Wolfram Weimer / 22.03.2019 / 14:00 / Foto: Krd / 40 / Seite ausdrucken

AKK als nächste Kanzlerin bereits “gewählt”?

Ihre Prognosen im Dezember waren eher durchwachsen. Die CDU schien gespalten, ihre Wahl zur Vorsitzenden war so knapp, dass sie nur die Hälfte der Delegierten hinter sich brachte. Die Umfragen für die Union waren zwischenzeitlich bis auf 27 Prozent abgesackt. Die CSU, das Schäuble-Merz-Lager, die Konservativen und der Wirtschaftsflügel fremdelten mit Annegret Kramp-Karrenbauer. In den Medien wurde sie als “Mini-Merkel” verspottet. Sie hatte kein Ministeramt, nicht einmal ein Bundestagsmandat, ihr Scheitern in Berlin schien nur eine Frage der Zeit.

100 Tage später ist Erstaunliches passiert. Denn AKK ist über Parteigrenzen hinweg plötzlich die gefühlte Kanzlerin der Zukunft. Wie selbstverständlich wird sie allenthalben – von Büttenreden bis zu Rotary-Abenden – als die Nachfolgerin Angela Merkels betrachtet. Sogar die FDP würde mit ihr Jamaika doch noch wagen – ein Indiz, dass AKK vieles richtig macht.

Auch die Umfragen zeigen: Ein Duell zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Andrea Nahles um die Kanzlerschaft würde laut RTL/n-tv Trendbarometer die CDU-Chefin haushoch für sich entscheiden. 45 Prozent der Befragten stimmten für sie, nur 13 Prozent wählten Nahles. Träte Kramp-Karrenbauer gegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz an, wäre der Abstand zwar geringer, aber immer noch gewaltig. 20 Prozent wären für den SPD-Mann, doppelt so viele für die Christdemokratin. Nach 100 Tagen AKK als CDU-Vorsitzende hat sich auch die Union in den Umfragen stabilisiert und kommt wieder regelmäßig auf Werte von mehr als 30 Prozent. Zuweilen ist die CDU/CSU sogar doppelt so stark wie die SPD.

Die CDU-Chefin schlägt darob immer selbstbewusstere Töne an. So legt sie öffentlich die deutsche Europapolitik fest und antwortet Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Gestus einer Regierungserklärung auf dessen Reformvorschläge. Erstaunlich dabei ist weniger ihre Chuzpe, ohne jedes Regierungsmandat Außenpolitik betreiben zu wollen. Erstaunlich ist die stillschweigende Akzeptanz ihrer Strategie von Merkel bis Maas, von Berlin bis Paris. Bei Gerhard Schröder oder Helmut Kohl wäre es undenkbar gewesen, dass ein potentieller Nachfolger schon so offensiv in die Tagespolitik eingegriffen hätte. Merkel aber überlässt ihr eine Bühne nach der anderen.

Sie pilgert in bayerische Klöster

AKK ist es zudem gelungen, die eigenen Reihen wieder ein Stück weit zu schließen. Sie geht ohne Scheu auf die Parteiränder zu. Ganz anders als Angela Merkel, die Konservative, Wirtschaftsliberale und die CSU am Ende wie Aussätzige behandelt hat, sucht AKK offensiv das Gespräch. Sie pilgert in bayerische Klöster zu CSU-Klausuren und sogar zur CDU nach Fulda, einem Hort der Konservativen und jenem Ortsverband, der Friedrich Merz auf dem Parteitag offiziell nominiert hatte.

Kritische Kreisvorsitzende berichten, dass sie plötzlich AKK am Telefon hätten. Die Anhänger ihrer ehemaligen Konkurrenten, Friedrich Merz und Jens Spahn, werden systematisch eingebunden. Spahns Getreuen Paul Ziemiak hat sie zum Generalsekretär gemacht. Mit Merz hat sie einen strategischen Burgfrieden geschlossen. Er wird Superminister, wenn sie einmal Kanzlerin geworden ist. Die CDU darf wieder Flügel haben. AKK ist nahbar, redet mit allen, hört zu und bindet ein.

