Johannes Eisleben / 13.11.2019 / 06:25 / Foto: Jonathunder / 32 / Seite ausdrucken

Aktueller Beipackzettel zur Pharmaindustrie

In der hochverdichteten Industriegesellschaft leben pro bewirtschaftetem Hektar Land so viele Menschen wie nie zuvor. Die von uns seit dem 17. Jahrhundert, als der Übergang vom Agrarzeitalter zum Zeitalter der Industrialisierung begann, errichtete Technosphäre versorgt die Menschen mit Trinkwasser, Nahrung, Wohnungen, Energie, Kleidung, Mobilität, Kommunikation sowie vielen Konsumgütern und Dienstleistungen. Für Menschen der ersten und zweiten Welt ist die Versorgung so gut, dass sie sogar an Zivilisationskrankheiten leiden – Krankheiten, die durch Überfluss entstehen. Durch diese erstklassige Versorgungslage werden uns zahlreiche Leiden erspart, die die Menschheit vor der industriellen Revolution erdulden musste. Mangelernährung, Hunger, Tod durch Erfrieren oder Seuchen sind aus unserem Leben weitgehend verschwunden. Wenn wir krank werden, bekommen wir oft eine Versorgung, durch deren Hilfe wir zumindest gut weiterleben können. Die Hintergrunderfüllung, die unbewusste Sicherheit der allermeisten Menschen, mit dem Lebensnotwendigen stets bestens versorgt zu sein, ist so hoch wie noch nie in der Geschichte der Menschheit.

Dennoch lesen und hören wir in unserem Leitmedien ständig, wie gefährlich unser Leben in der Technosphäre ist. Wir erleben einen Kulturpessimismus, der sich in radikaler Nachfolge Martin Heideggers gegen die fundamentalen Errungenschaften unserer Zivilisation wendet: Unsere Nahrung soll furchtbar ungesund, unsere Luft voller Gift und unser Wasser nicht sauber genug, sondern voller Mikroplastik sein. Der Medienkonsum soll uns verblöden und willenlos machen, uns in die Seinsvergessenheit führen. Transport und Logistik, Heizung, Stromverbrauch sowie Industrie- und Fleischproduktion gefährde die Homöostase des Weltklimas, was zu einer Art Armageddon (Offenbarung des Johannes und G. Thunberg) führen werde. Die moderne Agrartechnologie sei zerstörerisch und sinnlos. Die Umwelt werde mit Giften und Müll vernichtet. Kurz: Unsere Lebensweise sei mit dem Überleben unserer Spezies unvereinbar. Deswegen sei eine Deindustrialisierung, eine Rückkehr zur Agrarkultur erforderlich, damit die Menschheit überleben könne.

Wirklich? Betrachten wir heute einmal die Pharmaindustrie, die die Aufgabe hat, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Wie eigentlich alle Industriebranchen steht sie unter massiver Kritik seitens unserer Medien. Was ist da dran? 

Seit dem Contergan-Skandal von 1961/62 wird immer wieder massive Kritik an der Branche geübt. Doch was ist ihre Rolle, wie werden die Arzneimittel erfunden, erforscht, hergestellt und verteilt, wer lebt davon? Wem gehören die Pharmakonzerne? Gibt es Alternativen zum heutigen Status dieser Industrie? Schauen wir uns die wesentlichen Aspekte an und beginnen mit den Basisfakten, bevor wir uns der Kritik widmen.

Die Entwicklung neuer Pharmaka ist sehr teuer und riskant

Weltweit haben Pharmaunternehmen 2018 Arzneimittel im Wert von 844 Milliarden US-Dollar verkauft, das ist etwa 1 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts in diesem Jahr. Davon wurden etwa 9 Prozent durch Pharmaka ohne Patentschutz (sogenannte Generika) und knapp 91 Prozent durch solche mit Patentschutz (sogenannte Originalpräparate) erwirtschaftet. Die Generika schulterten in Deutschland 2017, wo sie 9,2 Prozent der Pharmakosten ausmachten, knapp 80 Prozent der Versorgungsleistung. Die Pharmaindustrie versorgt uns also in erster Linie mit Medikamenten, die es schon länger als 20 Jahre gibt, denn so lange währt der Patentschutz von der Patentbewilligung bis zum Ablauf des Patents. Doch erhält sie dafür weniger als 10 Prozent ihres Umsatzes. Wie ist das zu verstehen?

