Zum Bettelmönch fehlt es mir an Glauben, für den Ablasshandel an Skrupellosigkeit und Geschäftssinn. Ich bin ein Fan der Vernunft, und diese findet im Denken eines Franz von Assisi viel eher Anknüpfungspunkte als im Ablasshandel späterer Tage. Franziskus forderte Armut und Nächstenliebe nicht von Anderen, sondern lebte sie selbst vor. Nun kann man die Frömmigkeit des 13. Jahrhunderts nicht ohne Brüche ins 21. Jahrhundert übertragen, aber es fällt schon auf, dass persönliches Beispiel und Katharsis den Wanderpredigern heute nicht mehr selbstverständlich sind.
Die Differenz zwischen dem, was ehemals als moralisch erwünscht galt und der Lebenswirklichkeit wurde schließlich zur unerschöpflichen Quelle der Bereicherung für die katholische Kirche, angetrieben vom öffentlich bestärkten schlechten Gewissen (Predigten). Die Klimaretter stehen heute vor demselben Dilemma. Das kuriose Ergebnis war und ist, dass mit der „Tugend” zwar schwunghaft (Ablass-)Handel getrieben wurde und wird, ohne dass sich deren Prinzipien als Vorsorgegedanke (sündige nicht, spare Geld) in irgendeiner Weise in der Praxis durchsetzten.
Es ging der katholischen Kirche dereinst wie heute dem deutschen Staat, der zwar die Tabaksteuer erhöht, angeblich um die Gesundheit der Bürger zu verbessern, aber nie so stark auf einmal anhob, dass die Leute ganz mit dem Rauchen aufhörten („Ausweichverhalten vermeiden“ nannte das Gesundheitsministerin Ulla Schmidt) – selbst wenn dies zweifellos für die Gesundheit jedes Rauchers das beste gewesen wäre: Man möchte nur ungern auf die Einnahmen verzichten. (Ich erlaube mir den abschweifenden Einschub, dass die katholische Kirche heute zumindest einen ansehnlichen Petersdom vorweisen kann, während die deutsche Tabaksteuer weder die Gesundheit noch das Gesundheitssystem aufrichten konnte.)
Man bezahlt immer nur einmal Schutzgeld
Die Klimaaktivisten mögen es überhaupt nicht, wenn man die Geschäftspraktiken der ihnen nahestehenden Label und Zertifikate mit dem mittelalterlichen Ablasshandel vergleicht. Doch leider ist das Prinzip dasselbe. Denn a) sind Klimazertifikate wie die Ablassbriefe unerschöpflich, b) ist ihre Wirksamkeit nicht zu überprüfen, c) kann man sie auf Vorrat kaufen und d) reagieren die ausgebenden Stellen geradezu aggressiv, wenn jemand die Praxis dieses „Tauschhandels“ kritisch hinterfragt. Schließlich noch e) – ein Ablassbrief verhinderte „Sünden“ ebenso wenig wie ein CO2-Zertifikat auch nur ein einziges Molekül Kohlendioxid von der Luft fern hält.
Bestimmte im Mittelalter die „Sünde“ die Länge des Aufenthalts im von der Kirche erfundenen „Fegefeuer“, entscheidet heute die „Klimaneutralität“, ob man direkt über „Los“ ins Paradies kommt. Zahlreiche Anbieter gibt es auf dem Markt des „CO2-Ausgleichs“, wie diese moderne Form des Ablasshandels genannt wird. Dabei ist der Deal immer derselbe: Man „sündigt“ so, wie man das schon immer getan hat und zahlt für dieses Tun einen „Ausgleich“ – im folgenden Beispiel sind es zwei Prozent des Auftragswertes – und erhält dafür ein Zertifikat, das man sich zum Beispiel ausdrucken kann, um es (in nicht allzu ferner Zukunft) auf Verlangen vorzeigen zu können oder für ein gutes Gewissen unter das Kopfkissen zu legen. Was für die einen wie ein Ausweis klimatischen Wohlverhaltens aussieht, ist für den anderen eine Gaunerzinke, die besagt, dass hier schon jemand anderer abgezockt hat. Man bezahlt schließlich immer nur einmal Schutzgeld. Das Klimazertifikat ist somit auch eine Versicherungspolice gegen künftige Vorwürfe moralischen Fehlverhaltens.
