Vielleicht löst Mario Voigt (CDU) heute den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) ab. Der Innenminister bleibt weiterhin Georg Maier (SPD), und so wird wohl auch Stephan Kramer Verfassungsschutz-Chef bleiben, obwohl die CDU einst seine Absetzung forderte.
Wenn am heutigen Donnerstag nach viel Hin und Her der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten gewählt werden sollte und damit die zehnjährige Regierungszeit des ersten Linkspartei-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow beendet, wird wohl vieles einfach bleiben, wie es ist. Eine linke Altlast, der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, wird wohl auch weiter seine Obsession mit der „gesichert rechtsextremen“ Thüringer AfD fortsetzen können. Da der Chef der Sechs-Prozent-Partei SPD, Georg Maier, das Amt des Innenministers auch weiterhin bekleiden wird, dürfte er auch weiter seine Hand über seinen Genossen Kramer halten.
Die Thüringer CDU hatte 2021 zwar Kramers Absetzung als Verfassungsschutzchef wegen der Zweifel an dessen politischer Neutralität gefordert, aber es ist unwahrscheinlich, dass sich die Christdemokraten im Falle des Zustandekommens der Regierung daran erinnern möchten. Wer trotz Dreierkoalition im Landtag über keine Mehrheit, sondern nur genau die Hälfte der Abgeordnetenstimmen verfügt, muss auch auf den kleinsten Koalitionspartner Rücksicht nehmen.
Kürzlich wurde die Personalie Kramer und seine zweifelhafte Dienstauffassung wieder bei Apollo News gewürdigt. Neben Kramers „Verdienst“, die Thüringer AfD mit sehr dünner Beweislage als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft zu haben, womit er die Blaupause für Sachsen und Sachsen-Anhalt gab, schreibt Apollo News über Kramers autoritären Führungsstil, unter dem etliche seiner Mitarbeiter leiden, und Fälle von Pflichtverletzung.
Keine schlimmeren Zitate?
Auf Achgut ist Kramer schon ein alter Bekannter (hier, hier und hier). Die sich aufbauende Welle bis hin zum gerade wieder heftig diskutierten AfD-Verbot fing bei Kramer, der seit 2015 Chef der Thüringer Behörde ist, an. Erst wurde die Partei beobachtet, dann als Verdachtsfall eingestuft, schließlich 2021 für gesichert rechtsextrem erklärt. Für Achgut hatte Felix Perrefort bereits im letzten Jahr die von Kramers Verfassungsschutz öffentlich benannten Begründungen für diese Bewertung angeschaut. Sein Fazit: Wenig harte Fakten und ganz viel Interpretation.
Ist der Verfassungsschutz bei seinen Recherchen wirklich auf keine schlimmeren Zitate gestoßen? Die leichtfertige Zuordnung als „Rechtsextrem“ entwertet den Begriff, macht ihn beliebig und er wird harmloser. Hatten wir es in der Bundesrepublik nicht einmal gelernt, zwischen rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal und rechtsextrem zu unterscheiden? Warum kommen solche Unterscheidungen im Blick auf den gesamten Landesverband einer Partei mit verschiedenen politischen Strömungen nicht vor?
Trennschärfe ist Kramers Sache nicht. Dass er munter alles, was rechts ist, in einen Topf wirft und durchrührt, bis dann für ihn am Ende immer „rechtsextrem“ herauskommt, gehört zu seiner Methode. Das zeigte er auch vor einigen Monaten in einem Interview mit Moment Mal!, einer Wiesbadener Anti-AfD-Gruppe. Wieder demonstrierte Kramer, dass für ihn rechts gleich rechtsextrem ist und damit hochgefährlich, denn Rechtsextreme wollen die Demokratie abschaffen.
Als „Beweis“ dafür, dass die AfD Schlimmeres bezwecke als das, was sie in Parteiprogrammen schreibe, dient ihm der Verweis auf Ungarn, Polen (damals noch unter der PiS) und Italien, wo schlimme rechtsextreme Politik gemacht worden sei, wenn man erst mal im Sattel saß. Weiter fabuliert er in dem Interview von den „Faschisten“ in der Regierung Netanjahu, von Le Pen, Bannon, Reichsbürgern und der sich vernetzenden „neurechten Bewegung“. Fazit von Kramer: Wo rechts draufsteht, ist Abschaffung der Demokratie und der offenen Gesellschaft drin. Seine Interviewpartnerin fragt natürlich nie kritisch nach, sondern lässt ihn nach Belieben reden, schließlich ist man unter Freunden.
Kramer ist eine eigenartige Wahl für die Position des Chefs des Landesverfassungsschutzes. Beispielsweise erfüllt er die eigentlich übliche fachliche Voraussetzung einer Befähigung zum Richteramt nicht. Ein Behördenleiter, der ein Amt führt, das mit geheimdienstlichen Mitteln arbeitet, sollte die Grenzen, die ihm der Rechtsstaat normalerweise setzen sollte, genau kennen. Und selbstverständlich sollte er keinesfalls ein politischer Aktivist sein.
