Volker Seitz / 25.11.2021 / 12:00 / Foto: Mutiganda Janvier / 16 / Seite ausdrucken

Afrikanische Karrieren: Einfallsreich, kreativ und wagemutig.

In seinem neuen Buch schildert der Afrika-Kenner David Signer die Lebenswege von 18 Afrikanern, denen es trotz sehr harter Widerstände gelang, ihre Wünsche zu verwirklichen, und die nicht nach Europa strebten.

David Signer ist als einer der sachkundigsten Afrika-Experten weithin bekannt. Er hat Ethnologie, Psychologie und Linguistik in Zürich und Jerusalem studiert. Er war Redakteur beim Tagesanzeiger, der Weltwoche und schließlich seit 2013 bei der NZZ für Afrika zuständig. Von 2016–2020 war Signer Afrika-Korrespondent der NZZ mit Sitz in Dakar/Senegal. Signer konnte in den Jahrzehnten seiner Feldforschung und in seiner Zeit als Korrespondent auch die Auswüchse der sogenannten Entwicklungshilfe in Afrika beobachten (vgl. „Afrika hat genug von seinen Helfern“ und „Entwicklungshilfe: Berichte über Korruption für jedermann zugänglich“). 

Er ist auch Autor des bahnbrechenden Buches „Die Ökonomie der Hexerei oder Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt“ (Hammer, 2004). Anhand konkreter Beispiele untersuchte Signer jahrelang das westafrikanische Denken und zeigt Hintergründe auf. Er macht verständlich, weshalb die „Ökonomie der Hexerei“ Fortschritt behindern kann. (Das Buch ist leider nur noch in der EBook-Version erhältlich.) 

Afrikaner, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen

In seinem kürzlich erschienenen Buch „Afrikanische Aufbrüche“ (NZZ Libro, 2021) spürt Signer den Lebenswegen von 18 afrikanischen Männern und Frauen nach, denen es trotz sehr harter Widerstände gelang, ihre Wünsche zu verwirklichen, und die nicht nach Europa strebten. Das Buch verschafft uns einen außergewöhnlichen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Menschen, die in den üblichen Berichten aus Afrika Gefahr laufen, unsichtbar zu bleiben. Signer idealisiert nicht. Er weist auf Eigenheiten, Abhängigkeiten und Schwierigkeiten hin und erläutert, warum viele Afrikaner noch immer in großer Armut leben. 

Einige Highlights des sehr lesenswerten neuen Buches: 

Die Elite lebt bequem von einer automatisch fließenden Rente, erachtet es nicht für nötig, die Wirtschaft zu diversifizieren und pflegt Klientelismus und Korruption... Die rechtlichen Verhältnisse sind oft unklar, die Bürokratie kompliziert, zähflüssig und korrupt... Einen festen, bezahlten Job zu haben ist die Ausnahme. Und selbst Staatsangestellte erhalten ihren Lohn monatelang nicht. Die meisten wursteln sich nach wenigen Schuljahren mit Gelegenheitsjobs im informellen Sektor durch... Zudem ist die Bevölkerung in der Zwischenzeit enorm gewachsen. Man geht davon aus, dass sie sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird, das heißt, sie wird dann mehr als zwei Milliarden umfassen. So wie es jetzt aussieht, können für diese neue Generation niemals genug Arbeitsplätze geschaffen werden. Jegliches Wirtschaftswachstum wird 'weggefressen'.“ (Seiten 10–12)

David Signer erzählt Geschichten von Afrikanern, die nicht bereit waren, die Gegebenheiten zu akzeptieren, wie sie sind. Sie wollten verändern, ihr Leben gestalten und nicht in den Norden emigrieren. Bei allen war der Wunsch, sich zu verbessern oder sich weiterzubilden, stark ausgeprägt. 

Dem armen Dorfjungen Godfrey Masauli aus Malawi gelang es nach einer Reihe unwahrscheinlicher Ereignisse, eine Pilotenlizenz für eine Cessna zu bekommen. (Seiten 29–34) 

Eine „anständige“ Frau heiratet, aber in Kinshasa gibt es Frauen, die sich gegen alle gesellschaftlichen Normen selbst durchschlagen: als Boxerinnen. (S. 49–56) 

Der Senegalese Abdoulaye Keita, dessen Mutter gelähmt und dessen Vater geisteskrank war, wurde als Kleinkind weggegeben, er wuchs bei Verwandten in desolaten Verhältnissen auf. Heute hat er eine verantwortungsvolle Stelle in einem Sozialprojekt inne. Diesen Aufstieg hat er, so Signer, „weder dem Staat noch irgendeiner Art von Entwicklungshilfe zu verdanken, lediglich seiner eigenen Intelligenz und seiner Widerstandskraft“. (S. 71) 

In Burkina Faso ist jede dritte Hebamme männlich

Der religiöse Extremismus äußert sich in Afrika nicht nur islamisch, sondern auch christlich. Freikirchen sind in Ghana allgegenwärtig und oft fanatisch.“ Um dem Glaubensterror entgegenzuwirken, gründeten junge Ghanaer die „Humanist Association of Ghana“. In einem Porträt beschreibt Signer die 32-jährige Präsidentin des Klubs, Rosyln Mould. (Seiten 101–105) 

