Wunsch Trumps nach einer vereinbarungsgemäßen Leistung Deutschlands in der NATO mit ihrem Satz antworten würde: „Sklaven kämpfen nicht.“
Die Vorzeichen standen nach Weidels Marsch hinter die Fichte also schlecht, aber ihr Gespräch mit Musk plätscherte dafür um so harmloser vor sich hin, eine Mischung aus Benennung offensichtlicher Probleme, welche die Kartellparteien nicht angehen wollen oder können, und gegen Ende human-interest Diskussionen buchstäblich über Gott und die Welt und das Weltall.
Das Gespräch war als lockere Konversation geplant. Für eine Kanzlerkandidatin der zweitstärksten Partei sollte aber eine reichweitenstarke lockere Konversation natürlich eine Wahlkampfveranstaltung sein, genau wie ein Interview in einem ausländischen Politikmagazin. Die Kandidatin hätte allen Anreiz, bei den Kernaussagen – on message, wie der Amerikaner sagt – zu bleiben, was natürlich voraussetzt, dass diese Kernaussagen erstens klar definiert wurden und zweitens ihre Formulierung eingeübt wurde. Gemessen an diesem Anspruch wirkte Weidel seltsam unvorbereitet, genauso wie ihr Interview in The American Conservative an diesem Anspruch gemessen taktisch noch mehr daneben war als inhaltlich.
Merkel erste grüne Kanzlerin
Vorbereitung auf das Übermitteln der Kernaussagen empfiehlt sich um so mehr, wenn man eine freie Konversation von mehr als einer Stunde in einer Fremdsprache führen will. Sprachlich schlug Weidel sich deutlich besser, als man es von der großen Mehrzahl deutscher Politiker erwarten würde, und schon der Mut, ein reichweitenstarkes freies Gespräch dieser Länge in einer Fremdsprache zu führen, zeichnet Weidel aus. Hier und da gab es Probleme mit Nuancen, so als Weidel eine eigentlich offensichtliche Einladung, dem ausländischen Publikum einfach ihre Sympathie und Anerkennung Israels zu bekunden, zunächst als Frage nach einer Lösung des Nahostkonflikts missverstand. Um so mehr überrascht aber, dass sie auch auf offensichtlich zu erwartende Fragen nicht recht vorbereitet wirkte.
Schon auf die erste Frage, ihre Partei kurz vorzustellen, fing Weidel damit an, was die AfD nicht wolle. Merkel als „erste grüne Kanzlerin“ habe mit ihrer Flüchtlings- und Energiepolitik „unser Land ruiniert.“ Erst nachdem Musk wesentlich beredter als Weidel erklärt hatte, dass es mit Sonne und Wind als Energieträger alleine nicht geht und fossile Energieträge und insbesondere Kernenergie unverzichtbar seien, gab Weidel als ersten positiven Inhalt ihrer Partei „Diversifikation der Energieversorgung“ an. Auch darin formulierte dann Musk das Programm und Weidel bestätigte mit „ja, absolut.“
Einer der einfachsten Tests, ob eine quantitative Überlegung einigermaßen durchdacht und durchgerechnet ist, liegt in der Überprüfung der Einheiten. Daraus wurde bei Weidel leider nichts, so wenig wie im Kanzleramt. Das Kernkraftwerk Emsland hätte „Zehn Milliarden Kilowatt pro Stunde“ geliefert, ein Fehler den Weidel wiederholte, auch noch als „Kilowatt pro Stunde pro Jahr“, und der Zweifel daran weckt, wie weit sie sich mit dem von ihr als erstem genannten Thema ihrer Partei wirklich befasst hat. Weidel betonte „Sie brauchen nicht sehr schlau zu sein, um ihre Berechnungen anzustellen.“ Sie mag nervös gewesen sein, sprach in einer Fremdsprache, aber warum um alles in der Welt hat sie das nicht geübt und zur Not die korrekte Angabe auf eine Karte ausgeschrieben, idealerweise in weniger sperrigen Gigawattstunden, bis es sitzt? Wer über Annalena Baerbocks Kobolde berechtigt witzelt, der sollte es korrekt draufhaben.
Konservativ oder libertär?