Gezielt zeigt sie dabei ein eigenes politisches Profil, das näher am Markenkern der Union ist als das von Merkel. Mit dem heiklen “Werkstattgespräch” zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zog sie einen demonstrativen Schlussstrich unter Merkels liberale Zuwanderungspolitik. “Die Fehler von 2015 dürfen sich nicht wiederholen”, lautet die neue Devise der CDU, ja sogar Zurückweisungen an der Grenze sind mit ihr denkbar. Damit schließt AKK die Gräben zur CSU und signalisiert AfD-Protestwählern, wieder zurückkehren zu können.

Deutungsmacht in der Öffentlichkeit

Von “Mini-Merkel” wird jetzt kaum mehr geredet, dazu grenzt sich AKK zu deutlich von Merkel ab. Auch ihren misslungenen Karnevalsscherz nutzte sie zur Offensive gegen politische Überkorrektheit. Sie will anecken und wird dabei von Woche zu Woche selbstbewusster. Man kann ihr beim politischen Wachsen regelrecht zusehen. Auffallend unauffällig ist dabei das Stillhalten von Angela Merkel. Beide gehen offensichtlich in enger Abstimmung vor, beraten in Morgenrunden die nächsten Schritte.

Dass Merkel AKK schon jetzt so viel Deutungsmacht in der Öffentlichkeit überlässt, mehrt die Gerüchte in Berlin, dass eine vorzeitige Stabübergabe denkbar ist. Vor allem der jüngste Coup, das Hinwerfen des machtpolitischen Fehdehandschuhs an die SPD, zeigt, dass die Übergangsphase der Macht begonnen hat. Annegret Kramp-Karrenbauer will den für Herbst geplanten Koalitions-Check vorziehen, wenn das die Wirtschaftslage erfordert. Und da die Konjunktur sich deutlich abkühlt, erfordert sie es tatsächlich.

Es handelt sich dabei um nichts weniger als die Sollbruchstelle der Großen Koalition. AKK gelingt es damit, sich als Taktgeberin der großen Politik zu inszenieren und dem neu entdeckten Sozialprofil der SPD die Wirtschaftskompetenz der CDU entgegenzustellen. Die erste Botschaft soll lauten: Wenn die Koalition bricht, liefern nicht wir von der CDU zu wenig Sozialpolitik, sondern ihr von der SPD zu wenig Zukunftssicherung. Die zweite Botschaft heißt: die Koalition kann durchaus in diesem Jahr platzen, und ich stehe dann bereit.

Kurzum: Die ersten 100 Tage sind aus Sicht der neuen CDU-Vorsitzenden geschmeidig bis gut gelaufen. Ihre Chancen sind gestiegen, in nurmehr wenigen 100 Tagen ins Kanzleramt einzuziehen

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Corinne Henker / 22.03.2019

Bitte nicht! Ich traue Mini-Merkel genauso wenig wie Merkel 1.0. Ich denke, es ist nur Wahlkampfgetöse, ähnlich wie bei der CSU vor der Bayernwahl. Jetzt sind dort alle wieder ganz brav auf Merkel-Kurs und genauso wird es bei AKK auch sein nachdem die EU-Wahl und die LTW im Osten vorbei sind. Wie sonst will sie mit den Grünen koalieren???

Thomas Weidner / 22.03.2019

Herr Weimer - AKK ist doch nur das Überdruckventil im Kessel. Der sozialistische Kurs von CDU/CSU wird solange weitergehen, bis Deutschland da angekommen sein wird, wo die DDR schon 1989 war. Zur Erinnerung: AKK und KGE sind doch allerbeste Freundinnen und brennen doch schon für eine schwarz-grüne Koalition. Herr Weimer - sind Sie AKK auf dem Leim gegangen - oder wollen Sie die weitere und vertiefte Einführung des grünen Sozialismus?