Das Geld für das Zertifikat wird nun (nach Abzug einiger Kosten) an Projekte weitergereicht, die von so bestürzender Reinheit und Grandezza sind, dass niemand mehr wissen möchte, wo genau denn dort das CO2 eingespart wird, dass man hier selbst nicht einsparen musste. Das Geld hat sich auf dem Weg von europäischen Konten nach Afrika oder Indien gewissermaßen verwandelt. Es ist, moralisch von CO2 gereinigt, zu göttlichem Manna geworden, mit dessen Hilfe die erste Welt die dritte Welt an den Segnungen der Zivilisation teilhaben lässt. Dieses Prinzip kennen wir aus der klassischen Entwicklungshilfe, nur dass dank CO2 das ganze Jahr über Weihnachten ist und die Spendenbereitschaft durch den Klima-Ablasshandel und permanenten Klimanotstand befeuert und institutionalisiert wurde. Oder, um den alten Tetzel-Spruch etwas aufzubügeln: Wo Träne von der Wange rinnt, der Euro in die Kasse springt.
Beispiel: Klimaneutral drucken
„Wenn Sie nach außen hin klar über Ihre Klimaschutzstrategie sprechen, werten Sie Ihre Marke als verantwortungsvoll auf. Dafür geben wir Ihnen Material wie Textbausteine und Bilder oder auch wissenschaftliches Hintergrundwissen an die Hand, damit Sie sich glaubhaft für den Klimaschutz positionieren können.“
So steht es geschrieben in den Kommunikationsleistungen von ClimatePartner, dem nach eigenen Angaben Marktführer für CO2-Ausgleichszahlungen im deutschsprachigen Raum. Viele Druckereien bieten mittlerweile an, Druckaufträge „klimaneutral“ über ClimatePartner abzuwickeln. Für die Kunden ändert sich dabei nichts, für die Drucktechnik ebenso wenig. Weder werden die Druckfarben bei Mondlicht aus Spinat oder Rote Beete gewonnen, noch wird das Papier von Bioland-Elfen handgeschöpft. Auch das Endergebnis rollt nicht auf dem E‑Bike, sondern wie gewöhnlich im Diesel-Transporter zu Ihnen – nur der Preis, der ist besagte 2 Prozent höher.
„Mit unserer cloudbasierten Lösung, dem Footprint Manager, können Sie auf Kundenwunsch die CO2-Emissionen Ihrer Druckaufträge pragmatisch und schnell berechnen. Die Emissionen gleichen Ihre Kunden durch die Unterstützung eines Klimaschutzprojektes aus. Für jeden klimaneutralen Auftrag erhalten Sie zur Kennzeichnung des Druckprodukts das ClimatePartner-Label mit ID-Nummer.“
Das ist in der Tat ein Fortschritt – eine eindeutige Ident-Nummer hatten die Ablassbriefe damals nicht! Nächster Schritt wäre – und ich bin sicher, daran wird bereits gearbeitet – die Zertifikate fälschungssicher in der Blockchain abzuspeichern. Dem steht wohl nur die Energieintensität im Wege, die man ja auch wieder irgendwie „ausgleichen“ müsste. Aber „cloudbasiert” ist ja energetisch auch schon eher nur so mittelprächtig.
Klassische Ziele der Entwicklungshilfe
Die gute Tat, die mit dem Klima-Ablasshandel finanziert wird, kann man sich dann aussuchen. Noch bequemer in den Himmel kommt man, wenn man gleich Ablass für die Benutzung eines Transportmittels, eine Veranstaltung oder pauschal für das Ausstoßen einer bestimmten Menge CO2 erhalten will. Auch auf Vorrat, versteht sich! Im CO2-Rechner von ClimatePartner kann man zum Beispiel erfahren, wie klimaschädlich Fußball ist. Kein Witz! Klicken Sie im Rechner auf den Punkt „Event“ und geben dort die Werte eines Spiels in der Arena auf Schalke ein. Ausverkauftes Haus (54.000), lokale Anreise (wer von weiter her oder mit dem Auto anreist, muss selbst Ablass erwerben), wir stellen keine Mahlzeiten und Übernachtungen gibt’s auch keine.
