Beim Einsteigen in Frankfurt begann bereits das Abenteuer. Der Flieger war ausgebucht, zwei Drittel davon Kubaner. Dicht an dicht standen sie vor dem Schalter am Gate. Sie hatten wenigstens das Doppelte an Handgepäck mitgenommen, als die hartherzigen Betreiber von Condor ihnen zugestehen wollten, dabei hatten sie sich doch nur so verhalten, wie aus ihrer Heimat gewöhnt. Auch beim Einsteigen kein einziges Zentimeterchen Abstand. Mehrere Durchsagen blieben wirkungslos. Allerdings kamen etliche Kubaner aus Italien, da konnte ich ihr Verhalten doppelt gut verstehen.
Im Flieger wollte ich noch eine Kleinigkeit für Freunde kaufen, auch ich hatte mein Handgepäck ausgereizt. Dazu musste ich von ganz vorn nach ganz hinten wandern, gut für meine Beine bei 10 Stunden in der Luft. Ganz hinten standen sicherlich ein Dutzend Kubaner zusammen. Ich fürchtete schon, der Flieger würde wegen Gewichtsverlagerung abschmieren. Indessen kauften die Kubaner nichts, sondern tranken ihr letztes deutsches Bierchen und tauschten sich über ihre Corona-Zeiten in Europa aus. Die Flugbegleiter hatten schwerstes Verständnis.
Zuvor hatte ein Flugbegleiter „kein Unterhaltungsprogramm“ angekündigt. Wegen Corona hätte Condor nicht die Lizenzen dafür einkaufen können. Wahrscheinlich war das Condor-Auto mit dem Geld für die Lizenzen auf dem Weg von Frankfurt nach München an der bayrischen Grenze positiv getestet worden.
Wenn positiv, kommt rasend schnell der Krankenwagen
In Varadero war die Ankunft bestens organisiert, ohne Hintergedanken. In der großen Einreisehalle wurde die Temperatur gemessen und hinter Stellwänden der Nasenabstrich genommen. Zwei Tage zuvor war in Deutschland der Test durch einen Rachenabstrich erfolgt, bei dem ich mich beinahe hatte übergeben müssen, hier musste ich nur niesen, was mir die Krankenschwestern aber nicht negativ auslegten. Überhaupt Krankenschwestern! Alle Flughafenmitarbeiter waren reinweiß gekleidet, auch die reichlichen Helfer am Transportband wirkten wie gestandene Mediziner.
Kuba weist kaum Arbeitslose aus, und diejenigen, die gern arbeitslos wären, würden sich dafür deutsche Bedingungen wünschen. Um an die Testergebnisse zu gelangen, teilte uns eine Krankenschwester zwei Möglichkeiten mit: Sollte er positiv sein, würde rasend schnell ein Krankenwagen vor unserer Tür in Havanna stehen, um uns in ein Quarantänekrankenhaus zu bringen. Sollte er negativ sein, würden wir innerhalb von zwei Tagen keinen Anruf erhalten.
Warum keinen Anruf? Fast alle Kubaner haben zwar ein privates Handy, da jedoch Kuba die weltweit höchsten Handygebühren aufweist, wird niemand dieses für den Staat nutzen, und der Staat stellt ihnen aus gutem Grund auch keine Dienst-Handys zur Verfügung, denn diese würden nur privat genutzt werden. Wer einmal Kubaner beim Telefonieren beobachtet hat, kann Italiener glatt vergessen.
Also zwei Tage aus dem Fenster nach einem Krankenwagen Ausschau halten und warten, dass das Handy nicht klingelt. Blödsinn? Durchaus nicht, schließlich ist es sogar den Kubanern gelungen, sich daran zu gewöhnen.
Nach sieben Tagen Quarantäne wieder frei
In Varadero hatten wir einen Informationszettel erhalten, mit dem Hinweis, uns nach fünf Tagen bei unserem Familienarzt zu melden. Wir riefen an: „Sie müssen zwei Wochen in Quarantäne gehen. Ich komme gleich, um Sie zu untersuchen.“ Untersuchung eines Familienarztes bedeutet in Kuba standardmäßig Blutdruck, Temperatur und Abhören. Da ich nur 70 Prozent Lungenkapazität habe, rauchte ich zum Training erst mal eine Zigarre und genehmigte mir zur Beruhigung ein Gläschen Rum. Der Familienarzt kam nicht. Wir riefen das Gesundheitsministerium an: „Alles Quatsch, was der Familienarzt gesagt hat. Sofort in die Poliklinik fahren und einen Corona-Test machen lassen!“
Dort warteten für unterschiedliche Behandlungen bereits über 100 Bedürftige. Wir waren jedoch annonciert, also man kann sagen, was man will, aber die Weitergabe der Personalien von Ausländern funktioniert in Kuba. In einem fensterlosen Raum, der locker auch als Müllkippe hätte durchgehen können, wieder ein Nasenabstrich, meine Nase hatte sich daran gewöhnt. Wann Ergebnis? Wie üblich, nach 48 Stunden entweder ein Krankenwagen oder kein Anruf. Das ist genial! Darauf muss man erst einmal kommen! Kein Krankenwagen, kein Anruf, nach sieben Tagen Quarantäne waren wir frei, sofort stürzte ich mich ins Geschäftsleben.
