Hansjörg Müller / 08.03.2015 / 07:00 / 8 / Seite ausdrucken

Abkanzler in Love

Die Faszination meiner Landsleute für Helmut Schmidt, ihren ehemaligen Bundeskanzler, war mir immer ein wenig suspekt. Vielleicht brauchen die Deutschen Autoritäten, alte Männer, die ihnen sagen, was richtig ist und was falsch. Dass Schmidt der SPD angehört, bewahrt ihn womöglich vor dem richtigen Verdacht: Nominell ist er ein Linker. Wer ihn bewundert, kann also einem beinharten Reaktionär an den Lippen hängen und sich doch noch irgendwie progressiv fühlen.

In Talkshows gibt der alte Mann Grobheiten von sich, sagt Sätze wie Kanonenschläge: «Die haben den Grössenwahn!» oder «Ich halte nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden.» Dass er aktuell Partei für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ergreift, verwundert nicht: Schmidt stand immer gern aufseiten des Stärkeren, und als er als Offizier mit Hitlers Armee durch die Steppen Osteuropas in Richtung Leningrad marschierte, da wird er ohnehin keinen grossen Unterschied zwischen Russen, Weissrussen und Ukrainern bemerkt haben.

Diskurs, wie Helmut Schmidt ihn gern hat, funktioniert so: Einmal, da fragte ihn eine rehäugige Stichwortgeberin, ob man sich auf Guido Westerwelle, den damaligen deutschen Aussenminister, verlassen könne. Schmidt schwieg einen Moment, dann kam, bedeutungsschwer, seine Antwort: «Ich glaube nicht, dass Sie im Ernst eine Antwort von mir erwarten.» – «So schlimm?», hakte die Rehäugige nach. «Hab nichts hinzuzufügen», feldwebelte der Altkanzler knapp zurück.

Warum er so wenig von Westerwelle hielt, blieb ungeklärt. Gern hätte man Argumente gehört und darüber nachgedacht, ob Schmidt recht hatte oder nicht. Doch eine Debatte über das, was er sagt, ist nicht nach seinem Geschmack. Lieber dekretiert er die Wahrheit. Der Altkanzler als Abkanzler, dessen politische Weisheit stets auf eine Erkenntnis hinausläuft: dass es sich bei seinen Nachfolgern auf der Weltbühne um politische Pygmäen handelt.

Dass Schmidt nicht nur ein Schwadroneur ist, sondern auch kein Gentleman, wurde spätestens diese Woche zur Gewissheit. Eine aussereheliche Affäre räumt der 96-Jährige laut «Stern» in seinem neuen Buch ein. «Ende der 60er- oder Anfang der 70er-Jahre» sei das gewesen, so genau weiss er das nicht mehr, denn hols der Teufel, so eine Weibergeschichte ist schliesslich kein welthistorisches Treffen mit Deng Xiaoping oder Jimmy Carter.

Klaus Harpprecht, einst SPD-interner Widersacher Schmidts, gibt vor, sich genauer erinnern zu können. Schmidt habe die Geliebte «abgelegt», als er Kanzler geworden sei, weil er gemeint habe, sich das Verhältnis nun nicht mehr leisten zu können. Dies müsste im Frühjahr 1974 gewesen sein. Die Frau, so Harpprecht im «Spiegel», sei an der Trennung «fast zerbrochen». Ob Schmidt, der Weltenlenker, davon etwas bemerkt hat, ist nicht bekannt.

Erschienen in der Basler Zeitung.

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Leserpost

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Karl Mallinger / 09.03.2015

Helmut Schmidt hat sich alleine schon dadurch moralisch disqualifiziert dass er die universelle Geltung der Menschenrechte - also auch z.B. in China - in Frage stellt und damit indirekt impliziert, ein Chinese hätte NICHT ohne irgend ein Wenn und Aber exakt das gleiche Recht, z.B. seine Meinung frei sagen zu dürfen oder nicht gefoltert zu werden wie ein Europäer dieses Recht hat. Das ist einfach widerlich und nicht nur auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte unentschuldbar!

