Henryk M. Broder / 14.09.2007 / 15:45 / 0 / Seite ausdrucken

Ahmadineschads willige Geiger

Auch nach der Rückkehr der Osnabrücker Symphoniker aus dem Iran geht die Diskussion um den “Kulturaustausch” weiter. Und die Parole “Ich komm zum Glück aus Osnabrück” bekommt eine ganz neue Bedeutung. Aus der Stadt des Friedens berichtet Richard Wagner:

Wer zu nah dran steht, sieht das Bild nicht mehr…. Einige Zeit ist vergangen, seitdem die Helden von Teheran ins heimische Osnabrück zurückgekehrt sind und es wird Zeit für eine Nachbetrachtung. Man sollte meinen, nachdem die Hektik und Euphorie der Reise abgeklungen sind und die Gemüter sich etwas beruhigt haben, würde sich die Möglichkeit eines selbstkritischen Blickes auf das eigene Tun eröffnen. Dem ist offenbar nicht so. Wie anders wären die Reaktionen der Beteiligten auf kritische Anmerkungen von Außen zu verstehen. Der Intendant des Theaters macht sich erst gar nicht die Mühe, inhaltlich darauf einzugehen, verdammt sie pauschal als Unsinn und beschäftigt sich lieber mit der guten Presse, die das Haus in der letzten Spielzeit eingefahren hat. Folgt man dieser Darstellung stellt man sehr schnell fest, dass das Theater Osnabrück unter seiner Führung in kürzester Zeit zum wichtigsten Theater Deutschlands wurde. Herzlichen Glückwunsch.

Der Dirigent des Orchesters, Hermann Bäumer, reagiert gar nicht auf Kritik und freut sich lieber über die guten Konzertkritiken aus Teheran.

Der Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück, Boris Pistorius, spricht einem Journalisten generell das Recht ab, die Orchesterreise zu kritisieren, da er gar nicht vor Ort gewesen sei, „… getreu dem Motto, ich recherchier mir doch nicht meine eigene Geschichte kaputt.“ Offensichtlich haben die Berater des Bürgermeisters vergessen ihn darauf hinzuweisen, dass der Journalist lediglich einen Kommentar zur Reise und ihrer Darstellung in den hiesigen Medien veröffentlicht hat. Dazu ist es offensichtlich sogar von Vorteil, die Sache aus der Ferne zu betrachten.

Bleibt zuletzt das Orchester selbst. Auch bei den Musikern bleiben Zweifel und Selbstkritik eher zarte Pflänzchen ohne Hoffnung auf eine große Zukunft. Mann versucht, die Reihen dicht geschlossen zu halten und versichert sich gegenseitig, zweifellos dass Richtige getan zu haben. Offensichtlich hat man bereits im Flugzeug nach Düsseldorf vorgefertigte Sätze zur Verteidigung im Chor einstudiert: „Lesen Sie doch einmal, was zu dem Broder-Artikel in den Foren diskutiert wird“ (Da wird u.a. gefordert, Broder endlich zu exekutieren), „Wir sind zu den Menschen gefahren“ (Das sind, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht die Menschen, die den Exekutionen beiwohnen. http://www.zeit.de/online/2007/36/Exekutionen-Iran ), „Präsident Ahmadinedschad ist nur von einer kleinen Minderheit des iranischen Volkes gewählt worden.“(Das gilt für die meisten demokratisch gewählten Herrscher, wenn es sich anders verhält, sollte man den Kandidaten kritisch unter die Lupe nehmen. Zudem ist es mit Sicherheit auch nur eine Minderheit, die den Holocaust leugnet, die Mehrheit wünscht sich wahrscheinlich, dass die Nationalsozialisten die Judenvernichtung zu Ende gebracht hätten.) Dem Einwand, man habe sich vor den Karren der Mächtigen im Teheran spannen lassen, begegnet man mit völligem Unverständnis. Das hätte man ja wohl gemerkt, wenn man vor irgendeinen Karren gespannt worden wäre. Ein zentrales Wesensmerkmal des vor den Karren Spannens ist aber, dass der vor den Karren Gespannte in der Regel nicht merkt, das er vor den Karren gespannt wurde, da er sich sonst wahrscheinlich nicht hätte vor den Karren spannen lassen, besonders dann nicht, wenn niedere Beweggründe im Spiel sind. Wie dem auch sei, wurde die Frage, ob ein Hijab den Auftritt im Fernsehinterview ästhetisch negativ beeinflusst hat, wesentlich kontroverser diskutiert. Im Bezug auf die Kopftücher hat im Endeffekt wohl auch der nachhaltigste Teil des Kulturaustauschs stattgefunden. Nachdem die weiblichen Mitglieder des Orchesters nach Aufforderung durch den Vorstand, die Tücher im Konzert besonders züchtig über das Haupt geworfen hatten, wurden die Iranerinnen im Publikum vom behördlichen Überwachungspersonal darauf hingewiesen, wie ordentlich die Ausländerinnen gekleidet sind.

