Gastautor / 20.12.2023 / 12:00 / Foto: martinak15 / 54 / Seite ausdrucken

Wer die Grünen moralisch nennt, hat schon verloren

Von Max Leonard Remke.

Das grüne Denken krankt an einer verengten Weltsicht, die sich auch viele Nicht-Grüne zu eigen gemacht haben: den Menschen in erster Linie als Schädling zu betrachten.

Nachdem sie lange die Lieblinge der Presse waren, mehren sich zunehmend kritische Stimmen über die Grünen und ihre übergriffige Politik. Gerade Liberale und Konservative werfen ihnen dabei gerne „Hypermoralismus“, „moralischen Imperialismus“, „moralische Hybris“ oder auch „moralisches Strebertum“ vor.

Aber was genau sagt eigentlich jemand, der „Hypermoral“ kritisiert? Doch eigentlich, die andere Seite sei zu moralisch, zu edel, zu gut. Dass sie vor lauter Gutheit den Blick für das Praktische verloren hat (daher auch „Gutmenschen“). Wir kennen diese Art von Moralkritik zahllos aus alltäglichen Redewendungen: „Man kann nicht immer ein Engel sein“, „Man muss auch mal Fünfe gerade sein lassen“ oder besonders prosaisch verpackt durch den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“

Ist diese Kritik wirklich erfolgversprechend? Zum einen gibt, wer „Hypermoral“ kritisiert, seinem Gegner unbeabsichtigt den moralischen High-Ground. Man sagt ihm faktisch, dass er recht habe, aber die Umsetzung zu schwierig oder zu aufwändig wäre. Nicht zu unrecht ist daher gefragt worden, was denn das Gegenmodell des „Gutmenschen“ sei? Etwa der „Schlechtmensch“ oder der „Erst-Fressen-und-dann-die-Moral-Mensch“? Das ist ein Narrativ, welches bei moralisch integeren Menschen nicht verfangen dürfte. Um auf das Zitat von Joachim Gauck zu unseren „endlichen Möglichkeiten“ zurückzukommen – rein technisch hat Deutschland problemlos die Kapazitäten, gut 80 Millionen Flüchtlinge mehr aufzunehmen. Allein in meine Wohnung ließen sich, mit etwas Knautschen, sicherlich noch rund ein Dutzend Flüchtlinge hineinstapeln.

Wenn sich selbst die AfD mit den Grünen einig ist

Genau dies führt direkt zum nächsten Problem: Wer dem anderen „Hypermoral“ vorwirft, der erkennt seine Ziele grundsätzlich als erstrebenswert an. Zur Diskussion bleibt dann nur noch die Frage, wie und wie schnell das noble Ziel des „Hypermoralisten“ zu erreichen sei. Und genau dieses Phänomen können wir aktuell in der Politik beobachten. Egal welche Partei wir wählen, wir können nur eine Variante von grüner Politik wählen. Die mag dann bei den Linken „Ökosozialismus“ heißen, bei der FDP „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ und bei der CDU wird sie etikettiert als „Bewahrung von Gottes Schöpfung“, aber der Inhalt ist der gleiche: Wir Menschen müssen für „die Natur“ zurückstecken, wir Menschen sind eine Gefahr für „die Natur“.

Selbst die Alternative für Deutschland ist keine echte Alternative. Was sie von den anderen ergrünten Parteien trennt, ist zumeist nicht ein grundsätzlich anderer Blick auf „die Natur“, sondern die Frage, was wichtiger sei: Klimaschutz oder klassischer Naturschutz. Ähnlich sieht es bei der liberalkonservativen Opposition aus. Ich selbst habe zum Beispiel vor etwa einem halben Jahr einem gut besuchten Vortrag von Vera Lengsfeld in Magdeburg beigewohnt, der sich gegen die „grüne Unvernunft“ wandte. Zentrale Argumente gegen die ökologische Energiewende waren der ebenfalls ökologische Vogelschutz und der Schutz gewachsener Landschaften. Das ist eben keine antigrüne Kritik auf der moralischen Ebene (die Vera Lengsfeld als altgediente Öko-Aktivistin vermutlich auch nicht beabsichtigt), sondern nur erneut die Diskussion, wie die grüne Moral am besten umzusetzen sei.

Gibt es also keinen Ausweg? Werden die Grünen am Ende doch gewinnen und uns in eine postindustrielle Armutsgesellschaft der Baumkuschler oder Windradumarmer verwandeln? Ich denke nicht. Aber wenn wir der grünen Bevormundung wirklich ein Ende setzen wollen, müssen wir bereit sein, eine wirkliche moralische Kritik der Ökoideologie zu üben – eine Kritik an ihren Zielen und nicht bloß eine an ihren Mitteln.