Havanna war so wie immer, und doch anders geworden. Neu zuerst die Dollar-Geschäfte. Vor jedem Menschenschlangen, kurze circa 50 Personen (bei Elektronik), lange circa 400 (bei Lebensmitteln). Am Beginn der Schlange werden von einem Polizisten, wenn die knapp sind, auch von einer staatlichen Amtsperson, die Personalausweise gescannt (um doppeltes Anstellen an einem Tag zu verhindern) und eine Wartenummer ausgegeben. So die Regel, wenn Abweichungen auftreten, nutzen die findigen Kubaner diese sofort, der Ausländer schaut erst einmal blöd aus der Wäsche.
Anstehen für tiefgefrorene Hühnerteile und Sojaöl
Für die zwei Millionen Einwohner Havannas hatte die Regierung in den zurückliegenden Jahren acht Einkaufszentren (Lebensmittel, Bekleidung, Schuhe, Elektronik, Hygiene und anderes) aufgebaut. Vier sind geschlossen (bis auf einige Elektronikgeschäfte für Dollar). Drei sind komplett auf Dollar umgestellt, eines ist bei kubanischer Währung geblieben. Diese Verknappung der Einkaufsmöglichkeiten, auch beispielsweise bei den reinen Peso-Geschäften, staatlichen Cafeterien oder Restaurants, ist ein weitsichtiger Trick der Regierung. Verknappung des Angebots gleich Konzentration darauf, und wenn nach einigen Stunden des Wartens ein Verkaufserfolg, hat die Regierung ihren Bürgern ein Moment des seligen Glückgefühls verschafft. Frau Merkel und Herr Söder sollten zum Erfahrungsaustausch schleunigst nach Kuba reisen. Ihr beide zusammen schafft das!
Vor den wenigen noch geöffneten Peso-Geschäften kaum Schlangen, wenn aber doch, dann gab es tiefgefrorene Hühnerteile oder Sojaöl, das reichte für die Schlangenbildung. Ich wollte mich um ein Paket Hühnerteile bewerben, indessen teilte mir der Kubaner vor mir freundlicherweise mit, dass er für diesen Tag die letzte Nummer erhalten hatte.
Überall war deutlich zu erkennen, dass die Kubaner sich disziplinierter als die Deutschen verhalten. Die Regierung muss nicht gegen Diskussionsorgien angehen, sowieso ist ihre Politik per se alternativlos, und in den 60 Jahren der Revolutionszeit hat die kommunistische Führung es geschafft, alle Probleme zu lösen, wenigstens die wesentlichen, auch die Kubaner hat sie dabei „geschafft“, wie an ihrer Disziplin unschwer zu erkennen war. Im Rückblick kam mir noch eine weitere Parallele zu Deutschland in den Sinn. Der Spiegel scheint sich die kubanische Regierungszeitung „Granma“ zum Vorbild genommen zu haben. Wie hier ist auch er ein Mitteilungsorgan der Regierung geworden, komme, was da will.
Herr Lauterbach würde glatt zu einem Kubaner mutieren
Im Kiosk meiner Straße gab es Butter, erstmalig seit sechs Monaten und nur 50 Menschen davor, eine echte Überraschung. Alle Wartenden freuten sich. In Havanna gibt es zwei staatliche Kioskketten, in denen früher Getränke und frittierte Hühnerteile verkauft wurden. Jetzt steht gelegentlich eine Flasche Wasser auf dem Tresen, die den Kubanern signalisiert: Hier gibt es Wasser. Die Kubaner sind optimistisch gestimmt. „Oh, es gibt noch Wasser!“ Nicht so missliebig wie die Deutschen, die die Gnade, welche ihnen von den Regierenden entgegengebracht wird, nicht zu schätzen wissen.
