Die Meldung kam am Sonntag unscheinbar daher: Die scheidende CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer fasst eine Notfallplanung für den Parteitag im Dezember ins Auge. "Wegen Corona planen wir, den Parteitag zu verkürzen. Es könnte sogar sein, dass wir aufgrund der Corona-Lage den Parteitag auf die reinen Vorstandswahlen beschränken", hat die Verteidigungsministerin der "Welt am Sonntag“ gesagt. Die Agenturen haben es gemeldet und etliche Nachrichtenredaktionen in die Welt verbreitet, und es erweckte den Eindruck einer Zurücknahme in schwerer Zeit.
Das Signal, das offenbar ausgesandt werden sollte: Seht her, die Politik schränkt zwar die Grundfreiheiten der Bürger ein, lässt sie kaum im Stadion, im Theater, in der Oper oder im Konzertsaal in stimmungsnotwendiger Größenordnung zusammenkommen. Doch die Entscheidungsträger, die Euch im Wirtshaus, auf Reisen, im Nahverkehr, bei Familienfeiern und im Gottesdienst wie unmündige Untertanen gängeln, beschränken sich in der Not auch selbst und beschneiden ihre Parteitage. Die Tagesordnung wird um zahlreiche Inhalte erleichtert oder es wird sogar nur der Vorstand gewählt.
Es geht auch ohne Neuwahl des Vorstands
Aber zum inhaltsbefreiten Wahlparteitag gibt es noch eine Alternative. Sollten die CDU oder die Bundesregierung die Seuchengefahr für ganz groß halten, dann kann man auf den Parteitag auch ganz verzichten. Die Satzung schreibt, so stand es in den Meldungen, eine körperliche Anwesenheit der Delegierten auf einem Parteitag vor, weshalb ein Online-Parteitag nicht geht. Die Parteivorsitzende plant daher schon: "Im schlimmsten Fall einer zweiten großen Pandemiewelle bleibt der Vorstand geschäftsführend so lange im Amt, bis der Parteitag einberufen werden kann.“ AKK würde also Vorsitzende bleiben, und ein neuer Vorsitzender könnte sich noch nicht als potenzieller Kanzlerkandidat warm laufen.
Doch nebenher sendet sie auch die Botschaft aus, dass die demokratischen Spielregeln der Bundesrepublik im Corona-Parteienstaat in wichtigen Teilen außer Kraft gesetzt sind. Aber der Reihe nach.
Eigentlich soll der CDU-Parteitag Anfang Dezember in Stuttgart einen neuen Vorsitzenden wählen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der Außenpolitiker Norbert Röttgen kandidieren. Ursprünglich war diese Wahl schon für Ende April auf einem Sonderparteitag geplant, doch der wurde dem Corona-Ausnahmezustand geopfert.
In Stuttgart sollte nun eigentlich ein viertägiger Parteitag stattfinden, auf dem 1.001 Delegierte auch über das neue Grundsatzprogramm diskutieren sollten. In der Parteiführung werde wegen der Corona-Krise aber schon länger überlegt, wie dies "kompakter" ablaufen könnte, hieß es nun in der sonntäglichen Meldung. Worauf man bestimmt gern verzichtet, ist die inhaltlich kontroverse Debatte, beispielsweise über die „neue Normalität“. Ein CDU-Kerninhalt ist der Vorsitzenden aber wichtig: Kramp-Karrenbauer hält es für dringlich, wenigstens eine Quotenregelung für mehr Frauen auf den Führungsebenen zu beschließen. Worüber die Parteitagsdelegierten als Entsandte der Basis diskutieren und entscheiden dürfen und worüber nicht, will der Vorstand am 14. September entscheiden. Auf jeden Fall ist es leichter, unliebsame Anträge nicht zur Debatte und Abstimmung gelangen zu lassen. Eine solche Panne, wie beim Parteitag im Dezember 2016, kann nicht mehr passieren.