Einerseits versorgen Pharmafirmen die Bevölkerung mit Basismedikamenten, die es teilweise, wie Acetylsalicylsäure (Aspirin) oder Morphium, schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in pharmakologischer Form gibt. Dies tun sie mit Generika. Andererseits erforschen und entwickeln sie neue Arzneimittel, um Krankheiten besser zu behandeln oder Krankheiten behandeln zu können, für die es heute noch keine Therapie gibt. Wenn sie in ihrer Forschungstätigkeit Wirkstoffe (Moleküle oder neuerdings auch Molekülgruppen) erfinden oder entdecken, die es vorher noch nicht gab, melden sie diese beim Patentamt an. Von der Patenterteilung bis zur Marktreife und der Vermarktungszulassung durch die entsprechenden Behörden dauert es dann noch 7 bis 9 Jahre, im Durchschnitt genießen die Wirkstoffe dann 12 Jahre lang Patentschutz, der durch allerlei Tricks manchmal noch um bis zu zwei Jahre verlängert werden kann. Wirkstoffe lassen sich oftmals in Wirkstoffklassen gruppieren, deren Mitglieder strukturell oder pharmakologisch sehr ähnlich sind und wirken. Es konkurrieren meistens mehrere Pharmafirmen in einer Wirkstoffklasse untereinander. Die Patente für die Wirkstoffe der Klasse werden oft in einem Intervall von etwa 1 bis 6 Jahren erteilt und sind auf mehrere Firmen verteilt. Darin bildet sich ab, dass die Firmen weltweit stets zu ähnlichen Themen und mit ähnlichen Verfahren in Konkurrenz zueinander forschen – eine segensreiche Wirkung des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft.

Die Erforschung und Entwicklung neuer Pharmaka ist sehr teuer und riskant. Die Kosten liegen je nach Art des Moleküls zwischen 500 Millionen und 5 Milliarden US-Dollar pro Medikament (je nachdem, ob man gescheiterte Entwicklungsversuche, die häufig sind, einrechnet). Davon werden die Entdeckung des Moleküls, die Tierversuche und die exorbitant teuren klinischen Studien bezahlt, die benötigt werden, um die klinische Wirksamkeit der Pharmaka und ein akzeptables Verhältnis von Nutzen zu Schäden (toxischen Nebenwirkungen) nachzuweisen. Je später die klinische Entwicklung scheitert, weil das Medikament nicht wirksam genug oder zu toxisch ist, desto höher ist die Abschreibung. Dabei sind Biopharmaka deutlich teurer zu erforschen und entwickeln als klassische kleine, chemisch synthetisierte Moleküle wie Lidocain oder Diazepam (Valium).

Biopharmaka sind riesige Moleküle: Oft monoklonale Antikörper wie Ilumetri oder gentechnisch veränderte Viren (bioaktive Molekülgruppen) wie TVEC. Nicht nur die Forschungs- und Entwicklungskosten sind dabei höher als bei den klassischen chemischen Pharmaka, auch die Produktion und Distribution ist teurer. Obwohl sie nur einen kleinen Teil der therapeutischen Gesamtlast tragen, wurden 2018 mindestens 243 Milliarden (knapp 30 Prozent der Umsätze) mit Biopharmazeutika erwirtschaftet. Dies liegt daran, dass die Firmen bei ihnen höhere Preise verlangen müssen, damit sich der Forschungsaufwand lohnt.

In der Lage, sehr hohe Preise durchzusetzen

Die Patentinhaber der Wirkstoffe einer Klasse bilden ein Oligopol und sind in der Lage, je nach Wirksamkeit und Häufigkeit der Krankheit sehr hohe Preise durchzusetzen. Für seltene Erkrankungen können Jahrestherapiekosten von mehreren hunderttausend USD fällig werden. Insgesamt sind die Preise so hoch, dass die Firmen in der Regel eine Eigenkapitalrentabilität von 15 bis 20 Prozent erreichen – ein vergleichsweise hoher, aber im Inter-Branchenvergleich nicht maximaler Wert.

Abgesehen von den USA bilden die Preise sich in den meisten Ländern nicht – wie etwa Mieten oder Brotpreise – am freien Markt durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, sondern sind staatlich reguliert. Über die Preishöhe verhandeln die Firmen nach der staatlichen Marktzulassung durch Behörden wie FDA oder EMA, die vor allem auf Wirksamkeit und Verträglichkeit schauen, in den meisten Ländern mit sogenannten Health Technology Assessment Institutionen. Die legen den Preisrahmen in Abhängigkeit vom Zusatznutzen des Medikaments staatlich fest – in Deutschland beispielsweise durch das IQWiG. In den USA entscheiden die Versicherer, ob sie zum Listenpreis der Pharmaka eine Erstattung vornehmen. Tun sie dies nicht, sind neue Pharmaka von den allermeisten Patienten nicht bezahlbar.

