Den berühmten Satz des Sportjournalisten und späteren Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs, dass man sich als Journalist nicht gemein machen dürfe mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, gehört inzwischen zum Standardrepertoire der Journalistenausbildung. Er ist zum Dogma der Äquidistanz geworden, nach der ein Journalist zu allen politischen Akteuren den gleichen ideologischen Abstand wahren möge. Wie das bei deutschen Journalisten, die zu 2/3 zu rot-grün tendieren und weniger berichten, als vielmehr belehren wollen, funktioniert, sei an zwei Beispielen untersucht.
Konstruieren wir ein fiktives Beispiel anhand einer Tagesschau-Meldung:
Linda Zervakis liest um 20 Uhr als erste Meldung vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel gab heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu, in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht zu haben. Wörtlich sagte die Kanzlerin: „Auch wir Deutschen haben das Problem zu lange ignoriert und die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Lösung verdrängt“. Zu den Fehlern, die Angela Merkel anführte, gehöre, dass Deutschland bereits in den Jahren 2004 und 2005 Länder wie Spanien an den EU-Außengrenzen allein gelassen habe. Frau Merkel sagte: "Wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt. Das war ein Fehler.“ Ihre grundlegende Linie verteidigte sie jedoch.
Daraufhin ein Filmbeitrag mit Horst Seehofer: „Ich find es mutig von der Kanzlerin und es zeugt von ihrer Klasse, dass sie sich zu Fehlern bekennt. Ich begrüße es sehr, dass sie das, was die CSU schon lange gefordert hat, nun ebenfalls einräumt. Es unterstreicht, dass neben den menschlichen Berührungspunkten, die immer da waren, auch die sachliche Linie mit mir und der Kanzlerin wieder stimmt.“
Danach wird der Vizekanzler Sigmar Gabriel eingespielt: „Die SPD hat schon immer gesagt, dass Deutschland die Anstrengungen für die Flüchtlinge erhöhen muss. Das Statement der Bundeskanzlerin unterstützt diese Auffassung und ist die Grundlage für erfolgreiches Regierungshandeln.“
Dann kommen die Linken in der Person Dietmar Bartsch’ an die Reihe: „Die Hilfsbereitschaft einer reichen Gesellschaft einen Fehler zu nennen, ist einfach zynisch.“
Zum Schluss noch Katrin Göring-Eckardt von den Grünen: „Wir brauchen mehr Europa, dann kann auch den Armen in der Welt besser geholfen werden.“
Natürlich sind diese Meldung und die Einspieler frei erfunden. Ähnlichkeiten mit echten Meldungen sind rein zufällig. Was aber deutlich wird: Indem sich der Journalismus jeder Recherche und jedes Hintergrundberichtes enthält, mit distanziertem Desinteresse alle politischen Akteure - natürlich nach streng einzuhaltendem, in den Verwaltungsgremien festgelegten Parteienproporz - zu Wort kommen lässt, schafft er es, eine interessante Tatsache so weit mit Nebelkerzen zu umstellen, dass die Tatsache völlig unsichtbar wird. Wie lautete die Tatsache noch gleich? Angela Merkel gibt Fehler zu.
Statt jedoch ihren Fehlern nachzugehen, werden dem Zuschauer einfach vier hingebügelte Parteienaussagen, die Lügen zu nennen die Höflichkeit verbietet, vorgesetzt, um dann jede Konkretion im Wohlgefallen des „irgendwie haben alle recht“ verschwinden zu lassen. Hier hat sich niemand mit einer Sache gemein gemacht. Und das soll Journalismus sein?
Ein Gegenbeispiel für echten Journalismus, dem Äquidistanz völlig abgeht, der aber dadurch erst zu Journalismus wird:
Linda Zervakis liest um 20 Uhr als erste Meldung vor: Bundeskanzlerin Angela Merkel gab heute in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu, in der Flüchtlingspolitik Fehler gemacht zu haben. Wörtlich sagte die Kanzlerin: „Auch wir Deutschen haben das Problem zu lange ignoriert und die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Lösung verdrängt“. Zu den Fehlern, die Angela Merkel anführte, gehöre, dass Deutschland bereits in den Jahren 2004 und 2005 Länder wie Spanien an den EU-Außengrenzen allein gelassen habe. Frau Merkel sagte: "Wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt. Das war ein Fehler.“ Ihre grundlegende Linie verteidigte sie jedoch.
