Claude Cueni, Gastautor / 22.03.2013 / 15:07 / 0 / Seite ausdrucken

Ab jetzt ist alles denkbar

Claude Cueni: Der Versuch einer Teil-Enteignung auf Zypern wird als Dammbruch in die Finanzmarktgeschichte eingehen

Das Parlament in Zypern hat die von der EU verlangte Teil-Enteignung von Kontenbesitzern bei zypriotischen Ban-ken abgelehnt. Aus Angst vor einer massiven Kapitalflucht englischer und russischer Gelder. Die Sache ist noch nicht ausgestanden, aber der Schaden bereits enorm. Vor wenigen Tagen hiess es, die staatliche Teil-Enteignung der zypriotischen Bankkunden sei einmalig. Doch wir wissen längst: Alles was in der Politik einmalig ist, wird früher oder später zum Standard. Es wird Nachahmer geben. Entscheidend war nie, ob Zypern in letzter Sekunde die Kleinsparer ausklammert oder wie hoch die endgültige Enteignung sein wird, entscheidend war, dass willkürliche staatliche Enteignungen über Nacht möglich und rechtens sind, unabhängig davon, ob es nun die Spargroschen von Rentnern oder die Milliarden von Kapitalflüchtlingen betrifft, die in hoch verzinsten Risikoanlagen investierten.

Die zunehmende Abschaffung des Bargeldes wird es in Zukunft den Regierungen erleichtern, ihre Bürger über Nacht zu enteignen. Denn wenn jeder Bürger seine Barbestände nur noch in digitaler Form auf einem Server hat, genügt ein staatlicher Klick auf die Maustaste, um dem Bürger einen Teil seines Vermögens zu rauben. Ein Bankenrun ist ausgeschlossen, denn frühmorgens beim Kaffee realisiert jeder, dass es bereits passiert ist. Wer jetzt glaubt, das sei in einem Rechtsstaat nicht ohne Weiteres möglich und es gelte die staatliche Einlagegarantie, irrt.

Es gibt keine staatliche Garantie

Für die Begründung und juristische Legitimation stehen Dutzende von Juristen zur Verfügung. «Der grösste Bankraub aller Zeiten» (Spiegel Online) wird einfach als einmalige oder zweimalige Sondersteuer deklariert. Marketing ist alles. Deshalb gaben bereits deutsche und spanische Politiker zu Protokoll, dass eine Teil-Enteignung auch in ihren Ländern denkbar sei, da es ja eine «Steuer» sei und keine «Enteignung». Das lässt aufhorchen.

Durch die ständige Wiederholung, dass es eine Einlagegarantie bis 100 000 Euro für Sparguthaben gibt, dämmert mittlerweile jedem, dass es sie nicht wirklich gibt. Wie soll übrigens eine staatliche Garantie möglich sein, wenn selbst der Garantiegeber bankrott geht? Es ist nicht ganz frei von Ironie, dass ausgerechnet jene Leute, die der Wähler gewählt hat, damit diese seine Anliegen vertreten, ihr Mandat dazu benutzen, um die Wählerschaft auszurauben, um nicht finanzierbare Dinge zu bezahlen, die man leichtfertig versprochen hat, um gewählt zu werden. Denn drei Viertel der Politiker, so verschieden sie auch sein mögen, haben stets ein identisches Ziel: die persönliche Wiederwahl.

Wer Häuser und Land besitzt, wird es schwer haben, sich dem staatlichen Raubzug zu entziehen. Ein Haus lässt sich nicht einfach eintüten. Die Schlauen, die gleich nach der Ankündigung über ihren Online-Account das gesamte Guthaben in Schweizer Bluechips umwandeln, weil Aktien und Edelmetalle in der Hektik vergessen wurden, werden sich wundern: Die Server der On- line-Aktiendepots werden gleichzeitig mit der Ankündigung stillgelegt.

In allen ähnlichen Finanz-, Wirtschafts- und Verschuldungskrisen fliehen die Menschen in die Ersatzwährung Gold, die zwar keine Zinsen abwirft, aber werthaltig bleibt. Im Gegensatz zu Papiergeld kann der Wert nie auf null sinken. Nun ist der Staat wieder am Zug: Mit einer Sondersteuer auf den Kauf und Verkauf von physischem Gold. Dann folgt meistens das Verbot, Gold zu besitzen, und die Pflicht, das Edelmetall bei Regierungsstellen zu einem sehr tiefen Kurs einzutauschen.

Die Liste all jener Länder und Regierungen, die in den letzten 2000 Jahren den Goldbesitz unter Strafe gestellt haben, ist ellenlang. Während der Französischen Revolution wurde der Goldbesitz sogar mit der Guillotine bestraft. Und bereits Julius Cäsar verbot vorübergehend den Goldbesitz. Denn es ist gemäss Alan Greenspan «für die Finanzpolitik des Wohlfahrtsstaates notwendig, dass es für Vermögensbesitzer keine Möglichkeit gibt, sich zu schützen, und Gold beschützt Eigentumsrechte».