Die wichtigsten seriösen Kritikpunkte an der Pharmaindustrie lauten:

• Die Industrie verschleiße bei der Erforschung neuer Moleküle zu viele Tiere, man solle die Tierversuche unterbinden

• Bei der Forschung werde durch unlautere Methoden der Nutzen übertrieben und die Toxizität heruntergespielt, um die Zulassung bei hohen Preisen zu erhalten

• Bei der Herstellung gäbe es Qualitätsmängel, die zu unsicheren Arzneien führten

• Die Preise für Originalpräparate seien zu hoch

• Die Ausgaben für Vermarktung seien im Verhältnis zu den Forschungsausgaben zu hoch, das werde in unzulässiger Weise auf die Versichertengemeinschaft umgelegt

• Es würden Pharmaka mit hohem Suchtpotenzial bewusst übermäßig vermarktet, um an abhängigen Patienten zu verdienen

• Die Industrie ist zu sehr auf wenige gigantische Firmen konzentriert, deren Anteile wiederum stark konzentriert sind

Was ist da dran?

Versuch, Irrtum und Profit

Es stimmt, dass bei der Erforschung von neuem Arzneimittel viele Tiere getötet werden, um die Wirkungsweise des Wirkstoffs im Modellorganismus zu verstehen und auch die Toxizität abschätzen zu können. Auf das Tiermodell kann aber nicht verzichtet werden, da die Wirkung eines Pharmakons auf das komplexe System des Organismus sich der mathematischen Modellierung weitgehend entzieht. Würde auf Tierversuche verzichtet, hätten wir eben Menschenversuche mit vielen Toten durchzuführen. In unserem Wertesystem ist das Leben eines Menschen von anderem Stellenwert als das eines Tieres. Dies ist auch nicht verwunderlich, da Tiere dem Menschen als natürliche Nahrung dienen. Der Verzicht auf Tiere als wesentliche Ernährungskomponente ist unphysiologisch. Wie bei der Tierzucht zur Nahrungsmittelproduktion ist bei Tierversuchen allerdings darauf zu achten, dass die Geschöpfe nicht unnötig leiden. Dies ist in der Pharmaforschung heute gängige Praxis.

Die Pharmaindustrie versucht ihre klinischen Studien (Versuche an wenigen gesunden und dann an tausenden kranken Menschen) in der Tat so zu gestalten und durchzuführen, dass der Nutzen besonders gut und die Risiken gering erscheinen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Tricks, beispielsweise die Nutzung von Surrogatparametern wie Blutdruck statt der klinischen Wirkung des Pharmakons auf die Atherosklerose (Blutgefäßwanddegeneration) oder den Versuch, Nebenwirkungen zu verharmlosen. Wie andere Unternehmen versuchen sie eben mit allen Mitteln, den Gewinn zu maximieren. Daher hat sich eine riesige Bürokratie entwickelt, und die Vorgehensweise der Industrie auf Schritt und Tritt zu kontrollieren.

Es hat nach dem Contergan-Skandal immer wieder weitere Skandale rund um Wirksamkeit und Toxizität gegeben. Beispielsweise hat sich nach 20 Jahren der Verschreibung von SSRI-Antidepressiva im Wert von mehreren hundert Milliarden USD gezeigt, dass diese für die allermeisten Patienten nur Nebenwirkungen brachten und nur einem Bruchteil der schwerkranken Patienten wirklich halfen – man hätte die Indikation für die Verschreibung also viel strenger stellen müssen. Dann wäre aber weniger verdient worden.

Insgesamt funktioniert die staatliche Kontrolle ganz gut, aber die Pharmaleute sind clever und denken sich immer neue Kniffe aus. Echte Kriminalität gibt es auch, sie ist aber sehr selten. Doch es ist klar, dass die Industrie immer wieder großartige Innovationen hervorbringt, wie beispielsweise die TNF-alpha-Inhibitoren, die die Rheumatherapie zugunsten der Patienten revolutioniert haben.

Qualitätsmängel

Schlechte Produktionsqualität gibt es, wie bei allen Branchen, auch in der Pharmaindustrie. Die Konsequenzen können dramatisch sein, wenn dadurch Menschen vergiftet werden. Daher ist die staatliche Produktionskontrolle sehr breit und tief angelegt. Schlechte Qualität gibt es aber immer wieder, besonders bei Pharmaka, die in Schwellenländern hergestellt werden. Dem Endnutzer ist zu empfehlen, keine Importe aus solchen Ländern einzunehmen, sondern auf Präparate aus OECD-Ländern zuzugreifen, wo Qualitätsprobleme selten sind.

