Johannes Eisleben / 13.11.2019 / 06:25 / Foto: Jonathunder / 32 / Seite ausdrucken

Aktueller Beipackzettel zur Pharmaindustrie

In der hochverdichteten Industriegesellschaft leben pro bewirtschaftetem Hektar Land so viele Menschen wie nie zuvor. Die von uns seit dem 17. Jahrhundert, als der Übergang vom Agrarzeitalter zum Zeitalter der Industrialisierung begann, errichtete Technosphäre versorgt die Menschen mit Trinkwasser, Nahrung, Wohnungen, Energie, Kleidung, Mobilität, Kommunikation sowie vielen Konsumgütern und Dienstleistungen. Für Menschen der ersten und zweiten Welt ist die Versorgung so gut, dass sie sogar an Zivilisationskrankheiten leiden – Krankheiten, die durch Überfluss entstehen. Durch diese erstklassige Versorgungslage werden uns zahlreiche Leiden erspart, die die Menschheit vor der industriellen Revolution erdulden musste. Mangelernährung, Hunger, Tod durch Erfrieren oder Seuchen sind aus unserem Leben weitgehend verschwunden. Wenn wir krank werden, bekommen wir oft eine Versorgung, durch deren Hilfe wir zumindest gut weiterleben können. Die Hintergrunderfüllung, die unbewusste Sicherheit der allermeisten Menschen, mit dem Lebensnotwendigen stets bestens versorgt zu sein, ist so hoch wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.

Dennoch lesen und hören wir in unserem Leitmedien ständig, wie gefährlich unser Leben in der Technosphäre ist. Wir erleben einen Kulturpessimismus, der sich in radikaler Nachfolge Martin Heideggers gegen die fundamentalen Errungenschaften unserer Zivilisation wendet: Unsere Nahrung soll furchtbar ungesund, unsere Luft voller Gift und unser Wasser nicht sauber genug, sondern voller Mikroplastik sein. Der Medienkonsum soll uns verblöden und willenlos machen, uns in die Seinsvergessenheit führen. Transport und Logistik, Heizung, Stromverbrauch sowie Industrie- und Fleischproduktion gefährde die Homöostase des Weltklimas, was zu einer Art Armageddon (Offenbarung des Johannes und G. Thunberg) führen werde. Die moderne Agrartechnologie sei zerstörerisch und sinnlos. Die Umwelt werde mit Giften und Müll vernichtet. Kurz: Unsere Lebensweise sei mit dem Überleben unserer Spezies unvereinbar. Deswegen sei eine Deindustrialisierung, eine Rückkehr zur Agrarkultur erforderlich, damit die Menschheit überleben könne.

Wirklich? Betrachten wir heute einmal die Pharmaindustrie, die die Aufgabe hat, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Wie eigentlich alle Industriebranchen steht sie unter massiver Kritik seitens unserer Medien. Was ist da dran? 

Seit dem Contergan-Skandal von 1961/62 wird immer wieder massive Kritik an der Branche geübt. Doch was ist ihre Rolle, wie werden die Arzneimittel erfunden, erforscht, hergestellt und verteilt, wer lebt davon? Wem gehören die Pharmakonzerne? Gibt es Alternativen zum heutigen Status dieser Industrie? Schauen wir uns die wesentlichen Aspekte an und beginnen mit den Basisfakten, bevor wir uns der Kritik widmen.

Die Entwicklung neuer Pharmaka ist sehr teuer und riskant

Weltweit haben Pharmaunternehmen 2018 Arzneimittel im Wert von 844 Milliarden US-Dollar verkauft, das ist etwa 1 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in diesem Jahr. Davon wurden etwa 9 Prozent durch Pharmaka ohne Patentschutz (sogenannte Generika) und knapp 91 Prozent durch solche mit Patentschutz (sogenannte Originalpräparate) erwirtschaftet. Die Generika schulterten in Deutschland 2017, wo sie 9,2 Prozent der Pharmakosten ausmachten, knapp 80 Prozent der Versorgungsleistung. Die Pharmaindustrie versorgt uns also in erster Linie mit Medikamenten, die es schon länger als 20 Jahre gibt, denn so lange währt der Patentschutz von der Patentbewilligung bis zum Ablauf des Patents. Doch erhält sie dafür weniger als 10 Prozent ihres Umsatzes. Wie ist das zu verstehen?