Diese Eskalationen gehen immer Hand in Hand mit der Stigmatisierung der Reichen zum nationalen Feindbild. Es spielt dabei keine Rolle, wie das Vermögen erwirtschaftet worden ist. Es genügt, reich zu sein, um ein Feind des Volkes zu werden (Sportler, Schauspieler und Popstars sind interessanterweise davon ausgenommen). Wer ein grosses Vermögen hat, wird keine Mühe haben, das Land zu verlassen. Die Schadenfreude der Einheimischen wird von kurzer Dauer sein, denn der Steuerausfall wird kompensiert mit einer höheren Belastung des Mittelstandes. Bis eines Tages alle gleich wenig haben. Das führt dann in der Regel zu sozialen Unruhen, die in eine Revolution münden mit all ihren Verirrungen.

Es war bisher undenkbar, dass Kleinsparer plötzlich über Nacht teilweise enteignet werden, um Banken zu retten. Ab jetzt ist alles denkbar. Auch Kleinparer in Spanien, Italien, Portugal fragen sich, ob sie eines Morgens aufwachen und vielleicht 20 % weniger auf ihrem Konto haben. Einige werden das Geld zu Hause horten (wie die Griechen), was die Einbruchswelle erfahrungsgemäss verzehnfacht. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger kommentiert vielsagend: «Europas Bürger müssen nun um ihr Geld fürchten.»

Egal, wie die Zypernkrise weiter verläuft: Der Damm ist gebrochen, es darf nun überall auf der Welt über willkürliche staatliche Enteignungen diskutiert werden, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass eines Tages ein Nicht-EU-Land wie die Schweiz genötigt wird, seine Bürger teilweise zu enteignen, um seinen Beitrag an die «europäische Idee» zu leisten, denn bekanntlich knicken unsere Bundesräte bereits in vorauseilendem Gehorsam ein, wenn die EU laut über etwas nachdenkt.

Europäische Werte verpflichten

Schwerer wiegt aber der enorme Vertrauensverlust, den die EU mit ihrem Enteignungsversuch ausgelöst hat. Und wer traut der EU heute noch die Lösung der Krise zu, wo sie doch erneut bewiesen hat, dass sie nicht in der Lage ist, die Konsequenzen ihres Tuns richtig abzuschätzen? Die EU hat den Boden für neue zwischenstaatliche Konflikte gelegt, weil sie im Grunde genommen den dubiosen Finanzplatz Zypern zerstören wollte. Konflikte entstehen schneller als man denkt, und es wäre kein abwegiger Verlauf, wenn ausgerechnet jene Romantiker, die eine EU wollten, um nach dem zweiten Weltkrieg den Frieden in Europa für immer zu sichern, mit genau dieser EU einen ernsthaften europäischen Konflikt entfesselten.

Leider haben die Menschen kein historisches Gedächtnis. Was sich im Laufe ihres Lebens noch nie ereignet hat, halten sie für unmöglich. Wir vergessen dabei, dass es in der Geschichte der Menschheit kaum eine Generation gegeben hat, die nicht entweder von Seuchen, Kriegen, Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Finanz- und Wirt- schaftskrisen heimgesucht worden ist.

Historiker werden eines Tages den Versuch der willkürlichen staatlichen Teil-Enteignung im Jahre 2013 als Dammbruch in der europäischen Finanzmarktgeschichte bezeichnen. Von da an glaubte kein Europäer mehr an Rechtssicherheit, Staatsgarantien, sichere Renten und den Schutz des Privateigentums. Von da an war Europa eine Bananenunion, und Staat und Finanzplatz hatten jegliches Vertrauen verloren.

Ihre Exzellenz Barroso (offizielle Anrede) wird in die Geschichte eingehen als der Sonnenkönig von Brüssel, der zusammen mit seinem Hofstaat (Kosten: 1,2 Millionen Euro pro Person) die Rückabwicklung der Errungenschaften der Französischen Revolution mit dem neuen Gesetz zur Erhaltung der «Qualität der Berichterstattung» beendete. Barrosos Kommission plant eine gesetzliche Verpflichtung zur «Verbreitung europäischer Werte». Missachtungen sollen mit Geldbussen oder Lizenzentzug (!) bestraft werden. Von da an wäre die Enteigung auf Zypern in den Medien offiziell keine Enteignung mehr und Brüssel wäre Versailles.

Claude Cueni ist Schriftsteller und Drehbuchautor. er schrieb u.a. historische Romane über den Papiergelderfinder John Law und den Henker von Paris zur Zeit der Französischen Revolution. Sein Text zur Zypern-Krise ist in der Basler Zeitung vom 22.3.13 erschienen

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