Aleksandra Rybinksa, Gastautorin / 04.03.2024 / 12:00 / Foto: Imago / 14 / Seite ausdrucken

Warum die polnischen Bauern demonstrieren

Auch in Polen sind die Bauern wütend. Und zwar über uneingeschränkte ukrainische Agrarimporte und noch mehr EU-Auflagen.

Seit Monaten gehen Landwirte in Europa gegen die Politik ihrer Regierungen auf die Straße. In Paris haben sie die Agrarmesse mit Traktoren blockiert. In Brüssel fuhren Anfang der Woche Landwirte mit Traktoren im Europaviertel auf, um ihren Forderungen gegenüber den dort tagenden EU-Agrarministern Nachdruck zu verleihen. Auch in Polen sind die Bauern wütend. Was sie wütend macht, sind uneingeschränkte ukrainische Agrarimporte und noch mehr Auflagen, die mit neuen Umweltvorschriften aus Brüssel drohen, also der European Green Deal, mit dem die Europäische Kommission die EU bis 2050 klimaneutral machen will (Achgut berichtete).

Es geht dabei aber nicht nur um absurde Umweltvorschriften, sondern auch um den konsequenten ideologischen Willen der europäischen Eliten, den bäuerlichen Familienbetrieb – der als Hochburg der Tradition, des Patriotismus und des Konservatismus gilt – zugunsten der industriellen Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie abzuschaffen. Die durchschnittliche Größe der landwirtschaftlichen Nutzflächen in landwirtschaftlichen Betrieben in Polen betrug im Jahr 2021 11,2 ha. Die Produktion von Getreide, Raps, Mais und so weiter – sagen die Bauern – ist in Polen mittlerweile nahezu unrentabel.

Die Produktionskosten übersteigen den Verkaufsgewinn bei weitem. Polnische Agrarprodukte sind zu sehr niedrigen Preisen erhältlich, und die Landwirte haben immer noch Probleme, sie zu verkaufen oder sie sogar umsonst abzugeben, weil die Lager und Silos überfüllt sind – mit Getreide und Agrarprodukten aus der Ukraine. Beim Wettbewerb mit den ukrainischen Agrargiganten haben sie keine Chance. In der Ukraine gibt es 93 Agrarbetriebe, die nach offiziellen Angaben des dortigen Landwirtschaftsministeriums etwa 32 Prozent aller Agrarflächen besitzen. Der größte Bauernhof der Ukraine hat ca. 600.000 ha, laut inoffiziellen Quellen sogar über 800.000 ha Fläche. Diese Betriebe gehören ausländischen Investoren aus den USA, Großbritannien, Zypern und sogar den Jungferninseln.

Lange Vorgeschichte des Konflikts

Tatsächlich hat die EU im Juni 2022 die Zölle auf ukrainische Lebensmittel ausgesetzt, um dem Land während des Krieges zu helfen. Die Annahme war einfach: Die Ukraine muss ihr Getreide exportieren, weil sie Geld für die Rüstung braucht, und da Russland die Schwarzmeerhäfen blockiert, müssen Weizen, Mais und Raps per Bahn und LKW durch die Nachbarländer transportiert werden. Polen unterstützte diese Idee eifrig. Es wurden jedoch keine wirksamen Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, um sicherzustellen, dass es sich nur um einen Transit zu den Häfen handelt. Das Getreide landete in Polen, und so wurde aus dem Transit ein Import. Und die Preise sanken in den Keller. Jetzt haben die Landwirte das Gefühl, dass sie die Kosten des Konflikts in der Ukraine alleine tragen müssen. Tatsächlich ist auch Russland schuld: das Land ist der der größte Weizenexporteur der Welt und hat massenhaft exportiert in den letzten zwei Jahren, von Sanktionen völlig unbehelligt, was zu einem Rückgang der Getreidepreise an den Weltbörsen geführt hat.