Die Tatsache, dass durch die Originalpräparate, die nur 20 Prozent der Versorgungsleistung erbringen, 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet werden, führt immer wieder zu Erregung. Doch wären die weltweiten Preise für patentgeschützte Pharmaka niedriger, wären die Unternehmen nicht mehr bereit, Geld für die Erforschung neuer Pharmaka aufzuwenden, da deren Forschung und Entwicklung, wie wir gesehen haben, sehr teuer und riskant ist. Ohne Risikoprämie wird aber kein Unternehmen das Risiko tragen. Möchten wir weiterhin innovative Arzneimittel erhalten und Krankheiten therapeutisch angehen, die bisher schlecht oder nicht behandelbar sind, müssen wir auch den Preis dafür zahlen.

Dass die Preisbildung selbst in den USA nicht ganz frei erfolgt, liegt daran, dass der Markt für Arzneimittel kein typischer Markt ist. Denn hier zahlen die Nachfrager (Patienten) nicht direkt das Angebot (die Pharmaka), sondern private oder staatliche Versicherer aggregieren über die Beiträge der Versicherten eine Gesamtnachfragekraft. Daher verhandeln auch letztlich die Versicherer mit der Pharmaindustrie über die zu zahlenden Preise. In Deutschland tun dies die gesetzlichen Krankenkassen im G-BA, der auch das oben genannte IQWiG beauftragt. Zwar versuchen sie, die Preise zu drücken, doch stehen sie gleichzeitig unter Druck, Innovationen einzuführen. Daher kommen auch hohe Preise zustande, wenn die neuen Produkte genug Nutzen stiften.

Vermarktung und Marktversagen

Pharmakonzerne, die Originalpharmaka herstellen, geben etwa 10 bis 20 Prozent ihres Umsatzes für die Produktion und 25 bis 30 Prozent für Vertrieb aus, aber nur 15 bis 20 Prozent für Forschung und Entwicklung. Vertrieb ist also der größte Einzelposten, Ein Viertel bis ein Drittel des von den Versicherungen bezahlten Preises gehen in Vertrieb! Dieser Anteil wird immer wieder stark kritisiert. Zwar ist es in vielen Branchen üblich, einen bedeutenden Teil des Umsatzes für Vertrieb auszugeben, doch erscheint die Quote vielen bei der Pharmaindustrie als skandalös, weil das Geld ja von den Krankenversicherungen bezahlt wird. Wie sähe die Welt der Arzneimittel aus, wenn es stattdessen in Forschung und Entwicklung flösse? Einige Innovationen kämen vielleicht früher, die meisten jedoch nicht, da die Industrie vom fundamentalen Forschungsfortschritt abhängig ist, der nicht allein durch ihre Ausgaben beeinflusst werden kann.

Zurück zur den Ausgaben: Einerseits müssen die Firmen Vertrieb machen können, um sich gegen ihre Wettbewerber durchsetzen zu können – ohne Vertrieb gibt es keine Marktwirtschaft, jeder kann schon auf dem Wochenmarkt beobachten, wie an den Marktständen die Waren angepriesen werden. Andererseits ist es schwer verständlich, dass Versicherungsbeiträge dafür aufgewendet werden, denn für den Patienten ist es nur wichtig, dass er den passenden Wirkstoff bekommt, und nicht, wer ihn herstellt.

Das Problem könnte allenfalls durch eine staatliche Deckelung der Gesamtausgaben für Vertrieb gelöst werden – was dadurch zu rechtfertigen ist, dass wir es hier offensichtlich mit Marktversagen zu tun haben, weil der Marktmechanismus keine aus Versorgungssicht optimale Allokation der Einnahmen der Unternehmen erzeugt. Allerdings ergäben sich dann Umgehungsversuche und Probleme mit der Messung und Überwachung – wie weit man die Werbeausgaben herunterdrücken könnte, ist daher nicht klar.

Desaströse Heroin-Renaissance

Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Opioidtoten in den USA exponentiell angestiegen, die Prävalenz liegt nun bei etwa 15 Toten pro 100 Tsd. Einwohner (1999 lag sie unter 1 auf 100.000, zum Vergleich: die Prävalenz von Diabetes Typ liegt auch bei 15 auf 100.000). Seit 2010 erlebt das Heroin eine desaströse Renaissance, ein Drittel der Opioidtoten gehen auf sein Konto. Diese Opioidkrise nahm 1996 ihren Anfang, als die Firma Purdue Pharma das orale Schmerzmittel Oxycontin aggressiv vermarktete und durch intensives Lobbying eine Öffnung der Indikation zur Verschreibung für normale Schmerzzustände erreichte. Dabei ist seit den 1920er Jahren bekannt, dass sein Wirkstoff, Oxycodon, schwer abhängig macht.