Keine Mehrheit mehr gegen die Kanzlerin
Damals hatten Delegierte einen Antrag eingebracht, diskutiert und abgestimmt, nach dem die CDU der SPD nicht die bedingungslose doppelte Staatsbürgerschaft für Zuwandererkinder zugestehen dürfe und die entsprechende Koalitionsvereinbarung aufkündigen müsse. Trotz Intervention der Kanzlerin und der Parteiführung bekam der Antrag eine Mehrheit. Die Bundeskanzlerin und Vorsitzende sah sich natürlich nicht gezwungen, diesem demokratischen Votum zu folgen, sondern ignorierte diese Beschlusslage einfach geflissentlich. Jetzt wird es nicht einmal mehr einen störenden Parteitagsbeschlusse geben. Im Corona-Parteienstaat werden die Parteiapparate und -funktionäre offenbar noch mächtiger, während die Parteibasis immer mehr Einflussmöglichkeiten verliert.
Man kann jetzt trefflich spekulieren, was eine weitere Parteitags-Verschiebung bedeuten könnte. Ob es den Weg für Markus Söder in die Kanzlerkandidatur vereinfacht? Oder ob es am Ende darum geht, dass sich Angela Merkel als Corona-Kanzlerin in Zeiten der Not doch noch einmal von ihrem Gefolge bitten lässt, in einer Bundestagswahl unter Corona-Beschränkungen anzutreten? Darum soll es hier nicht gehen. Eher darum, dass sich der Corona-Parteienstaat auch lästige Konkurrenz leichter vom Leibe halten kann.
Es gibt ja gegen den Weg in eine vormundschaftliche und autoritäre „neue Normalität“ kaum Opposition, so wie es sie auch nicht in der Frage bedingungsloser Zuwanderung in die Sozialsysteme im Rahmen der „Willkommenskultur“ gegeben hat. Die AfD ist nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern sie ist für viele politisch heimatlos gewordene Liberale, Sozialdemokraten und auch Christdemokraten eben keine Alternative. Nach der sehnen sich diese Menschen aber, und es wäre bei einem solchen Bedürfnis ja denkbar, dass sich eine weitere Oppositionspartei gründen könnte. Gerade wenn ein Wahljahr mit Bundestagswahlen ansteht wie 2021.
2013 hatte sich die AfD nur wenige Monate vor den Bundestagswahlen gegründet und war im Herbst nur äußerst knapp beim Einzug in den Bundestag an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. In unruhigen Zeiten, wie denen, die auch wegen der Wirtschaftskrise infolge der Corona-Maßnahmen kommen, sind schnelle Aufstiege neuer Parteien wahrscheinlicher als im Normalfall. Politisch Heimatlose gäbe es zumindest hinreichend. Doch in einem Corona-Ausnahmezustand, auf den die CDU-Vorsitzende sich vorbereitet, kann sich eine neue Partei womöglich gar nicht aufbauen und gründen, weil die Versammlungsmöglichkeiten zu beschränkt sind. Auf diese Weise muss der Corona-Parteienstaat keine neue Konkurrenz fürchten.
Auch wenn man nicht an eventuelle neue Parteien denkt, verzerrt der Corona-Ausnahmezustand jedweden Wahlkampf zugunsten der amtierenden Regierung und ihrem Gefolge.
Statt also im Sinne einer „neuen Normalität“ der Bevölkerung die Gewöhnung an einen Ausnahmezustand abzuverlangen, wäre es für eine demokratische Regierung das Mindeste, einen Notstand niemals für normal zu erklären, ihn – wenn er wirklich ausgerufen werden muss – zu begrenzen und eine bestehende Gefahr so abzuwehren, dass die Bürger ihre selbstverständlichen Rechte selbstverständlich in Anspruch nehmen können. Nur wenn Letzteres die Normalität ist, kann man von einem demokratischen Gemeinwesen sprechen.