Der Souverän ist über die Jahre zur Verfügungsmasse einer Elite geworden, die den Bürgern immer mehr freiheitliche Selbstverantwortung entzieht, statt um deren Mandat zu werben und konkurrenzfähige Konzepte zu entwickeln.
Die Geschichte hat uns getäuscht. Wir dachten, dass es ein für allemal vorbei sei mit einer Klassengesellschaft, in der zwischen oben und unten unterschieden wird. Es gab ein Konzept für einen Staat, in dem Politiker sich an Regeln zu halten hatten, die ihnen vom Volk, dem Souverän, und dem Grundgesetz verbindlich ins Gewissen und die Verantwortung geschrieben wurden. Politiker waren der Wirklichkeit verpflichtet und dem Wohl ihres Landes, „so wahr ihnen Gott helfe“. Zugegeben: Die Politik war nie eine Kultstätte der Wahrheit, wie auch – wo das Taktische auf das Faktische trifft, obsiegt immer der bessere Hebel.
Im Land der Entbehrungs- und Schuld-Erinnernden gab es kein Diktat mehr, keine obligatorische Gesinnungsprüfung, keine Abstrafung für Menschen mit Anspruch auf eine eigene (demokratisch-legitime) Meinung. Es gab zumeist Bescheidenheit und Demut vor dem Amt, der Aufgabe und den Wählern. Es gab Vernunft und Freiheit, aber kein verordnetes Kuschen vor einem Obrigkeitsstaat und lächerlichen Funktionären in neofeudaler Herrschaftspose, mir der sie für jede Lappalie Haltung einforderten, wie heute. Der Staat war ein junges Geschöpf und kein aufgeblähter Popanz, der Verfolgungsfantasien sein Eigen nannte. Das hatte man im Westen hinter sich. Man konnte im Innenministerium noch zwischen Bürgern und Extremisten unterscheiden, im Wirtschaftsministerium noch zwischen Pragmatik und Ideologie, im Gesundheitsministerium noch zwischen Präventionsgebot und Freiheitsrechten.
Es gab sie nicht, die Abschätzigkeit und Arroganz der Politik in fast jeder öffentlichen Situation, sei es in Talkshows, auf der Bundespressekonferenz, auf Gedenkveranstaltungen oder in Untersuchungsausschüssen. Heute wird dort überall schamlos gelogen oder mindestens die Wahrheit zum Ornament der beseelten Politikverklärung verbogen – auch „zum Wohle des Volkes“, dem man das Scheitern im Amt als Zwangsläufigkeit einer Staatsräson verkaufen kann, weil sich das Ganze dem Verständnis des Kleinbürgers einfach entziehen soll. Die Arroganz der Macht geht so weit, dass sie ihre Lügen für vernünftig hält.
Die Raffgierigen aus der vernebelten Unterschicht
Der Kleinbürger ist gehorsamsverpflichtet, dann darf er partizipieren an gönnerhaften Verteilungsritualen einer Steuerherrschaft, die das eingenommene Geld so verwaltet, als sei es ihr eigenes. Diese Rituale haben sich auf sämtliche Bereiche fiskalisch organisierter Kultur ausgedehnt. Eine fettleibige mafiöse Schicht aus Gönnern und Günstlingen hat sich gebildet, die das Öffentlich-Rechtliche und das Staatlich-Wirtschaftliche beherrscht und korrumpiert. Überall wird die Planwirtschaft mittlerweile wieder ideologisch zwischenfinanziert.
Der deutsche Kleinbürger ist der Verbündete dieser deutschen Feudalpolitik, weil er ein Opportunist ist. Am Ende sind sie sich doch so ähnlich, die Raffgierigen aus der vernebelten Unterschicht und die Fremdgeldschöpfer aus den ebenso raffgierigen Verteilungs-Eliten. Beide sind Ausgeburten einer postkapitalistischen Spießigkeit am Abgrund ihres eigenen verkommenen Habitats. Wehe diese trügerischen „Synergien“ werden aufgekündigt oder unmöglich. Wenn das Geld knapp oder die Bude kalt ist, könnte es ungemütlich werden. Möglicherweise wird der spießige Kleinbürger ungehalten und holt die Mistgabel aus der Datsche. Werden die Feudalherren dann in ihre spießigen Kutschen mit Massagesitzen eilen und eine letzte Dienstreise antreten?
