Volker Seitz / 13.07.2018 / 06:04 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Afrika bleibt eine Wachstums-Illusion

In verklärtes Licht getaucht und mit von Zweifeln nicht gebremstem Optimismus beschreiben deutsche Politiker und Medien viele afrikanische Länder als Staaten mit erheblichem Wachstum. Wirtschaftsfunktionäre des Afrikavereins machen sich seit vielen Jahren Gedanken, wie man in Afrika mehr Wirtschaftstätigkeit in Gang setzen könnte, und sie reden dabei immer weiter von Investitionen. Allerdings sind deutsche Unternehmen in afrikanischen Ländern, abgesehen von Südafrika und Nigeria, so gut wie nicht präsent.

Das würde sich nur ändern, wenn in diesem Teil der Welt Bedingungen herrschten, die ein unternehmerisches Engagement interessant erscheinen ließen. Wenn es wirkliche Chancen in Afrika gibt, braucht man deutsche Unternehmer nicht zu drängen, sie zu ergreifen. Darauf kommen sie schon von selbst. Der senegalesische Ökonom Felwine Sarr argumentiert: „Wenn Sie eine Gesellschaft haben, in der eine Minderheit Reichtum und Macht an sich reißt, wird sich durch Wachstum kaum etwas ändern.“

Selbst Afrikaner benötigen für zwei Drittel der Staaten Einreisebewilligungen; Visa können nur in einer Handvoll von Ländern bei der Einreise am Flughafen erteilt werden. Bürokratische Hürden gehören zu den häufigsten Klagen von Investoren. Der 2018 veröffentlichte Doing Business Index bescheinigt den subsaharischen Staaten nur wenige Fortschritte. Viele Länder verharren in der Stagnation. Ghana ist sogar vom 87. auf den 120. Rang zurückgefallen. Erfreulich der Aufstieg Ruandas. Innerhalb von 10 Jahren verbesserte sich das Land vom 150. auf den 41. Rang. 

In den meisten afrikanischen Staaten fehlt es an einer Leistungselite, die ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten ausschöpft, die vollen Einsatz zeigt und Überdurchschnittliches vollbringt. Und es fehlt auch an guten Institutionen. Nur funktionierende Institutionen ziehen produktive Unternehmer an. Wo sind Ministerien und nachgeordnete Behörden qualitativ fähig, anspruchsvolle Dienstleistungen zu erbringen? Wo sind Beamte zureichend qualifiziert, unbestechlich und hoch motiviert? Nur ein solides Fundament, gebaut aus Rechtsstaatlichkeit und transparenter Regierungsführung, könnte optimistisch stimmen. Ein verlässliches Geburtenregister, ein Kataster- oder Statistikamt sucht man in den meisten afrikanischen Staaten vergeblich. Aber ohne unstreitige Daten kann man keine wirtschaftlichen oder sozialen Probleme lösen.

Großes Hindernis ist der Zustand der Transportwege

Zum Beispiel ist die Straße von Abidjan/Côte d’Ivoire nach Ouagadougou/Burkina Faso nur zur Hälfte in gutem Zustand. In der DR Kongo sind gerade mal 3.000 km von 17.000 km der Hauptverkehrswege asphaltiert. Wegelagernde Polizisten und Militär verlangen rechtswidrige Zahlungen und verteuern die Waren für die Endverbraucher alle 100 Kilometer. Die wenigsten Bahnlinien sind mangels Wartung in Westafrika einsatzbereit. Die Bahnlinie zwischen der Côte d’Ivoire und Burkina Faso wird zwischen 2018 und 2021 saniert, kann aber nur etwa 900.000 Tonnen Fracht transportieren. Im Hafen von Abidjan  werden jedoch jährlich 21,7 Millionen Tonnen umgeschlagen. Camrail in Kamerun kann nur 17 Prozent der im Hafen von Douala ankommenden Waren transportieren. Die Linien Bamako-Dakar und die Bahn in Benin sind nicht einsatzfähig. In Togo kann die Eisenbahn nur Zement und keine Container befördern.

Das französische Außenministerium, Quai d’Orsay, rät bei fünfzehn afrikanischen Staaten von Reisen ab. Zahlreiche westliche Firmen schicken keine Mitarbeiter nach Nigeria, Sudan, Südsudan und den Tschad. Unter den 50 am schlechtesten platzierten Ländern im Doing Business Index der Weltbank 2017 sind 34 in Afrika. Nicht jeder Investor denkt wie manche angelsächsischen Haudegen „no pain, no gain“.