Genau das aber legt Kramers Lebenslauf nahe: Politisch lief er stets nach links: Er fing in jungen Jahren noch bei der Jungen Union und der CDU an, ging weiter zur FDP und endete (vorläufig) bei der SPD. Das kann man machen, es sind alles legitime Parteien, und man muss nicht mit einer Partei verheiratet sein. Aber so, wie man einem nach der dritten Hochzeit den ewigen Liebes- und Treueschwur nicht mehr so ganz abnehmen will, so ist das auch bei häufig wechselnder Parteimitgliedschaft, vor allem, wenn es über das ganze Spektrum geht. Ebenso seltsam mutet auch sein Übertritt zum Judentum aus einem typisch westdeutschen, nicht-religiösen Hintergrund an. Auch dafür mag es persönliche Gründe geben, es kann aber auch Opportunismus oder Wichtigtuerei sein. Er ist beispielsweise auch Mitglied des Stiftungsrates der linken Amadeo-Antonio-Stiftung und fühlte sich berufen, Menschen wie Thilo Sarrazin 2009 als Nazi zu etikettieren, woran Claudio Casula hier auf Achgut vor zwei Jahren erinnerte:
Irgendwann um die Jahrtausendwende trat er, damals schon beim Zentralrat der Juden in Deutschland tätig, vom Atheismus (!) zum Judentum über; ein Schritt, den nicht wenige Beobachter als PR-Stunt werten. Als Kramer 2009, damals ZJD-Generalsekretär, verkündete, der SPD-Politiker Thilo Sarrazin mache „mit seinen Äußerungen, mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler wirklich eine große Ehre“, fragte sich nicht nur Michael Wolffsohn, ob der Mann noch alle Tassen im Schrank hat: „Will der Konvertit Kramer uns geborenen ,Alt-Juden‘ beweisen, dass er der bessere Jude ist?“
Keine Berührungsängste mit den Putin-Rockern
Er hat aber auch keine Berührungsängste mit Rechtsextremisten, solange sie nicht deutsch sind. Als er 2015, wenige Monate vor seiner Anstellung als Thüringer Verfassungschef, am sowjetischen Ehrenmal auf den Seelower Höhen einen Kranz niederlegte, tat er das in dem illustren Umfeld der „Nachtwölfe“, Putins schon damals hinlänglich bekannter russisch-nationalistischer Motorradrockergruppe. Auch dies hatte Claudio Casula in seinem oben zitierten Artikel thematisiert. Interessant ist dabei, dass diese Kranzniederlegung von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes beobachtet wurde, die Kramer dabei auch fotografierten. Als das Foto von einem Verfassungsschutz-Mitarbeiter später, im Jahr 2018, an zwei MDR-Journalisten, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, zwecks Veröffentlichung weitergegeben wurde, hielten sich diese nicht an das journalistische Gebot, ihre Informationsquelle zu schützen, sondern lieferten den Informanten ans Messer, berichtete Apollo News. Kramer wurde informiert und der Verfassungsschutzmitarbeiter entlassen, die zwei Journalisten dagegen nicht. Ein Fall von „kill the messenger“? Es gab zwar ein Disziplinarverfahren gegen Kramer in der Sache, aber bekanntlich führte dies zu keinen Konsequenzen gegen ihn.
Dass ein fachlich nicht hinreichend befähigter Mann, der bei einer vom Verfassungsschutz beobachteten Veranstaltung auftaucht, kurz darauf selbst in einem Bundesland zum Verfassungsschutzchef ernannt wird, klingt unglaublich, aber Thüringen ist an dieser Stelle etwas speziell.
Kramer steht in einer Reihe mit ebenfalls umstrittenen Vorgängern: Helmut Roewer, Verfassungsschutzchef von 1994 bis 2000, soll durch die Anwerbung und Bezahlung zahlreicher V-Männer aus der rechtsextremen Szene diese erst stark gemacht haben. Während Kramer zu weit links steht, um neutral sein zu können, stand Roewer möglicherweise zu weit rechts. Roewers Nachfolger Thomas Sippel wiederum wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil der Thüringer Verfassungsschutz bei der Aufdeckung der rechtsterroristischen NSU-Zelle geschlafen hatte. Will Kramer nun überkompensieren und dem „zu wenig und zu spät“ seiner Vorgänger nun ein „zu viel und zu früh“ entgegensetzen?
Die heute vielleicht neu gewählte Regierung aus CDU, Wagenknecht-Bündnis und SPD wird bestimmt viel Freude an ihm haben.
Sebastian Biehl, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten.Vor Kurzem erschien von ihm „Ein Volk sucht seinen Platz. Die Geschichte von Orania und dem Freiheitsstreben der Afrikaaner.“ Dieses kann hier oder hier bestellt werden.