Wie fast überall in Afrika findet das Leben draußen statt. Signer schildert das Leben einer Wäscherin im Senegal, die inmitten von Verkehr, Lärm und Schmutz arbeitet. Sie ist rechtlos und verdient fast nichts. Doch die Wäscherinnen haben sich kürzlich organisiert. Längerfristig plant die Vereinigung, ein Lokal zu mieten, in dem die Frauen arbeiten und abwechselnd auf alle Kinder aufpassen könnten. Außerdem ist eine selbsttragende Krankenkasse geplant. (Seiten 109–112) 

In Gabun hat Jean Elvis Ondo den Auftraggebern von Ritualmorden den Kampf angesagt. „In der traditionellen afrikanischen Medizin spielen Opfer, Fetische, Amulette, sogenannte Gris-Gris, eine wichtige Rolle... Gemeinhin geht man davon aus, dass die dargebotenen Opfer umso größer ausfallen müssen, je gewichtiger das Anliegen ist... Will jemand allerdings Minister werden, gibt es bestimmt Leute in seinem Umfeld, die zur Opferung eines Kindes raten... Will einer mehr Macht oder Reichtum, muss ein anderer Macht oder Reichtum verlieren. Einer muss – im doppelten Sinn des Wortes – geopfert werden. (Seiten 143–144)

Auch in den anderen Geschichten sind die Afrikaner einfallsreich, kreativ und wagemutig. Signer schildert z.B. ein Straßenkind, das den ersten Zirkus im Senegal gründet, wie ein Blinder in Kenia eine Sozialfürsorge für seine Gemeinde auf die Beine stellt, wie ein ehemaliger Kindersoldat im Kongo ins normale Leben zurückfand, wie ein Gambier nach einem Studium in St. Gallen in Gambia trotz Willkür in seinem Land ein Backstein- und Bauunternehmen aufbaut und warum in Burkina Faso jede dritte Hebamme männlich ist. 

Ein Meister des pointierten Erzählens

Die männlichen Sapeurs aus den Armenvierteln von Kongo-Brazzaville mit ihrer wilden Kombination von Designeranzügen sind berühmt geworden. Die meisten Sapeurs arbeiten tagsüber als Taxifahrer, Schneider, Gärtner, Tagelöhner, verwandeln sich aber nach Feierabend in lässig-elegante Dandys. (Tariq Zaidi: Sapeurs. Ladies and Gentlemen of the Congo, Kehrer, 2020).

Signer beschreibt in seinem Buch ein Treffen mit der originellen Ntsimba Marie Jeanne Bifouma, die den Männern Konkurrenz macht. Sie macht sich lustig über jede Art von Herrschaft und bringt Farbe und Fröhlichkeit in den tristen Alltag des von Müll und Schmutz beherrschten Brazzaville. 

Das Buch bietet nach solider Recherche, Lokalaugenschein und Hintergrundgesprächen viele großartige Geschichten. David Signer gehört zu den am besten lesbaren und unterhaltsamsten europäischen Autoren über Afrika. Er ist ein Meister des pointierten Erzählens, der den Erkenntniswert von Anekdoten auszumünzen weiß. Besser kann man nicht für gegenseitige Toleranz und Achtung verschiedener Kulturen werben. 

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).

Foto: Mutiganda Janvier CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ludwig Luhmann / 25.11.2021

@Sara Stern / 25.11.2021 - “Afrika wird immer als hungerndes Shithole dargestellt, die arabischen Länder als blutrünstige Höllen vor denen man fliehen muss, was ja letzlich viele auch machen. Man hört kaum von positiven durchschnittlichen Lebensentwürfen. (...)”—-—- Positiv durchschnittliche Lebensentwürfe bei Mohammedanern? Ich empfehle Ihnen dringend die Lektüre der Schriften von Bat Ye’or zum Thema Islam und was die Mohammedaner in Afrika so trieben und noch treiben.  Bitte öffnen Sie die Augen für die echt wirkliche Realität ... ...

Frank von Bröckel / 25.11.2021

Liebe Schwarzafrikaner, Wenn Sie persönlich noch in Europa sogar freilaufende weisse Menschen in freier Wildbahn außerhalb von Reservaten beobachten wollen, DANN sollten Sie sich damit nicht zu viel Zeit lassen! Diese Leute sind in heutzutage in Wahrheit die Dodos der heutigen Zeit!

Frank von Bröckel / 25.11.2021

Liebe Schwarzafrikaner, Was unterscheidet eine eigene TFR von durchschnittlich über 5 vom sinnlosen Geschwätz alter weißer Männer? Richtig erkannt, man muß persönlich lediglich nur abwarten können, dann fallen die Reichtümer dieser alten weißen Männer einem selbst oder den eigenen Nachkommen OHNEHIN irgendwann absolut zwangsläufig dauerhaft in den Schoß!

