Gastautor / 22.03.2016 / 17:40 / Foto: peronimo / 6 / Seite ausdrucken

Ai Wei Wei kultiviert den Empathietourismus als Kunstform

Von Martin Oswald.

Als Ende Januar 2016 der aus China stammende Aktionist Ai Wei Wei, dem vornehmlich im deutschsprachigen Feuilleton abwechselnd das Label „Künstler“ und „Dissident“ umgehängt wird, sich am griechischen Strand auf Lesbos in der Pose des im türkischen Bodrum gestrandeten toten Flüchtlingsjungen abfotografieren ließ, war für viele eine Schmerzgrenze überschritten. Abgesehen vom künstlerisch doch arg  billigen Einfall, ein die Welt berührendes Bild ein weiteres Mal nachzustellen, schien die Absicht allzu durchsichtig, auf Kosten des durchlittenen Leids anderer vor allem sich selbst medial zu inszenieren. 

Unabhängig von der ethisch begründeten Ablehnung der geschickt nicht als Kunstaktion deklarierten Handlung hatte sich die vorgebliche Intention des Künstlers, nämlich auf die Situation der Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten aufmerksam zu machen, längst über das Originalbild des Leichnams von Aylan Kurdi schon erfüllt. Auch dass sich die Tragik tagtäglich ähnlich wiederholt, war zum Zeitpunkt der Aktion bekannt und bedurfte keines Nachdrucks. Was blieb, war der schale Nachgeschmack, dass ein sich der Medienöffentlichkeit bedienender Künstler als Märtyrer für die gute Sache auf den steinigen Strand legt, um damit sein Tun ins Parareligiöse hinein zu transponieren. Wer so für andere fühlend daliegt, adelt sich selbst als Heiliger des Mitgefühls und der Segen fällt auf alles, was noch künftig von ihm kommt.

Der Mönch am Meer – liegend. Damit wird der Gestus wichtiger als die Form. Wer fortan die künstlerische Qualität bei Ai Wei Wei als Maßstab nimmt, handelt unmoralisch, denn er vergeht sich am guten Werk. Manche fanden die Geste zynisch, hilflos war sie allemal. Noch schlimmer, so dachten oder hofften viele, konnte es eigentlich nicht kommen. Doch es kam. Sechs Wochen später im März erreicht die an Dramatik nicht arme Flüchtlingskrise durch die von Österreich und den Balkanländern beschlossene Grenzblockade zwischen Griechenland und Mazedonien einen neuen Höhepunkt. Tausende, die nach Norden weiter wollen, stecken an der Grenze im Morast und hausen in einer Zeltstatt, die im Kalkül den Druck auf jene, die nach politischen Wegen suchen, massiv erhöht. Wieder gehen die Bilder um die Welt. Und wieder kommt: Ai Wei Wei.

Diesmal hat er ein Klavier dabei. Denn um inmitten einer Menschenmenge aufzufallen, bedarf es eines Dingsymbols, das sich womöglich bald ausstellen und vermarkten lässt. Es ist weiß und die unvermeidlichen Spritzer und Spuren des Schlammes von Idomeni werden es einst als das geschändete Kleid einer sich in Reinheit wiegenden, längst vor dem Abgrund stehenden abendländischen Zivilisation markieren. Als Ideosynkrasie am Rande der Wiege zu unserer Demokratie. Irgendwie so wird es bald im Begleittext auf der Messe oder noch besser im Museum stehen.

Die Kameras stehen bereit. Es regnet. Wir sehen eine Gruppe von Männern im Regen ein erstaunlich leichtes Piano über den morastigen Boden tragen. Auf dem Boden Folien, man hält eine Plane über das Instrument. Aus dem Off angekündigt ist das improvisierte Konzert einer syrischen Pianistin für ihre Landsleute im Elend. Doch das instrumentalisierte Mädchen, das wir sehen, kann offenkundig gar nicht Klavier spielen. Es berührt mit einzelnen Fingern einige Tasten und wir hören ein paar klägliche Töne eines billigen E-Pianos. Das Konzert ist nach kaum einer Minute beendet, denn der Take für die Weltöffentlichkeit darf nicht länger dauern, sonst geht er unter in der Flut an Meldungen. Die Botschaft hat ihr Ziel erreicht.

Gleichsam nebenan kann Nobert Blüm in seinem Zelt von solcher Prominenz nur träumen. Der einstige deutsche Arbeitsminister, das hochbetagte soziale Gewissen seiner Partei, hatte nämlich eine ganz ähnliche Idee und übernachtete aus Solidarität in einem Zelt. Das fiel zunächst kaum auf. Vielleicht war es für ihn Fügung oder auch nur Glück, im Sog um Ai Wei Wei ein Stück der Mediengunst für sich zu leihen. Oder gar Pech. Denn  den jesuanischen Nimbus dessen, der sich um die Armen sorgt  und auf ihr Schicksal wirkungsvoll verweist, beherrscht nur ein Künstler unserer Zeit so gut wie Ai Wei Wei. Solch ein Künstler, der sich zum Maßstab für Menschlichkeit und Empathie erhebt, darf sogar strafen und dort seine Liebe auch entziehen, wo Schlechtes aus seiner Sicht geschieht. So geschah es denn auch in Dänemark, wo er im gleichen Monat seine Kopenhagener Schau „Ruptures“ vorzeitig abbrach, aus Protest gegen die Asylpolitik der dänischen Regierung. Was einst für ihn das Pekinger Regime erledigte, besorgt er nun selbst: Er schließt seine Ausstellungen. Damit schließt sich der Kreis.