Es dauerte dann elf Minuten bis Musk für Weidel als wesentliche Ziele der AfD „eine vernünftige Energiepolitik und vernünftige Einwanderungspolitik“ angab. Das hätte die Kanzlerkandidatin eigentlich so im ersten Satz sagen können. Weidel reagierte darauf dann mit der Aussage, dass es eine „völlig neue Situation für mich“ sei, dass sie einmal ausreden dürfe und nicht aufs rechte Sünderbänkchen gesetzt wurde, eine Situation, auf die sie leider nicht recht vorbereitet wirkte.
Dann hat Weidel ihre Partei als „konservativ-libertär“ eingeordnet, ohne das aber von ihrem öfter verwendeten „konservativ-liberal“ abzugrenzen. Ist dieser sprachliche Wandel nun eine programmatische Änderung in der AfD, eine Anbiederung an den gelegentlich als libertär bezeichneten Elon Musk, oder ein verunglückter Versuch, die Zweideutigkeit des Wortes ‚liberal‘ im amerikanischen Politikbetrieb zu vermeiden, wo sich als Übersetzung des deutschen ‚liberal‘ eher ‚classically liberal‘ anbietet als ‚libertarian‘? Jedenfalls solle Bürokratie abgebaut werden, mit der Musk schon seine eigenen Erfahrungen gemacht hatte. Steuern sollten ebenfalls gesenkt werden, allerdings ohne rechte Erklärung der entsprechenden Ausgabensenkungen. Die Bildung solle verbessert werden, mit einer Rückbesinnung auf Deutsch und Rechnen.
Wer Wechsel will, muss Wechsel wählen!
Weidel und Musk sprachen die Verrücktheit an, dass man in ihre jeweiligen Länder und Sozialsysteme einfach durch illegale Einreise und Vernichten von Identitätsdokumenten dauerhaft einwandern könne. Eine wirkliche Erklärung, wie man das abstellen könne, insbesondere unter den Bedingungen des Schengenraums im Vergleich zur prinzipiell leichter zu sichernden Südgrenze der Vereinigten Staaten, blieb Weidel aber schuldig.
Musk kam dann auf die Wahl Donald Trumps zu sprechen und empfahl den Deutschen: „Wenn sie mit der Situation unglücklich sind, dann müssen sie für Wechsel stimmen, und das ist warum ich wirklich stark empfehle, dass die Menschen AfD wählen.“ Weidel sei vernünftig und schlage „nichts Empörendes“ vor – das stimmte zwar, aber sie schlug eigentlich insgesamt ziemlich wenig vor.
Auftritt Hitler
Dann brachte Weidel auch noch unforciert Hitler in die Konversation ein, woraufhin Musk ihr die Gelegenheit gab, zu erklären, warum man sich trotz der historischen Vorbelastung des Begriffs „rechts“ in Deutschland vor der AfD nicht zu fürchten brauche. Weidel, anstatt einfach den nach ihren Ausführungen bis dahin völlig plausiblen langweilig-pragmatischen oder den konservativ-liberal-oder-libertären Charakter ihrer Partei zu betonen, reagierte darauf mit einer Erklärung, dass die Nationalsozialisten gar nicht rechts, sondern links und sozialistisch gewesen seien. „Der größte Erfolg“ – wessen blieb ungesagt – im Nachkriegsdeutschland sei gewesen, „Adolf Hitler als rechts und konservativ zu etikettieren,“ während er tatsächlich „kommunistisch, sozialistisch“ gewesen sei.
Das ist zwar nicht ganz falsch: Der revolutionäre Totalitarismus des Nationalsozialismus ist natürlich das Gegenteil von konservativ, die Nationalsozialisten sahen sich äquidistant von „Rotfront und Reaktion“, und die Ideengeschichte des Faschismus fängt im Scheitern des Marxismus an. Darüber könnte man Vorlesungen halten. Aber wie um alles in der Welt kommt eine Kanzlerkandidatin einer konservativen Partei in einem Gespräch zur Wahlbewerbung auf die Idee, von sich aus Hitler ins Gespräch zu bringen, anstatt sich auf die Inhalte ihrer Partei zu konzentrieren?
Die AfD sei eine „libertär-konservative“ Partei – also diesmal mit Umkehrung der Adjektive – und „Wir wollen die Menschen vom Staat befreien.“ Das ist zwar in der Tat ein maximaler Gegensatz zum Nationalsozialismus, aber schon in einem Spannungsverhältnis mit dem sonst benannten „konservativ-liberalen“ Charakter der Partei und jedenfalls äußerst schwer mit Johann Gottlieb Fichte als Ideengeber zu verknüpfen, wonach Musk zu Weidels Glück auch nicht fragte.