Die Bürger Osnabrücks stehen dieser Art der Vermarktung der Stadt zunehmend kritisch gegenüber. Wurde die Kampagne „Ich komm’ zum Glück aus Osnabrück“ aus dem Jahre 2003 noch mit einem milden Lächeln ertragen, war die Belastungsgrenze mit der Verniedlichungsaktion vom August dieses Jahres schon erreicht http://www.osnabrueck.de/25929.asp . Jetzt auch noch als Ahmadinedschads willige Geiger in die Geschichte einzugehen, ist für einen offensichtlich nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung kein besonders gelungener Werbegag.

Christian Heinecke, der tapfere Tagebuchschreiber aus der Neuen Osnabrücker Zeitung, ist jedenfalls sehr betroffen darüber, wie viel Kritik sich über ihn ergießt. Er hatte offensichtlich überhaupt nicht damit gerechnet, kritisiert zu werden.

Auch um den Schreck aller Mullahs, Michael Dreyer, der die Konzertreise gegen den massiven Widerstand der geistlichen Würdenträger durchgesetzt haben will http://fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/?em_cnt=1203986 und der eine Bundestagsdelegation ausgeladen hatte um den unpolitischen Charakter der Reise zu unterstreichen ist es ruhig geworden. Jedenfalls war bis jetzt von ihm noch kein lautstarker Protest gegen die drohende Entlassung des Chefdirigenten des Teheran Symphony Orchestra, Nader Mashayekhi, zu vernehmen, die offensichtlich in direktem Zusammenhang mit der Zensur einer Komposition Mashayekhis für das Konzert des Osnabrücker Orchesters in Teheran, steht. Gegen die Zensur ist ebenfalls nicht protestiert worden, wobei man davon ausgehen darf, dass Herr Bäumer lieber Elgar als Mashayekhi dirigiert. Sehr wohl hatte man sich im Vorfeld der Reise um eine hochrangige Bundestagsdelegation bemüht, die dann aber nicht hochrangig genug ausgefallen ist, um der Wichtigkeit des Geschehens gerecht zu werden, sodaß man doch auf deren Mitreise verzichtet hat.

Man kann den Musikern aus Osnabrück zugute halten, dass sie mit besten Absichten in den Iran geflogen sind, muß aber auch große Naivität bei Planung und Durchführung der Reise feststellen, die nur noch von Herrn Döring von der Neuen Osnabrücker Zeitung übertroffen wird. Er schreibt in einem Artikel vom 3.9.2007, der online leider nicht mehr verfügbar ist: „Wäre Ahmadinedschad zum Konzert in der Vahdat-Hall erschienen, wäre das Orchester nicht aufgetreten.“ Das glauben nicht einmal die Osnabrücker Sinfoniker.

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