Stefan Staudenmaier / 09.03.2015

Lieber Herr Müller, es gibt hier im Lande ein Sprichwort: “Was kümmert es die stolze Eiche, wenn sich ein Borstentier dran reibt” Viel mehr möchte ich zu Ihrem hasserfüllten Aufsatz zu unserem Alt-Kanzler nicht hinzufügen - Dankeschön !

Max Müller / 09.03.2015

Warum er so wenig von Westerwelle hielt ist vielleicht erahnbar. Viel schlimmer wog Westerwelles Fehleinschätzung, dass das Aussenministeramt wichtig sei und der CDU das Finanzministerium überliess. Merkel übernahm den Job quasi mit und die FPD verlor so massgeblich an Einfluss.

Lorenz Braren / 09.03.2015

Herr Schmidt hatte eine Liebschaft, hat sich zu Westerwelle nicht geäußert und war Soldat. Toller Aufhänger, um ihn zu verurteilen, weil er mit der westlichen Hetze und Kriegstreiberei gegen Putin nicht einverstanden ist.

Hjalmar Kreutzer / 08.03.2015

Man mag Helmut Schmidts apodiktische Redeweise mögen oder nicht, Argumente vermissen, seine Meinungsäußerungen nicht teilen, alles in Ordnung. Was hat um Himmels willen eine vor Jahrzehnten stattgefundene oder stattgefunden haben sollende Affäre damit zu tun? Wen außer seiner ehemaligen Geliebten, ihn selbst und seiner Ehefrau geht das etwas an, was zwei volljährige Menschen einverständlch miteinander sehr privat tun? Sind wir in den USA angekommen, wo ein Inquisitor und Hexenjäger Starr im Namen des Staates zu “ermitteln” hatte, was ein Herr Clinton mit einem Frl. Lewinkski oder diese mit ihm außerhalb ihres Praktikums miteinander zu tun hatten? Es geht den Steuerzahler etwas an, ob Herr Schmidt oder Herr Clinton oder seinerzeit Herr Brandt ihre dienstlichen und politischen Verpflichtungen korrekt erfüllt haben, alles andere hat mit ihrer Qualifikation für das Amt nichts zu tun und will ich nicht wissen.

Sybille Schrey / 08.03.2015

Dieser Beitrag ist so erbärmlich, daß sich ein Kommentar eigentlich erübrigt. Dennoch: Wer schon Wahrheiten für Grobheiten hält, die wie „Kanonenschläge“ klingen, kann vermutlich mit Argumenten noch weniger anfangen. Allerdings dürfte es dem Altkanzler zu recht ziemlich egal sein, ob zarte Gemüter ach wie gern darüber nachdenken möchten, ob er recht hat oder nicht. Zumindest gebührt dem Autor der Ruhm und die Ehre über die gar schröcklichen Abgründe dieses Mannes informiert zu haben: ein „Offizier mit Hitlers Armee“, ein Putinversteher, ein Abkanzler, ein Schwadroneur und …es kommt noch schlimmer:  kein Gentleman! Hat er doch… nein, man kann es nicht fassen - und diese arme Frau ist fast zerbrochen. Ist es denn die Möglichkeit, was für ein pöser Pube! Es ist doch wohl zu hoffen, daß alsbald einige weibliche Wesen, die vor 45 Jahren gesäuselt haben: „tu mir was, der Wald ist gleich zu Ende“ sich darüber beschweren, daß der Wald schon vorher zu Ende war und sich ob dieser Enthüllungen nun diskriminiert fühlen. Frauendiskriminierung wiegt schließlich noch schwerer! Über den letzten Satz dürfte Rosamunde Pilcher übrigens vor Neid erblassen „Ob Schmidt, der Weltenlenker, davon etwas bemerkt hat, ist nicht bekannt.“ Karl Kraus schrieb: „Ich verpflichte mich, einen Mann an den Galgen zu bringen, wenn ich auf der Straße mit ganz bestimmtem Tonfall ausrufe: »Aha, und ein farbiges Hemd hat er auch noch!« Nichts anderes wird mit obigem Beitrag versucht. Denn diesen „Frauenverstehern“, was übrigens nur deshalb kein Schimpfwort ist, weil die, die sich dafür halten, schon genug gestraft sind, geht es in erster Linie um den „Putinversteher“, was wiederum ein Schimpfwort ist. Genügt aber nicht, da doch „eine Debatte über das, was er sagt, nicht nach seinem Geschmack“ ist. Warum auch? Und darum entblödet man sich nicht einen alten Mann, der sich wie kaum ein anderer um das Land verdient gemacht hat, auf diese Weise zu diskreditieren. Einfach nur schäbig! Dazu nochmal Karl Kraus: „Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können — das macht den Journalisten.“