Michael Lorenz / 22.03.2019

“Beide gehen offensichtlich in enger Abstimmung vor, beraten in Morgenrunden die nächsten Schritte.” Eben. Es ist Merkel, die im Hintergrund dezent kocht, aber AKK beim Kellnern die Kochmütze tragen lässt. Und egal, was denen noch so alles einfällt, und wenn sich beide noch so sehr verrenken: noch einmal lasse ich mich nicht ver ...

Detlef Dechant / 22.03.2019

Da könnten Sie recht haben, Herr Weimer, dass die Koalition noch in dieser Legislaturperiode platzen könnte. Die SPD hofft dabei ja auf Neuwahlen. Das ist aber gar nicht nötig. Anderes Szenario : Merkel tritt zurück und AKK wird Kanzlerin von Jamaika. Grüne und grünkonservative Spiessbürger der CDU wären endlich am Ziel. Probleme bekäme dabei aber gewaltig die FDP, die in Bündnissen mit Grünen nur verlieren kann, da sie dabei viele liberale Grundsätze über Bord werfen müsste. Die linke Ökofraktion, leider immer noch sehr groß, sieht das ja anders. Aber ideologisch Verblendete sind immer außerhalb ihres Blickwinkels blind. Es würde sich dabei auch zeigen, ob Lindner wirklich der Parteiführer ist oder mittlerweile mehr Getriebener.

Hermann Neuburg / 22.03.2019

Solche Artikel zeigen genau das Dilemma auf, das wir in Deutschland haben. Das Volk, der Wähler ist nur noch dazu da, bei Wahlen zu bestätigen, was Politiker und Journalisten festgesetzt haben. Und der Artikel zeigt, dass es aber auch überhaupt nicht um Taten geht, z.B. die Grenzen zu schließen, sondern nur um das Gerede darum, um die, pardon, dummen CDU-Wähler zurück zu bekommen. Wenn tatsächlich einfach so AKK zur Kanzerin gewählt wird, ist das die absolute Krönung der Abwesenheit von echter Volksherrschaft, von Demokratie. Und Deutschland? In dem Artikel aber auch kein Wort davon, ob das alles gut für Deutschland und Europa ist.  AKK will mit den Grünen regieren, aber auf die Konservativen zugehen, meisterlich aus Sicht der Partei, zerstörerisch aus Sicht des Landes. Erst AKK, dann die Union, dann die Günen und als letztes Deutschland. Das sind seit Merkel die Prioritäten. Ich würde diesem Land so gerne den Rücken zuwenden, leider ist das fast unmöglich in meiner Situation. Bleibt die innere Immigration. Frage an den Autor: was ist wirklich positiv an AKK?

Claudius Pappe / 22.03.2019

Herr Weimer, meinen sie das wirklich ? Wie tief muss ihre Toleranzgrenze an Politiker gesunken sein, um einer Figur wie Krampf-Dingsbums irgend etwas zu zutrauen. Aber in einem haben sie recht, Auf einer Skala von -100bis +100 übertrifft AKK Nahles um 1%. Nahles = -100 %. AKK = -99 %. Merkel steht bei -100%. Alle anderen Politdarsteller auf Stadt-, Kreis-Landes- und Bundesebene bewegen sich auf dem gleichem Niveau. Die Angehörigen der 13 %  Partei ,die nicht genannt werden darf, befinden sich allerdings im positiven Bereich.

Wolfgang Kaufmann / 22.03.2019

Die SPD sollte sich auf ihren Markenkern konzentrieren: Anteilseignerin im Medienbereich. Dort kann sie weit höhere Prozentwerte erreichen als im Bundestag.

Frank Volkmar / 22.03.2019

Die SPD hat es versäumt bei zwei Themen Rückrat zu zeigen. Das hat ihr das Genick gebrochen. Im September ´15 hätte sie mit Nachdruck auf die Wiederherstellung eines ordentlichen Grenzregimes drängen müssen. Zudem hätte sie Merkels 180°-Wende bei der Kernenergie nicht mitmachen dürfen, vor allem vor dem Hintergrund der CO2-Problematik

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