Bernhard Lassahn / 10.12.2019 / 06:00 / 0 / Seite ausdrucken

Advent: Der lauschige Kalender mit Laterne (10)

Man schreibt es im Deutschen so, wie man es spricht. Mit dieser Faustregel hatte ich kein Glück. Es lag womöglich daran, dass ich einen Deutschlehrer hatte, an dem ein Schauspieler für die ganz, ganz große Bühne verloren gegangen war. Er sprach bei Diktaten so überprononciert, dass der Text bei offenem Fenster auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite verstanden werden konnte; die Passanten draußen hätten mitschreiben können. Man konnte ihn nicht nur in der Klasse gut verstehen, sondern auch außerhalb.

Er diktierte: „Er zog das Hemd an“, ich schrieb: „Er zok das Hempt ann“. Er sagte „außerhalb“, ich schrieb „außerhalp“. Deutsch fünf.

Der Witzzwang ist deutsch!

Dass ich mich davon immer noch nicht richtig erholt habe, verrät das Lied „Es schneit im Walp“ – Walp wohlgemerkt. Warum Walp? Damit es sich auf außerhalp reimt. Deshalb. Das nennt man Reimzwang. Dem sind viele – eigentlich alle – Liedermacher erlegen.

Bei einigen Sonderlingen kommt noch der „Witzzwang“ dazu. Dass es sich dabei um ein deutsches Wort handelt, das international Karriere gemacht hat – zumindest in Medizinerkreisen – habe ich aus dem Buch Der Mann, der seine Frau mit dem Hut verwechselte von Oliver Sacks, erfahren.

Das hat mich gewundert. Ich wusste zwar, dass aus der deutschen Sprache schon so manches originelle Doppel-Substantiv in den internationalen Sprachgebrauch eingewandert ist – Blitzkrieg, Kindergarten, Doppelgänger, Weltschmerz, Ohrwurm, Zeitgeist, Schadenfreude, Schreibtischtäter … –, aber dass ausgerechnet „Witzzwang“ dazugehört, hätte ich nicht erwartet.

Nachgereichte Versöhnung

Deutsche und Zwang? Ja. Deutsche und Witze? Hm … Eher nicht. Mein erwähnter Deutschlehrer, der inzwischen gestorben ist, hatte jedenfalls keinen Sinn für Witze gehabt (für Zwang schon). 

Ich möchte ihn nachträglich grüßen und ihm freundlich zuwinken. Ich mochte ihn eigentlich und nehme es ihm längst nicht mehr übel, dass er mir schlechte Noten gegeben hat. Er musste es tun. Weihnachten – ja, schon die Vorweihnachtszeit – ist immer auch die Zeit der Versöhnung. Ich bin inzwischen versöhnt mit ihm. Das gilt für die Erinnerung an die guten alten Zeiten und jetzt und immerdar. Im Klassenraum und außerhalb.

Also dann: Es schneit im Walp!

 

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