Ein bekannter Oxycodon-Abhängiger war Adolf Hitler, der sich das Pharmakon intravenös spritzen ließ. Durch die Aktivitäten Purdues und anderer Anbieter, die auf den Opioid-Zug aufsprangen, wurden Millionen von Amerikanern ohne Vorwarnung und ohne eigene Schuld opioidsüchtig. Diese Krankheit ist furchtbar. Im weiteren Verlauf ausbleibende ärztliche Verschreibungen ersetzten diese Kranken durch illegale gehandelte Opioide wie Heroin oder das voll synthetische Fentanyl. So kam es zu der schrecklichen Epidemie, die weiterhin andauert und schwer einzudämmen ist.

Diese bittere Krise ist nicht die einzige Episode, bei der Pharmakonzerne Suchtmittel bewusst eingesetzt haben, um ihren Umsatz zu steigern, ähnliches geschah schon mit den suchterzeugenden Beruhigungsmittelklassen der Barbiturate (wie beispielsweise das Suizidgift von Marylin Monroe, das Pentobarbital) und Benzodiapine (wie Valium).

Wer ist hier schuld? Die Manager der involvierten Pharmakonzerne sind wahrscheinlich als echte Täter einzustufen, doch wird man sie strafrechtlich persönlich wohl nicht belangen können. Die Konzerne zahlten in den Sammelklageprozessen Strafen oder Vergleichszahlungen. Es liegt aber auch ein massives regulatorisches Versagen der US-Behörden vor – zum Vergleich: in Deutschland wurde das die Verschreibung von Opioiden regelnde Betäubungsmittelgesetz nicht aufgeweicht, so dass wir keine verschreibungsinduzierte Opiatseuche haben. Doch die Schuldigen in den Behörden werden nie belangt werden.

Konzentration, Finanzkapitalismus, Globalisierung

Die starke Konzentration der Pharmaindustrie auf große Unternehmen hat viele Gründe, die nicht für dieses Marktsegment spezifisch sind: Finanzkapitalismus, Globalisierung, hohe Investitionshürden. Die Kritik an der Konzentration ist dennoch berechtigt, da sie zur massiven Eigentumsdichotomie beiträgt, die unsere Demokratie erodiert. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Interessanterweise liefern die Großkonzerne vor allem die eher öden Disziplinen klinische Entwicklung, Zulassung und Vermarktung – die hochkomplexe und geistig sehr anspruchsvolle innovative Forschung, die sich heute vor allem um Biomoleküle dreht, findet in erster Linie in kleinen Firmen statt, die von den Großen gekauft werden, sobald ihre Moleküle einen gewissen Reifegrad erreichen.

Die aus der heutigen apokalyptischen Grundstimmung vorgetragene hysterische Kritik an der Pharmaindustrie ist sicherlich nicht gerechtfertigt, denn immerhin versorgt uns diese Branche zuverlässig mit lebenswichtigen und im Notfall auch lebensrettenden Medikamenten. Sie ist damit einer der großen Pfeiler der Hintergrunderfüllung, und es erscheint gerechtfertigt, dass dafür etwa ein Prozent des Brutto-Sozialproduktes aufgewendet wird. Doch wie alles Werk von Menschenhand ist auch die Pharmaindustrie und ihre staatliche Regulation fehleranfällig. “Dosis sola facit venenum” sagte Paracelsus 1538. Leider ist die toxische Dosis bei Pharmaka oftmals klein – das Wort pharmakon bedeutet auf Griechisch eben Heilsmittel und Gift. Wie jede Technologie seit dem Faustkeil ist auch die Pharmakologie Segen und Fluch zugleich – abhängig von der Art der Verwendung. Kein Anlass also zur Apokalyptik, sondern eher ein Feld der wohldurchdachten, sehr anspruchsvollen Partnerschaft zwischen Privatwirtschaft und Staat zur Grundversorgung der Menschen in unserer hochverdichteten Zivilisation.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Matthias Neumaier / 13.11.2019

