Michael Miersch / 01.03.2007 / 19:01 / 0 / Seite ausdrucken

Afghanistan: Die Sicht eines Soldaten

Gastbeitrag von Peter Müller.
Herr Müller ist Oberstleutnant der Reserve. Er war 1997 Teilnehmer im 1. Kontingent SFOR in Mostar und 2004 im 8. Kontingent KFOR in Prizren. Er absolvierte eine Vorausbildung für ISAF 2003, da er ursprünglich für Einsatz in Kunduz vorgesehen war.

„Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage des früheren Verteidigungsministers Peter Struck könnte sich dieses Jahr erschreckend bewahrheiten. Relativ unbeachtet von der deutschen Presse, deren Fokus sich traditionell mehr auf den Nahen Osten richtet, denn auf die Gebiete, in denen sich Deutschland auch praktisch, in erster Linie mit seinen Soldaten, engagiert.

Die Bundesregierung leistet sich einen, zumindest für die Soldaten, gefährlichen Eiertanz. Man spricht nicht von Krieg sondern lediglich vom Einsatz im relativ ruhigen Norden Afghanistans. Es erfolgt eine deutliche Distanzierung von einem Engagement im gefährlichen Süden. Womit indirekt eingestanden wird, dass es im Süden heiß hergeht und man sich durchaus bewusst ist, dass dort gekämpft wird. Aber das sind die anderen. Welche anderen? Dummerweise unsere NATO Partner und Verbündeten, die über Jahrzehnte zu uns gestanden haben und deren Unterstützung wir mit dem Hinweis auf die deutsche Zuständigkeit ausschließlich für den Norden jetzt verweigern. Wie dies im umgekehrten Fall aussehen würde, sei der Phantasie jedes einzelnen überlassen. Der Gedanke lässt aber die Gefühle derjenigen erahnen, die im Moment betroffen sind.

Gerade in diesem Jahr ist die Lage besonders prekär. Mit vollmundigen Versprechungen haben die Taliban ihre Rückkehr angekündigt und sich damit selber unter Erfolgszwang gesetzt. Die islamische Welt wird sie genau beobachten und jeden mit Video dokumentierten Abschuss eines Panzer- oder Luftfahrzeugs mit Genugtuung registrieren. Zum Erfolg verdammt werden die Taliban einen Sieg ohne Rücksicht auf Verluste in Kauf nehmen. Dimensionen wie 1992 in Mogadischu, wo die Truppen von Aidid mit ca. 1000 Toten gegen 18 Tote auf Seiten der US Army, den politischen Sieg davon trugen, können erwartet werden. 
Führende Kommandeure der Taliban sprechen von 15.000 Kämpfern, die ISAF von 8.000. Orientalische Übertreibung und militärische Vorsicht berücksichtigt, sind 6.000 wohl realistisch. Immerhin die Größenordnung einer verstärkten Brigade, in einem Umfeld von Sympathisanten oder zumindest von Menschen, die Angst vor den Gotteskriegern haben. Günstige Voraussetzungen für jemand, der keine Rücksicht auf Verluste nehmen muss, während die NATO Truppen von der Weltpresse akribisch beobachtet wird und die jeden Fehler zur Schlagzeile nutzen wird.

Es steht also viel auf dem Spiel, denn der Ausgang der Talibanoffensive wird weltweit Signalwirkung haben. Es geht um die Demonstration von Stärke, Macht und Willen. Das Schlagwort vom „Jahr der Entscheidung“ ist nicht aus der Luft gegriffen.

Die Reaktionen der Bundesregierung auf diese Situation ist erstaunlicherweise sehr zurückhaltend. Der Bitte der NATO nach Tornados wird zwar nachgekommen, aber mit der typischen parlamentarischen Behäbigkeit. Nichts ist dabei zu spüren von spontaner Solidarität, schnellem Handeln oder gar Überraschungseffekt und damit entschlossenem Vorgehen gegen einen unverhohlen drohenden Gegner. Der Verteidigungsminister beeilt sich auch zu versichern, dass es sich bei dem Einsatz der Tornados nicht um einen Kampfeinsatz handelt. Nach militärischer Lesart ist das sogar richtig, denn Aufklärung ist Kampfunterstützung, aber so hat er es nicht gemeint und so wird es auch niemand interpretieren, da es etwas verlogen ist. Die Taliban schießen sowieso auf alles was fliegt.
 
Warum wird also den Bürgern suggeriert, dass wir nicht mit im Boot sitzen? Das Bewusstsein, dass sich Deutschland im Krieg befindet, auch wenn dieser weit entfernt stattfindet, erfordert den inneren Abschied von der „Friede, Freude, Eierkuchen“ Mentalität. Dazu gehört das Eingeständnis, dass auch die edelste Bereitschaft zu einem „guten Gespräch“ überhört werden kann und eine zum Helfen ausgestreckte Hand auch abgehackt werden kann. Die Angst vor dem Ende der deutschen Sonderrolle und der Ankunft in der politischen und militärischen Wirklichkeit geht um bei den Politikern. So etwas kann passieren, wenn man eine militärische Beteiligung zusagt ohne die Geschichte in allen Möglichkeiten und damit verbundenen Konsequenzen zu durchdenken.

Ausbaden wird die Verzagtheit nicht nur der deutschen Regierung die kämpfende Truppe. Kleckern statt Klotzen wird mit Verlusten und Niederlagen bestraft. Für die Bundeswehr könnte sich ihr eigenes Vietnam anbahnen. Geschlagen im NATO Rahmen ohne gekämpft zu haben. Ob unsere Soldaten heil dort raus kommen werden, wird von dem Verhalten der regionalen Warlords abhängen. Wenn diese sich keine Vorteile mehr von den ISAF Truppen versprechen ist ein Wechsel auf die Seite der Taliban zu erwarten. Dies wird einzig und allein von den militärischen Erfolgen der Taliban abhängen. Ständig wechselnde Koalitionen haben in Afghanistan Tradition. Dem deutschen Kontingent von ca. 1600 Soldaten in Masar-i-Sharif ständen dann ca. 20.000 afghanische Kämpfer gegenüber, die auch noch über reichlich Panzer und Artillerie verfügen. Die noch kleineren Stützpunkte in Kunduz und Feyzabad wären von vornherein verloren. Es ist also dringend geboten zu Handeln und den Taliban nicht die Initiative zu überlassen

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