Ayn Rand und die Natur des Menschen

Ein hervorragender Einstieg kann hierfür das Buch „The Anti-Industrial Revolution“ (Deutsch „Zurück in die Steinzeit“) der US-amerikanischen Philosophin und Bestseller-Autorin Ayn Rand sein. In ihm geht sie mit analytischer Schärfe und spitzer Feder der Ökobewegung auf den moralischen Grund. Ihre Hauptthese: Bereits der grüne Grundgedanke basiert auf einem folgenschweren Missverständnis über das Verhältnis von Mensch und Natur.

Sie argumentiert, dass der Mensch anders überlebt als andere Tiere. Bloßes „Fressen und gefressen werden“ kommt für ihn nicht infrage. Seine natürlichen Waffen – wie Gebiss und Krallen – sind alles andere als furchteinflößend, und schlechtem Wetter hat er mit seinem spärlichen Fell – das dazu im Alter oft noch spärlicher wird – wenig entgegenzusetzen. Wie kommt es dennoch, dass er inzwischen selbst an den lebensfeindlichsten Orten lebt, den luftleeren Weltraum ebenso bereist wie die Tiefen das pazifischen Marianengrabens? Die Antwort: Die spezifische Überlebensstrategie des Menschen ist die Benutzung seines Verstandes zur produktiven Veränderung der Natur. Der Mensch passt sich nicht der Natur an wie die Tiere, er passt die Natur sich an. Er legt Sümpfe trocken, gräbt Bodenschätze aus und züchtet Nutztiere.

Für ein menschengerechtes Naturverständnis

Gerade deshalb aber ist sein Verhältnis zur Natur alles andere als harmonisch, es ist feindlich. Raubtiere wollen uns gerne fressen, kalte Winternächte lassen uns erfrieren, und in der mondfinsteren Dunkelheit sind wir aufgeschmissen. Diese offensichtliche Tatsache lässt sich ganz leicht überprüfen, indem man sich selbst die Frage stellt: Wo habe ich als Mensch die besseren Überlebenschancen? In meinem nackten Naturkleid in der Mitte des Amazonas-Dschungels oder in meiner unnatürlich-erdölbasierten Kleidung in Berlin-Mitte? Die Antwort dürfte leicht fallen.

Tatsächlich zeigt sich überall auf der Erde, dass der Mensch umso besser lebt, umso länger lebt und dass umso mehr Menschen leben, wo der Prozess der menschlichen Einhegung, Gestaltung und Nutzung der Natur am weitesten fortgeschritten ist. Dort, wo ein Waldspaziergang eben keine Gefahrenquelle ist, sondern ein netter Luxus, der durch Wanderwege, Rettungshelikopter, die Ausrottung von Raubtieren, Thermokleidung und Satellitennavigation harmlos gemacht wurde. Würden wir die Maßstäbe einer „artgerechten Haltung“ einmal so an den Menschen anlegen, wie wir sie ganz selbstverständlich bei Tieren anlegen, dann zeigt sich unschwer, dass eben nicht „die Natur“ das Lebenshabitat des Menschen ist, sondern die Zivilisation. Die Zivilisation, die als schöpferische und produktive Leistung vom Menschen erst über hunderte Generationen hergestellt wurde.

Gerade aber diese offensichtlichen Wahrheiten kommen in der Moral der Grünen nicht vor. Im Gegenteil, statt als heroisches und zivilisationsschaffendes Geschöpf erscheint der Mensch als Parasit und Schädling der Erde. Genau die Natur unserer Spezies, genau unsere Überlebsstrategie, spielt kaum eine Rolle im grünen Denken. Ich glaube daher, die beste Waffen gegen grüne Bevormundung, Ökokitsch und klimabewegte Menschen- und Wohlstandsfeindlichkeit ist die Natur des Menschen selbst und nicht der leicht vorgebrachte Vorwurf der „Hypermoral“. Dieser sagt oft mehr Negatives über den Sagenden, als über den Angeworfenen.

 

Max Leonard Remke, ist 1990 in Peine geboren und hat an der Universität Göttingen sowie an der Korea University in Seoul Politik & Geschichte studiert. Er ist Begründer der deutschen Ayn Rand Gesellschaft sowie der freiheitlichen Jugendorganisation Liberty Rising. Er hat unter anderem als militärhistorischer Autor für die Militär & Geschichte geschrieben sowie als wöchentlicher Kolumnist für das libertäre Magazin eigentümlich frei.

