Gastautor / 26.11.2022 / 08:15 / Foto: Raimond Spekking / 159 / Seite ausdrucken

Wie kann die CDU wieder konservativer werden?

Von Kristina Schröder.

Viele fordern, die CDU solle wieder stärker nach rechts rücken. Dies ist aber ein anspruchsvolles Unterfangen. Kristina Schröder macht in ihrem neuen Buch Vorschläge, wie dies gelingen kann, ohne ins Extreme abzurutschen.

Es ist die Aufgabe von Parteien, als Transmissionsriemen zwischen Bevölkerung und Staat zu wirken – darüber besteht in Wissenschaft und Gesellschaft weitgehend Einigkeit. 

Der Anspruch des Bürgers ist dabei zunächst ein schlichter: Seine Position soll von einer Partei vertreten werden und so im politischen Diskurs eine Rolle spielen. Alle Parteien, die auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, haben somit gemeinsam die Aufgabe, alle Positionen, die von Bürgern innerhalb des freiheitlich demokratischen Spektrums in nennenswerter Anzahl vertreten werden, aufzunehmen, zu integrieren und zu artikulieren.

Natürlich ist dennoch jede Partei programmatisch frei. Sie muss bei einer Verschiebung oder Verengung ihres inhaltlichen Spektrums dann aber damit leben, dass sich andere Parteien etablieren. So kam es in der deutschen Parteienlandschaft der letzten zwei Jahrzehnte zunächst links, dann rechts zu einer ähnlichen Entwicklung: Die jeweilige Volkspartei hat sich programmatisch zur Mitte hin entwickelt und linke respektive rechte Positionen aufgegeben. Wähler, denen diese Inhalte wichtig sind, sind daraufhin teilweise zur Linkspartei und AfD abgewandert.

Kritik wird mit moralischer Wucht formuliert werden

Eine derartige Entwicklung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Zahl der Wähler insgesamt sinkt. Unter Umständen lassen sich in der Mitte tatsächlich mehr Stimmen gewinnen, als links oder rechts verloren gehen. Unter Gerhard Schröder gelang dies der SPD, unter Angela Merkel immer wieder auch der CDU, am deutlichsten sicher bei der Bundestagswahl 2013 mit 41,5 Prozent.

Dennoch ist eine solche Entwicklung demokratietheoretisch nicht unproblematisch. Bürger, die linke oder rechte Positionen vertreten, aber eben nicht linksradikale oder rechtsradikale, und damit zweifelsohne auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, haben drei Möglichkeiten: Eine Partei zu wählen, von der sie sich nicht mehr gehört fühlen. Gar nicht zu wählen. Oder eine Partei zu wählen, deren moderater Flügel zwar ihre Positionen vertreten mag, deren radikaler Flügel aber zentrale Grundwerte unserer Gesellschaft infrage stellt. Diese Problematik zeigt sich auf der rechten Seite des Parteienspektrums wesentlich schärfer, da in der AfD inzwischen extremistische Kräfte deutlich stärker und wirkmächtiger sind als in der Linkspartei. 

Vielfach wird daher gefordert, dass die CDU sich wieder stärker gegenüber rechten politischen Positionen öffnen soll – auch von der Autorin, die sich selbst diesem Flügel nicht zurechnet. Dies ist aber ein anspruchsvolles Unterfangen, sowohl in der Außenwahrnehmung als auch inhaltlich.

Kein antitotalitärer Konsens mehr

In der Außenwahrnehmung wird sich die CDU bei einer Reintegration des rechten politischen Spektrums mit Kritik auseinandersetzen müssen. Diese Kritik wird mit moralischer Wucht formuliert werden. Denn sie fußt auch auf einer zweifachen, miteinander zusammenhängenden Neudefinition des politisch Legitimen, die in den letzten beiden Jahrzehnten stattfand: 

1. Es gibt in Deutschland keinen antitotalitären Konsens mehr.

Dabei war dieser für die Gründung der Bundesrepublik Deutschland konstitutiv. In den 1950er- und 60er-Jahren wussten viele noch aus unmittelbarer eigener Erfahrung, was Hannah Arendt meinte, wenn sie eindrücklich beschrieb, dass Nationalsozialismus und Stalinismus bei allen Unterschieden notwendig auf die „Ausscheidung von ‚Schädlichem‘ oder Überflüssigem zugunsten des reibungslosen Ablaufs einer Bewegung hinauslaufen“. Die erbarmungslose „Herrschaft des Terrors“, die daraus folgte, war für die jüdische Theoretikerin, die 1933 vor den Nazis floh, ein Element totaler Herrschaft. Nationalsozialismus und Stalinismus hielt sie für „Variationen des gleichen Modells“, und dieser Geist prägte die junge Bundesrepublik. 