Am 15. September letzten Jahres hat die damalige polnische Regierung unter der Partei Recht und Gerechtigkeit das nationale Verbot von Getreideimporten aus der Ukraine verlängert, nachdem das EU-Embargo für Getreideimporte in fünf Nachbarländer der Europäischen Union – Polen, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Ungarn – abgelaufen ist. Geholfen hat es nicht wirklich und die neue, liberale Regierung von Donald Tusk will es beseitigen, sobald es eine Einigung in dieser Frage mit der ukrainische Regierung gibt. Das Problem ist aber, dass gar keine bilateralen Verhandlungen stattfinden. Der Besuch Tusks in Kiew ist ergebnislos verlaufen, und der Ton zwischen Polen und der Ukraine hat sich noch verschärft.

Die Bauern aber wollen nicht nur ein Embargo, sondern auch verschärfte Kontrollen der Einfuhr aus der Ukraine, die ihrer Meinung nach nicht den EU-Normen entspricht. Sie blockieren regelmäßig die Grenze und schütten das Getreide aus ukrainischen Lastwägen. Schlagwort: Lebensmittelsicherheit. Hochgeschraubte Normen für polnische Bauern, ökologische Auflagen, die kaum realisierbar sind, und gleichzeitig lässt man „technisches“ Getreide (Anm. d. Red.: das eigentlich zur Herstellung von Bio-Treibstoff gedacht ist) und Industriezucker unkontrolliert aus der Ukraine in die EU gelangen. Ungerecht sei das. Genauso wie die Renaturierung von 20 Prozent der Land- und Meeresflächen, die die EU plant. Der Bauer als Prügelknabe.

Es sollte ein Blitzkrieg werden

Der neuen Regierung Tusk kommen die Bauernproteste sehr ungelegen. Die Koalition aus liberaler Bürgerplattform, dem ebenfalls liberalen Polen 2050, der Linken und der Bauernpartei regiert erst seit etwas über zwei Monaten und ist jetzt schon mit etlichen Krisen konfrontiert. Die illegale Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien hat Proteste und Unmut ausgelöst, und die Gerichte weigern sich, die durch die Tusk-Regierung berufenen Vorstände zu registrieren. Der Justizminister Adam Bodnar versucht, die Landesstaatsanwaltschaft zu übernehmen, ebenfalls mit illegalen Mitteln, aber die Staatsanwälte leisten Widerstand. Es sollte ein Blitzkrieg werden – eine Übernahme des Staatsapparats mit brutaler Gewalt und dann Regieren, als ob es keinen Präsidenten gebe und die Bürgerplattform eine Verfassungsmehrheit besäße, aber daraus geworden ist ein Stellungskrieg. Dazu kommen noch die Wahlen, und es stehen gleich drei vor der Tür: die Kommunalwahlen im April, die Europawahlen im Juni und die Präsidentschaftswahlen im Herbst 2025. Eine Dauerwahlkampagne. Und dann noch die Bauern.

Die Situation ist besonders unerfreulich für die Bauernpartei, da ihre Wähler sich zum Großteil auf dem Land befinden, in ländlichen Gegenden, und die Partei bei den Kommunalwahlen viel zu verlieren hat. Das hat zu Streit in der Koalition geführt. Um die Bauern zu besänftigen, schickte Tusk den Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Michał Kołodziejczak, zu den Bauernprotesten. Bevor er Minister wurde, war er selbst Anführer der Agrounia, einer Bauerngewerkschaft, und organisierte selbst solche Protestaktionen. Er sollte Tusks Geheimwaffe sein, aber die Bauern haben ihn wiederholt ausgebuht. Sie wollen konkrete Lösungen, aber die hat Kołodziejczak nicht parat. Donald Tusk selbst hat sich rar gemacht: Statt mit den Bauern zu sprechen, fuhr er lieber Ski in den Dolomiten. Als er wiederkam aus dem Urlaub, hat er einen Agrargipfel einberufen, aber nur einige der Bauernverbände eingeladen. Diese Teilungstaktik haben die Bauern schnell durchschaut, und die Situation hat sich noch zugespitzt.

