Gestern begann im sächsischen Riesa der AfD-Bundesparteitag, verzögert von Gegendemonstrationen. Sich vor Ort ein Bild zu machen, war nicht leicht. Der Versuch, nach Riesa zu gelangen, glich einer Odyssee. Hier ein paar Eindrücke.
Die Fahrt mit dem Auto von Leipzig nach Riesa über die Bundestraße 6 endete vorerst in Oschatz. Dort hatten AfD-Gegner, die Antifa, offenbar spontan eine Kreuzung besetzt. „Alerta, alerta, Antifaschista“ gingen die Rufe über die Straße. Der gesamte Durchgangsverkehr kam zum Erliegen. Eine Polizeieinheit, offenbar aus Hessen, sperrte die Straße ab. Kein Durchkommen. Also Plan B, ab über Nebenstraßen zum Ortsausgang. Doch dort war ebenfalls alles gesperrt.
Blieb nur Plan C, ab über die Dörfer. Da der Autor in der Region regelmäßig radelt, war ihm ungefähr klar, wo man langschleichen muss, um barrikadenfrei nach Riesa zu gelangen. Es klappte. Von Parteitagsdelegierten war zwischendurch zu erfahren, dass sie bereits seit 5 Uhr unterwegs waren. Für die 72 Kilometer lange Reise von Leipzig nach Riesa benötigt man über Oschatz normalerweise mehr als eine reichliche Stunde mit dem Auto.
Doch diesmal ging es für einige Delegierte und Gäste zuerst zu einem Sammelpunkt nach Oschatz, von dort mit einem Extrabus und Polizeieskorte weiter nach Riesa. Dauer insgesamt: über drei Stunden. Andere Delegierte wurden mit Eskorte (angeblich gepanzerte Fahrzeuge) des Landeskriminalamtes nach Riesa geschleust. So sind die Zustände in Sachsen, in Deutschland, wenn Parteimitglieder einer demokratisch gewählten Partei zum Parteitag fahren. Einfach hinfahren, parken und reingehen ist nicht mehr.
Auf nach Riesa, aber nur zu Fuß
Endlich gelang es dem Autor, sich aus westlicher Richtung Riesa vorsichtig anzunähern. Doch im Dorf Oelsitz war endgültig Schluss. Antifa-Straßenblockade. Also: Aussteigen und das Auto auf einer Wiese parken, wo bereits dutzende Autos (sehr wahrscheinlich von Demoteilnehmern) standen. Die restlichen Kilometer bis zur WT Arena in Riesa, dem Parteitagsort, musste man laufen. Der erste Gedanke auf dem Fußweg war: Wo ist meine heiße Badewanne? Der eisige Nordwind wehte erbarmungslos. Kolonnen von Demoteilnehmern liefen Richtung Haupttribüne der Gegendemonstration, teilweise über die Felder. Darunter die „Omas gegen Rechts Bamberg“, wie es auf ihren Flaggen stand.
Die erste Kreuzung war von AfD-Gegnern komplett blockiert. „Tutti Antifaschista“ tönte es aus den Lautsprechern und „niemand liebt den Staat.“ Neben der Blockade, die die Zufahrt nach Riesa aus westlicher Richtung unmöglich machte, stand ein Fahrzeug der sächsischen Polizei. Eine Frau redete auf die Beamten ein. Sie müsse mit ihrer Tochter aus Riesa raus zu einer medizinischen Behandlung. Der Polizist zuckte mit den Schultern. Nix ging mehr. Der Autor lief problemlos durch die Antifa-Blockade. Überall Fahnen und Transparente mit den üblichen Aufschriften. Man habe gerade ein „AfD-Auto erfolgreich blockiert“, rief es aus den Lautsprechern. Die Menge jubelte.