Über den Autor:

Martin Oswald ist Professor für Kunst in Weingarten. Die von ihm 1994 gegründete Galerie ChinArt (bis 2004) war eine der ersten europäischen Galerieen für zeitgenössische Kunst aus China. Ausstellungen und Publikationen zum Thema (u.a. in: Süddeutsche Zeitung - Feuilleton vom 11./12. 2. 1995 „Provokation und Repression - Zur Situation der zeitgenössischen Kunst in China“). Er ist Verfasser des Buches „Ein Abriss. Kleines Lexikon der architektonischen Abwege“ (Architektursatiren).

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Hendrik Schaumeier / 24.03.2016

Ich fand das Foto am Strand brilliant. Es war die maximale Verachtung für die oberflächlich-dümmliche Weltenretterei unserer Grumenschenbrigade. Die Nachstellung des Fotos sollte zur Touristenattraktion werden. Aus Protest. Auch die Blümnummer kann ich mir nur noch mit “Kunst” erklären. Sinn macht das alles schon lange nicht mehr. Wer Gender, Diversity, Multikulti, No-Borders, Grundeinkommen, Piraten und Professorinnen-Pflicht aus rationaler Perspektive betrachtet, der wird definitiv scheitern. Nimmt man aber den Blickwinkel der Kunst ein, dann erkennt man schnell das Muster: Wir durchleben gerade das “Neo-Dada”. Das “Institut für politische Schönheit” ist dabei nur eine besonders schöne unter den vielen Perlen. Ai Wei Wei hat das erkannt und er zieht es durch, wie man das als Künstler eben so macht.

Thomas Bode / 24.03.2016

Man kann natürlich diese Selbstdarsteller verurteilen. Von der Sorte wimmelt es ja. Man denke an das Geflenne von Gabriel im jordanischen Camp, das seine eigene Regierung 2014/ 15 noch total vernachlässigt hat. Oder die für die Kameras in Griechenland vor Empathie verzerrten Züge Göring-Eckardts. Ebenso wie die selbstgefälligen Predigten all der Journalisten die offenbar meinen die moderne Priesterschaft zu sein. Was besonders drollig ist wenn man sich das Image dieses Berufsstandes – etwa auf dem Niveau von Gebrauchtwagenhändlern – vergegenwärtigt. Aber sie einfach nur zu verurteilen greift nicht, da viele wohl naiv meinen tatsächlich für das Gute zu streiten. Und vor allem weil es wichtig ist aufzudecken was dem psychologisch und kulturell zugrunde liegt, außer Opportunismus und Selbstergriffenheit. Das ist wohl eine Paranoia gegenüber der eigenen Bevölkerung die als potentiell rechts, und als erbarmungslos und herzlos imaginiert wird. Das berührt aber komplexe Probleme die hier zu weit führen… Wir brauchen einen Massenpsychologen der Deutschland mal auf die Couch legt. Ai Wei Wei gehört als globaler Player auch zu dieser Schicht, die sich selbst als moderne, weltoffene, tolerante Menschenfreunde definiert. Was ja im Prinzip fein ist, aber leider von Kalkül, Dämlichkeit und Paranoia entwertet wird.

Ernst-Fr. Siebert / 24.03.2016

Ai Wei Wei ist in China als Bankrotteur und Steuerhinterzieher in Millionenhöhe bekannt.

Florian Bode / 24.03.2016

Ai wei wei ist zumindest als Künstler m. E. exorbitant überschätzt. Passt ganz gut, denn seine Fans überschätzen ja auch andere (politische) Selbstdarsteller massiv. Mi fällt da z. B. der Beifall für AM und Kretschmann ein.

Beatrice Hamberger / 23.03.2016

Gestern habe ich von Amazon eine E-Mail erhalten. Angeboten wurde mir das neue Buch von Norbert Blüm: „Aufschrei!“ Wider die erbarmungslose Gesellschaft“. Aha, dachte ich, Idomeni war ein tolles Timing. Der alte Mann kann uns eigentlich egal sein. Ärgerlich ist, dass Ai wei wei eine Gastprofessur an der Hochschule der Künste hat und für seinen Quatsch nicht nur mediale Aufmerksamkeit, sondern auch noch öffentliche Gelder erhält.

Patrick Kühnel / 23.03.2016

Mich überrascht das gar nicht. Bei vielen Chinesen ist Ai Weiwei spätestens seit seinen “Toten Kindern von Sichuan” unten durch. Während Zigtausende chinesischer Freiwilliger sich in die Unglücksregion aufgemacht haben um mit anzupacken, fiel Herrn Ai nichts Besseres ein, als das (berechtigterweise zu kritisierende) Versagen der Baubehören etc.  dazu auszunutzen, um sich als Regimekritiker im Westen in Szene zu setzen. Angesichts der medialen Selbstinszenierung als heldenhaftes Opfer des chinesischen Regimes (man hat ihm sogar auf den Kopf geschlagen!), das für die Wahrheit kämpft,  tritt das Leid der Bevölkerung, die am allerwenigsten für die Versäumnisse kann, völlig in den Hintergrund. Und die hirngewaschenden Medien besonders in Deutschland beißen auch noch freudig an, damit die Denkschablone auch immer schön passend bleibt. Man möchte ihnen zurufen: Liebe Leute, das ist kein Martin Luther, der hier steht und nicht anders kann, sondern ein Künstler, der um Aufmerksamkeit (und Kohle) buhlt -  Effekthascherei, dem ein moralisches Mäntelchen umgehängt wird… gehts noch dummdreister?

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