Beda M. Stadler, Gastautor / 01.06.2011 / 23:43 / 0 / Seite ausdrucken

Achtung, Bio-Gemüse

Der Skandal um verseuchte Bio-Gurken führt einer erstaunten Öffentlichkeit vor Augen: Bio-Produkte bergen Gefahren. Sie sind sogar schädlicher als Gentech-Erzeugnisse.

In Europa ist derzeit die Gefahr, an einer Infektion mit einem enterohämorrhagischen Escherichia coli zu sterben, geringer als die Chance, einen Sechser im Lotto zu haben. Es wird nie zu einer Epidemie kommen, weil trivialste hygienische Massnahmen ausreichen, die Weiterverbreitung dieses Keims zu ver¬hindern. Weshalb ist das Thema trotzdem für viele Menschen furchterregend?
Beim E. coli handelt es sich um das bekannteste Darmbakterium und beliebteste Laborbakterium der Molekularbiologen. Das E.coli leidet selber unter Bakterienviren, die zusätzliche Information in die Zellen einbringen können. Auf kleinen Ringlein schleusen die Bakterienviren Information für Toxine oder Antibiotika¬resistenzen ein, die das harmlose Bakterium in einen Killer verwandeln. Aus der Sicht der Ärzte ist es ein problematischer Keim, weil gewisse Antibiotika nicht ¬angewendet werden dürfen, da dadurch vermehrt Toxine im Körper produziert werden und der Zustand des Patienten sich verschlimmert. Und in den besonders ¬pathogenen Formen fand man vermehrt Antibiotika¬resistenzen. Auch die Lebensmittelinspektoren fürchten sich vor dem Keim, weil eine sehr geringe Anzahl — man spricht von etwa zehn EHEC-Bakterien — ausreicht, um eine Infektion loszutreten. Der Nachweis muss also sehr empfindlich sein.
Der Konsument fürchtet sich, weil eine Bedrohung von etwas Gesundem ausgeht. Rohkost soll gefährlich sein. Ein Höhepunkt der Angst wurde erreicht, als publik wurde, die todbringenden Bakterien stammten von Bio-Gurken. Daran musste man sich gewöhnen. Die Medien hatten bislang «Bio» im Zusammenhang mit Gefahren stets ausgeblendet. Selbst Dioxin-verseuchte Bio¬-Eier beeinflussten das positive Image nicht, hatte es die Bio-Branche doch geschafft, die Schuld den Futterproduzenten in die Schuhe zu schieben. Als wegen Bio-Spinat 2006 in ¬Amerika 270 Leute erkrankten und drei starben, interessierte das hier niemanden.
Viele Konsumenten sind dem Bioglauben verfallen. Sie glauben, Bio sei gesünder, sicherer und schmackhafter. Dazu gibt es Hunderte von Studien, die zusammengefasst ergeben haben: Zwischen Bio und konventionell gibt es keinen statistisch signifikanten Unterschied. Der Bioglaube geht so weit, dass man glaubt, Biobauern verwendeten keinen Dünger. Wer von diesem Glauben geheilt werden will, der soll mal die Betriebsmittelliste 2011, heraus¬gegeben durch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), konsultieren. Neben eigener Gülle und Mist kann der Biobauer heute aus einer 25 Seiten langen Liste wählen, damit er seine Knospe nicht verliert: verarbeitete Schweineborsten, Federmehl, Tierhäute, Tierhörner, Fleischknochenmehl, kompostierte Fischabfälle, Haarmehl etc. sollen dem Biorüebli das Besondere verleihen.Wer behauptet, Bio sei besser, muss dies ¬beweisen. Bereits 2004 zeigte eine Arbeit im Journal of Food Protection, dass EHEC sowohl auf Gemüse von Biobauern wie auch von traditionellen Bauern nachgewiesen werden kann. Wer hingegen behauptet, seine Produkte seien sicherer und besser, darf nicht gleich schlecht wie die traditionellen Bauern sein. Das Bio-Image baute lange darauf auf, die traditio¬nellen Bauern und ihre Produkte schlechtzumachen. In der Zwischenzeit ist IP Schweiz quasi genauso weit wie Bio, das Feindbild somit abhanden gekommen. Heute muss die Gentechnik als Feindbild herhalten. Seit mehr als fünfzehn Jahren behaupte ich, dass an Genfood noch nie jemand gestorben ist, an Bio¬gemüse hingegen sterben jährlich Menschen. Das war und ist keine Provokation.

Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 22/11

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