Zu dumm das Volk, so gemein der Verdacht, hier sei jemand unfähig oder verschlagen. Aber in der Politik und der liebedienerischen Kultur hat sich eine General-Amnesie verbreitet, die als notwendiges Bindeglied zwischen der Realität und den politischen Widersprüchen fungiert. Ohne sie wäre der Politik jegliche Legitimation sofort entzogen. Es müsste massenhaft zu Rücktritten und Schuldeingeständnissen kommen. „Vergessen“ und „Aussitzen“ sind moderne Politikstrategien wie Inkompetenz und Halsstarrigkeit.
Immer weniger Kontakt zum real existierenden Individuum
Heute gibt es ihn wieder, den Fahnenappell vor allerlei bunten Fahnen, das feixende Jawoll-Gebrüll der digitalen Meute im Denunzianten-Rausch und ihr mentales Hackenzusammenschlagen in den Gesinnungskasernen einer deformierten Republik, die von ihren Mandatsträgern nur noch verwest aber nicht mehr gestaltet wird.
Der Homo faber ist vom Homo ludens verdrängt worden. So kommt es, dass der technik- und vernunftbegabte Mensch das Weite sucht und sich die „Leute da draußen“ wie Spielfiguren auf die Positionen heben lassen, die ihnen von oben zugedacht werden. Nur solange das Geld, die Haltung und die Versorgung zusammengehen, werden Brot und Spiele wirksame Ablenkung sein. Bricht eine Lieferung dauerhaft weg, kollabiert das Staatsversprechen und gebiert Barrikaden.
Wir haben uns in den Menschen getäuscht – aus beiden Klassen – in denjenigen, die in den Wohlstands- und Wachstumsjahren einer erträumten deutschen Vollkaskogesellschaft im Handaufhalten erstarrt sind, und in den anderen, die durch die Normierungsprozesse der Kaderpolitik geschleust wurden bis zu ihrer geistigen Vollverelendung – mit immer weniger Kontakt zum real existierenden Individuum und immer abgehobeneren Ansprüchen an die eigene Karriere. Mit zunehmender Arroganz und Abschätzigkeit gegenüber den „Normalos“. Mit zunehmender Neigung zur Belehrung, zur Zurechtweisung und Indoktrination. Und letzten Endes mit penetranten Bevormundungsansprüchen, um im Denken der „einfachen Leute“ mit dem Zeigefinger herumzurühren und stinkenden Ideologie-Schrott im Synapsen-Paradies zu verklappen, wo eigentlich Bildung und kritische Vernunft hineingehören.
Der Souverän ist über die Jahre zur Verfügungsmasse einer saturierten, abgekapselten Elite geworden, die den Bürgern immer mehr freiheitliche Selbstverantwortung entzieht, statt um deren Mandat zu werben und konkurrenzfähige Konzepte zu entwickeln. Die Politik hat sich zum Selbstzweck einer machtkorrupten Kleingruppe geformt, der es gelungen ist, in die wichtigen Institutionen der Gewaltenteilung Handlanger, Mitläufer und Denunzianten einzuschleusen, die nicht mitreden, aber mitgängeln dürfen. Und bei den Medien gibt es ausreichend viele Bücklinge, die wie geschaffen sind für den Gestus der Ergebenheit, so dass nicht einmal Scham entsteht, sondern nur noch enthusiastischer Gehorsamswille, wie man ihn in Deutschland eigentlich als abgeschafft glaubte. Der Untertan ist wieder da, und er salutiert vor der Herrschaft. Die Medien bejubeln den Niedergang und erklären ihn zum Fortschritt.
Schnitt.
Körperpflege-Realität im 19. Jahrhundert
Jedoch gibt es eine selbstgewählte Bescheidenheit, die voller Würde sein kann. Auch wenn sie von den Umständen erzwungen wurde, hat sie in ihrer Konsequenz nichts Quälendes, weil sie der puren Vernunft, der freien Entscheidung und einem selbstgewählten Ziel entspricht. Also einer Freiheit, die nicht mehr der Intervention der Herrschaft ausgesetzt ist.
