Viele Menschen, die an oder nach heißen Tagen sterben, werden neuerdings als „hitzebedingte Sterbefälle“ klassifiziert und vom RKI fleißig mitgezählt und verkündet. In vereinfachter Sprechweise werden daraus dann „Hitzetote“ und aus denen wiederum „Klimatote“.
„Die Folgen der Klimakrise sind auch in Deutschland und in Europa angekommen“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) Ende Juni auf der Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), bei der Deutschlands erster nationaler Hitzeschutzplan vorgestellt wurde. Und Lauterbach kündigte an: „Wir haben zu wenig gemacht in der Vergangenheit – das wollen wir jetzt nachholen.“
Deutschland nimmt sich also wieder einer großen Herausforderung an, und die besteht darin, uns zunehmend „Klimatote“ unterzujubeln. Nun werden viele Menschen, die an oder nach heißen Tagen sterben, als „hitzebedingte Sterbefälle“ klassifiziert und vom RKI fleißig mitgezählt und verkündet. In vereinfachter Sprechweise werden daraus dann „Hitzetote“ und aus denen wiederum „Klimatote“. Denn der eigentliche Zweck der Übung ist es, die bröckelnde Großerzählung vom Klimawandel als dem Weltproblem schlechthin zu stützen.
Schnell werden vulnerable Gruppen ausgerufen: Alte, Kranke und Kinder. Herr Lauterbach spricht von 5.000 bis 20.000 Todesfällen jährlich. Und diese Todesfälle seien vermeidbar. Benötigt werde daher eine Hitzeschutzkampagne, Warnsysteme und Präventivmaßnahmen. Den Anfang macht unter anderem das Hitze-Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Da wird violett eingefärbt, wo mehr als 32 Grad Celsius herrschen. Da das nicht so besonders oft vorkommt, hat man sich einen besonderen Kniff ausgedacht. Gemeint sind nicht 32 Grad auf dem Thermometer, sondern „gefühlte“ 32 Grad.
Der DWD hat nämlich mit dem sogenannten „Klima-Michel-Modell“ eine Kenngröße entwickelt, die eine Aussage über das durchschnittliche subjektive Temperaturempfinden des Menschen ermögliche. Während ich diese Zeilen schreibe, ist praktisch ganz Deutschland lila eingefärbt, während auf der „normalen“ Wetterkarte nur ein Ort (Köln) tatsächlich 32 Grad aufweist. Richtig crazy wurde es aber erst am vergangenen Sonntag, Lauterbach twittert eine Wetterkarte, die röter als rot ist. Trotzdem warb er einen Tag zuvor enthusiastisch für den Besuch der Christopher-Street-Day-Parade ausgerechnet in Köln (und hat wohl schon wieder vergessen, dass dort der Thermoexitus droht).
Nicht vom schönen Wetter blenden lassen
Das RKI steuert einen wöchentlichen Hitzeradar bei. Der läuft gut an. In der 23. Kalenderwoche (KW 23) sind es 30 geschätzte Sterbefälle, davon 20 männliche in der Altersgruppe 85+ und 20 weibliche, ebenfalls 85+. Nanu, seit wann ergeben 20 + 20 = 30? Wir erfahren es im Kleingedruckten: „Um den Schätzcharakter zu betonen wird die geschätzte Anzahl hitzebedingter Sterbefälle auf die Zehnerstelle gerundet angegeben. Daher stimmen die Summen nur in etwa mit den Gesamtwerten überein.“ In der KW 24 kommen wir schon auf 110 (10+20+70+10+10+40+20+30), in KW 25 springen wir, pünktlich zum Sommeranfang, auf 640, wobei zu beachten ist, dass die Zahlen kumulativ sind, also alle Toten der Saison bis dahin umfassen. Der steile Anstieg ist kein Wunder, das RKI teilt uns auf Twitter mit: „Aufgrund der hohen Wochenmitteltemperatur (21,5°C) in KW 25 (19.-25.6.) gehen Auswertungen mittlerweile von bereits ~640 hitzebedingten Todesfällen in diesem Sommer aus.“ (Der objektive Charakter der Zahl wird dadurch bekräftigt, dass nicht irgendwelche Menschen, sondern „Auswertungen“ davon ausgehen. Aber können Auswertungen wirklich von etwas ausgehen?)
