Dirk Maxeiner / 05.12.2006 / 10:29 / 0 / Seite ausdrucken

Achtung, Killertomaten!

Erschienen in” The Wallstreet Journal Europe” am 4.12.2006 als “State of the Union” Kommentar. Hier die deutsche Fassung:

Die Deutschen lieben Tempo und Risiko, allerdings nur an einem Ort: Auf der Autobahn. Es gehört zum Grundrecht der Bürger dieses Landes, den Familienausflug mit Geschwindigkeiten knapp unter denen der Indy 500 zu absolvieren. Sorgen machen sie sich dabei lediglich um die Strahlung des mitgeführten Mobiltelefons, die der Gesundheit abträglich sein könnte. Wir sind die schnellsten Angsthasen der Welt.

Wir haben Angst vor der Atomkraft, folglich hat die Regierung für die nächsten Jahre das Abschalten der Atomkraftwerke vereinbart (die einzige Energie, die wir wirklich mögen, heißt Pferdestärke). Gleichzeitig haben wir Angst vor der globalen Erwärmung, warum auch Kohlekraftwerke unbeliebt sind. Deshalb haben wir fast 20.000 Windkraftanlagen gebaut. Die liefern Strom wenn der Wind weht, aber nicht unbedingt wenn er gebraucht wird.  Und sie stehen logischerweise dort, wo es stürmt und bläst, und meist nicht dort, wo Industrie und Verbraucher siedeln. Aus beiden Gründen müssen dringend neue Hochspannungs-Leitungen gebaut werden, um den Strom zu transportieren und die unregelmäßige Belastung durch herkömmliche Kraftwerke ausgleichen zu können. In Norddeutschland wird bereits jedes fünfte Windrad bei starkem Wind abgeschaltet, weil die Stromnetze die Schwankungen nicht verkraften.

Doch bedauerlicherweise haben die Deutschen auch Angst vor Elektrosmog. Und sie sorgen sich um die schöne deutsche Landschaft. Deshalb ziehen die gleichen Bürger, die den Ausbau der Windenergie forderten, jetzt gegen die erforderlichen Leitungen zu Felde. Vom Bauantrag bis zur Fertigstellung einer Stromtrasse können bis zu 15 Jahre vergehen. Ein kürzlicher Blackout in weiten Teilen des Landes, zeigte schon mal, wie man sich die Konsequenzen vorzustellen hat. Nun heißt die Parole: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Leitungen sollen unterirdisch verlegt werden, was sie bis zu zehnmal verteuert und die Windkraft noch unwirtschaftlicher macht.

Die Windräder könnten ja durchaus eine sinnvolle Ergänzung zum Energiemix Deutschlands beitragen. Besonders an der windreichen Nordseeküste. Bedauerlicherweise besitzen die urbanen Eliten dort ihre ökologisch durchgestylten Ferienhäuser und haben schon wieder Angst: Diesmal um den Wert ihrer Immobilien. Deshalb dürfen Offshore-Windparks nicht einmal mehr als Fliegendreck am Horizont erkennbar sein und müssen 40 bis 80 Kilometer vor der Küste gebaut werden. Dort ist das Wasser bis zu 40 Meter tief. Der Aufwand für Fundamente und spätere Wartung explodiert. Zumal der deutsche Amtsschimmel auch jenseits der Viermeilenzone laut wiehert. So muss - es könnte ja ein Schiffbrüchiger in der Nähe auftauchen - jedes Windrad mit einem Rettungsraum versehen werden. Was zu der Befürchtung führte, die Geretteten könnten während ihres Bed & Breakfast Aufenthaltes über Bord pinkeln und dadurch den marinen Lebensraum schädigen. Inzwischen wurde die Gefahr gebannt: Jedes anständige deutsche Offshore-Windrad muss mit einer Toilette ausgestattet sein. Die Zusatzkosten betragen etwa 100.000 € pro Anlage.

All dies bezahlen die Streuerzahler und Konsumenten. Strom- und Energiepreise steigen in immer Schwindel erregende Höhen. Aus Angst um ihre Geldbörse greifen sie deshalb für das heimische Wohnzimmer immer mehr zu Kaminöfen und Allesbrennern. Während diese bislang nur gelegentlich und eher zum Vergnügen angefeuert wurden, glühen sie plötzlich im Dauereinsatz. In den Großmärkten stapeln sich Briketts aus gepressten Holzresten oder Braunkohle. Fast neun Millionen Kaminöfen, Heizkamine und Kachelöfen sind im Einsatz und jedes Jahr kommen 200 000 neu hinzu. Über 500 000 Tonnen Holzscheite und mehr als eine Million Tonnen Braunkohlenbriketts werden abgesetzt. Statt der süßen Vision vom Windkraft-Zeitalter schwebt über manchem Wohnviertel ein Hauch von Braunkohle, der die sensible Nase an Leipzig vor dem Fall der Mauer erinnert.

