Von Inge Adams.
Inge Adams tritt nach dem Sprachenstudium 1973 ihre Arbeitsstelle als Übersetzerin an der italienischen Botschaft in Bonn an. Als die Botschaft im Zuge der Verlegung der Hauptstadt nach Berlin umzieht, wechselt sie 1999 an das italienische Generalkonsulat in Köln. Nach dreiundvierzig Jahren im italienischen Staatsdienst wird sie Ende 2016 pensioniert. Achgut.com bringt Auszüge aus ihren Erinnerungen.
Am Ende meines ersten Arbeitsmonats in der Botschaft ruft mich der Kanzler zu sich in den 2. Stock. Bis dahin wusste ich nicht einmal von dessen Existenz, deshalb auch nicht, dass er als Leiter der Verwaltung Herr über Papier, Stifte, Farbbänder, Toilettenpapier, die Zentralheizung, die Auszahlung der Gehälter und auch über die Verträge der contrattisti ist. Er eröffnet mir, dass mit dem wöchentlichen Kurier mein Arbeitsvertrag aus Rom eingetroffen sei.
„Aha.“
Ich müsse ihn noch unterschreiben.
„Aha.“
Er sei auf den 19. Oktober datiert.
„Aha.“
(Die doofe Deutsche hatte immer noch nicht kapiert.): „Na, das heißt, das Gehalt wird auch erst ab dem 19. Oktober bezahlt!“
„Ach was?! Aber ich bin doch schon seit dem 1. Oktober hier.“
„Und wenn schon, viel Arbeit werden Sie ja in den paar Wochen nicht geleistet haben...“
So erkenne ich schon sehr früh, was Jahrzehnte später Umberto Eco quasi ex cathedra oder besser ex tomba bestätigte, nämlich dass Flexibilität im weitesten Sinne – oder, um mit Mario Monti zu sprechen, precisione elastica – eines der prägenden Kriterien im Verhalten nicht nur meines Arbeitgebers, sondern des ganzen Landes ist: Nach seinem Tode wurde Umberto Ecos „Videoguida dell’Italia“ aus dem Jahre 2012 dem Publikum zugänglich gemacht, wo gleich zu Beginn das erste italienische Gebot aufgeführt wird: flexibel sein. „Primo, essere flessibili: il comandamento italiano.“
(…)
„Zahlen Sie bloß keine deutschen Steuern!“
Der Knüller allerdings war die Steuerfrage. Nicht nur Gerhard Schröder, auch jeder gute Italiener hat eine ganz eigene Vorstellung davon, wer wo Steuergelder verbraten dürfen sollte – oder eben nicht. Offenbar völlig berechtigt, wie die „spese pazze e fondi faraonici“ italienischer Abgeordneter der Kammer, des Senats sowie mancher Regionalparlamente zeigten, über welche die italienische Presse dem staunenden Staatsvolk im zweiten Jahrtausend begeistert berichtete, ohne den hier durchaus angebrachten Hinweis auf Anzeichen spätrömischer Dekadenz zu vergessen …
Mein erster Chef gab mir also recht bald den Rat:
„Zahlen Sie bloß keine deutschen Steuern!“
„Ja, also dann zahle ich meine Steuern in Italien?“
„Nein, in Italien brauchen Sie auch keine Steuern zu zahlen, und das ist auch ganz einfach.“
(…)
Ein einziges Mal mussten Haus und Garten der italienischen Botschaftsresidenz in Bonn einem überwältigenden Journalistenansturm standhalten, und der Empfangssaal der Residenz wurde mit langen Reihen von Klappstühlen zum Schauplatz einer veritablen Pressekonferenz umfunktioniert. Der Grund für dieses nach dem Mauerfall und der Implosion von Democrazia Cristiana und Eurocomunismo ausgesprochen selten spektakuläre Medieninteresse an der italienischen Politik war der erste Deutschlandbesuch des neu gewählten italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi Anfang der Neunziger Jahre. Dabei befand sich der Mann damals noch ganz am Anfang seiner politischen Laufbahn, und von der „Nichte Mubaraks“ auf der Polizeistation, den „eleganten Abendessen“ in der Präsidentenvilla Arcore und den „bösen Richtern in den roten Roben“ und so weiter war noch gar nicht die Rede.
Unsere gesamte Crew verfolgte staunend den ganz und gar ungewohnten Auftritt des Presidente und seiner unkonventionellen Mannschaft. Gebaren und Vorstellung haftete durchaus etwas von einer professionellen Inszenierung, einer messa in scena, an, die noch dadurch unterstrichen wurde, dass sich in unmittelbarer Nähe des Ministerpräsidenten immer ein eher unscheinbares Männchen mit einem kleinen hölzernen Köfferchen aufhielt, das sich jedoch mit einer sehr selbstsicheren Aura bewegte. Entgegen aller Vermutungen erfahrener Thriller-Leser barg dieses Köfferchen keine geheimen Dokumente und auch kein rotes Telefon, sondern ein reichhaltiges Schminksortiment, das jeder Diva zur Ehre gereicht hätte. Das gesamte Spektakel dieses Besuchs war übrigens das Ergebnis eines beeindruckenden doppelten Bluffs des damals amtierenden Botschafters.