Mit der 68er-Bewegung wurde dieser Konsens erstmals in größerem Umfang angegriffen. Der Feind stand rechts und saß im Zweifel in Gestalt des eigenen Vaters am Küchentisch. Ho Chi Minh, Mao und Che Guevara waren die umjubelten Popstars der Bewegung, und man kann zugunsten dieser jungen Akademiker nur hoffen, dass im antiimperialen Kampf schlicht zu wenig Zeit blieb, sich mit dem Denken und Wirken dieser Figuren wirklich auseinanderzusetzen. Unter den entscheidenden bundespolitischen Akteuren stand eine prinzipiell antitotalitäre Haltung allerdings nicht zur Debatte, und es war mit Bundeskanzler Helmut Schmidt ein Sozialdemokrat, der sie im Kampf gegen die RAF eindrucksvoll mit Leben füllte. 

Tolerierung einer SPD-Regierung durch SED-Nachfolgepartei

Zwanzig Jahre später brach der Kommunismus zusammen und der antitotalitäre Konsens erlebte eine letzte Blüte. Die Schicksale der Menschen, die dem Stasigefängnis Hohenschönhausen, der Frauenhaftanstalt Hoheneck oder dem Jugendwerkhof Torgau entkommen waren, zeigten drastisch, wie die vermeintlich so menschenfreundliche Ideologie des Sozialismus dem „neuen Menschen“, auf den sie angewiesen war, auf die Sprünge half: Menschen mussten unter Schlafentzug über Tage in knöcheltiefem Wasser stehen, Eltern wurden ihre Kinder weggenommen und angeblich schwer erziehbare Mädchen und Jungen gezwungen, ihr Erbrochenes zu essen. Die Staatsräson des wiedervereinigten Deutschlands war daher zunächst immer noch streng antitotalitär. 

Dies fiel auch erst mal umso leichter, da das „Ende der Geschichte“ gekommen zu sein schien. Fortan ging es nicht mehr um die große Systemfrage, sondern nur noch darum, welche Positionen im politischen Diskurs als legitim gelten und mit welchen Parteien koaliert werden darf. Mit der ersten Tolerierung einer SPD-geführten Regierung durch die SED-Nachfolgepartei 1994 im Magdeburger Landtag begann die SPD, den antitotalitären Konsens aufzukündigen. 

Anfangs war die Empörung groß, nicht umsonst konnte die Union mit der „Roten-Socken-Kampagne“ 1994 noch einmal knapp die Bundestagswahl gewinnen. SPD und auch Grüne waren also darauf angewiesen, für Kooperationen mit der PDS und späteren Linken, zu denen es in den folgenden Jahren immer häufiger kam, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen. Der antitotalitäre Konsens der Bundesrepublik störte dabei nur. 

2. Aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus wurde der „Kampf gegen rechts“. 

Ausländerfeindliche Gewalttaten hatten Anfang der 1990er-Jahre ein erschreckendes Maß angenommen. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen waren Orte, an denen Menschen allein wegen ihrer Nationalität oder Hautfarbe um Leib und Leben fürchten mussten – und oft auch tatsächlich ermordet wurden.

Alles zu bekämpfen, was nicht links ist

Die Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde daraufhin zu Recht politisch immer wichtiger, es entstand eine Vielzahl an Initiativen und Organisationen, die sich diesem Thema widmeten. Der Bund stellte in den folgenden Jahren stetig wachsende staatliche Mittel zur Verfügung – allein dem Familienministerium inzwischen über 100 Millionen Euro im Jahr. 

Allerdings bedeutet die Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im Subtext immer auch ein Aushandeln dessen, was im politischen Diskurs noch als legitim, als nicht extrem, gilt. Das macht dieses Feld politisch so brisant. Die Linke in Deutschland hat dies erkannt und die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus clever und wirkmächtig zu ihrem Terrain gemacht. 