Einerseits versorgen Pharmafirmen die Bevölkerung mit Basismedikamenten, die es teilweise, wie Acetylsalicylsäure (Aspirin) oder Morphium, schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in pharmakologischer Form gibt. Dies tun sie mit Generika. Andererseits erforschen und entwickeln sie neue Arzneimittel, um Krankheiten besser zu behandeln oder Krankheiten behandeln zu können, für die es heute noch keine Therapie gibt. Wenn sie in ihrer Forschungstätigkeit Wirkstoffe (Moleküle oder neuerdings auch Molekülgruppen) erfinden oder entdecken, die es vorher noch nicht gab, melden sie diese beim Patentamt an. Von der Patenterteilung bis zur Marktreife und der Vermarktungszulassung durch die entsprechenden Behörden dauert es dann noch 7 bis 9 Jahre, im Durchschnitt genießen die Wirkstoffe dann 12 Jahre lang Patentschutz, der durch allerlei Tricks manchmal noch um bis zu zwei Jahre verlängert werden kann. Wirkstoffe lassen sich oftmals in Wirkstoffklassen gruppieren, deren Mitglieder strukturell oder pharmakologisch sehr ähnlich sind und wirken. Es konkurrieren meistens mehrere Pharmafirmen in einer Wirkstoffklasse untereinander. Die Patente für die Wirkstoffe der Klasse werden oft in einem Intervall von etwa 1 bis 6 Jahren erteilt und sind auf mehrere Firmen verteilt. Darin bildet sich ab, dass die Firmen weltweit stets zu ähnlichen Themen und mit ähnlichen Verfahren in Konkurrenz zueinander forschen – eine segensreiche Wirkung des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft.

Die Erforschung und Entwicklung neuer Pharmaka ist sehr teuer und riskant. Die Kosten liegen je nach Art des Moleküls zwischen 500 Millionen und 5 Milliarden US-Dollar pro Medikament (je nachdem, ob man gescheiterte Entwicklungsversuche, die häufig sind, einrechnet). Davon werden die Entdeckung des Moleküls, die Tierversuche und die exorbitant teuren klinischen Studien bezahlt, die benötigt werden, um die klinische Wirksamkeit der Pharmaka und ein akzeptables Verhältnis von Nutzen zu Schäden (toxischen Nebenwirkungen) nachzuweisen. Je später die klinische Entwicklung scheitert, weil das Medikament nicht wirksam genug oder zu toxisch ist, desto höher ist die Abschreibung. Dabei sind Biopharmaka deutlich teurer zu erforschen und entwickeln als klassische kleine, chemisch synthetisierte Moleküle wie Lidocain oder Diazepam (Valium).

Biopharmaka sind riesige Moleküle: Oft monoklonale Antikörper wie Ilumetri oder gentechnisch veränderte Viren (bioaktive Molekülgruppen) wie TVEC. Nicht nur die Forschungs- und Entwicklungskosten sind dabei höher als bei den klassischen chemischen Pharmaka, auch die Produktion und Distribution ist teurer. Obwohl sie nur einen kleinen Teil der therapeutischen Gesamtlast tragen, wurden 2018 mindestens 243 Milliarden (knapp 30 Prozent der Umsätze) mit Biopharmazeutika erwirtschaftet. Dies liegt daran, dass die Firmen bei ihnen höhere Preise verlangen müssen, damit sich der Forschungsaufwand lohnt.

In der Lage, sehr hohe Preise durchzusetzen

Die Patentinhaber der Wirkstoffe einer Klasse bilden ein Oligopol und sind in der Lage, je nach Wirksamkeit und Häufigkeit der Krankheit sehr hohe Preise durchzusetzen. Für seltene Erkrankungen können Jahrestherapiekosten von mehreren hunderttausend USD fällig werden. Insgesamt sind die Preise so hoch, dass die Firmen in der Regel eine Eigenkapitalrentabilität von 15 bis 20 Prozent erreichen – ein vergleichsweise hoher, aber im Inter-Branchenvergleich nicht maximaler Wert.