In ihrer Rechnung fehlen all die ungesehenen Toten, welche aufgrund der “staatlichen Kontrolle” sterben mussten, da die Medikamentenzulassung zeitlich verzögert wurde. Wenn ein Medikament pro Jahr 100 000 Leben rettet, die staatlichen Zulassungsbehörden jedoch den Markteintritt 10 Jahre lang verschleppen, hat die “staatliche Kontrolle” 1 Million Opfer verursacht. Sind 1 Million Opfer durch Bürokratie etwa kein Skandal? Anscheinend nicht. Ebenso scheinen für Sie die hohen Entwicklungskosten einfach nur in der Natur der Dinge zu liegen. Das Interesse der Konzerne und deren Lobbyismus an einer starken Regulierung ihrer Märkte, um Markteintrittshürden gegen kleinere Mitwerber zu errichten, scheint wohl keine Quelle für jene Kostenexplosion zu sein. Aber wer schreibt denn die Auflagen für die Pharmaindustrie? Politiker? Verwaltungsbeamte? Juristen? Wer außer der Pharmaindustrie selbst soll über Regeln zur Medikamentenzulassung entscheiden können? Konzerne lieben hohe Entwicklungskosten, hohe Auflagen etc. Jene gibt den Konzernen auch die Möglichkeit einen besonders strengen Patentschutz zu fordern, was die Kartellbildung im jeweiligen Produktionssektor weiter befördert. Und neben den durch staatliche Regulierung direkt verursachten “ungesehenen Toten”, gibt es natürlich noch die “ungesehenen Medikamente”, die erst gar nicht in die Existenz kommen, da zu viele Ressourcen für die bestehenden Projekte eingesetzt werden müssen. Die staatlichen Auflagen manifestieren sich somit in einem Medikamenten-EMBARGO gegen die eigene Bevölkerung. Massenmord an der eigenen Bevölkerung um einen weiteren Contagan-Skandal zu verhindern? Literatur: Frederic Bastiat - Was man sieht und was man nicht sieht. Dr. Mary Ruwart - Death by Regulation.

Rudi Hoffmann / 13.11.2019

Sorgen doch Ärzte und Pharmazeuthika dafür,  immer älter   aber auch voll pflegebedürtig zu werden. Ab wann dann von einem menschenwürdigen, selbstbestimmten Leben noch zu sprechen ist ?  große Tabufrage ???  Letztendlich siegt immer der Sensenmann und die geriatrischen und onkologischen Abteilungen sind nicht zu beneiden.

Rolf Lindner / 13.11.2019

Was mich auch heute bei der Zitierung des Contergan-Skandals immer noch stört, ist, dass vergessen wird zu erwähnen, dass auf jedem Beipackzettel die Anwendung in der Schwangerschaft untersagt war. Der Grund war jedoch nicht die Erkenntnis der hohen toxischen Wirkung des Mittels auf die körperliche Fetusentwicklung, sondern die allgemein bekannten Wirkungen von starken Beruhigungsmitteln auf die fetale Gehirnentwicklung. Die Wissenschaft war damals einfach noch nicht so weit, den Wirkungsmechanismus der Nebenwirkung von Thalidomid zu erkennen. Nebenbei gesagt, ein Wirkungsmechanismus, der die Tumortherapieforschung nicht unerheblich befruchtet hat. Als die vorerst nur statistisch gewonnene Erkenntnis über die schwere Körperschäden verursachende Wirkung durchsickerte, wurde das Mittel vom Markt genommen, weshalb die Angeklagten Manager und Entwickler so gut wie gar nicht bestraft werden konnten. Die von der Firma Takeda danach ins Leben gerufene Contergan-Stiftung und Entschädigungszahlung waren letztendlich eine Gutwillaktion der Pharmafirma, natürlich auch um ihr durch die Falschberichterstattung der Medien angeschlagenes Ansehen aufzupolieren. Mir ist zumindest ein weiterer Fall bekannt, der durch die Medien aufgebauscht wurde und einem Pharmakonzern schwere Verluste eintrug, obwohl relativ einfach, rein statistisch das Gegenteil der behaupteten Schädlichkeit nachgewiesen werden konnte. In beiden Fällen haben gewisse Medien wider besseren Wissens umfangreiche Schäden verursacht und sind nie zur Verantwortung gezogen worden. Gegenwärtig sind wir hinsichtlich der Klimaerwärmung, der Migration und weiterer Themen Zeugen und gleichzeitig Betroffene von einem Medienskandal, gegen den die Falschberichterstattung über die behaupteten Pharmaskandale wie ein Sandkastenspiel wirkt.

