Hubert Aiwanger soll zurücktreten, weil er sich vor 35 Jahren „diskreditiert“ hat. Am Lautesten fordern das ausgerechnet diejenigen, die selbst deutlich aktuellere Rücktrittsgründe hätten, wie der Gesundheitsminister Karl Lauterbach.
Zu sagen, die Süddeutsche Zeitung (SZ) sei ein antisemitisches Hetzblatt, wäre sicher eine Übertreibung. Aber es gibt schon mehr als nur einen „Anfangsverdacht“, dass die SZ sich ab und zu einen antisemitischen Ausrutscher leistet, in aller Unschuld, wie sie für den Antisemitismus der gebildeten Stände charakteristisch ist, in einem Milieu, wo man gerne über den „jüdischen Beitrag zu deutschen Kultur“ redet und die Lage im Gaza-Streifen mit der im Warschauer Ghetto vergleicht. Hier eine kleine, aber charakteristische Auswahl von antisemitisch kontaminierten Beiträgen aus der „Prawda des Südens“:
Da war eine Karikatur des israelischen Ministerpräsidenten, die zu einer sofortigen Entlassung des Karikaturisten geführt hat. Immerhin, könnte man sagen. Ungeklärt blieb allerdings die Frage, wie so eine Karikatur ins Blatt kommen konnte, vorbei am zuständigen Redakteur, dem C.v.D., dem Chefredakteur und allen an der Produktion der Zeitung Beteiligten. Es ist, als würde ein Edelrestaurant „Ausgekotztes vom Rind“ auf die Tageskarte setzen und es erst merken, nachdem sich die Gäste beschwert haben. Hier und hier.
Eine andere „antisemitisch anmutende Zeichnung“, die dem Facebook-Erfinder Zuckerberg gewidmet war, hat sogar ihren Urheber kalt erwischt. Sie sei, bekannte er, „unter Zeitdruck“ entstanden. „Mir ist in der Situation nicht aufgefallen, dass die Darstellung problematisch sein könnte, da ich Zuckerberg überhaupt nicht als Juden betrachtet habe.“ Bingo, möchte man rufen, genau so funktioniert der vegetative Antisemitismus. Hier.
Ein vermeidbares Missverständnis
Die SZ hat es sogar geschafft, eine harmlose und völlig antisemitismusfreie Zeichnung in ihr Gegenteil zu verwandeln, indem sie entsprechend kontextualisiert wurde. Die zuständige Redakteurin bat um Verständnis für ein „Missverständnis, das vermeidbar gewesen wäre“. Ich war anderer Meinung. „Die Süddeutsche Zeitung setzt dort an, wo der Stürmer 1945 aufhören musste.“ Hier.
Und nun nimmt die SZ den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, in die Zange. Sie hat ein 35 Jahre altes lupenrein antisemitisches Flugblatt ausgegraben – oder es wurde ihr zugespielt –, das Hubert Aiwanger als 17-jähriger Schüler verfasst haben soll. „Ich war es nicht!“, sagt Aiwanger, „ich weiß aber, wer es war!“ Worauf sich sein älterer Bruder Helmut zu Wort meldet: „Ich war es! Und ich distanziere mich von diesem Machwerk!“
Ginge es nicht um ein von Judenhass triefendes Stück Papier, sondern um die Vaterschaft an einem unehelich gezeugten Kind, für die zwei Brüder verantwortlich sein könnten, wäre das „a Mordsgaudi“ für das Berchtesgadener Bauerntheater, mit den drei „Bergvagabunden“ in den Hauptrollen. Das ist es aber nicht. Es geht in diesem Abgrund an Heuchelei auch nicht um Antisemitismus und Juden, es geht um politischen Geländegewinn mit Hilfe des Antisemitismus auf dem Rücken der Juden. Und es ist auch wurscht, ob's der Hubert oder der Helmut war oder sonst irgendein Hanswurst in Lederhosen – ginge es nicht um ein Flugblatt, sondern um Mord oder Totschlag, wären die Täter längst wieder auf freiem Fuß. Wie der RAF-Terrorist Christian Klar, der wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt und nach 26 Jahren auf Bewährung entlassen wurde, worauf ihm Claus Peymann, der langjährige Intendant des Berliner Ensembles, ein Praktikum als Bühnentechniker anbot, das Klar allerdings nicht annahm.
Alte Rechnungen werden beglichen
Antisemitismus ist Alltag in Deutschland. Auf der documenta in Kassel, auf den Straßen und Plätzen in Kreuzberg und Neukölln, im subventionierten Kulturbetrieb, dessen Spitzenvertreter sich mit dem BDS solidarisieren und Petitionen über Israels Existenzrecht verbreiten. Und je mehr „Antisemitismusbeauftragte“ berufen werden, desto ungenierter lebt sich der Judenhass aus.
Unter diesen Umständen ein 35 Jahre altes Pamphlet aus der Versenkung zu holen, ist ein Täuschungsmanöver, eine Chance, alte Rechnungen zu begleichen. Zum Beispiel für den Universalversager Karl Lauterbach, der sich zu diesem Statement herabließ:
„Schon seine Verschwörungstheorien als radikaler Impfgegner hat (!) Hubert Aiwanger für mich als ernsthaften Politiker völlig diskreditiert. Sollte er der Verfasser des menschenverachtenden ‚Ausschwitz Pamphlet‘ [!] sein (!) muss er zurücktreten.“
Was soll man von einem Mann halten, der sich als "Professor" präsentiert, Singular von Plural nicht unterscheiden kann, die Regeln der Zeichensetzung ignoriert und "Auschwitz" mit SS in der Mitte schreibt, als würde es sich um eine Sauna handeln, die man zum Schwitzen aufsucht?
Minderleister Lauterbach will, dass Aiwanger zurücktritt, weil der sich vor 35 Jahren „diskreditiert“ hat. Lauterbach dagegen, der sich jeden Tag aufs Neue als unfähig erweist, macht munter weiter. Bis irgendein Pamphlet bekannt wird, das er als Zehnjähriger über die Gefahren von Salz und Zucker in Speisen und Getränken geschrieben hat.
PS: Wer von Karl Lauterbach redet, sollte über Saskia Esken nicht schweigen. Die charismatische SPD-Politikerin und Abgeordnete des Bundestages verfügt über ein Monatseinkommen von rund 24.000.- brutto, davon entfallen 9.000.- Euro auf eine "Aufwandsentschädigung", die ihr als Parteivorsitzenden zustehen. In der Sache Aiwanger gab sie der Funke-Mediengruppe ein Interview, in dem sie u.a. sagte: "Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst, aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, lassen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem zugrunde lag." - Und wie geht es weiter? Muss noch ermittelt werden, wer das "Ausschwitz-Pamphlet" geschrieben und wo es 35 Jahre geruht hat, bis es der SZ in die Hände fiel? Nein, das muss nicht sein. Frau Esken übernimmt den Fall und führt ihn sinnvoll zu Ende. Rechtliche Grundlage wäre eine noch zu verabschiebende Verordnung über die Anwendbarkeit von Sippenhaft in außergerichtlichen Schnellverfahren.
Henryk Modest Broder, geb 1946 in Katowice/Polen, ist Herausgeber von Achgut.com.
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