Seit 2002 erstellt die Weltbank jährlich in 190 Ländern den Doing Business Index über die Unternehmerfreundlichkeit eines Landes. Bewertet wird, welche Schwierigkeiten es bei folgenden Faktoren gibt: Gründung einer Firma, Grundstück registrieren, Kredit bekommen, Steuern, Schutz von Minderheitsinvestitionen, Baugenehmigung, Stromanschluss und Qualität des Insolvenzrechts. Im zweistelligen Bereich sind 2018 in diesem Index in Afrika südlich der Sahara nur Mauritius (25), Ruanda (41), Kenia (80), Botswana (81), Südafrika (82), Sambia (85) und Seychellen (95) gelistet. 34 Länder des Kontinents zählen immer noch zu den 50 Schlusslichtern bei der Schwierigkeit für eine normale Geschäftstätigkeit. Am Ende der Liste sind der Tschad (180), DR Kongo (182), die Zentralafrikanische Republik (184), Südsudan (187), Eritrea (189) und Somalia (190).

Im Tschad werden 60 Tage benötigt, um ein Unternehmen zu gründen. In Burkina Faso muss ein Unternehmensgründer 69 Tage auf einen Stromanschluss warten. Die Elektrifizierungsrate in 37 Staaten Subsahara-Afrikas beträgt weniger als 50 Prozent. Investitionen in Kraftwerke wurde jahrzehntelang versäumt. Deshalb sind Stromausfälle in fast allen Ländern an der Tagesordnung. "Afrika hat eine Stromerzeugungskapazität von nur rund 160 Gigawatt – das ist weniger, als Deutschland an installierter Leistung besitzt. Nigeria mit fast 190 Millionen Einwohnern hat bloß 12 Gigawatt Stromkapazität, weniger als etwa Hessen... Die Energiekrise ist ein wichtiger Grund dafür, dass der Kontinent überwiegend noch in Elend und Armut steckt." schrieb Philip Plickert in der F.A.Z. "Afrika ohne Strom". Ferner zitiert er Stefan Liebig, den Vorsitzenden des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft: "Ohne Energie gibt es keine Industrie, ohne Industrie keine Jobs. Und keine Jobs für junge Leute bedeutet: keine politische Stabilität" und den nigerianischen Energiefachanwalt Lawrence Fubara Anga: "Das ist das afrikanische Paradox. Afrika hat die größten Energieressourcen – Wasser, Sonne, Wind, Öl – und doch eine gigantische Energiekrise mit 600 Millionen Menschen ohne Strom."

Ruandas Vorreiterrolle beim Regierungsmanagement

Nirgendwo können Firmen rascher und leichter gegründet werden als in Neuseeland, Norwegen, Dänemark, Singapur, Südkorea und Hongkong. Nur eine größere Unternehmerfreundlichkeit und eine effizientere Regulierung tragen nach Angaben der Weltbank für sich genommen dazu bei, das Wirtschaftswachstum zu stärken. Die meisten Reformen gab es in Ruanda. Die Wirtschaft des Landes boomt, weil Ruanda eine Vorreiterrolle bei gutem Regierungsmanagement spielt.

Die Probleme können aber nicht allein durch staatliche Intervention gelöst werden, sondern die Stimulierung des Unternehmertums muss im Vordergrund stehen. Viele Länder sind von fehlender sozialer und gesellschaftlicher Partizipation, Arbeitslosigkeit und damit Perspektivlosigkeit, insbesondere für die Jugend geprägt. So miserabel wie ungerecht ist das Gesundheitssystem in vielen Ländern organisiert (Wohlhabende lassen sich in Privatkliniken im Ausland kurieren). Gute staatliche Bildungseinrichtungen stehen zunehmend weniger zur Verfügung.

Ich kenne viele Afrikaner, die sich von ihren Politikern gedemütigt fühlen und ihnen nicht mehr über den Weg trauen. Afrika bleibt so eine Wachstumsillusion, weil ohne echte Entwicklung. Es sind die schwachen Institutionen, die Käuflichkeit, die Vetternwirtschaft, der ethnische Abgrenzungseifer und die Rechtsunsicherheit. Diese Fallstricke können auch Investoren ins Straucheln bringen. Die Gesetze sind alle da, werden aber intransparent und schleppend angewandt.