Anstatt nun Angst vor dem für die Lunge schädlichen Feinstaub ihrer Lagerfeuer zu haben, fürchten sich die Bürger lieber vor den Partikeln, die Industrie und Verkehr in die Luft pusten. Deshalb hat die europäische Union eine Feinstaubrichtlinie für Städte erlassen, deren Grenzwerte bei konsequenter Anwendung nicht einmal durch eine komplette Entvölkerung der Innenstädte eingehalten werden könnten. Diese Einsicht verdanken wir ausgerechnet George W. Bush, der im vergangenen Jahr unser schönes Mainz besuchte. Aus Sicherheitsgründen wurde für einen Tag der Traum jedes Öko-Aktivisten wahr: Für den Verkehr komplett abgeriegelte Innenstadt, abmontierte Abfallkörbe, geschlossene Kaufhäuser und Betriebe. Obwohl nur noch Präsidentenlimousine und Polizei fuhren, zeigte die Feinstaub-Konzentration keinerlei Veränderung. Die Wissenschaft rätselt nun, ob es an George W. lag oder daran, dass alle Bürger vorm Kamin saßen. Und auch die EU-Bürokraten kamen ein wenig ins grübeln und räumten für die Umsetzung der Richtlinie mehr Zeit ein. Das Leben in den Städten muss jetzt erst ab 2010 beendet werden.

Auf dem Land werden hingegen Raps- und Maisfelder bis zum Horizont erblühen, weil die europäische Union den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen für die Energieerzeugung massiv fördert. Sie fördert damit automatisch den Einsatz von Pestiziden, um die großen Monokulturen vor Schädlingen zu schützen. Dies lässt einen munteren Angst-Wettbewerb erwarten.  Preisfrage: Was erschreckt uns mehr? Die Angst vor der Endlichkeit fossiler Rohstoffe, vor der globalen Erwärmung, dem Schwinden der Artenvielfalt oder der Vergiftung durch Pestizide? Nun gäbe es eine halbwegs salomonische Lösung, nämlich die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen, die gegen bestimme Schädlinge resistent sind. Bloß nicht: Davor haben wir noch mehr Angst. Deutschland befindet sich seit Jahren in einem Dauer-Halloween, der mit gentechnisch veränderten Monster-Tomaten bestritten wird. Die gegenwärtige deutsche Regierung blockiert die grüne Gentechnik deshalb genauso ab wie die vorherige.

Angst vor Technik und Chemie ist inzwischen zu einem der erfolgreichsten deutschen Exportprodukte geworden (die Briten beispielsweise holen mächtig auf). Der ganze Stolz der EU-Chemikalienpolitik heißt „REACH“, was für „registration, evaluation and authorization of chemicals“ steht. Darunter fallen etwa 33000 chemische Stoffe und 40.000 Zwischenprodukte, die registriert, bewertet und teilweise neu zugelassen werden müssen. Das viele Milliarden verschlingende Vorhaben sichert die Beschäftigung der damit befassten Bürokraten bis ins fünfte Jahrtausend, dürfte auf die Gesundheit der Bevölkerung jedoch keine merkbaren Auswirkungen haben.

Noch erschreckender als die Verwendung von Chemikalien erscheint plötzlich der Gedanke, dass deren Gefahrenpotential auch mit Tierversuchen ermittelt werden müsste. Deshalb untersagt REACH, Studien mit Wirbeltieren zu wiederholen. Dies ist aber in vielen Fällen die einzige wissenschaftliche Methode, mit der alte und möglicherweise fehlerhafte Erkenntnisse überprüft werden können. Weshalb man die ganze Prozedur auch gleich ganz sein lassen könnte. Der gesunde Menschenverstand bleibt zwischen zeitgeistiger Chemophobie und Angst um die Gesundheit von Labormäusen endgültig auf der Strecke - von den Arbeitsplätzen in der Chemieindustrie mal ganz abgesehen.

Immer neue Vorschriften gegen immer neue Ängste verknoten sich zu einem unentwirrbaren Knäuel und führen nicht zu mehr Sicherheit für die Bürger, sondern zur Produktion von immer mehr Unsinn. Die daraus resultierende Selbstblockade wird allmählich zum Prinzip und schafft genau jene Verhältnisse, die man eigentlich verhindern wollte. Da hilft nur auf der Autobahn möglichst schnell das Weite zu suchen.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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