Ich sehe meinen Großvater im Badezimmer stehen, wie er mir als kleinem Jungen erklärt, dass man sich mit einem Waschlappen, Kernseife und kaltem Wasser wunderbar waschen kann. Er zumindest war das gewohnt, und es kümmerte ihn nicht, dass der Elektro-Boiler in der Ecke vor sich hinsimmerte. Die Kriegsgeneration war aufs Sparen geeicht und erzählte von den irrsinnig kalten Wintern direkt nach dem Untergang, von dünner Brennnesselsuppe und anderen zivilisatorischen Improvisationen wie dem Schwarzmarkt. Meinen Großeltern wäre es nicht eingefallen, den Luxus einer täglich warmen Viertelstunden-Dusche oder einer dampfenden Badewanne für notwendig zu erachten, aber für fortschrittlich hielt man es durchaus und war froh, dass es möglich war.
In alten Tagebüchern meiner Familie erzählt einer meiner Vorfahren, wie er an einem Samstag, dem Badetag, endlich nach langer Zeit wieder die Ehre hatte, als erster in den Waschzuber zum Bade steigen zu dürfen. Das war Normalität. Nichts war erzwungen, denn es gab keine besseren Zustände. Einmal in der Woche eine Badewanne voll warmen Wassers mit der ganzen Familie teilen und sich sonst mit kaltem Wasser und Waschlappen begnügen zu müssen – das war Körperpflege-Realität im 19. Jahrhundert.
Auf der Schwäbischen Alb, wo ich als Kind den Großteil meiner Ferien verbrachte, waren die Landgasthöfe bis in die 70er Jahre äußerst spartanisch eingerichtet. In einer Ecke des Gastzimmers hing Jesus am Kreuz mit Trockenblumen in einer Vase zu seinen Füßen, die Betten waren raumgreifende Wolkengebilde aus Plümo-Bettdecken, gefüllt mit Gänsefedern. Und irgendwo hing ein Waschbecken mit einem einzigen Kaltwasserhahn, aus dem Brunnenwasser kam.
Die Gästezimmer hatten Heizung, aber weil man tagsüber nicht anwesend war, drehte das Zimmermädchen auch im Winter die Heizung auf kleinste Stufe. Die niedrige Grundtemperatur von 12 bis 15 Grad in den oberen Geschossen des Landgasthofs wurde von einem riesigen Kachelofen in der Mitte der geräumigen Gaststube im Erdgeschoss gewährleistet. Dort war es immer bullig warm, die Restwärme verteilte sich im ganzen Haus. Und fürs Schlafen reichten die Plümo-Bettdecken. Man musste sich ein bisschen in den Schlaf zittern und am nächsten Morgen war man ganz schnell in der Gaststube.
Das sind Zustände, die der Vergangenheit angehören. Es gibt – bei aller Nostalgie und Romantik – Gegebenheiten, die wir zu Recht für beendet erklärt haben, weil unsere Zivilisation eigentlich ein Versprechen auf fortwährende Verbesserung ist.
Altväterliche, dümmliche Laberei
Wenn sich ein grüner Ministerpräsident hinstellt und dem Volk den Waschlappen anempfiehlt, ist das altväterliche, dümmliche Laberei. Wenn ein grüner Wirtschaftsminister kurzes Duschen, Lichtausschalten und gesenkte Raumtemperaturen als Sparmaßnahmen verkündet, und allen Ernstes Arbeitgebern vorschlägt, ihre Arbeitnehmer nach Hause zu schicken, damit der Betrieb Heizkosten spart ... ist das nicht nur armselig, sondern in Anbetracht folgender Tatsache eine Frechheit: Weil nämlich das ganze Desaster erst den energetischen Allmachts-Fantasien dieser Partei zu verdanken ist.
Die Übergriffigkeit der Herren beginnt mit der Verweigerung, das Eigenverschulden anzuerkennen und geht weiter, wo man sich als Schulmeister ins private Badezimmer der Bürger zwängt, um ihnen lächerliche Vorschläge zu machen, auf die jeder Depp kommt, wenn er seinen Geldbeutel zum Maßstab seines Handelns macht. Aber jeder Depp kommt mittlerweile auch auf die Idee, wer für den zivilisatorischen Schaden verantwortlich ist.
Neulich hat eine grüne Feudalherrin in Berlin einen Platz hoch offiziell in Rio-Reiser-Platz umgetauft. Die links-autonome Band, deren Managerin sie einmal war, stand für den Widerstand gegen das Establishment in den 70er Jahren. Der Sänger der Band ist nun im Establishment der Platzbeschilderung angekommen, die ehemalige Managerin schon lange im Establishment des Parlamentarismus. Sicher hat sie verdrängt, dass ein Song der Band die Revolution gegen das System beschwört: „Macht kaputt, was euch kaputt macht“.
Dieser Text erschien zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.