Dafür nahm sie eine entscheidende Umdeutung vor: nämlich dessen, was eigentlich bekämpft werden soll. Aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus wurde der „Kampf gegen rechts“. Hier ist nicht bloß sprachliche Faulheit am Werk. Vielen, die sich mit staatlicher Unterstützung auf diesem Feld tummeln, geht es tatsächlich darum, alles zu bekämpfen, was nicht links ist. Die alte 68er-These, dass die kapitalistische Gesellschaft eine zumindest präfaschistische sei, hallt hier noch nach. 

Kriterien für Abgrenzung zu rechtsradikalem Gedankengut

Oft ist auch vollkommen unklar, was einzelne Projekte mit den fünf- oder sechsstelligen Summen, die sie in der Regel erhalten, eigentlich genau tun. Der „Verein zur Jugendförderung des DGB Berlin-Brandenburg“ beispielsweise war Träger eines der geförderten Modellprojekte. Auf den Seiten des Bundesfamilienministeriums wurde das Projekt 2019 folgendermaßen beschrieben: „Die Ziele sind die grundsätzliche Organisation der Projektgruppe, die Entwicklung der Evaluationsinstrumente zur Erfassung der Ausgangslage, der Ausbau bestehender Netzwerke und Kontaktanbahnung mit wichtigen regionalen Akteurinnen und Akteuren, die Konzeptanpassung des Organizing auf die pädagogische Umsetzung und den Einsatz des Organizing in der antirassistischen Bildungsarbeit.“ 

Schon als junge Bundestagsabgeordnete, als ich für dieses Thema im Rahmen meiner Arbeit im Innenausschuss verantwortlich war, habe ich immer wieder erlebt, wie angebliche Projekte gegen Rechtsextremismus in zuständigen Gremien derart beschrieben wurden. Dann hat sich meist einer gemeldet und gesagt, dass er diese Arbeit „unglaublich wichtig“ fände. Alle anderen haben ernst genickt. Auf einige zaghafte Fragen meinerseits wurde mir bedeutet, dass mir wohl die praktische Erfahrung der „zivilgesellschaftlichen Initiativen vor Ort“ fehle, und die Gelder wurden bewilligt.
 
In diesem geistigen Klima politisch rechte Positionen (wieder) in der CDU zu verorten wird einigen Mut erfordern. Aber noch mehr gedankliche Klarheit und Argumentationsbereitschaft, vor allem in der Abgrenzung zu rechtsradikalem Gedankengut. Hier bedarf es eindeutiger Kriterien. 

Als Ausgangspunkt für die Suche nach geeigneten Abgrenzungskriterien lohnt sich ein Blick auf die theoretische Untermauerung des „Kampfes gegen rechts“, also der Herangehensweise, die gerade nicht zwischen rechten und rechtsradikalen Positionen unterscheiden möchte. Hierfür wird praktisch immer auf die Forschungsergebnisse zur sog. „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ rekurriert. Ein Begriff, den der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer geprägt hat und der auch die Arbeiten seines Nachfolgers, Andreas Zick, und der Leipziger Forscher Oliver Decker und Elmar Brähler maßgeblich bestimmt. 

Wirkmächtiges Konzept der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“

Diese Studien laufen stets irgendwie auf einen „Extremismus der Mitte“ hinaus und werden von den Parteistiftungen von SPD und Grünen, der Friedrich-Ebert- und der Heinrich-Böll-Stiftung, alljährlich mit viel demonstrativer Betroffenheit publiziert. Im Zentrum steht dabei der Begriff der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“, die von „Islamfeindlichkeit“ über „Abwertung von Obdachlosen“ bis hin zum „Rassismus“ in vielerlei Ausprägungen daherkommt. Um diese zu messen, prüfen die Bielefelder und Leipziger Forscher die Zustimmung zu unterschiedlichen Aussagen. Darunter einige, die in der Tat auf ein rassistisches oder antisemitisches Weltbild schließen lassen, wie „Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt“ oder auch „Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mit schuldig“.

