Zeit ist schon eine merkwürdige Sache. Augustinus meinte, als er gefragt wurde was Zeit ist, wenn ihr mich nicht nach ihr fragt, dann weiß ich es, wenn ihr mich fragt, dann weiß ich es nicht. Einstein antwortete nur auf diese Frage, Zeit ist das was die Uhr misst. Aber zur Sache. In Europa war es bis zum ausgehenden Mittelalter ungefähr so, wie es der Autor für das heutige Afrika beschrieben hat. Erst mit der Erfindung der Uhr hat sich das geändert, Kirchtumuhren, Taschenuhren und die Pendeluhren in den Häusern gaben den Menschen eine verbindliche Zeit. Jetzt konnte man sich verbindlich verabreden, die Uhren wurden zum Taktgeber für den Tagesablauf. Dann kamen Newton und Leibniz, die die Zeit als Parameter in die Physik (mit Differentialrechnung und Integralrechnung) einführten und das war die Geburt der modernen Naturwissenschaft. Wunderbar beschrieben in dem Buch von Thomas de Padova, Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit.
Nun ist das Phänomen ja nicht nur auf Afrika beschränkt: bekanntlich ist ja schon das südliche Europa terminmäßig da etwas lockerer drauf, von Lateinamerika (Prinzip “Manana”) und dem arabischen Raum (Prinzip “Inschallah) ganz abgesehen. Positiv gewendet gilt für derlei abweichendes (oder einfach anderes) Kultur-Verhalten aus soziologischer Sicht der Begriff “Schedule Independent”. Oder, um es mit dem Kölner Grundgesetz auszudrücken: man muss auch jönne könne!
Letztlich muss man sich entscheiden. Beide Denkweisen haben ihre jeweiligen Vorzüge. Und bringen auch die jeweiligen Nachteile mit sich. Beides gleichzeitig zu haben, geht nicht. Oder höchstens auf die mediterrane Art. Ein bisschen von beidem. Dann bin ich halt nicht so effizient wie der Nordeuropäer, jedoch möglicherweise effizienter als der Afrikaner. Nur darf ich mich dann nicht beschweren und den gleichen Erlös erwarten, welchen sich der Nordeuropäer erwirtschaftet. Und ich darf nicht erwarten, dass dieser dann für meine Gemütlichkeit aufkommt. Dann muss ich zu meinem Verhältnis zu Zeit stehen, dann muss ich dazu stehen, dass ich zwar weniger an materiellen Annehmlichkeiten besitze, dafür aber vielleicht mehr vom Leben habe, etwa die Sonne genieße. Ich darf dann nicht sagen, ich sei benachteiligt und materiellen Ausgleich beanspruchen. Denn ich habe mich doch für meine Vorstellung der Verwendung von Zeit entschieden und diese Entscheidung mag ja sogar die Bessere sein. Ist es nicht diese Einstellung, um die so viele Nordeuropäer die Südeuropäer (und Afrikaner) beneiden? Jeder sollte seine Lebensweise bestimmen können, jedoch auch deren Konsequenzen erwachsen tragen. Es gibt keinen Grund etwa Afrikaner wie unselbstständige Kinder zu behandeln.
Der Deutschen Bahn gebührt das Verdienst, den afrikanischen Zeitbegriff auch hierzulande einzuführen. Der Statuszuwachs der Reisenden lässt dagegen noch zu wünschen übrig.
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