Nur in wenigen Staaten gibt es einen Trend zum Besseren. Der kenianische Wirtschaftsjournalist Anver Versi, Herausgeber des in London erscheinenden „African Business Magazine“, sagt: „Nirgendwo auf der Welt ist das Geschäftemachen so teuer wie in Afrika. Es gibt Produktionszentren, zum Beispiel in Kenia oder Südafrika, und dann sind da die Binnenländer, die von diesen Zentren abhängig sind. Aber die Straßen und Zugstrecken sind schlecht – der Transport ist also extrem kostspielig.“

Zu spät kommen als Statussymbol

Die ugandische Rechtsanwältin Winnie Adukule bringt in ihrem Buch „Flucht“ die Mentalität vieler Afrikaner ins Spiel: 

„Wir Afrikaner sind nicht gerade dafür berühmt, dass wir langfristig arbeiten und strategisch unser Leben planen. Da halten wir es doch eher wie die Vögel, von denen es in der Bibel heißt: ‚Sehet die Vögel unter dem Himmel: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch'.“ 

Das mag überspitzt sein. Allerdings macht in vielen Ländern, die ich kenne, die Arbeitsmoral den Fabriken, Firmen und Behörden zu schaffen. In chronisch überbesetzten Amtsstuben herrscht nach meinen Beobachtungen vielfach Müßiggang. In Afrika kann man ein völlig anderes Zeigefühl beobachten. Afrikaner leben nach eigenem Rhythmus. Zeit ist etwas Gottgegebenes, das es nicht zu nutzen, sondern zu verbrauchen gilt. Das wird als größere Freiheit wahrgenommen.

Afrikaner machen sich darüber lustig, wenn Europäer Pünktlichkeit als eine Form von Höflichkeit bezeichnen. Unpünktlichkeit wird auch bewusst als Mittel eingesetzt, um den eigenen Status zu betonen und an die eigene Wichtigkeit und Macht zu erinnern. Wenn sich die Entwicklungsländer über Geschenke von Kapital und Know-how hinaus aus eigener Kraft auf einen höheren Lebensstandard zu bewegen wollen, wird ihnen die wenigstens teilweise Übernahme westlichen Zeitdenkens nicht erspart bleiben. Dass das möglich ist, zeigen leistungsorientierte Emigranten, die den westlichen Arbeitsstil übernehmen und damit erfolgreich sind.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Das Buch ist beim Verlag vergriffen. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe wird im September 2018 bei dtv erscheinen. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Thomas Raffelsieper / 13.07.2018

Afrikanische Enrwicklungshelfer plädieren für eine totale Einstellung westlicher Entwicklungshilfe, um die Todesspirale aus Entwicklungshilfe, Korruption und Abhängigkeit der gerichteten Gelder zu durchbrechen. Sowas hier öffentlich auszusprechen und zu fordern, gilt als Tabu. Wenn wir nur den verbrecherischen Molkepulver- und Hänchenteileexport sofort stoppen, könnte Afrika wieder seine Fähigkeit zurückerwerben, seine Befölkerung selbstständig zu ernähren. Das zu den “Werten” europäischen “Humanismus” und “Fluchursachenbekämpfung”. Ich ertrage diese ständigen Lügen und verfaulten Werteworthülsen unserer Politiker nicht mehr.

Hermann Neuburg / 13.07.2018

Die fortschreitende Islamisierung von Subsahara-Afrika wird der Entwicklung garantiert nicht förderlich sein. Tribalismus, Stammeskulturen und nie wirklich aus sich selbst heraus zivile Bürgergesellschaften aufgebaut zu haben und die vielen Jahrhunderte der Sklavenhaltergesellschaften, mehrheitlich den islamischen als “Lieferzonen” gedient zu haben, wobei die Schwarzafrikaner selbst fleißig und entscheidend mitwirkten, alles zusammen verhindert langfristig eine Entwicklung. Aber als Erstes muss die Entwicklungshilfe eingestellt werden und Despoten und Diktatoren in Afrika, die ihr Land nicht im Sinne eines guten und weisen Herrschers führen, gehören aus und von Europa verbannt bzw. gebannt.