Abgefragt wurden in den unterschiedlichen Erhebungen seit 2002 aber auch wesentlich weniger eindeutige Aussagen: Mit „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ soll der nationale „Chauvinismus“ der Befragten gemessen werden, wer der Aussage „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ nicht zustimmt, macht sich der „Abwertung von asylsuchenden Menschen“ schuldig, und wer in Anbetracht der Scharia verneint, dass „Muslime in Deutschland das Recht haben sollen, nach ihren eigenen Glaubensgesetzen zu leben“, der Islamfeindlichkeit.

„‚Die enthemmte Mitte‘ – Deutschland auf rechten Abwegen“ – titelte die ZEIT, als 2016 mal wieder eine Studie dieser Machart erschien, und vergaß im Artikel leider zu erwähnen, dass inzwischen auch die Parteistiftung der Linkspartei, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, zu den finanziellen Förderern der Leipziger Studien zählt.

Der „Kampf gegen rechts“ ist also wörtlich zu nehmen: politische Überzeugungen, denen teilweise sicher viele Anhänger der Union zustimmen würden, als illegitim im demokratischen Diskurs zu brandmarken. Will die Union sich gegen diesen Versuch, sie mundtot zu machen, wehren, wird sie sich tiefer und präziser mit dem wirkmächtigen Konzept „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ auseinandersetzen müssen.

Aussagen auf Fakten stützen

Im Kern geht es bei diesem Konzept um feindselige Mentalitäten gegenüber bestimmten sozialen Gruppen, die aufgrund von abwertenden und ausgrenzenden Einstellungen entstehen. Sie sollen den Kern rechtsradikalen Denkens ausmachen.

Was aber sind abwertende Einstellungen? Wenn man beispielsweise sagt „Muslime sind minderwertig“, ist dies eindeutig eine pauschale Abwertung aller Menschen, die einer bestimmten Religion angehören. Die Aussage aber „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ ist anderer Natur. Auch sie ist fast immer abwertend gemeint, kann sich aber auf eine empirische Grundlage stützen: Es gibt die zweifelsohne seriösen Studien des bekannten Kriminologen Christian Pfeifer zur Verbreitung gewaltlegitimierender Männlichkeitsnormen unter Muslimen, auf die man sich berufen kann. In der polizeilichen Kriminalstatistik sind Flüchtlinge, die überwiegend Muslime sind, bei Straftaten gegen das Leben, bei schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung überrepräsentiert. Und natürlich gingen auch die meisten Terroranschläge der letzten zwei Jahrzehnte von Menschen aus, die Muslime sind und ihre Tat auch damit begründeten. Wer behauptet „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ wertet Muslime also nicht aufgrund eines diffusen Überlegenheitsgefühls ab, sondern kann sich auf Fakten stützen.

Die meisten Anhänger des Konzepts Heitmeyers würden hier wahrscheinlich nicht unterscheiden und sowohl die Aussage „Muslime sind minderwertig“ als auch die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ mit dem Verdikt „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ versehen – dies wird aus der Formulierung der Items, mit denen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ gemessen wird, deutlich.

Die Autorin hingegen schlägt als ein erstes Abgrenzungskriterium zwischen rechtem und rechtsradikalem Denken das Vorhandensein einer empirischen Grundlage vor. Abwertende Aussagen, die schlicht eine evtl. sogar biologisch begründete Minderwertigkeit bestimmter Gruppen behaupten, sind eindeutig rechtsradikal, wenn nicht sogar rechtsextrem. Bei abwertenden Aussagen, die sich auf Fakten stützen können, ist dies erst einmal zu verneinen.

Diskursbereitschaft zeigen

Allerdings sind auch Argumentationen auf empirischer Grundlage niemals per se objektiv. Jede Studie kann mit mehr oder weniger guten Argumenten angegriffen werden. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik lassen sich fundiert dadurch relativieren, dass unter den Flüchtlingen junge Männer klar überrepräsentiert sind, und die werden weltweit, in allen Kulturen, häufiger kriminell als alte Damen. Und natürlich gibt es noch den klassischen linken Einwand, der auf Gewalterfahrungen in der Kindheit und Jugend oder Ausgrenzung im aktuellen Leben der Täter verweist, was vielfach belegt zur Gewaltneigung beiträgt. Auch diese Einwände gegen die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“ können sich also auf eine gewichtige empirische Grundlage stützen.