Klaus Ablage / 08.03.2015

Zugegeben, auch mir geht Schmidt manchmal sehr mit seiner Besserwisserei auf den Keks. Allerdings ist mir der Artikel zu viel Schmidt-Bashing! Und auch etwas zu viel Deutschen-Bashing. Lassen Sie uns doch festhalten, Herr Müller: Schmidt meldet sich ungefragt zu Wort; gleichgültig, ob die Deutschen das gut finden oder nicht. Zwischenfazit: Keine Autoritäten, schon gar keine Alt-Autoritäten gewünscht oder erforderlich. Unter den vielen Millionen Deutschen, die im 2. Weltkrieg Soldaten waren, war auch Helmut Schmidt. Er hat sich weder freiwillig zum Wehrdienst gemeldet, noch hat er sich freiwillig für den “Marsch auf Leningrad” gemeldet. Den Wehrdienst als Beweis dafür anzuführen, dass Schmidt gerne auf der Seite der Mächtigen steht, ist einfach abstrus. Im Gegenteil: Schmidt hat sich, gegen anfänglichen Widerstand der USA und auch und vor allen Dingen gegen den Widerstand seiner SPD-Friedenstauben für den NATO-Doppelbeschluss eingesetzt. Ich möchte den Kommentar nicht beenden, ohne Ihnen ein Kompliment ausgesprochen zu haben: Ganz offensichtlich sind Sie Ihrer erster (Schulbank-?) immer treu geblieben. Ich nicht. Ich wurde verlassen, ich habe verlassen. Es war fast immer herzzerreissend, aber es gehört wohl zum Leben dazu. Dass Schmidt ein “Techtelmechtel” hatte, konnte übrigens schon vor einigen Jahren der zweibändigen Schmidt-Biographie von Hartmut Soell entnommen werden. Also auch nix Neues. Und jetzt sollte Sie sich bitte den Schaum vor’m Mund abwischen!    

Hans Kurth / 08.03.2015

Helmut Schmidt hat zeit seines Lebens mehr Charakter und Kenntnis bewiesen als mancher oberflächliche Hampelmann, der gerne ein wenig Medienmacht ausübt. Er ist nicht mitmarschiert, wo die stärkeren Bataillone stehen, das war weder im 2.Weltkrieg so, noch als er gegen die Mehrheit seiner Partei den Natodoppelbeschluss durchsetzte, was uns wahrscheinlich vor einem militärischen Abenteuer der siechenden SU bewahrt hat. Er hat viel Lebenserfahrung und viel erlebt, und deshalb wird er nach seiner Meinung gefragt. Dass er nicht wie ein dreimal weichgespülter Politiker redet, rechne ich im hoch an. Ebenso dass er sich nicht an alberne Mainstream-Journalisten anpasst! Er ergreift nicht Putins Partei - so einen undifferenzierten und unüberlegten Quatsch wird es aus seinem Mund nicht geben - , sondern zeigt Verständnis für seine Lage und warnt davor, einen Weltkrieg herbeizureden, wie es einige Journalisten gerne tun. Die Medien haben in der Geschichte häufig Kriege herbeigeschrieben oder begeistert medial begleitet. Dass er sein Verhältnis beendet hat, als er Bundeskanzler wurde, interpretiere ich als Respekt vor dem Amt, vielleicht als eine Art Pflichterfüllung. Im Gegensatz zu seinem Parteifreund und Vorgänger Willi Brandt, der da weniger Hemmungen kannte. In dem ganzen aufgeregten Gequatsche tut eine überlegte Stimme wie die von Helmut Schmidt gut. Es scheint vielen so zu gehen.

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