Provokationen und Teilungstaktik

Bisher verlaufen die Bauernproteste friedlich. Bei der großen Demo am Dienstag in Warschau mit einigen zehntausend Teilnehmern haben die Bauern die Traktoren zuhause gelassen. Es fehlte aber nicht an Provokationen. Auf der gesamten Strecke des Protests lagen auf dem Rasen Pflastersteine verstreut. Wer hat sie dort abgelegt? Auf diese Frage wird es wohl keine Antwort geben. Jemandem liegt aber sehr daran, dass die Proteste in Gewalt ausarten. Immer wieder tauchen auch Transparente auf mit pro-russischem Inhalt, und Aufrufen, die EU zu verlassen oder die Grenze zur Ukraine dichtzumachen. Die Bauern distanzieren sich davon, aber es wir immer wieder von der Regierung zum Anlass genommen, sie als Extremisten und „Landesverräter“ zu bezeichnen. Damit die Transporte mit Militärgütern und humanitärer Hilfe die ukrainische Grenze problemlos passieren können, will Tusk die polnisch-ukrainischen Grenzübergänge in die Liste der „kritischen Infrastruktur“ aufnehmen, was ihnen einen besseren Schutz im Falle der Blockaden garantiert. Die Bauern befürchten Repressionen.

Dabei sind die Bauernproteste eine echte Bürgerbewegung, ohne klare Anführer, von den Bauern selbst organisiert. Die Landwirte sind eine Gruppe mit einer klaren Identität und Traditionen. Und ihre Protestaktionen treffen auf fruchtbaren Boden, denn Polen hat sich über die letzten zehn Jahre sehr verändert. Nicht nur der Wohlstand ist gewachsen, auch die Ansprüche der Menschen: Sie wollen über sich selbst bestimmen, aktiv sein. Laut Umfragen befürworten über 80 Prozent der Polen die Bauernproteste.

Wie es weitergeht? Donald Tusk hat eine schwierige Aufgabe vor sich: er gilt als liberaler, europafreundlicher Politiker, und die Erwartung an ihn ist von Seiten Brüssels groß, dass er anders regiert als seine Vorgänger von der Partei Recht und Gerechtigkeit, die europakritisch war. Die Wählerschaft der Bürgerplattform, die städtische Elite Polens, kann mit den Forderungen der Bauern wenig anfangen, gleichzeitig hat Tusk Koalitionspartner wie die Bauernpartei, die auf diese ländliche Wählerschaft angewiesen sind. Er kann nicht alle glücklich machen – die ukrainischen Partner, Brüssel, seine eigenen Wähler, die Koalitionspartner und gleichzeitig die Bauern.

Das bedeutet, es wird weiter kriseln in der Regierung, die insgesamt aus neun Parteien besteht, und seit gerade mal etwas über 70 Tagen im Amt ist. Sie ist zusammengekommen gegen die Recht und Gerechtigkeit, und das ist es, was sie zusammenhält. Aber wie lange noch? Neben den Bauernprotesten wächst auch andernorts die Unzufriedenheit. Die Tusk-Regierung will große Investitionen einstellen, wie den geplanten Zentralflughafen, dagegen laufen Bürgerinitiativen Sturm. Es verkompliziert sich in Polen. Und das noch nicht einmal drei Monate nach der Wahl.

 

Aleksandra Rybińska ist Politologin, Redakteurin der Internetzeitschrift „Nowa Konfederacja“, Publizistin des Portals „wPolityce.pl“ und des Wochenmagazins „wSieci“ sowie Vorstandsmitglied der Maciej Rybiński Stiftung.