Daraufhin ein Einspieler mit Bildern von den deutschen Außengrenzen, wahlweise an griechischen Stränden oder aus türkischen Lagern. Off-Ton: Kritiker der Bundeskanzlerin weisen darauf hin, dass es zu Angela Merkels Strategie gehöre, Versäumnisse aus den Regierungsjahren 2004 und 2005 anzuführen, in denen Frau Merkel noch gar nicht Kanzlerin war. Über die Verfehlungen der von ihr selbst geführten Bundesregierung, seit 2014 die Gelder an den UNHCR, der für die türkischen Flüchtlingslager verantwortlich ist, nicht auszuzahlen und die Türkei mit dem Flüchtlingsproblem völlig allein gelassen zu haben, verliert die Kanzlerin jedoch kein Wort. Auch die fehlenden Absprachen mit den Balkanstaaten an der Flüchtlingsroute, die zu einer untragbaren Situation in den Staaten Osteuropas führten, erwähnt die Kanzlerin nicht. Weitere Fehler, die Frau Merkel unerwähnt lässt: die Aufgabe der Kontrolle an den Grenzen, das unkontrollierte Einlassen von jedem - egal ob Flüchtling oder Hasardeur -, und schließlich die Anreize, die vom deutschen Sozialsystem ausgehen und die mit großer Wahrscheinlichkeit die entscheidende Ursache der millionenfachen Wanderungsbewegung nach Deutschland ausmachen.
Parteienorientierten Verlautbarungsjournalismus getarnt als Aequidistanz
Diese Meldung, die weder Hexenwerk noch komplizierte Doktorarbeit wäre, wird man aber im deutschen Qualitätsjournalismus noch lange nicht hören und sehen, egal wieviele Studien belegen werden, dass über ein so komplexes Versagen wie in der Flüchtlingspolitik völlig unterkomplex berichtet wurde. Die Stabilität der europäischen Länder, die sich einen staatlich kontrollierten Rundfunk erlauben, wird nicht an freien und kritischen Journalismus gebunden, sondern an eine Berichterstattung, die der Äquidistanz wegen über einen parteienorientierten Verlautbarungsjournalismus nicht hinauskommt. Denn am Ende - und das ist der große Unterschied zur DDR - hat nicht die eine Partei, sondern haben alle Parteien zusammen immer recht.
Dieselbe Äquidistanz, die irgendwo zwischen mentaler Feigheit und journalistischer Faulheit rangiert, kommt auch dieser Tage bei der Berichterstattung zu Israel zum Tragen. Da ist die Rede davon, dass „Metalldetektoren am Tempelberg der Grund für palästinensische Proteste“ seien. Selbst wenn man die Erklärung außen vor lässt, dass die Metalldetektoren eine Sicherheitsmaßnahme der israelischen Behörden vor weiteren Morden und Terrorangriffen darstellen, so kann man doch den Satz „Metalldetektoren am Tempelberg seien der Grund für palästinensische Proteste“ nicht einfach so stehen lassen. Seit wann sind Metalldetektoren ein Grund für Aufruhr? Sind sie das am Frankfurter Flughafen? Oder gab es Medienberichte über Explosionen von Gewalt, als der Vatikan im Heiligen Jahr bei den Eingangsschleusen an den Kolonnaden Metalldetektoren installierte? Was ist mit den Metalldetektoren im wichtigsten islamischen Heiligtum Mekka? Journalismus setzte da ein, wo der Gebrauch von Metalldetektoren in einen Kontext gestellt wird. Darauf zu verzichten, ist alles, aber kein Journalismus.
Die scheinbare Äquidistanz führt zu nichts anderem, als dass die palästinensische Propaganda kritiklos und unhinterfragt übernommen wird. Was dann dabei rauskommt, zeigt SPON: „Nach dem tödlichen Angriff auf zwei israelische Polizisten in Jerusalem errichteten die Behörden Metalldetektoren an den Eingängen zum Tempelberg und änderten damit den Status quo der heiligen Stätte. Für die Palästinenser ist das nicht hinzunehmen.“
Die Änderung des Status quo ist also von den Palästinensern nicht hinzunehmen. Wer derartige Sätze schreibt, übergeht zwei entscheidende Fragen. Frage 1: warum ist das Aufstellen von Metalldetektoren eine Veränderung des Status quo? Frage 2: selbst wenn es eine Veränderung des Status quo wäre, warum können die Palästinenser diesen in Anbetracht von Terrorangriffen und Morden an Israelis nicht hinnehmen? Weil sie einen an der Waffel haben? Weil sie sich wie Berserker benehmen müssen? Oder weil die palästinensische Autonomiebehörde geil darauf ist, eine weitere Intifada anzuzetteln? Wer einen Satz wie „für die Palästinenser ist das nicht hinzunehmen“ ernsthaft schreibt und glaubt, damit Journalismus zu betreiben, betreibt in Wahrheit: palästinensische Verlautbarungspropaganda.
Und das ist der Grund, warum der Satz von Hanns Joachim Friedrichs, dass man sich als Journalist nicht gemein machen dürfe mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, falsch ist: wer sich mit keiner Sache gemein machen will, auch nicht der guten, der macht sich auch nicht mit dem eigenen Denken, der Vernunft und der Betätigung des Verstandes gemein. Äquidistanzierter Journalismus ist nur ein anderes Wort dafür, das eigene Denken schon lange aufgegeben zu haben.
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