Bernhard Lassahn / 16.12.2019 / 06:22 / 2 / Seite ausdrucken

Advent: Der lauschige Kalender mit Laterne (16)

Stille Nacht – ist eines der bekanntesten Weihnachtslieder, viele meinen, es sei auch das schönste. Vielleicht. Bei Weihnachtsliedern gibt es keine Hitlisten. Das Lied ist über 200 Jahre alt und enorm weit verbreitet. Manche behaupten, dass die Melodie aus der Südsee stamme, dabei ist es umgekehrt, die Komposition von Franz Xaver Gruber hat sich bis in die Südsee verbreitet und der Text von Joseph Mohr wurde in 300 Sprachen und Dialekte übertragen.

Man kann heute an Touristenprogrammen teilnehmen und „12 Stille-Nacht-Nacht-Orte“ in Oberösterreich, Tirol und dem Salzburger Land besuchen und sich da von der Stimmung vor Ort inspirieren lassen. Dazu könnte man bei Kerzenlicht Versuch über den Stillen Ort von Peter Handke lesen.

Das stille Vergnügen und ein Geheimnis

Als Kind hielt das Lied für mich ein stilles Vergnügen und ein Geheimnis bereit, das mich ein wenig beunruhigte. Mein stilles Vergnügen hatte ich an dem berühmten Owi. Ich wartete immer auf die Stelle, an der es heißt: „Alles schläft, Owi lacht“. Owi war der Held meiner Kindertage, mein Idol. Ich wollte allzu gerne derjenige sein, der zuletzt lacht, der auch dann noch lacht, wenn alle anderen schon schlafen.

Das Geheimnis, das mich ein wenig beunruhigte, lag in dem „holden Knaben im lockigen Haar“. Nicht nur dass ich offensichtlich keine Locken hatte, ich war vermutlich auch nicht „hold“ – ich wusste nicht einmal, was „hold“ überhaupt war und worin der Vorteil lag, wenn man „hold“ war und worin wiederum der Nachteil bestand, wenn man es nicht war. Owi hatte mir offenbar etwas voraus, das ich nicht hatte.

Was heißt überhaupt hold? Es blieb mir ein Rätsel. Unsere Nachbarn auf dem platten Land hießen Holtkamp. Wussten die etwa mehr? Es sah nicht danach aus. Die schienen dem Geheimnis auch nicht näher gekommen zu sein. Die Kinder hatten jedenfalls auch keine Locken und wussten vermutlich ebenso wenig, was hold ist. Wie auch immer: das Lied ist wunderschön.

Der Preis der Stille

Manchmal beschleicht mich der Verdacht, dass die Stille einen Preis hat. Die heilige Stille hat eine Kehrseite, der große Weihnachts-Hit hat eine B-Seite. Nicht nur eine. Viele B-Seiten. Ich meine die vielen lauten Einkaufstage, die wir über uns ergehen lassen müssen. Mit Musikbegleitung. Ich meine den Weihnachtslieder-Ramsch, der sich uns in Fußgängerzonen, Weihnachtsmärkten und Radioprogrammen aufdrängt.

Es kommt mir vor, als hätte jemand die Parole ausgegeben: Wenn es schon eine stille Nacht geben muss, dann muss in der Vorweihnachtszeit ununterbrochen Radau gemacht werden, dann muss der öffentliche Raum akustisch vollgemüllt werden mit Weihnachts-Pop. Da hilft es dann auch nicht mehr, wenn man die Pudelmützen fest über die Ohren zieht. Dann gibt es dann vielleicht noch eine stille Nacht, aber keine stillen Tage mehr.

Das meiste ist süßlicher Soft-Pop und zusätzlich weichgespülte Schlager-Musik. Manchmal wird auch etwas, das auch nur entfernt an Weihnachten erinnert, weil beispielsweise Schnee vorkommt, gnadenlos auf Disco getrimmt: Ich habe sogar schon den Schneewalzer im Vierviertel-Takt gehört.

Viele Weihnachtslieder kommen heute im Gewand von Jazz-Musik daher. Doch das ist keine Musik. Von Adorno stammt bekanntlich – zum Leidwesen vieler aufrechter Jazzmusiker – das Diktum, dass Jazz keine Musik sei, sondern lediglich eine „zeitlose Mode“. Jazz greife nur etwas auf und kleide es in die typischen Jazz-Gewänder mit angereicherten Akkorden und spielerischen Solo-Einlagen. Das mag für Jazz allgemein gelten. Nicht für Weihnachts-Jazz. Das ist nämlich keine „zeitlose Mode“, sondern saisonbedingte Mode.

Noch schlimmer ist es mit Reggae. Hier und hier. Oh, weh. Das ist nicht still. Und es ist nicht einmal Jazz.

 

Den ganzen virtuellen Adventskalender mit den bereits geöffneten Türchen 1-16 finden Sie bei o-gott.com.

Noch ein Tipp: Geschichten und Gedichte zu Weihnachten von den so genannten Dienstagspropheten (das ist eine Gruppe von Literaten und Musikern – Martin Betz, Sebastian Krämer, Bernhard Lassahn und Georg Weisfeld –, die im Zebrano-Theater in Berlin am zweiten Dienstag des Monats auftreten) gibt es hier: Diesmal wird Weihnachten ein Dienstag

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Leserpost

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Hermine Mut / 16.12.2019

Wer über “Stille Nacht” nicht schweigen will, soll sich BITTE den deutsch-österr. Spielfilm “Das ewige Lied” (1997, mit Tobias Moretti) anschauen und -hören . Wenigstens das dramatische Finale, aus dem heraus dann das Lied entsteht !  Soo schön .  Frohe Weihnachten allen Achse-Schreibern und -Lesern !

Silvia Orlandi / 16.12.2019

Wie schade, Herr Lassahn, dass Sie keinen Jazz mögen. Hören Sie mal wieder über die Feiertage Ella Fitzgerald, Nina Simone, Miles Davis, Dave Brubeck…so schön zeitlos. Frohes Fest und einen guten Rutsch!

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