Es zählt einfach nur das Stadion, wo 54.000 Menschen zu einem „Event“ zusammenkommen. Klicken Sie nun auf „Zum Warenkorb hinzufügen“ und schon sehen Sie, dass für 175 Tonnen CO2-Ablass nötig ist. Ein weiterer Klick auf „Klimaprojekt“ bringt die Auswahl, ob die fälligen 3.135 Euro in eine Keramikwerkstatt in Brasilien, den Waldschutz in Kenia oder Wasserkraft in Indonesien fließen sollen – letzteres ist etwas preiswerter zu haben. Noch schnell Kontaktdaten angeben und Zahlungsart wählen. ClimatePartner akzeptiert auch Visa.
Gegen die Projekte selbst ist nichts einzuwenden und ich unterstelle auch nicht, dass Untreue oder Betrug im Spiel sind – außer Betrug in der Sache selbst, dem „Klimaschutz“. Denn schaut man sich die ausgewählten drei Projekte genauer an, stellt man fest, dass es diese auch ohne ClimatePartner und Geld aus Deutschen Druckereien gibt. Dass in Brasilien Keramiköfen mit Nussschalen und Holzabfällen betrieben werden, liegt an der Verfügbarkeit des billigen Brennstoffs. Warum sollte man dort mit teurer Kohle oder kostbarem Holz feuern, wenn die Abfälle quasi kostenlos anfallen? Man ist doch nicht blöde! Hier deckt sich eine wirtschaftliche Notwendigkeit, ja Selbstverständlichkeit, mit Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Mit Klimaschutz hat das jedoch nichts zu tun, denn die Kokosnussschalen brennen nicht besser, wenn man ihnen ein paar Euro-Banknoten beigesellt.
Ähnliches beim Waldschutzprojekt in Kenia. Wer die Savannenwälder Kenias vor Abholzung schützen will, muss die Bewohner der Dörfer dort aus ihrer energetischen Abhängigkeit von Brennholz holen. Zum Beispiel dadurch, dass durch Bildung die landwirtschaftlichen Erträge verbessert und dadurch die Familieneinkommen erhöht werden, wodurch Gas oder Kohle als Energieträger in Reichweite kommen. Klassische Ziele und Wortsinn der Entwicklungshilfe, würde ich meinen. Hier allerdings um-etikettiert zu „Klimaschutz“. Auch das Wasserkraftwerk in Indonesien steht bereits und sorgt für sauberen und kontinuierlich verfügbaren Strom. Wie die Unterstützung dieses Projektes den Druck deutscher Plakate und Flyer „klimaneutral“ machen soll, lernt man wohl eher im Fach „Zauberkunst” auf Hogwarts als auf den Seiten von ClimatePartner.
Der Klimaschutz räubert überall
Ich bin kein Insider wie Luther und eigne mich nicht dazu, flammende Reden wider den Ablasshandel zu halten. Ich sehe sehr wohl, dass ClimatePartner und viele weitere Anbieter hier nur ein Bedürfnis befriedigen, das seit Jahrzehnten wie Gift in unsere Hirne geträufelt wird: Weil es uns so gut geht, geht es anderen so schlecht. Wir sind darauf konditioniert, bei jeder Nachricht von den weniger schönen Orten auf dieser Welt, bei Meldungen von Kriegen, Korruption, Elend und sogar Naturkatastrophen zu schlussfolgern, dass dies alles doch irgendwie unsere Schuld sein müsse.
Sie müssen nur mal bewusst auf die Formulierungen achten, die dafür in unseren öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen verwendet werden. Dieser Schuldkult, eine Art negative Dekadenz, nutzt heute die Klimahysterie für ihre Zwecke. Denn ein positives Narrativ konnten die Klimaretter nicht finden, weil in dem Moment, wo ihre Propheten den Planeten für gerettet erklären würden, alles verschwunden und abgeschafft wäre, was menschliches Leben darauf erst lebenswert macht.
