Henryk M. Broder / 07.12.2019 / 06:09 / Foto: Stefan Klinkigt / 123 / Seite ausdrucken

Adieu, SPD!

Nach einer monatelangen Road-Show mit 23 Regionalkonferenzen, bei denen die Parteibasis zu Worte kam, blieben von anfangs acht Bewerberpaaren für den Vorsitz der SPD zwei übrig. Jeweils ein Mann und eine Frau, wie es die Regeln der Parität fordern, obwohl es auf die geschlechtliche Zugehörigkeit eigentlich nicht ankommen sollte. Denn die ist, wie wir inzwischen gelernt haben, ein soziales Konstrukt.

Rückblickend will sich niemand dazu bekennen, das Verfahren initiiert zu haben, mit dem die Partei demonstrieren wollte, wie „basisdemokratisch“ sie aufgestellt ist. Tatsächlich aber steckt sie in einer tiefen Krise, nachdem sie seit der „Wende“ 1990 nicht weniger als 13 Vorsitzende verschlissen hat, zuletzt Martin Schulz und Andrea Nahles, die beide erst als Retter in der Not gefeiert und am Ende gnadenlos entsorgt wurden. 

Im Umgang mit ihren Vorsitzenden verhält ich die SPD wie ein Bauunternehmen gegenüber Leiharbeitern. Der Weg vom Lückenfüller zum Sündenbock ist kurz und wird jedes Mal kürzer.

Nun ist „die älteste und traditionsreichste deutsche Partei“, wie es immer wieder heißt, wenn über die SPD geredet wird, dort angekommen, wo auch andere alte und traditionsreiche Firmen wie Woolworth (Einzelhandel), Babcock (Maschinenbau) und Holzmann (Hoch- und Tiefbau) ihre letzte Ruhestätte gefunden haben – im Abgrund der verpassten Gelegenheiten.

Jeder vernunftbegabte Mensch würde in einer solchen Situation anfangen zu beten, es möge ein Wunder geschehen, nur die SPD wählt eine Genossin und einen Genossen an die Spitze, die außerhalb ihrer Ortsvereine kaum jemand kennt. Norbert Walter-Borjans war immerhin mal Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, seine Mitstreiterin Saskia Esken gehörte dem Gemeinderat von Bad Liebenzell und dem Kreistag des Landkreises Calw in Baden-Württemberg an, bevor ihr über die Landesliste der Einzug in den Bundestag gelang.

Was will die SPD ihren Wählern damit zu verstehen geben? Sucht euch eine andere Partei! Wir wollen nicht gewinnen, wir wollen nicht regieren, wir haben fertig! Wir steigen aus der Geschichte aus!  

Das wäre ein ehrliches Statement. Und ein schönes letztes Wort, 156 Jahre nach der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

 

Von Henryk M. Broder erschien am 8. November 2019 das Buch „Wer, wenn nicht ich – Henryk M. Broder“. Der Autor befasst sich darin mit „Deutschen, Deppen, Dichtern und Denkern auf dem Egotrip“. Das Buch kann im Achgut.com-Shop bestellt werden. 

Foto: Stefan Klinkigt

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Thomas Holzer, Österreich / 07.12.2019

Alles hat ein Ende, warum nicht auch die SPD?! Und natürlich auch die SPÖ in Österreich ;)

Werner Arning / 07.12.2019

Bloß kein bekanntes Gesicht mehr „verbrennen“, bei einem unbekannten, kommt es nicht mehr so drauf an. Denn so viele, vorzeigbare Gesichter hat die SPD ja nicht mehr. Da muss man schon sparsam mit seinen Gesichtern umgehen. So ganz Unbekannte mögen hingegen dankbar sein, mal kurz auf der großen Bühne stehen zu dürfen. Es bis in die Nachrichten zu schaffen. Die SPD fügt sich in ihr Schicksal. Sie scheint zu wissen, dass sie nicht mehr gebraucht wird. Ein vom Auto angefahrener Hund, der mit dem eigenen baldigen Tod rechnet, läuft auch nicht mehr zurück nach Hause, sondern er sucht sich ein ruhiges Plätzchen, etwa in einem Straßengraben und wartet dort geduldig auf sein Ableben. Ja, man hatte die Möglichkeit, das Ruder noch herumzureißen. Aber dafür hätte man sich ehrlich machen müssen. Hätte das Risiko eingehen müssen, als Rechtspopulist und als „unlinks“ beschimpft zu werden. Hätte sich zum „Volk“ anstatt zu Grünen, Linken, Merkel und den Medien bekennen müssen. Dann stünde heute eine andere SPD da. Eine, die einen begangenen Fehler zugegeben hätte, die jedoch aus dem Fehler gelernt hätte und sich aus Verantwortungs- und Pflichtgefühl neu orientiert hätte und den Realitäten Rechnung getragen hätte. Sie würde der Ideologie entsagt haben müssen und die Realität anerkannt haben müssen. Der Wähler und Bürger würde dieses Verhalten gewürdigt haben, wäre der SPD dankbar gewesen. Aber stattdessen fährt man den Karren zusammen mit genannten Partnern an die Wand. Man bleibt darauf sitzen, anstatt rechtzeitig abgesprungen zu sein. Doch ob die SPD noch mit auf dem Karren sitzt oder nicht, interessiert niemanden mehr. Sie wird nur noch als Accessoire des (allgemeinen) Untergangs wahrgenommen. Des selbstverschuldeten Untergangs. Und dass die SPD daran ihren Anteil hat, leugnet nicht einmal die selbst. Lasst doch den Karren von den Anderen weiterfahren und legt euch in den Straßengraben. Denn ob ihr drauf sitzt oder ihn mit zieht, wird nicht einmal mehr bemerkt.