Foto: Imago

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Leserpost

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A. Ostrovsky / 04.03.2024

Ich muss nur das Bild zum Artikel ansehen und dann kann ich lachen. Die Bauern in Polen haben das Mittelalter, die Fürstenherrschaft, noch nicht “aufgearbeitet”. Was soll da werden? Sie lassen sich immer noch von ihrem Fürsten gegen die Bauern des Nachbarfürsten in den Krieg jagen.  Nein, das ist ja falsch. Damals gab es ein Problem, dass nur der Erstgeborene den Hof erbt, dass aber die Frauen, wie heute im Hause des Islam, nach dem ersten Sohn erstmal richtig zur Leistung hochgefahren sind. Dadurch war der ständige Streit vorgezeichnet. (Eine Ausnahme waren die Sachsen, die haben mal das Reich geteilt. Die sagten, Sachsen ist so ein reiches Land, und Schwupp war der Führungsanspruch weg. Die reichen Albertiner in Dresden waren dann der ständige Hassgrund für die Ernestiner. Die mussten dann zu den Engländern, um zur vollen Größe zu kommen. Und dann haben sie zwei Weltkriege geführt und die neidischen Ernestiner haben den Albertinern ohne Grund das Porzellan völlig zerschlagen. Man darf aber darüber nicht reden). Die Idee war dann die, dass der gute Fürst sich mit dem guten Nachbarfürst verständigt hat, dass man mal einen Krieg macht, damit die nicht-erbberechtigten Söhne der Bauern ruhig gestellt werden, so 50 bis 100cm unterhalb des Rasens. Frieden musste erkämpft werden. Es gab aber auch die Idee, dass man die ältesten Söhne beseitigt, damit die jüngeren nachrücken konnten. Das war in der Macht des Landvogtes. Seine Söhne überall im Lande waren oft nicht erbberechtigt. Da trafen sich die Interessen. Solange es um den Frieden ging, war Krieg sehr heilsam, wie eine Badekur, so sagt man bei uns.

Lutz Herrmann / 04.03.2024

Der ganze Artikel strotzt vor Unglaublichkeiten, die die politische Klasse der EU schlecht aussehen lassen. Aber an was stört sich der kontextfrei lesende Leserkommentator? Am einzigen Satz, in dem Russland erwähnt wird. Das ist jetzt das neue Sehnsuchtsland, echt jetzt?

A. Ostrovsky / 04.03.2024

>>Die Bahn fährt nicht wegen des nächsten Lokführerstreiks, die Lufthansa fliegt nicht wegen des streikenden Bodenpersonals und vielerorts fährt wegen Warnstreiks auch der Nahverkehr nicht.<< ## Absolut lächerlich. Ich bestreike seit vier Jahren die sogenannten öffentlichen Verkehrsmittel und keiner merkt es. Die sollen sich nicht so viel einbilden. Die sind alle miteinander so unwichtig wie ich. Sie alle sind aktive Teilnehmer eine untergehenden Parasitensystems, das die Menschenrechte geschliffen hat. Hölle Hölle Hölle Hölle.

Bernhard Piosczyk / 04.03.2024

Freie Bauern gab’s in Polen zwischen 1945 bis 1989. Dies ist keine Ironie.

Thomas Taterka / 04.03.2024

Welchen Sinn hat eigentlich der Unabhängigkeitskrieg einer Nation , wenn ausländische Investoren dort Agrarland kaufen können und das Nachbarland mit dem Export von Agrarprodukten in Bedrängnis bringen ? Außer nachhaltig Unfrieden “stiften ” zu wollen , zum eigenen Nutzen ( ??? )

Tom Walter / 04.03.2024

“Tatsächlich ist auch Russland schuld: das Land ist der der größte Weizenexporteur der Welt und hat massenhaft exportiert in den letzten zwei Jahren, von Sanktionen völlig unbehelligt, was zu einem Rückgang der Getreidepreise an den Weltbörsen geführt hat.” Immer wieder: Der Russe ist schuld. Nun sollen also Sanktionen gegen den Export von Lebensmitteln her? Das ist doch völlig irre!

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