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Leserpost

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Eugen Karl / 20.12.2023

Natürlich sind diese Moralismusvorwürfe nicht haltbar. Hypermoral, so könnte man (unabhängig von Gehlen) vielleicht aber sagen, ist nicht Moral, sondern aus allen Fragen moralische Fragen zu machen, damit Gegenargumente als unmoralisch disqualifiziert werden können, weshalb man sich erst gar nicht auf sie einlassen muß. Der Hypermoralist vertauscht wahr und falsch mit gut und böse. Das aber, und insofern hat der Autor recht, ist selbst nicht moralisch sondern unmoralisch. Den Begriff “Gutmensch” muß man aber deswegen nicht verwerfen, sein Gegenteil ist nicht Schlechtmensch, sondern “guter Mensch”. Letzterer behandelt moralische Fragen moralisch, andere Fragen aber nicht, der Gutmensch kennt nur moralische Fragen und argumentiert daher unmoralisch (s.o.) Ein Gutmensch, so meinte einst C. Gebauer, habe mit einem guten Menschen soviel zu tun, wie ein Langfinger mit einem langen Finger.

Donatus Kamps / 20.12.2023

Die grüne Weltsicht krankt vor allem an einem: an einer tiefen Ablehnung des Artikels 3 des Grundgesetzes - des Artikels der Glaubensfreiheit. Die Geschichte der Menschheit ist gepflastert mit Kriegen um Religionen und Ideologien. Aus dem dreißigjährigen Kried wurde dann als Konsequenz die Freiheit des persönlichen Glaubens begründet. Ein jeder solle nach seiner Facon glücklich werden! Die grüne Weltsicht ist aber bis in die tiefste Faser ihrer Existenz durchdrungen von einer Ablehnung dieses Prinzips der Glaubensfreiheit. Grünen geht es immer darum, wie sie anderen Menschen die Glaubensfreiheit nehmen und ihnen ihren eigenen Glauben aufzwingen können.——- Wenn jemand glauben will, daß der Mensch das Krebsgeschwür des Planeten ist - warum soll er sich nicht mit Gleichgesinnten zusammenschließen und dies glauben? Aber wenn der Grüne andere nicht das glauben lassen kann, was diese glauben wollen, dann beteiligt er sich daran, die Welt in Kampf und Krieg zu halten. Solange das Prinzip der Glaubensfreiheit auf dieser Erde nicht gilt, wird die Welt keinen Frieden finden.

Gerd Heinzelmann / 20.12.2023

Hat Polen nicht südkoreanische Kampfflugzeuge bestellt? Hat das VK nicht ganz deutlich auf die grüne Gefahr reagiert? Den meisten Gutmenschen dürfte das entgangen sein, dem Kopf der Grünen sicher nicht. Damit wäre auch schon alles gesagt. Gut, dass wir in einer Demokratie leben.

gerhard giesemann / 20.12.2023

Der Mensch ist kein Schädling, sondern einfach nur zu viele. Die Leute sollten endlich mal lernen, quantitativ zu denken und nicht nur qualitativ.

Anders Cortese / 20.12.2023

Es stimmt und ist sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass Gutmensch oder Hypermoralist ein viel zu freundlicher Begriff für Ideologen ist, die absolute Moral für sich reklamieren, um Anderen ihr Weltbild aufzuzwingen. Der passende Begriff ist hier: Moralsadist. Auch andere Menschen als Parasit, Virus oder Schädling der Natur abzuwerten passt zu deren moral-sadistischem Antrieb.

Eva Weihrauch / 20.12.2023

Es ist doch ganz einfach. Fast jeder möchte doch “gut” sein. Es ist diese Sehnsucht nach einer schützenden “Gemeinschaft der Guten” als Bollwerk und Refugium gegen das “schlimme Leben im Wettbewerb”. So empfindet es zumindest Generation Schneeflöckchen heute und so funktionieren auch diese elenden social-media Plattformen. Der Rest ist nur noch ein bißchen Marketing, ein Selbstgänger, den die duzende Natur- und Nachhaltigkeitsideologie/Industrie geschickt lanciert und die entsprechenden Sehnsüchte der Verängstigten erfüllen. Prototyp dessen war derbei Peter Lustig in seinem Bauwagen, der es über 25 Jahre in jeder Folge allen zeigte, wie schlecht die Zivilisation doch sei. Der unreflektierte Normalo ist schlecht - der “nachsinnende” Öko ist gut. Da fällt doch die Wahl der Kinderchen ganz leicht. Welch Welt war Peters Welt, in der man bis ins hohe Alter wie ein Kind sein und auch den lächerlichsten Nachhaltigkeitsgedanken nachhängen kann und das auch noch, ohne je zur Arbeit gehen zu müssen. Dieses Tralala-Taka-Tuka-Land hat eine Generation jahrelang mit der Muttermilch eingesogen und natürlich denken, nein, besser fühlen, diese wirklich, daß so die Realität aussieht, ja aussehen muß. Zuende Denken ist daher auch nicht die Stärke großer Teile unser jetzigen Mitmenschen. Ich denke, Herr Rehmke hat hier den Nagel auf den Kopf getroffen - da muß angesetzt werden. Danke sehr!

sybille eden / 20.12.2023

Ich wüsste nicht, warum ich für den ” Naturschutz ” die Grünen bräuchte ?

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