Sara Stern / 25.11.2021

Ich denke das Problem viele Afrikanischer und arabischer Ethnien im Westen, ist das medial vermittelte Gefühl es als Ethnie zu nichts gebracht zu haben. Afrika wird immer als hungerndes Shithole dargestellt, die arabischen Länder als blutrünstige Höllen vor denen man fliehen muss, was ja letzlich viele auch machen. Man hört kaum von positiven durchschnittlichen Lebensentwürfen. Wenn dann ist es gleich wieder irgendeine Prinzessin oder ein Scheich, eine Königsfamilie usw. Logisch, dass bei diesen Ethnien, die nur das Shithole kennen im Westen eine Art Minderwertigkeitsgefühl aufgebaut wird, was dann zu dem aktuell beobachtbaren Hass auf die erfolgreicheren Ethnien, wie den Juden, Asiaten und Weißen oder Indern führt.

Ludwig Luhmann / 25.11.2021

Afrika ist angeblich die Wiege der Menschheit. Und wir Weißen sind angeblich die Ursache dafür, dass Afrika so ist, wie es ist. Angeblich sind ja auch alle Menschen gleich. - Ich empfehle den Film “Empire of Dust”. Da bekommt man ein Gefühl dafür, was die Chinesen von uns und von den Afrikanern unterscheidet. Da bekommt man ein Gefühl für die Realität, von der man uns seit Jahrzehnten ablenkt.

Chr. Kühn / 25.11.2021

Wie war das nochmal, ein Drittel aller (?) Afrikaner will weg und nach Europa? Sprich, 300 von 1000? Da helfen 18 tolle Leute leider weder uns noch ihren Ländern. Vielleicht sollten wir Deutsche dahin, wo dann der Platz frei wird, Raum ohne Volk, nein, Bevölkerung, sozusagen, 21th Century Edition. Unter widrigen Umständen wieder von klein anfangen…das sollten gerade wir doch noch können? Außerdem gibt’s da keinen Winter…und vielleicht bekommen wir alle dann eine gesunde, äh, Bräune? Im Ernst: 2 Mrd. Menschen auf dem Kontinent (aus geographischen und klimatischen Gründen sehr ungleich verteilt) funktioniert nicht. 5% davon nach Europa funktioniert auch nicht. Dann liegt das Land hier wie dort wüst, keinem ist geholfen, und es gehen miteinander perdu. Na ja, c’est la vie, Sellerie. Sollte nur mal jemand den Afrikanern verständlich machen…und den Europäern wohl auch.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Volker Seitz / 18.04.2024 / 06:15 / 18

Anders sparen in Afrika

Auch wenn Afrika hierzulande vielleicht nicht als Hort der Sparsamkeit gilt, so hat sich auf dem Kontinent doch eine interessante eigene Form des Sparens entwickelt,…/ mehr

Volker Seitz / 09.03.2024 / 06:00 / 58

Kolonialismus auf dem Obstteller?

Überall werden Spuren des Kolonialismus aufgedeckt, denn es muss schließlich „dekolonisiert" werden. Auch in Botanischen Gärten und auf dem Obstteller. Doch woher kommen die Kolonialfrüchte wirklich?…/ mehr

Volker Seitz / 20.02.2024 / 10:00 / 39

Kein deutscher Wald für Afrika?

Das Aufforsten in Afrika ist sicher gut und hilft dem Klima, glaubt das Entwicklungsministerium und spendiert 83 Millionen Euro. Dafür gibts „Wiederaufforstung", wo nie Wald war, Monokulturen…/ mehr

Volker Seitz / 11.02.2024 / 10:00 / 6

Der Kartograf des Vergessens

Der weiße Afrikaner Mia Couto wurde zum wichtigsten Chronisten Mosambiks. Sein neuer Roman beschreibt die Wirren vor der Unabhängigkeit und die Widersprüche in der Gegenwart.…/ mehr

Volker Seitz / 06.02.2024 / 13:00 / 14

Afrikas alte Männer

Politische Macht wird von afrikanischen Langzeitherrschern als persönlicher Besitz angesehen. Etliche Autokraten klammern sich deshalb schon seit Jahrzehnten an ihre Sessel. Seit langem frage ich…/ mehr

Volker Seitz / 28.01.2024 / 11:00 / 21

Warum Wasser in Afrika nicht knapp sein müsste

Nicht das Fehlen von Wasser-Ressourcen, sondern ihre ineffiziente Nutzung, mangelnde Investitionen und Missmanagement sind der Grund für die Knappheit von Wasser in Afrika.  In der…/ mehr

Volker Seitz / 27.01.2024 / 10:00 / 31

Wieder Terror gegen Christen in Nigeria

Dass Christen in Nigeria regelmäßig Opfer islamistischer Angriffe sind und die Zahl der Getöteten immer weiter steigt, wird in Deutschland entweder ignoriert oder heruntergespielt.  Über…/ mehr

Volker Seitz / 05.12.2023 / 10:00 / 19

Zum Todestag: Nelson Mandela und das kollektive Denken Afrikas

Vor zehn Jahren, am 5. Dezember 2013, ist Nelson Mandela im Alter von 95 Jahren verstorben. Sein Führungsstil verkörperte die Philosophie Ubuntu, wobei die soziale Harmonie als höchstes…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com