Wer hier im Recht ist, wird sich nicht ex cathedra und auch niemals abschließend entscheiden lassen. Aber der ernsthafte Diskurs darüber bringt uns schon weiter. Und daher ist dies ein zweites Abgrenzungskriterium zwischen rechtem und rechtsradikalem Denken: die Diskursbereitschaft. Rechtsradikale würden die genannten Argumente gegen die Behauptung einer höheren Gewaltneigung von Muslimen mit Verachtung beiseitewischen und höchstens mit einem höhnischen „Inshallah“ kommentieren. Rechte hingegen würden wahrscheinlich Gegenargumente anbringen, um ihre ursprüngliche These zu stützen. Sie wären aber zumindest zu einer ernsthaften Auseinandersetzung bereit.

Die Abgrenzungskriterien „empirische Grundlage“ und „Diskursbereitschaft“ reichen aber noch nicht aus. Angenommen, man akzeptiert die Aussage „Muslime neigen häufig zu Gewalt“. Und man steht einem einzelnen Mitglied dieser Gruppe, einem Muslim, gegenüber. Man kennt ihn nicht, man weiß aus irgendeinem Grund nur über ihn, dass er Muslim ist. Darf man ihm unterstellen, zu Gewalt zu neigen? Nein. Verdikte über einzelne Menschen dürfen niemals nur aufgrund von statistischen Häufungen negativer Merkmale in der Gruppe dieser Menschen gefällt werden. Jeder Mensch hat erst einmal das Recht auf eine individuelle Betrachtung der Person.

Natürlich kann man einwenden, dass statistische Wahrscheinlichkeiten auch Aussagen über einzelne Personen zulassen. Dennoch ist es nicht nur eine zivilisatorische Errungenschaft, diese Annahme bewusst auszublenden und einer unbekannten Person nur aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit erst einmal nichts Negatives zu unterstellen. Sondern es ist auch ein Gebot der Würde jedes einzelnen Menschen und damit konstitutiv für unser friedliches Zusammenleben.
 
Sollte die CDU sich wieder stärker für rechte Positionen öffnen, wofür demokratietheoretisch einiges spricht, wird eine überzeugende und präzise Abgrenzung zu rechtsradikalem Gedankengut von existenzieller Bedeutung sein. Die drei skizzierten Kriterien können hierzu vielleicht einen Beitrag leisten.

 

Kristina Schröder, geb. 1977, saß von 2002 bis 2017 als Abgeordnete für die CDU im Bundestag. Von 2009 bis 2013 war sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Dies ist ein Auszug aus Kristina Schröders neuem Buch „FreiSinnig. Politische Notizen zur Lage der Zukunft“. Hier bestellbar.

Foto: By © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons), CC BY-SA 4.0, Link

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Gottfried Meier / 26.11.2022

Die CDU sollte sich vielleicht besser von Leuten wie diesem Thomas Haldenwang abgrenzen, der den Verfassunggsschutz im Kampf gegen rechts instrumentalisiert, kriminelle Klimaaktivisten verharmlost und die Grünen hofiert.

Xaver Huber / 26.11.2022

Bevor die CDU wieder konservativer wird, geht ein Kamel durch ein Nadelöhr.\\\Vorbei ist vorbei.\\\Niemand vermag die Zeit zurückzudrehen.\\\“Isch over”, Compañeros\\\Die Zukunft findet ohne die CDU statt.

Boris Kotchoubey / 26.11.2022

“da in der AfD inzwischen extremistische Kräfte deutlich stärker und wirkmächtiger sind als in der Linkspartei. ” Ein Satz aus der längst vergessenen Vergangenheit. Extremistische, ja offen totalitäre Kräfte findet man heutzutage weder in der AfD noch bei den Linken, sondern bei der Antifa-Partei (einst SPD genannt) und den Anhängern der Klimadiktatur (ehemalige Grüne).

Hans-Peter Dollhopf / 26.11.2022

Herr Bachmann, würde die AfD unerwartet die Regierung bilden, würden all die deaktivierten Mechanismen der Gewaltenteilung wie durch ein Wunder von Lourdes plötzlich wieder “funktionieren”, wetten? Von da her.