Gott und Raketen
Zum Krieg in der Ukraine fiel Weidel nur ein, dass es ihre Hoffnung sei, dass die Trump-Regierung, und „ihre“ – also Musks – „Regierung“ ihn beenden würden, denn „nur sie können ihn beenden.“ Die europäischen Mächte hätten keine Strategie. Weidel allerdings auch nicht. Sie fragte Musk, wie die Amerikaner das machen würden. Darauf konnte Musk natürlich nur antworten, dass er nicht für Trump sprechen könne. Allerdings bewirbt Musk sich im Gegensatz zu Weidel auch nicht um ein Amt als Regierungschef.
Die letzte Viertelstunde ihres Gesprächs behandelten Weidel und Musk Raumfahrt, die interplanetare Zukunft der Menschheit und Religion, wozu Musk einige Dinge zu sagen hatte, Weidel eher nicht.
Insgesamt wirkte Musk wesentlich eloquenter und durchdachter als Weidel, die eine Chance ungenutzt verstreichen ließ. Wohl war sie erfolgreich damit, zu kommunizieren, dass sie und ihre Partei keine Nazis seien, aber das ist selbstverständliche Voraussetzung und für sich allein kaum eine Wahlempfehlung. Ansonsten wirkte sie aber unvorbereitet, als ob ihr diese Gelegenheit gar nicht wichtig gewesen wäre. Musk musste ihre beiden Punkte – Energie- und Einwanderungspolitik – für Weidel zusammenfassen und ausführen, und Musk musste Wahlkampf für Weidel machen, wo das eigentlich zuvorderst ihre eigene Aufgabe gewesen wäre.
Blauer Besenstiel
Man sollte sich eigentlich leicht darüber einig sein, dass eine Energiepolitik die gleichzeitig zu dramatischer Energieknappheit, extremen Preisen und weiterhin hohen Treibhausgasemissionen führt, krachend gescheitert ist. Ebenso sollte man sich eigentlich leicht darüber einig sein, dass eine Einwanderungspolitik, die Einwanderung in Land und Sozialsysteme genau dann erlaubt und fördert, wenn sie illegal erfolgt, krachend gescheitert ist. Wenn der Bundeskanzler verkündet, es müsse endlich im großen Stil abgeschoben werden, dann ist man sich darüber wohl sogar einig. Die Benennung der Probleme ist nicht die Schwierigkeit.
Diesen Problemen und der Unfähigkeit der Kartellparteien, sie anzugehen, entspricht eine Wechselstimmung, in der sich in einer Umfrage 14 Prozent der Befragten mit der Arbeit der Regierung Scholz zufrieden äußern, 85 Prozent unzufrieden. Der aussichtsreichste Kanzlerkandidat hat ohne Not durch den totalen Ausschluss einer Koalitionsoption und Verzicht auf eine zweite sich mehr oder minder auf eine große Koalition und damit die wesentlich unveränderte Fortsetzung dieser Probleme festgelegt. Eigentlich sollte in dieser Situation selbst ein blau angestrichener Besenstiel gute Wahlaussichten haben.
Vielleicht war Alice Weidel wirklich seelisch nicht auf eine Situation vorbereitet, in der sie sagen konnte und durfte, was sie und ihre Partei wollen, ohne andauernd unterbrochen und angeblich entlarvt zu werden. Vielleicht hatte sie ernsthafte Vorbereitung bisher nicht nötig, weil man sie ohnehin nie ausreden lässt. Vielleicht hat sie ohnehin keine Hoffnung auf das Kanzleramt. So blieb es beim Austausch von Harmlosigkeiten, bei denen Elon Musk eindeutig als der stärkere und interessantere Gesprächspartner erschien, und bei unforcierten Fehlern Weidels. Und wegen dieses harmlosen Gesprächs saust der politischen Klasse derartig die Muffe, dass laut Politico bis zu 150 EU-Bürokraten auf die Auffindung irgendwelcher rechtlicher Handhaben dagegen angesetzt worden sein sollen und der Bundestag ein Gespräch als verbotene Parteispende prüft.
Redaktioneller Hinweis: Lesen Sie hier transkribierte und übersetzte Passagen aus dem Gespräch von Alice Weidel mit Elon Musk. Damit sie sich auch selbst ein Bild machen können.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.