Abgesehen von den USA bilden die Preise sich in den meisten Ländern nicht – wie etwa Mieten oder Brotpreise – am freien Markt durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, sondern sind staatlich reguliert. Über die Preishöhe verhandeln die Firmen nach der staatlichen Marktzulassung durch Behörden wie FDA oder EMA, die vor allem auf Wirksamkeit und Verträglichkeit schauen, in den meisten Ländern mit sogenannten Health Technology Assessment Institutionen. Die legen den Preisrahmen in Abhängigkeit vom Zusatznutzen des Medikaments staatlich fest – in Deutschland beispielsweise durch das IQWiG. In den USA entscheiden die Versicherer, ob sie zum Listenpreis der Pharmaka eine Erstattung vornehmen. Tun sie dies nicht, sind neue Pharmaka von den allermeisten Patienten nicht bezahlbar.

Die wichtigsten seriösen Kritikpunkte an der Pharmaindustrie lauten:

• Die Industrie verschleiße bei der Erforschung neuer Moleküle zu viele Tiere, man solle die Tierversuche unterbinden

• Bei der Forschung werde durch unlautere Methoden der Nutzen übertrieben und die Toxizität heruntergespielt, um die Zulassung bei hohen Preisen zu erhalten

• Bei der Herstellung gäbe es Qualitätsmängel, die zu unsicheren Arzneien führten

• Die Preise für Originalpräparate seien zu hoch

• Die Ausgaben für Vermarktung seien im Verhältnis zu den Forschungsausgaben zu hoch, das werde in unzulässiger Weise auf die Versichertengemeinschaft umgelegt

• Es würden Pharmaka mit hohem Suchtpotenzial bewusst übermäßig vermarktet, um an abhängigen Patienten zu verdienen

• Die Industrie ist zu sehr auf wenige gigantische Firmen konzentriert, deren Anteile wiederum stark konzentriert sind

Was ist da dran?

Versuch, Irrtum und Profit

Es stimmt, dass bei der Erforschung von neuem Arzneimittel viele Tiere getötet werden, um die Wirkungsweise des Wirkstoffs im Modellorganismus zu verstehen und auch die Toxizität abschätzen zu können. Auf das Tiermodell kann aber nicht verzichtet werden, da die Wirkung eines Pharmakons auf das komplexe System des Organismus sich der mathematischen Modellierung weitgehend entzieht. Würde auf Tierversuche verzichtet, hätten wir eben Menschenversuche mit vielen Toten durchzuführen. In unserem Wertesystem ist das Leben eines Menschen von anderem Stellenwert als das eines Tieres. Dies ist auch nicht verwunderlich, da Tiere dem Menschen als natürliche Nahrung dienen. Der Verzicht auf Tiere als wesentliche Ernährungskomponente ist unphysiologisch. Wie bei der Tierzucht zur Nahrungsmittelproduktion ist bei Tierversuchen allerdings darauf zu achten, dass die Geschöpfe nicht unnötig leiden. Dies ist in der Pharmaforschung heute gängige Praxis.

Die Pharmaindustrie versucht ihre klinischen Studien (Versuche an wenigen gesunden und dann an tausenden kranken Menschen) in der Tat so zu gestalten und durchzuführen, dass der Nutzen besonders gut und die Risiken gering erscheinen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Tricks, beispielsweise die Nutzung von Surrogatparametern wie Blutdruck statt der klinischen Wirkung des Pharmakons auf die Atherosklerose (Blutgefäßwanddegeneration) oder den Versuch, Nebenwirkungen zu verharmlosen. Wie andere Unternehmen versuchen sie eben mit allen Mitteln, den Gewinn zu maximieren. Daher hat sich eine riesige Bürokratie entwickelt, und die Vorgehensweise der Industrie auf Schritt und Tritt zu kontrollieren.