Der Klimaschutz hat nichts Eigenes, keinen uniqe selling point, der sich positiv vermarkten ließe. Deshalb räubert er in allen *ismen, Ideologien und Strömungen, derer er nur habhaft werden kann – sinnvollen und gefährlichen. Aus Umweltschutz, Artenschutz, Arbeitsschutz, Immissionsschutz, Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit, Planwirtschaft, Sozialismus, sozialer Entwicklung und vielen anderen Begriffen wird der zähe, alles umfassende Teig „Klimarettung“ geknetet. Je komplexer, desto besser. Denn komplexes Wissen braucht eine kleine Kaste eingeweihter Adepten, die im Besitz der Wahrheit ist, diese verwaltet und die Ziele definieren darf. Die Gründer der Organisationen, die dieser neuen Kaste angehören wollen, bringen sich in Medien, Parteien, Stiftungen, NGOs und Unternehmen wie ClimatePartner bereits lautstark in Stellung.
Wasser predigen und Wein trinken
Ich will aber nicht schon wieder so negativ enden und noch mal auf den Grundgedanken dieses Ablasshandels zurückkommen: die Einsparung von CO2. Die Sache ist nämlich eigentlich ganz einfach, es braucht weder Quoten noch Verbote noch den Umbau der Marktwirtschaft in eine kommunistisch-zentralistische Steinzeitgesellschaft nach Vorbild der Roten Khmer. Und ganz gleich, wie man zur Frage stehen mag, ob es sinnvoll ist, CO2 einzusparen, wissen wir doch alle, wie das geht.
Schließlich mangelt es nicht an Vorwürfen, die Klimaaktivisten würden Wasser predigen und Wein trinken. Kerosin-Kathi könnte das Fliegen aufgeben und mit Langstrecken-Luisa Fahrrad-Urlaub in der Eifel machen, statt uns von Kalifornien aus Vorträge über Flugreisen zu halten. Jürgen „Eiskugel“ Trittin könnte Mehrwegbecher verwenden und nach Berlin ziehen, statt nach Göttingen zu pendeln und sich mit Starbucks-Wegwerf-Becher fotografieren zu lassen.
F4F-Demonstranten könnten aufs Smartphone und die neuesten Sneakers verzichten, statt um Akku-Spenden für ihre Demos zu bitten, und wer Fleisch deshalb nicht essen mag, weil es energetisch so übel ist, der muss seine Finger eben auch vom energieaufwändig hergestellten Tofu lassen. Verzichtet aufs Auto, verzichtet auf Flugreisen, schaltet im Winter eure Heizung ab – bitte sehr! Aber verschont eure Mitbürger mit euren moralisierenden Belehrungen.
Was das „klimaneutrale Drucken“ angeht, habe ich übrigens gute Nachrichten: Es ist möglich, aber nur durch den kompletten Verzicht auf den Druck. Ja, nicht mal dran denken, irgendwas zu vervielfältigen! Kein Druck, keine Kopie, keine Mail, kein Tweet. Jede Kompensation, jede Ausgleichszahlung, jedes digitale Zertifikat erzeugt selbst wieder CO2 und die Kommunikation dieses Zertifikats noch mehr davon.
Es wäre zwar begrüßenswert, wenn das eine oder andere Ministerium und die angegliederten Initiativen, Hashtags, Vereine und Fördertöpfchenschlecker auf diese Weise „klimaneutral“ würden, aber ich bitte dennoch darum, nicht gleich eine Hexenjagd zu eröffnen. Wir haben bereits unsere Automobilindustrie und die Energiewirtschaft auf dem Altar des Klimaschutzes geopfert, lassen wir wenigstens noch ein paar Druckereien stehen, damit die Trauerkarten und Beileidsbekundungen für den industriellen Niedergang Deutschlands gedruckt werden können. In der Spar-Variante bitte und 2 Prozent billiger, weil ohne Ablasshandel und Klimazertifikat.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.