Das FDP-Ergebnis bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen war vernichtend. Der Verbleib in der Ampel-Regierung wird sie weiter ruinieren, und Christian Lindner könnte sich bei geordnetem Rückzug eine Blamage ersparen.
Wer nimmt eigentlich Wolfgang Kubicki noch ernst? Er sagt öfter mal öffentlich das Richtige, während seine Partei das Falsche tut. Offenbar möchte er wenigstens mit ein paar liberalen Worten die gepeinigte Seele jener FDP-Mitglieder und Anhänger trösten, die glauben, dass irgendwo in der Partei tatsächlich noch etwas liberaler Geist versteckt wäre. Praktische Konsequenzen für die Politik seiner Partei haben seine wahren Worte nie, weshalb es mehr und mehr Menschen gibt, die auch seine wohlklingendsten Sätze nicht mehr ernst nehmen. Gestern Abend gab es mal wieder so einen.
An wichtigen Wahlsonntagen laden meine Frau und ich uns traditionell ein paar enge Freunde und Verwandte ein, um neben der mal mehr und mal weniger klugen und mal mehr und mal weniger lustigen Debatte über die Wahlergebnisse auch den realsatirischen Unterhaltungswert deutscher Wahlsendungen zu genießen. Und selbstverständlich wird auch kräftig über die Folgen der jeweiligen Wahl spekuliert. In dieser Gemengelage gab ausgerechnet Wolfgang Kubicki den Anstoß zu einer nicht uninteressanten Spekulation.
Warum es diese lange Vorrede gibt? Ich will mich nicht mit fremden Gedanken schmücken und muss sie deshalb richtig zuordnen. Also kommen wir zu Kubicki. Bei n-tv hieß es am Sonntagabend:
„FDP-Vize Wolfgang Kubicki zieht nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen ein vernichtendes Fazit für die Ampel-Regierung. ‚Das Wahlergebnis zeigt: Die Ampel hat ihre Legitimation verloren‘, schrieb er auf X. ‚Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler in dieser Art und Weise die Zustimmung verweigert, muss das Folgen haben.‘ Die Menschen hätten den Eindruck, diese Koalition schade dem Land. ‚Und sie schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei.‘“
Ja, dachte ich mir, da haut der Kubicki mal wieder einen Seelentröster für die Partei raus, aber eigentlich wollen die FDP-Granden bestimmt die Regierung nicht gefährden, denn wenn dann Neuwahlen kämen, ginge die Partei auch im Bund unter.
Keine Angst vor Neuwahlen
Die Kubicki-Äußerung war fast schon vergessen, als einer der Freunde sagte, er rechne damit, dass die FDP innerhalb der nächsten zwei Wochen aus der Koalition aussteige. Nicht wegen der Kubicki-Äußerung und auch nicht nur wegen der verheerenden Landtagswahl-Ergebnisse in Sachsen und Thüringen. Nein, neben der kommenden Wahl in Brandenburg wäre es die Haushaltsdebatte im Bundestag, die diesen Schritt wahrscheinlich mache.
Es gäbe nichts mehr, womit die FDP in dem einen Jahr bis zur Bundestagswahl noch punkten könne. Aber der Haushalt für 2025 mit ungedeckten 12 Milliarden Euro sowie der ständige innerkoalitionäre Nervenkrieg um Schuldenberge und neue „Sondervermögen“ beschädigt den Ruf von Bundesfinanzminister und FDP-Frontmann Christian Lindner. In der nächsten Woche beginnt die Haushaltsdebatte im Bundestag und damit ein guter Zeitpunkt, um auszusteigen und die Reste des eigenen Rufs zu retten bzw. wieder einen besseren Ruf aufzubauen.
Das klang nicht dumm, aber müsste die FDP in einem solchen Falle nicht baldige Neuwahlen fürchten? Nein, müsse sie nicht, zumindest nicht sofort. Denn nicht nur für die derzeitigen Regierungsparteien, sondern auch die CDU kämen sie zur Unzeit. Plötzlich stünde die leidige Kanzlerkandidatenfrage wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Und während Friedrich Merz aufpassen müsse, was seine Landesverbände in Sachen Regierungsbildung in Sachsen und Thüringen trieben, könnte sich der ambitionierte Markus Söder wieder in Stellung bringen. Egal wie das ausgehen würde, das Risiko wäre groß, dass die Union auch diese Kandidaten-Kür wieder verstolpert.
Da ist es viel leichter, nach einem FDP-Rückzug in „staatsmännischer Verantwortung“ eine SPD-CDU-Übergangsregierung zu bilden. Vielleicht unter einem Kanzler Pistorius und einem Friedrich Merz in einem wichtigen Ministeramt, aus dem heraus sich trefflich für eine eigene Kanzlerschaft werben lässt.
Die FDP hätte die Chance auf Opposition. Der glücklose Finanzminister könnte seinen alten Satz, wonach es besser sei, nicht zu regieren als falsch zu regieren, aus der Mottenkiste holen und ihm neuen Glaubwürdigkeitsglanz verleihen. Als Oppositionspartei lässt sich die fortschreitende Krise den dann Regierenden anlasten, bzw. wenn es um Altlasten aus der eigenen Regierungszeit geht, den Grünen.
Die wären die Verlierer, denn ihre ideologische Deutungshoheit bei wichtigen Themen geriete in Bedrängnis. Sie bieten sich wegen ihres immer weiter penetrant besserwisserischem Auftritts als Sündenbock förmlich an.
Nirgends ein Schaden?
Eine gewisse Zeit bis zur Wahl halten die Akteure bestimmt auch deshalb für sinnvoll, weil die derzeit auf Höhenflügen schwebenden Genossen von der Wagenknecht-Front dann noch etwas Zeit und Gelegenheit bekämen, sich selbst zu zerlegen.
Und die AfD? Die könnte man in den restlichen Monaten weiterhin rechts liegen lassen. Das bringt zwar nichts, aber schadet wahrscheinlich auch nicht, wenn man eh nicht weiß, wie man der Partei beikommt. Eine auf Problemlösungen orientierte konsequente praktische Politik wäre zwar eine Möglichkeit, aber woher sollen die derzeitigen Akteure wissen, wie sowas geht?
Also bis auf die Grünen nähme keine etablierte Partei Schaden an einem solchen Regierungswechsel ohne Neuwahlen. Nein, wirklich ändern würde sich wahrscheinlich nicht viel. Und auch wenn Boris Pistorius weniger Schwierigkeiten mit dem Satzbau und darstellender Sozialdemokratie hat, so ist er doch kein wirklicher Hoffnungsträger.
Aber es wäre immerhin nervenschonend, wenn gelegentliche Kanzleransprachen an die Bürger wieder oberhalb des Vorschulniveaus gehalten würden und man nicht ständig mit dem „Unterhaken“ bedroht wird.
Ich weiß leider nicht, ob das jetzt mehr war als das wahlabendliche Gedankenspiel eines guten Freundes, oder ob er noch über nicht zitierfähige aber dennoch gute Quellen verfügt.
Und warum habe ich Sie jetzt damit behelligt? Weil sich in diesen Stunden kaum einer Gedanken um die FDP macht, obwohl es die bei den gestrigen Wahlen am härtesten getroffen hat.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.