Es hat nach dem Contergan-Skandal immer wieder weitere Skandale rund um Wirksamkeit und Toxizität gegeben. Beispielsweise hat sich nach 20 Jahren der Verschreibung von SSRI-Antidepressiva im Wert von mehreren hundert Milliarden USD gezeigt, dass diese für die allermeisten Patienten nur Nebenwirkungen brachten und nur einem Bruchteil der schwerkranken Patienten wirklich halfen – man hätte die Indikation für die Verschreibung also viel strenger stellen müssen. Dann wäre aber weniger verdient worden.

Insgesamt funktioniert die staatliche Kontrolle ganz gut, aber die Pharmaleute sind clever und denken sich immer neue Kniffe aus. Echte Kriminalität gibt es auch, sie ist aber sehr selten. Doch es ist klar, dass die Industrie immer wieder großartige Innovationen hervorbringt, wie beispielsweise die TNF-alpha-Inhibitoren, die die Rheumatherapie zugunsten der Patienten revolutioniert haben.

Qualitätsmängel

Schlechte Produktionsqualität gibt es, wie bei allen Branchen, auch in der Pharmaindustrie. Die Konsequenzen können dramatisch sein, wenn dadurch Menschen vergiftet werden. Daher ist die staatliche Produktionskontrolle sehr breit und tief angelegt. Schlechte Qualität gibt es aber immer wieder, besonders bei Pharmaka, die in Schwellenländern hergestellt werden. Dem Endnutzer ist zu empfehlen, keine Importe aus solchen Ländern einzunehmen, sondern auf Präparate aus OECD-Ländern zuzugreifen, wo Qualitätsprobleme selten sind.

Die Tatsache, dass durch die Originalpräparate, die nur 20 Prozent der Versorgungsleistung erbringen, 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet werden, führt immer wieder zu Erregung. Doch wären die weltweiten Preise für patentgeschützte Pharmaka niedriger, wären die Unternehmen nicht mehr bereit, Geld für die Erforschung neuer Pharmaka aufzuwenden, da deren Forschung und Entwicklung, wie wir gesehen haben, sehr teuer und riskant ist. Ohne Risikoprämie wird aber kein Unternehmen das Risiko tragen. Möchten wir weiterhin innovative Arzneimittel erhalten und Krankheiten therapeutisch angehen, die bisher schlecht oder nicht behandelbar sind, müssen wir auch den Preis dafür zahlen.

Dass die Preisbildung selbst in den USA nicht ganz frei erfolgt, liegt daran, dass der Markt für Arzneimittel kein typischer Markt ist. Denn hier zahlen die Nachfrager (Patienten) nicht direkt das Angebot (die Pharmaka), sondern private oder staatliche Versicherer aggregieren über die Beiträge der Versicherten eine Gesamtnachfragekraft. Daher verhandeln auch letztlich die Versicherer mit der Pharmaindustrie über die zu zahlenden Preise. In Deutschland tun dies die gesetzlichen Krankenkassen im G-BA, der auch das oben genannte IQWiG beauftragt. Zwar versuchen sie, die Preise zu drücken, doch stehen sie gleichzeitig unter Druck, Innovationen einzuführen. Daher kommen auch hohe Preise zustande, wenn die neuen Produkte genug Nutzen stiften.

Vermarktung und Marktversagen

Pharmakonzerne, die Originalpharmaka herstellen, geben etwa 10 bis 20 Prozent ihres Umsatzes für die Produktion und 25 bis 30 Prozent für Vertrieb aus, aber nur 15 bis 20 Prozent für Forschung und Entwicklung. Vertrieb ist also der größte Einzelposten, Ein Viertel bis ein Drittel des von den Versicherungen bezahlten Preises gehen in Vertrieb! Dieser Anteil wird immer wieder stark kritisiert. Zwar ist es in vielen Branchen üblich, einen bedeutenden Teil des Umsatzes für Vertrieb auszugeben, doch erscheint die Quote vielen bei der Pharmaindustrie als skandalös, weil das Geld ja von den Krankenversicherungen bezahlt wird. Wie sähe die Welt der Arzneimittel aus, wenn es stattdessen in Forschung und Entwicklung flösse? Einige Innovationen kämen vielleicht früher, die meisten jedoch nicht, da die Industrie vom fundamentalen Forschungsfortschritt abhängig ist, der nicht allein durch ihre Ausgaben beeinflusst werden kann.