Heinrich Rabe / 13.07.2018

Afrika wird für die heutigen Generationen in Europa, bis auf die ganz Jungen, ein mythisch-exotisch verklärter Sehnsuchtsort bleiben. Wiege der Menschheit, „gute“ Natur, fröhliche gastfreundliche Menschen oder aber unschuldige Opfer von Dürre oder finsteren bösen Warlords. Dass Afrika als Kontinent zu viele strukturelle Probleme hat, um je zur entwickelten Welt aufzuschliessen, wird als rationale Erkenntnis emotional nicht zugelassen und aktiv verdrängt. Gegen Gefühle kommt man mit Fakten nicht an. Europa hat dem afrikanischen Problem geistig-moralisch nichts entgegenzusetzen, kann nichts zur Lösung beitragen und weder seine Grenzen noch sich selbst schützen.

C.Klassen / 13.07.2018

Ich habe mich schon öfters gefragt, ob man nicht ein relativ kostengünstiges, einfach aufgebautes Solarkraftwerk entwerfen könnte, das die Afrikaner in Eigenregie bauen könnten. Also eines, dass nicht auf High-Tech-Solarzellen basiert, sondern auf die Erhitzung von Wasser und Turbinen. Afrika hat so viel Sonneneinstrahlung, da sollte sich das Problem der Stromerzeugung doch lösen lassen…

Stefan Löbel / 13.07.2018

Achtung an alle die das Fremde so sehr lieben und für die Grenzen keine Bedeutung haben: Anstatt Europa zu afrikanisieren, sollten man lieber Afrika europäisieren. Geht nach Afrika. Tröpfchenweise, als Entwicklungshelfer ist nicht wirklich effektiv. Es sollte schon eine echte Bewegung sein. Im Ernst. Das was sich im ersten Moment vielleicht böse anhört, ist bei genauer Überlegung weder schlimm noch verrückt. (Weniger verrückt, als Augsteins Phantasie von Deutschland als das bessere Amerika!) Nehmt Euer gesamtes Vermögen, das Know-how das Ihr habt und die richtige Haltung mit. In Afrika ist alles vorhanden. Viel Platz, Bodenschätze, instabile Staaten mit hohem Veränderungspotential und unendlich viele echte Hilfsbedürftige. Dazu könnt Ihr Euch der Ausbeutung Afrikas durch den Westen direkt vor Ort entgegenstellen. Kolonisierung, ja.  Aber diesmal Kolonisierung der Guten, als wahrhaftige Entschädigung für früheres Unrecht. Warum nicht? Durch Euch wird Afrika bunt und entwickelt sich, und Europa könnte erstmal durchatmen.

Andreas Rühl / 13.07.2018

Beim Lesen der afrikanischen wirtschaftlichen Misere kam mir eigenartigerweise der Gedanke, dass das Bild, das Sie zeichnen, so ziemlich exakt dem linksgrünen Ideal entspricht und, geht es so weiter, auch bald hierzulande traurige Wirklichkeit zu werden droht. Auch bei uns ist Afrika und es ist im Vormarsch. Die Leistungsethik ist auf dem Rückzug, die wesentlich zum Wohlstand nötigen Tugenden werden verhöhnt, das klientelunwesen treibt blüten, die energetische Infrastruktur wird zerstört, das Bildungswesen ruiniert, die vernunft unter jubelgesaengen zu grabe getragen und so weiter. Es gibt Kräfte, die an der afrikanisierung unserer Welt arbeiten. Wenn es nicht gelingt, diesen zu wehren, wie koennte und dies in einer fremden Welt gelingen?

Wolfgang Kaufmann / 13.07.2018

Seit hundert Jahren beklagen Menschen, die Einblicke in die Zustände damals in „Deutsch-Südwest“ hatten, diesen Aspekt. Leider werden ihre Erfahrungen als typisch deutscher Rassismus der älteren Generation abgetan. Ähnlich lange schon beschreiben die Einwohner des Balkans ihre Erfahrungen mit der für Paprikaschnitzel namensgebenden mobilen Minderheit; auch hier beschränkt sich die Reaktion der politisch korrekten Jung-Deutschen, dies als nazi-ähnlichen Chauvinismus abzutun. Nun gut, wer die Erfahrungen anderer geringschätzt, ist verdammt dazu, die Geschichte zu wiederholen.

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