Endlich angekommen vor der WT Arena in Riesa. In der Halle begann der Bundesparteitag der AfD mit knapp zwei Stunden Verspätung. Ringsum war die Halle von einem riesigen Polizeiaufgebot abgesichert. Draußen, rund 70 Meter entfernt, begann ein Programm mit dem Titel: „Kein Bock auf Nazis“, Untertitel: „AfD-Parteitag verhindern“. Eine große Bühne war aufgebaut. Die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel aus Leipzig wies die Teilnehmer darauf hin, dass da drüben gerade die „faschistische AfD“ tage. Eine andere Rednerin meinte, dass die AfD der parlamentarische Arm des rechten und rassistischen Terrors sei. Auf jeden Fall kam die böse Schwefelpartei erwartungsgemäß nicht gut weg bei den Reden.
Die gleichen Forderungen hat die AfD
Es wurde Antifa-Merchandising verkauft, der Autor erwarb die Zeitung „Revo links“ der revolutionären Linken. Irgendwas musste man ja mitnehmen. Die Zeitung fordert u. a. ein Ende des Ukrainekrieges, Frieden durch Dialog sowie die Rettung der Kliniken - das fordert auch die AfD. Auf der Rückseite steht aber „Kein Platz für Nazis. Hau ab, Höcke“. Hm.
Auf dem Demogelände sichtete der Autor Infostände vom DGB und der SPD sowie Flaggen der Linken und von den Grünen. Die Partei „Die Partei“ hatte einen Infostand mit einem großen Banner auf dem stand: „Fickt Euch!“ Wer gemeint war, wurde nicht benannt.
An diesem Samstagvormittag hatte die AfD allerdings einen natürlichen Verbündeten in Riesa: Den sächsischen Winter. Offensichtlich hatte die Erderwärmung Pause gemacht und es wehte ein eisiger Nordwind über den Demoplatz, während der AfD-Parteitag in warmer Halle und mit heißem Kaffee und Buffett standfand.
Draußen die Anti-AfD-Demo fühlte sich an wie ein Experiment in der Arktis-Eishölle: Wer hält am längsten durch? Leider gab es nicht einmal heißen Kaffee zu trinken, sondern nur heißen Tee, und für den musste man anstehen. Glühwein wäre bei diesen arktischen Temperaturen dringend geboten gewesen. Hier besteht Nachbesserungsbedarf. Zum Glück brachten zwei Bands etwas Stimmung in die frierende Anti-AfD-Versammlung: MC Pöbel und Team Scheiße. Ja, so heißen die. Ein Lob, singen konnten sie! Und sie sollten beim nächsten Eurovision for the Arctic teilnehmen.
Schnell weg aus der Eishölle
Nach einigen Stunden ist selbst der erfahrendste, gut eingepackte Beobachter komplett durchgefroren. Wie mag es den tausenden Einsatzkräften ergangen sein, die bei eisiger Kälte seit den frühen Morgenstunden (4 Uhr) die Veranstaltung absicherten und Zufahrten mühevoll freihielten (gelang teilweise nicht). Der Einsatz der tausenden Beamten hat vermutlich Unsummen gekostet. Unsere Steuergelder.
Nach ein paar Stunden Arktis-Erfahrung mit gratis Anti-AfD-Feeling trat ich schließlich die Flucht an. Auf dem Rückweg – immer noch zu Fuß – erreichte ich eine rettende Tankstelle, in der Kaffee verkauft wurde. Die Verkäuferin schaute mich prüfend an. Ich sagte, dass ich nur Beobachter sei und nicht „dazugehöre“. Sie verzog keine Miene.
Die Antifa-Anti-AfD-Alerta-Alerta-Antifascista-Straßenblockade vom Anfang, die der Mutter mit ihrer Tochter die Durchfahrt versperrte und wo der Polizist nur mit den Schultern gezuckt hatte, stand immer noch. Mein Fazit dieses Samstags in der Eishölle von Riesa: unsere Gesellschaft ist sehr tief gespalten. Dass solche Demos helfen, die Spaltung zu überwinden, möchte ich ernsthaft bezweifeln.
Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und absolviert nebenberuflich ein Bachelor-Studium im Fach Psychologie.