Volker Seitz / 11.02.2021 / 15:00 / Foto: Pixabay / 5 / Seite ausdrucken

Afrika-ABC in Zitaten: Verkehr und Wahlkämpfe

Verkehr

„An der Haltestelle waren die Hektik, das Durcheinander, das Gedränge so schlimm wie immer. Die Haltestelle war in Wirklichkeit ein freier Platz am Straßenrand, eine Lichtung, auf der Scharen hart arbeitender Menschen jeden Morgen von neuem einen ungleichen Kampf ausfochten. Die Zahl der Kleinbusse angesichts der vielen wartenden Menschen war so gering, dass immer, wenn ein Fahrzeug in die Haltestelle einbog, sich eine Schar wogender Köpfe rücksichtslos darauf zu schob. Die Leute drängten sich nach vorn, stießen sich mit dem Ellbogen, Hälse wurden gequetscht, Hemden nach hinten gezerrt, Leute wurden weggeschubst, zu Boden gestoßen oder überrannt. Die Leute taten alles, um in einen Bus zu kommen. Es war ein trauriger Anblick, und es war unmöglich, ohne Einbußen, ohne Schmerz einen Bus zu kriegen: ein geschürftes Handgelenk, ein gebrochener Arm, ein zerrissenes Hemd, ein zerkratztes Auge oder sogar unsanft behandelte Brüste. Das Opfer lohnte sich, wenn man es schaffte, in den Bus zu steigen, aber es gab auch immer Opfer, die verbissen gekämpft hatten, verletzt worden waren, in zerrissenen Kleidern dastanden und denen es nie gelang, in den Bus zu steigen.“ […] „Der Bus fuhr mit hohem Tempo in Richtung der Apapa-Werft. Es sah so aus, als würden sie schnell dort sein. Doch nach kurzer Zeit ging es nur noch langsam vorwärts. Der Fahrer nahm rasante Abkürzungen, ging haarsträubende Wagnisse ein und zwängte sich zwischen andere Fahrzeuge, doch schließlich blieb auch er im unvermeidlichen Stau stecken wie alle anderen.“ 

Ben Okri in „Verfängliche Liebe“, dtv 1999 (S. 216, 224) 

Wahlkämpfe

Der Kongolese In Koli Jean Bofane beschreibt in seinem Buch „Sinusbogen überm Kongo“, Horlemann 2013, S. 10/12, wie zwei Brüder gegen Geld als Publikum für politische Versammlungen angeworben werden: 

„Um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wurden Gauner und andere Müßiggänger seines Schlages angeheuert, damit sie vor laufenden Fernsehkameras eine Menschenmenge mimten. Die Bilder wurden dann in den Nachrichten gebracht, um die Illusion zu schaffen, dass alles war wie früher. Eine echte Charakterrolle: Sie hatten überzeugende und glückliche Parteigänger zu geben, unter einer Regierung des Übergangs, der kein Ende nehmen wollte... Er, Baestro, ging, wohin man ihn schickte, klatschte zu bestimmten Stichwörtern wie ‚Partei‘, ‚Demokratie‘ oder ‚Volk‘ und brüllte seine Begeisterung mit schlagkräftigen Sätzen heraus: ,Keine Chance der Anarchie‘, ‚Der Kampf geht weiter!', ‚Bis zum Sieg‘.“ 

Petina Gappah aus Simbabwe in ihrem Erzählband „Die Schuldigen von Rotten Row“, Arche 2017 (S. 82): 

„Hätten die Parteien nicht unterschiedliche Farben und würden nicht unterschiedliche Worthülsen für ihre Parolen benutzen, hätte man meinen können, es wären an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden dieselben Politiker in Gokwe aufgetreten. Dieselben dicken Männer, die in Begleitung ihrer Gattinnen mit orangefarbenem Teint, riesigen Hüten und schwindelerregend hohen Absätzen in ihren Geländewagen aus Harare kamen, um allen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Sie saßen auf derselben Art Podium mit Sonnendach, in weichen, knallbunten Sesseln, während die armen Frauen von Gokwe ululierend in der Hitze schmorten und die jungen Männer in Staub tanzten und von den Bäumen aus sangen, wo sie eine bessere Sicht hatten. Danach fuhren die Politiker in ihren klimatisierten Fahrzeugen davon und ließen hochkochende Emotionen und schmerzliche Hoffnungen zurück, ohne den jungen Leuten etwas zu geben, das über Hass und Wut hinausreichte.“

Mukoma wa Ngugi (Kenia) thematisiert die Politisierung von Ethnizität in Kenia bei Wahlkämpfen, die oft zu tödlichen Unruhen führen: „Unkraut, ich kannte das Wort im Kontext mit Ruanda – Mudy, eine Tutsi, war Unkraut genannt worden. In Kenia beschimpften sich die Luos und die Kikuyus gegenseitig als Unkraut.“ Black Star Nairobi, Transit 2015 (S. 96)

 

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Andre Kowalski / 11.02.2021

Wieder ein guter Bericht und Hinweis auf Literatur. Ad fontes! Diese Sammlung verdient es, wie hier schon einige mal angeregt, gedruckt und verlegt zu werden; eine gute Argumentationsbasis um mit denen zu reden, die Afrika aus dem fernsehen kennen.

Horst Jungsbluth / 11.02.2021

Ich war 1994 in Südafrika, also kurz nach dem Ende des Apartheid und war erstaunt, dass in den großen Städten der öffentliche Nahverkehr mit Bussen nicht richtig funktionierte und dazu nicht ungefährlich war. So las ich, als ich in Kapstadt war,  in einer Zeitung, dass in dieser Stadt ein vollbesetzter Kleinbus förmlich von Schüssen durchsiebt wurde, weil der Fahrer sich in ein Gebiet begeben hatte, dass bereits von anderen Busfahrern annektiert war.

Rolf Menzen / 11.02.2021

Alles nur die Schuld der bösen Kolonialisten. Ohne die würde es in Afrika an Kernphysikern und Neurochirurgen nur so wimmeln. Oder etwa nicht?

Leo Anderson / 11.02.2021

Für die, die es interessiert und es noch nicht kennen: Keith Richburg “Jenseits von Amerika” /“Out of America” (1997). Richburg, ein Afroamerikaner, war für die Washington Post in den frühen Neunzigern ein paar Jahre in Afrika und hat unter anderem das zefallene Somalia und das Massaker von 1994 in Ruanda erlebt. Wahrscheinlich würde ein Buch wie dieses heute nicht mehr geschrieben oder mindestens nicht mehr verlegt.

Wolfgang Kolb / 11.02.2021

Öffentlichen Nahverkehr, organisiert von der Kommune oder dem Land, gibt es in den meisten Ländern Afrikas nicht. Wer irgendwo hin muss und den Bus scheut, nimmt ein Bike, ein Moped, das jemand an den gewünschten Zielort bringt. Wers eilig hat, nimmt ein Power Bike, ein Motorrad. Schneller jedoch gefährlicher. Verkehr in Lagos even.

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