Vera Lengsfeld / 06.10.2007 / 08:51 / 0 / Seite ausdrucken

Adieu, Walter Kempowski

Am meisten hat ihn geschmerzt, dass sein Einsatz für die Demokratie nicht gewürdigt wurde.
Als er nach sieben Jahren Haft in den Kellern des sowjetischen Geheimdienstes und den Kerkern der Staatssicherheit in die Bundesrepublik Deutschland kam, wurde er nicht als politischer Häftling anerkannt, sondern wie ein Krimineller behandelt. Wer glaubt, dass dies mir den Anfangsschwächen der bundesrepublikanischen Demokratie zu tun hatte, irrt. Seit 1993 warte ich auf meine berufliche Rehabilitierung. Obwohl in meinem Falle sogar ein Schreiben des ehemaligen Politbüromitglieds Egon Krenz vorliegt, der mein Berufsverbot 1983 persönlich veranlasst hat, will die Beamtin der Rehabilitierungsbehörde jetzt meine „Strafakte“ einsehen, um herauszufinden, ob ich wirklich in dem Verlag, aus dem ich rausgeschmissen wurde, beschäftigt war. Das ihr nicht im geringsten die Idee kommt, dass es unpassend ist, gegenüber einer seit 1990 rehabilitierten politisch Verfolgten von „Strafakte“ zu reden, ist leider typisch für die Haltung der staatlich bezahlten und meinugsmachenden Deutschen. Die Deutschen lieben ihre Widerstandskämpfer gegen die Diktaturen auf deutschem Boden nicht. Während es die Täter beider totalitären Regime mit Pensionen verwöhnt werden, die so hoch sind, dass sie im Falle der ehemaligen SED-Funktionärsrenten ein Viertel der Solidarpaktgelder betragen, die jährlich in die Neuen Bundesländer fließen (3,8 Milliarden),haben sie für die ehemaligen politischen Häftlinge der DDR gerade mal 100 Millionen übrig,
so viel wie für eine Woche G-8- Gipfel-Sicherheit in Heiligendamm verballert wurde.
Während die Koch-, und Erinnerungsbücher von Stasi-Spionagechef Wolf, immerhin ein vor den Augen der Öffentlichkeit rechtmäßig verurteilter Menschenräuber, in den Schaufenstern der Buchläden stolz präsentiert und dem Autor große Lesereisen finanziert wurden, sind vom Haftbericht Kempowskis, „Im Block“ keine 1000 Exemplare verkauft worden. Der Autor von „Echolot“ ein Stasihäftling? Nie gehört! Jahrzehntelang ist Kempowski von den Juroren der Republik bei der Verleihung von Literaturpreisen übergangen worden. Dabei hat er Außerordentliches geleistet. Seine Geschichtskollagen aus tausenden Briefen und Tagebüchern Betroffener haben ein neues Zeitalter der Geschichtsbetrachtung eingeleitet. Die Geschichte ist nicht mehr eine Abfolge von Stalin-Noten,Führerbefehlen,Regierungsverfügungen und Parteibeschlüssen, sondern das Erleben der Menschen, die sich im Spiel der Mächtigen behaupten müssen.
Am Ende siegte Kempowskis Genius über die Ignoranz des Zeitgeistes. In diesem Jahr wurde er mit einer großen Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste geehrt. Die Eröffnung dieser Ausstellung bezeichnete Kempowski in seinem letzten Interview als den „schönsten Augenblick in meinem Leben“ Da lag er schon im Krankenhaus und konnte nicht mehr dabei sein. Doch ihm wurde die Freude zuteil, dass sich nun „fremde Menschen um mein Werk bemühen“ Sie werden etwas von dem weiter tragen, was Kempowski begonnen hat. In seinem „Archiv der Vergänglichkeit“ hat Kempowski das Leben und Sterben der Anderen dokumentiert. Zum Schluss hat er an seinem Vermächtnis gearbeitet. Demnächst wird ein Gedichtband von ihm erscheinen, den er für die postume Veröffentlichung vorgesehen hat. Ein Gedichtband über den „ganzen Ernst als Einzelhäftling“. Als solcher hat er sich wohl sein Leben lang verstanden.
Ich bin froh, dass ich bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in seinem Haus dabei war.
Adieu, Walter Kempowski.
Den Bericht „Ein Nachmittag bei Walter Kempowski“ finden Sie unter www. vera-lengsfeld.de oder im achgut- archiv

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