L. Jäger / 13.11.2019

Die Schulmedizin lebt in weiten Teilen von Angst- und Panikmache.  Vor 10 Jahren traten bei mir massive Symptome auf, die in einer Fachklinik als Rheuma eingestuft wurden. Hier half Cortison. Doch die behandelnde Ärztin wollte zusätzlich Methodextrat einsetzen und drohte mir, falls ich das nicht einnehmen würde, hätte ich in einem Jahr verkrüppelte Handgelenke. Ich glaubte ihr nicht und nahm das “Wundermittel” nicht ein. Meine Handgelenke sind auch nach über 10 Jahren NICHT verkrüppelt, die Symptome kommen und gehen und können durch niedrige Cortisondosen abgemildert werden. Zusätzlich hilft Homöopathie, Brennesseltee und Arnikasalbe. Die im Artikel erwähnten TNF-alpha-Inhibitoren bräuchte es also gar nicht. Auch die Tierversuche hätten sich längst erledigt, da es bereits genügend Arzneimittel gibt. Doch wir leben leider in einer Welt die unbegrenztes Wirtschaftswachstum favorisiert und dem Wahn verfallen ist mit Wissenschaft alles in den Griff zu kriegen - eigentlich leben wir in einer Wissenschaftsdiktatur! Da gibt es einen Witz:  Der Lehrer verlangt, dies oder das bis dann auswendig zu lernen, woraufhin der Schüler frägt “warum?” Die Antwort eines Medizinstudenten auf die gleiche Aufforderung lautet “bis wann?” Viele Grüße    

Karl Eduard / 13.11.2019

Niemand muß auf konventionelle Arzneien zurückgreifen, die ein gewinnorientiertes Unternehmen produziert. Niemand. Jedermann kann sich für Schmerzen oder Tod entscheiden, in dem er auf Medikamente verzichtet. Es tut aber niemand. Stattdessen wollen sie nach dem Motto leben: “Hohes C für Alle!” Die Pharmaindustrie ist, wie jedes Unternehmen, kein Wohltätigkeitsverein. Ein Arzt ist ja auch kein Wohltäter, sondern jemand, der sich für seine “Kunst” bezahlen läßt.

A. Nöhren / 13.11.2019

Ein Bäcker backt das Brot nicht, um Menschen damit zu ernähren, sondern um damit Geld zu verdienen. Das Unternehmensziel eines Versicherungsunternehmens ist nicht, Leistungen an Versicherungsnehmer zu zahlen, sondern hier ist das Unternehmensziel, den Anteilseignern eine möglichst hohe Gewinnbeteiligung zu gewähren (und das geht nur, wenn sie möglichst wenig Versicherungsleistungen erbringen). Das Unternehmensziel eines Pharmakonzerns und eines Apothekers ist nicht, Menschen zu heilen, sondern mit dem Verkauf von Pharmaerzeugnissen attraktive Gewinne zu erwirtschaften.

Tim Hoff / 13.11.2019

Die Aussagen zum Patentschutz sind nicht gänzlich zutreffend. Die Höchstlaufzeit eines Patents sind tatsächlich 20 Jahre. Diese 20 Jahre Laufzeit beginnen aber mit dem Anmeldetag und nicht mit dem Tag der Erteilung des Patents. In der Zeit zwischen Anmeldung und Erteilung wird das Patent auf formale und sachliche Mängel geprüft und erst erteilt, wenn alle Mängel ausgeräumt werden konnten. Die Dauer des Prüfungsverfahrens ist von vielen Faktoren abhängig, dauert aber in der Regel 4 bis 7 Jahre. Rechnet man die im Text genannten 7 - 9 Jahre, die es bis zur finalen Zulassung eines Medikaments benötigt, darauf, landet man nicht bei 12 Jahren Patentschutz sondern bei 4 - 9 Jahren. Im Vergleich zu anderen Industriezweigen, bei denen keinen solch aufwendigen Zulassungsverfahren zu absolvieren sind, ist das eine relativ geringe Schutzdauer. Nur in der Zeit des Patentschutzes haben die forschenden Pharmaunternehmen überhaupt die Möglichkeit durch die Preisgestaltung ihre Forschungs- und Entwicklungskosten wieder einzuspielen. Gerade auch deswegen gibt es die Möglichkeit eines ergänzenden Schutzzertifikats, mit dem der Patentschutz auf eine spezielle Formulierung (und nicht zwangsläufig auf den gesamten im Patent geschützten Gegenstand) um bis zu 5 Jahre verlängert werden kann. Das ist keine Trickserei, wie im Text behauptet, sondern basieren auf einer EU-Verordnung. Außerdem erhält man dieses ergänzende Schutzzertifikat nur auf Antrag, der dann vom jeweiligen Patentamt ausführlich geprüft wird. Die Bewilligung eines solchen ergänzenden Schutzzertifikats für 5 Jahre gibt es übrigens nur in den seltensten Fällen.