Mathias Hartmann / 07.12.2019

Vielleicht spekuliert die SPD auf die Einführung einer Abwrackprämie für Altparteien.

Anders Dairie / 07.12.2019

SORRY, ich schreibe es groß aber nicht gern:  Zur Schaffung eines neuwertigen Label für eine erneuerte SPD bedarf es auch einer positiven Austrahlung.  Bei Herrn WALTER-BORJANS (so der Nachname) ist wenig zu beanstanden, ausser seiner nach außen gekehrten Beamtenseele.  Bei Frau ESKEN sieht das völlig anders aus.  Beweis:  Antragsrede zur Mit-Vors. auf dem Parteitag vom 06.12,19 (Youtube) .  Hier wurde mit schiefem Gesicht eine klassenkämpferische Ansprache geführt, krampfhaft um Schärfe bemüht,  die den Eindruck machte, der Regierungspartner sei allein verantwortlich, und die neue SPD-Vertretung müsse den Laden nun aufräumen. Dabei war feststehend,  dass sich die SPD-Bundestagsabgeordneten - und die jahrelang eingesessenen Beamten - sich den Risiken aus einer Neuwahl nicht aussetzen, weil wohl die Hälte mit dem Karriereende auf Dauer und Geldverlusten bezahlen müsste.  Es liegt ein klarer Schwindel vor:  Nichts ist’s mit dem “Am Nikolaus ist GroKo-Aus” !  Herr KÜHNERT / JUSO wurde Co-Vors. auf einem neuen Extraposten.  Es beginnt der Kampf um die ganze Macht.

Johannes Schuster / 07.12.2019

Der Strom ist da, nur wo geht er durch ? Als die Arbeiter die SPD satt hatten rannten sie zum nächsten Malocherverheißungsverein - der NSDAP. Da wo das Bier billiger werden soll. Die Frage ist doch die: Wohin geht in Zukunft der Strom der sozial Gefrusteten, die zu lange am Band stehen, weil es ein Großkotz von Chef nicht sozial geregelt bekommt ? Und wenn es die SPD, also die abgebrannte Anode nicht mehr hinbekommt die freien Kräfte anzuziehen, dann suchen sich die den nächst stärkeren Pol zu dem sie wandern werden und das können durchaus radikale Kräfte ganz links oder in der nationalsozialen Linksaberration sein. Wenn sich kein Effekt zeigt, könnte das auf eine gravierende Veränderung in den Arbeitsverhältnissen hindeuten: Für den Fall, daß es aus der Produktion jedoch keine Kräfte mehr gibt, die mal als Arbeiterschaft bezeichnen kann - wäre dies der Beweis, daß Deutschland wirtschaftlich längst am Boden liegt und keinerlei Produktionsstruktur - und damit eine Arbeiterschaft mehr hat. So sieht das verschleppte Ende des zweiten Weltkriegs aus liebe Leute. Noch einmal ein Herrenmenschenversuch der Moral bevor das passiert, was Churchill befürchtet hat: Daß die Deutschen der Welt - Sozialfall werden ein heruntergekommener Haufen von Größenwahnsinnigen im Zustand der Untherapierbarkeit.

E Ekat / 07.12.2019

Die Aufgabe der Werte macht sich lediglich bei der SPD zuerst bemerkbar. Insgesamt wird hier der Zustand der gesamten Gesellschaft - und zwar keineswegs nur in den Parteien - erkennbar, 

Dr.Freund / 07.12.2019

Auf einem Schiff, in einem Flugzeug,..., sind qualifizierte Führungskräfte am Ruder,klar,wer will sich schon von Dilettanten ins Verderben chauffieren lassen. In der heutigen Dummland-Politik, die mit der Realität nicht viel am Hut hat, läuft es umgekehrt. RRG plus Merkel-Blockpartei werden von I(zensiert)en angeführt, offenbar ist das das wichtigste Kriterium.Haltung ersetzt Hirn.Propaganda ersetzt Wissen. Es gibt in der SPD bodenständige,vernünftig denkende Menschen, aber nur an der Basis. In der Nachbargemeinde macht der Ortsverband Politik für die Bürger,ein ehemaliger Polizeibeamter brachte es einmal auf 98% bei der Bürgermeisterwahl,Helmut Schmidt war sein Vorbild, damit ist alles klar. Diese Leute machten und machen keine Karriere in der SPD. Der Fisch stinkt vom Kopf, heute schon hirntot, bald wird er begraben.

U. Unger / 07.12.2019

Eindeutig Tautologie: Adieu SPD. Weißer Schimmel ist blaß dagegen.

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