Dr. Gerold Schmidt-Callsen / 26.11.2022

Ich halte die Kriterien, die Christina Schröder hier zur Identifizierung von rechtsradikalem Gedankengut anwendet, für nicht zielführend. Das Problem liegt schon in der Konkretisierung der von den Testautoren vorgeschlagenen Merkmale. Auswahl, Formulierung und Interpretation der Items können zu erheblichen Verzerrungen führen und eröffnen somit Spielräume für Manipulation. Aber was noch schwerer wiegt:  Nimmt man das vorgeschlagene Merkmal “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” und wendet es auf Statements an, die während der Coronakrise über Nichtgeimpfte öffentlich geäußert wurden, kommt man zu dem Ergebnis, dass dieses Merkmal, das zur Identifikation von Rechtsextremismus dienen soll, auf viele Äußerungen von Personen aus nahezu dem gesamten politischen und gesellschaftlichem Spektrum zutrifft.  Spitzenpolitiker fast aller Parteien, interessanterweise mit Ausnahme der angeblich rechtsextremen AfD, Journalisten, Kirchenvertreter, Verbandsvorstände , Gewerkschaftsvertreter u.a.m. haben sich geradezu in einen Überbietungswettbewerb hinsichtlich ausgrenzender, menschenverachtender und stigmatisierender Bemerkungen begeben. Begriffe wie “gefährliche Sozialschädlinge”, “ultra-asoziale Vollidioten”, “Deppen”, “Bekloppte”, “Covidioten”, “Blinddarm” u.v.a.m.  erfüllen nach meiner Auffassung unbedingt das Kriterium der “gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit”.  Nach dem genannten Kriterium von Frau Schröder wären somit gerade diejenigen als Vertreter rechtradikalen Gedankenguts zu identifizieren, die ihre politischen Gegner gern und oft mit eben diesem Etikett belegen.  Zur vertiefenden Information hierzu empfehle ich das Buch von Klöckner/Wernicke mit dem bezeichnenden Titel “Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen”.

A. Buchholz / 26.11.2022

Wie kann die CDU wieder konservativer werden? Indem die Mitglieder geschlossen zur AfD wechseln. Ansonsten bleibt es beim Kulturmarxismus.

Dirk Ahlbrecht / 26.11.2022

Wie Recht Sie haben, lieber Bernd Michalski. Lebten wir in einem Rechtsstaat, der den Namen auch verdient, gehörten alle etablierten Parteien eh verboten.

K. Nerweiß / 26.11.2022

,,Man kennt ihn nicht, man weiß aus irgendeinem Grund nur über ihn, dass er Muslim ist. Darf man ihm unterstellen, zu Gewalt zu neigen? Nein.” Anders formuliert: Du sollst gegenüber anderen Menschen keine Vorurteile haben. Ich bin seit der Studentenzeit diesem Gebot gefolgt. Heute halte ich es für Unsinn. Vorurteile sind unvermeidlich, nützlich und ein Schutz. Sie rühren aus Erfahrung. Liebe Frau Köhler, ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass sich wildfremde Menschen, die sich im Wald begegnen, grüßen, während sie in einer Großstadt an hunderten grußlos vorbeilaufen? Warum ist das so? Im Wald auf sich allein gestellt, zeigen Sie dem Fremden, dass Sie keine Gefahr für ihn sind, und hoffen, dass er dasselbe Signal aussendet. Beide versichern sich durch den Gruß der Friedfertigkeit. In der Stadt entfällt diese Versicherung, weil man immer auf die schützende Hilfe der vielen anderen vertraut. Hier läuft ein urbiologischer Prozess ab: In der Begegnung zweier Menschen wird in Sekundenschnelle geprüft, ob der andere eine Gefahr darstellt und als Sexualpartner infrage kommt, und zwar immer. Dagegen können Sie gar nichts tun. Wenn nun obendrein erkennbar ist, dass der andere aus einer gewaltbereiten Kultur stammt, dann sagt Ihnen das Vorurteil, also die geronnene Erfahrung, dass Sie vorsichtig sein müssen und zunächst Distanz halten sollten. ,,Jeder Mensch hat erst einmal das Recht auf eine individuelle Betrachtung der Person.” Wie töricht, nein, hat er nicht, die individuelle Betrachtung kommt d a n a c h. Er muss sich zunächst bewähren, dann kann ich auch mein Vorurteil, meinen Schutz, ablegen. So herum läuft es ab. Einem Kannibalen in Ozeanien im 19.Jahrhundert hätte ich ,,aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit” auf jeden Fall etwas ,,Negatives” unterstellt.

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