Zurück zur den Ausgaben: Einerseits müssen die Firmen Vertrieb machen können, um sich gegen ihre Wettbewerber durchsetzen zu können – ohne Vertrieb gibt es keine Marktwirtschaft, jeder kann schon auf dem Wochenmarkt beobachten, wie an den Marktständen die Waren angepriesen werden. Andererseits ist es schwer verständlich, dass Versicherungsbeiträge dafür aufgewendet werden, denn für den Patienten ist es nur wichtig, dass er den passenden Wirkstoff bekommt, und nicht, wer ihn herstellt.

Das Problem könnte allenfalls durch eine staatliche Deckelung der Gesamtausgaben für Vertrieb gelöst werden – was dadurch zu rechtfertigen ist, dass wir es hier offensichtlich mit Marktversagen zu tun haben, weil der Marktmechanismus keine aus Versorgungssicht optimale Allokation der Einnahmen der Unternehmen erzeugt. Allerdings ergäben sich dann Umgehungsversuche und Probleme mit der Messung und Überwachung – wie weit man die Werbeausgaben herunterdrücken könnte, ist daher nicht klar.

Desaströse Heroin-Renaissance

Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Opioidtoten in den USA exponentiell angestiegen, die Prävalenz liegt nun bei etwa 15 Toten pro 100 Tsd. Einwohner (1999 lag sie unter 1 auf 100.000, zum Vergleich: die Prävalenz von Diabetes Typ liegt auch bei 15 auf 100.000). Seit 2010 erlebt das Heroin eine desaströse Renaissance, ein Drittel der Opioidtoten gehen auf sein Konto. Diese Opioidkrise nahm 1996 ihren Anfang, als die Firma Purdue Pharma das orale Schmerzmittel Oxycontin aggressiv vermarktete und durch intensives Lobbying eine Öffnung der Indikation zur Verschreibung für normale Schmerzzustände erreichte. Dabei ist seit den 1920er Jahren bekannt, dass sein Wirkstoff, Oxycodon, schwer abhängig macht.

Ein bekannter Oxycodon-Abhängiger war Adolf Hitler, der sich das Pharmakon intravenös spritzen ließ. Durch die Aktivitäten Purdues und anderer Anbieter, die auf den Opioid-Zug aufsprangen, wurden Millionen von Amerikanern ohne Vorwarnung und ohne eigene Schuld opioidsüchtig. Diese Krankheit ist furchtbar. Im weiteren Verlauf ausbleibende ärztliche Verschreibungen ersetzten diese Kranken durch illegale gehandelte Opioide wie Heroin oder das voll synthetische Fentanyl. So kam es zu der schrecklichen Epidemie, die weiterhin andauert und schwer einzudämmen ist.

Diese bittere Krise ist nicht die einzige Episode, bei der Pharmakonzerne Suchtmittel bewusst eingesetzt haben, um ihren Umsatz zu steigern, ähnliches geschah schon mit den suchterzeugenden Beruhigungsmittelklassen der Barbiturate (wie beispielsweise das Suizidgift von Marylin Monroe, das Pentobarbital) und Benzodiapine (wie Valium).

Wer ist hier schuld? Die Manager der involvierten Pharmakonzerne sind wahrscheinlich als echte Täter einzustufen, doch wird man sie strafrechtlich persönlich wohl nicht belangen können. Die Konzerne zahlten in den Sammelklageprozessen Strafen oder Vergleichszahlungen. Es liegt aber auch ein massives regulatorisches Versagen der US-Behörden vor – zum Vergleich: in Deutschland wurde das die Verschreibung von Opioiden regelnde Betäubungsmittelgesetz nicht aufgeweicht, so dass wir keine verschreibungsinduzierte Opiatseuche haben. Doch die Schuldigen in den Behörden werden nie belangt werden.

