Wie der Titel in echtes DDR-Englisch übersetzt hieß, verrate ich lieber nicht. Es hat auch kaum jemanden näher interessiert. Die Komposition kodiert ihren Zweck selbst, es ist nicht die Lyrik. Man hätte das auch instrumental auf die Leute loslassen können. Die Tänzer blenden die surrealen Texte aus und filetieren sich heraus, was ihren Gefühlen schmeichelt. Ganz genau so, wie sie die ganze diabolische Welt sehen wollen. Vom Teuflischen, das die reale Welt hinreichend erklärt, sehen sie ab. In ihrer verengten Wahrnehmung erblicken sie einen gütigen Herrn der Nächstenliebe. Sozusagen den Käpt’n Blaubeer der feinen Gesellschaft.
Vermutlich muss man mal Liedermacher gewesen sein, um diesen Song aus der Perspektive der Kifferlyrik zu betrachten. Sie bemerken schon, ich konnte diesem Genre, also dem des Liedermachers, nie wirklich etwas abgewinnen. Als Pianist, Organist und Keyboarder weiß ich natürlich, dass die Faszination dieses Songs vor allem im Orgel-Part begründet ist, den der Procol Harum Organist Matthew Fischer bei keinem Geringeren als Johann Sebastian Bach abgeschaut hat. Es braucht nur einen einzigen Takt, und der Song ist erkannt. Weltweit. Insofern ist die “Ermöbel” Version unterirdisch schlecht, eine dilettantisch gespielte Schweineorgel wird diesem genialen Song in keinster Weise gerecht. Das Video ist dennoch ein Highlight. Jeder rhythmisch einigermaßen begabte Zeitgenosse kann sich nur amüsiert auf die Schenkel klopfen, wie die “Tänzer” im Publikum völlig unkoordiniert, jenseits von Taktmaß und Tempo, ihrem seltsamem Treiben zu einem offenbar völlig anderen Lied fröhnen. Selbstverständlich konnte man(n) auch “Fun” haben, ohne sich mit wilden Bewegungen zu verausgaben, dies konnte man ja im Garten Eden - in der Kifferlyrik des Eisernen Schmetterlings zu In-A-Gadda-Da-Vida verballhornt - ausführlich auf der Tanzfläche zelebrieren. Nein, der “Fun” beim Stehblues war ja gerade, dass es viel intensiver gelang - frei nach Frank Zappa - “to get into contact with the members of the opposite camp”. Gab es jemals einen Tanz - ja, natürlich war ser Stehblues ein Tanz - , der es erlaubte, während der wiegenden Bewegungen zur Musik den - hüstel - Büstenhalter der Tanzpartnerin zu öffnen, auf dass diese weiblichen Wölbungen ihre berechtigte Freiheit erlangten, um die gewünschten Liebkosungen zu empfangen? Selbstverständlich ist die “gewisse Todessehnsucht” diese unnachahmliche Triebfeder in unserer arterhaltenden Bestimmung, die unsere französichen Nachbarn “la petite mort” (der kleine Tod) nennen. A Whiter Shade Of Pale ist ein kleiner Orgasmus. Kann Musik schöner sein?
Eins der Top-Alben meiner Jugend war Procol Harum Live with the Edmonton Philharmonic Orchester.
Wahnsinn, lieber Herr Lassahn, vielen Dank für diese Geschichte, ich bin Jahrgang 52 und voll in dieser schönen depressiven Hippywelt groß geworden, aber das ist einzigartig. Der Zeitgenosse dieses Alters hat heute keine Chance auf solche Erlebnisse.
Großen Dank für den wunderbaren clip ! 1967 war ich (unter 20) in London und erlebte sowas wie “den Sommer aller Sommer” - soo schöne Musik ! freu mich auch sehr an den Bildern vom Trafalgar Square - kommt mir so heimatlich vor… (naja, und etliche Jahre später war ich in Tübingen zuhause, und im Frühjar 75 begann dort dann im Club Voltaire wieder eine ganz andere - immer noch andauernde - Geschichte…) (Übrigens sind wir derzeit sehr erschüttert + trauernd über den leider erfolgreichen Suizid unserer 21 jährigen Nichte.)
Meine Musik, neben Pink Floyd… kind thoughts…
Das Morbide wurde auch in ‘Harold und Maude’ zelebriert, und auch Alice Cooper hat seine etwas weniger melancholische Art, die Vergänglichkeit in den Fokus zu rücken. Im gothic Look ist eine seltsame Art der emotionalen Verbindung mit dem Tod virulent ... aber vermutlich weit weniger reflektiert. Auch wenn diese Art Wehmut durchaus auch in mir Seiten zum Klingen bringen kann, lehne ich das doch entschieden ab. Man darf sicher mal einen kleinen Ausflug nach Mordor machen, sich einen Schauer aussetzen, aber im Grunde ist auch das krank. Denn das Leben will eben den Kontrapunkt preisen, den eigenen Tod in Akzeptanz trotzen und nicht den persönlichen Fortbestand erkrampfen, sondern eine Ode an die nachfolgende Generation singen: Z.B. bei Blood, Sweat and Tears mit ‘Carry on’ ... Leben, das ist im Grunde Hoffnung und nicht das Schwelgen im Morbiden. Im Postmodernen, in dem Elternschaft und Kinder großziehen irgendwie nicht mehr sexy wirkt, ist das allerdings völlig fremd.
Vielen Dank für diese Zeilen zu meiner Lieblingsband, deren Musik ich seit 43 Jahren die Treue halte, seitdem ich “Pandora’s box” erstmalig hörte. Eine der besonders unterschätzten Bands, zudem damals mit einem der besten Schlagzeuger der Welt.
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