Dr. Gerhard Giesemann / 13.11.2019

Die Schutzdauer eines Patentes ist 20 Jahre ab dem Prioritätstag, also dem Tag, an dem die Anmeldung zum ersten Mal in einen Briefkasten/Eingangsstelle eines Patentamtes eingeworfen worden ist, Eingangsstempel zählt, die Einheit ist ein Tag. Die Patenterteilung und deren Zeitpunkt spielt für die Schutzdauer keine Rolle. Ein Patenterteilungsverfahren kann viele Jahre dauern, wenn dann noch ein Einspruch gegen die Erteilung vorliegt, der wiederum in einer nächsten Instanz überprüft werden kann, dann sind schnell mal 10 Jahre rum, beginnend ab dem genannten Prio-tag. Allerdings: Die endgültige Entscheidung eines Patentamtes wirk ex tunc, d.h. alle Rechte, die sich aus dem Patent ergeben gelten rückwirkend ab dem Prio.-tag, beispielsweise Patentverletzungen, Lizenzen. Kann nur lang-sch(w)ierig sein, das gerichtlich auch durch zu setzen. Das zeigt u.a., wie riskant Grundlagen- und angewandte Forschung allgemein ist, wohl dem, der da nicht drin steckt und so sein Geld verdienen muss. Ich selbst habe das im zarten Alter von 33 Jahren sein gelassen, weil es finanziell zu meinem Ruin geführt hätte. Angebote gab es massenhaft - das allein hat mich stutzig gemacht. Es gibt aber immer noch genug junge Akademiker, die das nicht rechtzeitig merken und die Fliege machen. Bei den Gehältern. Schlecht bezahlt, gigantische Anforderungen und daher hoch riskant. Ein Scheitern an der Aufgabe ist fast schon vorprogrammiert.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Johannes Eisleben / 28.03.2024 / 10:00 / 59

Wird der Schuldenturm „kontrolliert” gesprengt?

Der globale Schuldenturm wächst und wächst und wächst. Stürzt er zusammen oder wird er gesprengt, könnte die größte Umverteilungsaktion aller Zeiten von unten nach oben…/ mehr

Johannes Eisleben / 24.07.2023 / 06:00 / 57

Wie geht’s dem Schuldenturm?

Wie alle Propheten der Schuldenkrise weiß auch ich nicht, wann und wie der Schuldenturm kippt. Die globale Verschuldung hat Ausmaße angenommen, die in relativen oder absoluten…/ mehr

Johannes Eisleben / 08.04.2023 / 06:00 / 86

Covid-19 und die Massenunterwerfung

COVID war die Gelegenheit für die Etablierung eines globalen Systems der direkten Massenkontrolle. Russland und China entwickelten eigene „Impfstoffe”, um diese Kontrolle unabhängig von westlichen…/ mehr

Johannes Eisleben / 20.04.2021 / 06:15 / 129

Der Anfang vom Ende des Rechtsstaats

Die Berliner Republik war die demokratisch legitime, rechtsstaatliche Nachfolgerin des Deutschen Reichs. Diesen Rechtsstaat wird es bald nicht mehr geben. Schon am 18. November 2020…/ mehr

Johannes Eisleben / 12.04.2021 / 12:00 / 33

Wenn der Staat deinen Körper kontrolliert

Um „Corona zu bekämpfen”, wird unsere Wahrnehmung neu geprägt, unser Verhalten beobachtet, werden unsere Bewegungen überwacht und unsere Körper der staatlichen Kontrolle unterworfen. Dabei wissen…/ mehr

Johannes Eisleben / 09.04.2021 / 06:25 / 54

Sie wissen nicht, was Vollgeld ist? Dann schnallen Sie sich an

Die Bilanzsumme des Eurosytems (Aktiva der EZB und der Nationalbanken) betrug 2019 4.671 Milliarden EUR, Ende 2020 waren es 6.979 Milliarden EUR. Das ist ein Anstieg…/ mehr

Johannes Eisleben / 09.03.2021 / 06:00 / 62

Das Armuts-Beschaffungs-Programm

Die Erosion der Ersparnisse durch reale Negativzinsen währt nun seit mehr als zehn Jahren, deutsche Sparer haben dadurch schon hunderte von Milliarden an Alterssicherung verloren.…/ mehr

Johannes Eisleben / 13.02.2021 / 06:00 / 121

Querdenker-Demos schuld an Infektionen? Analyse einer Schrott-Studie

Von Deutschlandfunk bis Welt, von Ärzteblatt bis FAZ wird – „pünktlich zum Corona-Gipfel“ seit Mitte der Woche eine „Studie“ aufgeblasen, die nachweisen soll, dass „Querdenker“(-Demos) zu einer Verbreitung des Corona-Virus beigetragen haben. “Querdenken-Demos für…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com