Konzentration, Finanzkapitalismus, Globalisierung

Die starke Konzentration der Pharmaindustrie auf große Unternehmen hat viele Gründe, die nicht für dieses Marktsegment spezifisch sind: Finanzkapitalismus, Globalisierung, hohe Investitionshürden. Die Kritik an der Konzentration ist dennoch berechtigt, da sie zur massiven Eigentumsdichotomie beiträgt, die unsere Demokratie erodiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Interessanterweise liefern die Großkonzerne vor allem die eher öden Disziplinen klinische Entwicklung, Zulassung und Vermarktung – die hochkomplexe und geistig sehr anspruchsvolle innovative Forschung, die sich heute vor allem um Biomoleküle dreht, findet in erster Linie in kleinen Firmen statt, die von den Großen gekauft werden, sobald ihre Moleküle einen gewissen Reifegrad erreichen.

Die aus der heutigen apokalyptischen Grundstimmung vorgetragene hysterische Kritik an der Pharmaindustrie ist sicherlich nicht gerechtfertigt, denn immerhin versorgt uns diese Branche zuverlässig mit lebenswichtigen und im Notfall auch lebensrettenden Medikamenten. Sie ist damit einer der großen Pfeiler der Hintergrunderfüllung, und es erscheint gerechtfertigt, dass dafür etwa ein Prozent des Brutto-Sozialproduktes aufgewendet wird. Doch wie alles Werk von Menschenhand ist auch die Pharmaindustrie und ihre staatliche Regulation fehleranfällig. “Dosis sola facit venenum” sagte Paracelsus 1538. Leider ist die toxische Dosis bei Pharmaka oftmals klein – das Wort pharmakon bedeutet auf Griechisch eben Heilsmittel und Gift. Wie jede Technologie seit dem Faustkeil ist auch die Pharmakologie Segen und Fluch zugleich – abhängig von der Art der Verwendung. Kein Anlass also zur Apokalyptik, sondern eher ein Feld der wohldurchdachten, sehr anspruchsvollen Partnerschaft zwischen Privatwirtschaft und Staat zur Grundversorgung der Menschen in unserer hochverdichteten Zivilisation.

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Leserpost

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Anders Dairie / 13.11.2019

Ich möchte, Herr EISLEBEN, wissen, welche Tatbestandsmerkmale (aus vorh. Rechtsfällen) vorhanden sein müssen, um einen Geschäftsführer einer Pharma-Firma für Verletzte oder gar Tote ,aus der Behandlung mit den Erzeugnissen seiner Firma, verurteilen zu können.  Für uns Laien ist dies kaum erkennbar.  Laien neigen bei von den Medien erkannten “Skandalen” immer wieder zur Forderung nach harter Bestrafung , mit dem pauschalen Vorwurf der Profitgier.

Justin Theim / 13.11.2019

Einer der Gründe für die Kritik an der Pharmaindustrie ist sicherlich die völlig unrealistische Betrachtung von Risiko. Wenn ein Arzneimittel 95 von hundert Patienten hilft, aber 5 Patienten dadurch schwere Schäden oder sogar den Tod erleiden, dann wird ein solches Mittel verdammt. Lieber nimmt man in Kauf, dass auch die übrigen 95 Patienten schwere Schäden oder den Tod erleiden. Es gibt aber nun mal leider nichts, was gänzlich ohne Risiko ist. Und während hundertausende Käufer von Apple Smartphones kein Problem damit haben, jedes Jahr für über tausend Euro ein neues Smartphone mit nur marginalen Verbesserungen oder blödsinnigen Gimmicks zu kaufen, was dem Apple-Konzern regelmäßig zweistellige Milliardenbeträge als Profit einbringt, wird ein ebensolches Verhalten bei der Pharmaindustrie kritisiert. Wobei das eine nur dem Vergnügen und dem persönlichen Image dient, das andere aber in der Regel die Gesundheit schützt, wiederherstellt oder Leben rettet. Damit soll berechtigte Kritik an der Pharmaindustrie, wie etwa Falschpositionierung, Indoktrinierung von Ärzten etc nicht diskreditiert werden. Aber alles hat eben mehrere Seiten.

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