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Im Aachener Dom kam es fast zum Eklat
Höhepunkt der Vorbereitungen des Besuchs von Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi zur Verleihung des Karlspreises in Aachen, die immer auf der Kippe standen, in ein zänkisches battibecco auszuarten, waren die Gespräche im Aachener Dom. Unsere gesamte Vorausdelegation war schon fast den ganzen Apriltag lang bei bitterkaltem Wind über das regennasse Kopfsteinpflaster der Aachener Innenstadt hin und her gerannt, um alle Örtlichkeiten genau zu inspizieren und mit allen jeweils Verantwortlichen der deutschen Seite konkrete Absprachen zu treffen: Aula Carolina, Rathaus, Krönungssaal, Katschhof, Hotel Quellenhof. Unser Protokollchef gab sich mit vielem unzufrieden und verlangte unter anderem vom Hoteldirektor kategorisch, aber vergeblich, die Ausquartierung der holländischen Königin, des spanischen Königs und des Bundespräsidenten, um Platz zu schaffen für die zu erwartende zweiundsechzigköpfige italienische Präsidentendelegation.
Im zugigen Dom kam es fast zum Eklat. Unserem Protokollchef passte die Platzierung des italienischen Präsidenten im Chorgestühl des Doms nicht. Traditionell sitzen dort, zusammen mit den geladenen Staatspräsidenten und Königen, die Preisträger: gegenüber den Reihen der Gläubigen im Domschiff und hinter dem die Messe zelebrierenden Bischof. Erstes Argument unseres Protokollchefs war, dass der prächtige, 1215 vom Staufer Friedrich II. eigenhändig zugenagelte Sarkophag Karls des Großen dem Präsidenten den freien Blick auf das Geschehen im Dom versperren könnte. Es erging wortwörtlich die barsche Anweisung: „Devono togliere ’sta cassa – Die Kiste muss weg!“
(…)
Kurz vor seinem Abtritt von der politischen Bühne sorgte der Cavaliere Silvio Berlusconi noch für einen handfesten Skandal in den deutsch-italienischen Beziehungen. Mittels der stets bestens über den Inhalt von Telefonaten wichtiger Persönlichkeiten informierten italienischen Presse sickerte durch, dass der italienische Ministerpräsident in einem Telefonat mit dem zwielichtigen Unternehmer Giampaolo Tarantino, welcher dem Regierungschef Mädchen für seine ausschweifenden Parties zugeführt haben soll, seine deutsche Kollegin ausgesprochen unkavalleresk als culona inchiavabile (unfickbarer Fettarsch) bezeichnet hatte. In seinem Bericht über diesen ungeheuerlichen Vorgang zitierte der Spiegel (38/2011) unseren ehemaligen Botschafter Antonio Puri Purini, der bis zu seinem Tod auch als Edelfeder zu deutsch-italienischen Themen gefragt war:
„Der ehemalige Botschafter Italiens in Berlin ... setzt nun auf Berlusconis Rücktritt. Oft schon musste Puri Purini wegen dessen Schmierenkomödien vermitteln und die Deutschen von der Ernsthaftigkeit seiner Landsleute überzeugen. ‚Früher‘, sagt Puri Purini, ‚wären wegen solcher Worte Kriege geführt worden‘ ... Das ist keine Opera buffa mehr, sondern eine hausgemachte Tragödie‘, sagt er. ‚Wer wird nach diesen Gerüchten Italien noch die Hand reichen, die es so bitter nötig hat in der dramatischen Wirtschaftslage‘? Puri Purini hofft, dass irgendwann in Rom wieder Politik gemacht wird.“ Dem eher preußisch geprägten Mann blieb wenigstens ein Innenminister Matteo Salvini erspart, den es im Herbst 2018 nach eigenem Bekunden „einen Scheißdreck“ interessierte, wenn die EU Einwände gegen den geplanten italienischen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts haben sollte.
Auszüge aus: „Ach, Italien! Diplomazia all’italiana“ von Inge Adams, 2019, Books on Demand, hier bestellbar.
Inge Adams, geboren 1950 in Bonn, seit 1975 verheiratet, zwei erwachsene Kinder, ein Hund, lebt in Bad Godesberg. Sie arbeitete dreiundvierzig Jahren im italienischen Staatsdienst als Übersetzerin.