Natürlich gibt es diverse Aufklärungsseiten, und zweifellos werden es schnell immer mehr. Etwa die vom Bund geförderte und von der LMU München betriebene Seite hitzeservice.de oder die Website Klima Mensch Gesundheit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dort erfahren wir, dass wir uns nicht vom schönen Wetter blenden lassen dürfen: „Die nächste Hitzewelle kommt bestimmt! Auch wenn die meisten Menschen die warme Jahreszeit genießen, sollten Sie sich Gedanken über die gesundheitlichen Risiken von hohen Temperaturen machen – diese reichen von Hitzeerschöpfung über Hitzschlag und Sonnenbrand bis hin zum gefährlichen Hitzekollaps.“
Die bayerische Sonderbeauftrage für Klimaresilienz und Prävention, Professorin Claudia Traidl-Hoffmann, die auch im neuen Hitzeschutzgremium von Lauterbach sitzt, sagt: Hitze „kann zur Naturkatastrophe werden, wenn wir viele aufeinanderfolgende Hitzetage haben. Also Tage mit mehr als 30 Grad. Das wird immer häufiger passieren. Wir werden dadurch viele Menschen verlieren. Darum brauchen wir umfangreiche Maßnahmen.“ Nötig sei nicht nur eine Feuerwehr, sondern auch eine „Hitzewehr“, die bei längeren Hitzeperioden reagieren kann. Die Dame hat offenbar ihr Thema gefunden. Schon im letzten Jahr hat sie sich mit der Schlagzeile „Klimawandel macht krank von Kopf bis Fuß“ in Position gebracht. Aber wird sie es mit Professorin Dea Niebuhr aufnehmen können? Die beklagt, das Hitzewarnsystem greife zu spät und fabuliert schon einmal von „Wüstentagen“.
Klimawandel tötet und Lauterbach rettet
Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Die Hitzeschützer*innen formieren sich. Es geht los mit Webseite und Warnsystemen. Dann schaut man, wie es anläuft, um möglichst schnell das Hitzeschutzgedöns weiter auszubauen und möglichst bald zum „Auslösen von Interventions- und Kommunikationskaskaden“ zu gelangen, wie es im Papier des BMG heißt. Wie dringend wir das benötigen, kann man leicht daran erkennen, dass Deutschland auf der „Liste der Länder nach Temperatur" auf Platz 188 mit einer Durchschnittstemperatur von 9,5 °C steht, also zu den kältesten Ländern der Welt zählt.
Natürlich sollte man darauf achten, dass alte Leute an heißen Tagen genug trinken und sich möglichst im Schatten aufhalten. Aber um die geht es Herrn Lauterbach nicht. Ihm geht es darum, eine Botschaft zu verbreiten, die da heißt: Klimawandel tötet und Lauterbach rettet. Wir sollten antworten: Schönen Dank. Aber wir wissen selber, dass wir bei Hitze genug trinken und besser im Schatten bleiben sollen. Wir wussten das sogar schon, als es bei Temperaturen jenseits der 30 Grad hitzefrei statt Katastrophenalarm gab.
Alles, was Sie über die realen Gefahren von schönem Sommerwetter wissen müssen, lesen Sie in meinem Artikel „Die Klimawandeltoten des Statistischen Bundesamtes“. Dort erfahren Sie auch, wie viele Menschen tatsächlich sterben, während das RKI uns ja nur mitteilt, wie viele laut „Modellrechnungen“, die bekanntlich in den letzten Jahren den Ruhm dieses Instituts begründet haben, als „hitzebedingte Sterbefälle“ bezeichnet werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.
Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Novo-Redakteur. Mehr von Thilo Spahl lesen Sie im Buch „Schluss mit der Klimakrise. Problemlösung statt Katastrophenbeschwörung“.