Die Dollar-Geschäfte führen ähnliche Produkte wie vor einem Jahr, als sie noch mit kubanischem Geld bezahlt werden konnten. Das hat die Regierung recht klug geregelt, denn dies hat den Vorteil, dass sich die Kubaner nicht umstellen müssen, zudem entgehen sie damit der Gefahr, von der westlichen Unübersichtlichkeit desorientiert zu werden, abgesehen von der dafür erforderlichen Währung der imperialistischen Hauptmacht. Kaffee, Milch, Softgetränke, Zucker und trinkbares Bier habe ich noch nicht gesehen, was ebenso für die Weitsichtigkeit der Regierung spricht, denn damit werden die von diesen Produkten ausgehenden gesundheitlichen Gefahren deutlich vermindert. Herr Lauterbach würde glatt zu einem Kubaner mutieren.
Vor den Geschäften mit Bekleidung und Schuhen bauen sich nur selten Menschen zu Schlangen auf. Das muss ja auch nicht überall sein, ein etwas ausgedünntes Sortiment regelt dies. Häufig ist die Länge der Schlangen nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Sie winden sich um die Häuser herum, aber nicht in einer Reihe, manche Menschen bevorzugen, im Schatten zu stehen, andere sitzen geruhsam auf den Bordsteinen und wiederum andere lehnen lässig an den Häuserwänden. Man muss schon etwas wandern, um zum Ende zu gelangen. Das wird zu einem erhabenen Moment, denn wann wird einem Ausländer die Möglichkeit gegeben, so viele Farben, Alter, Kleidung und Gewichtsklassen bewundern können? In Kuba ist das Leben zu seinem Ursprung zurückgekehrt, der Suche nach Lebensmitteln.
Früher war Havanna voll von Taxen, staatliche und private, jetzt sind kaum welche zu sehen, auch dies sollte bitte nicht negativ bewertet werden, denn durch die Abwesenheit zahlreicher der 70 Jahre alten US-Schlitten und die der 40-jährigen russischen Ladas ist die Luft in Havanna deutlich gesünder geworden. Mir fällt dabei ein heimlicher Ruf ein: Robert Habeck, wo bist Du?
Vor Corona waren in Havanna Polizeiwagen allgegenwärtig, in Corona-Zeiten sind sie allallgegenwärtig, aber mit zwei Unterschieden. Vorher fuhren sie die russischen Oldtimerladas, sofern man gewillt ist, einen Lada als Auto anzusehen. In Corona-Zeiten hat die Regierung tief in die Tasche gegriffen und ihrer Polizei nagelneue Peugeots und Hyundais spendiert, womit alle westlichen Behauptungen widerlegt sein dürften, die kubanische Regierung investiere nicht. Früher saßen darin jeweils zwei Polizisten, jetzt ist noch ein Armeesoldat hinzugekommen. Auch in Kuba hilft die Armee, Corona zu besiegen, weil „Sieg“ dem Sozialismus systemimmanent ist.
Die kubanische Regierung hat sich kein Beispiel an der deutschen genommen und die Märkte nicht mit Geld geflutet. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind alle Produkte in den Geschäften, ob Bekleidung, Schuhe, Hygieneartikel, Elektronik oder Lebensmittel, importiert. Kein weiterer Peso hätte zusätzliche Produkte in die Geschäfte gebracht, und die Dollarzuflüsse kommen nur aus privaten Quellen, sind also diskontinuierlich. Deshalb entsprechen die Preise denen in westlichen Staaten, mit geringfügigem Aufschlag, dessen Höhe hier mitzuteilen, unfair wäre, weil damit nur dem Klassenfeind Vorschub geleistet werden würde, was uns in Deutschland bei zahlreichen politischen Ereignissen und kriminellen Taten nicht unbekannt ist.
Gemüse, Obst oder Salat sind nur auf privaten Bauernmärkten zu erwerben. Da die Bauern in Corona-Zeiten zusätzlichen Aufwand zu verkraften haben, sind dort die Preise gestiegen, aber recht moderat, etwa zwischen 50 und 300 Prozent. Zu vermuten, dass dahinter die Wirksamkeit von Angebot und Nachfrage stehe, wäre eine üble Verleumdung. Die Rabulistik von Herr Altmaier scheint sich daran ein Beispiel genommen zu haben.
Kuba ist ein Rechtsstaat, auch ohne Käse
Vor einem Jahr tauchten in den privaten Restaurants von Havanna grandiose Käseplatten auf, nicht mit importiertem, sondern mit Käse kubanischer Produktion, darunter einem der besten Parmesan-Käse außerhalb Italiens, den ich je probiert habe. Kürzlich wurde in den Nachrichten die für kubanische Verhältnisse hochmoderne Fabrik gezeigt. Gerüchten zufolge soll sie genau so viel Käse produziert haben wie alle anderen kubanischen Käsefabriken zusammen.
Es gab jedoch drei Probleme: Erstens hatte diese Käserei einen Privatbesitzer, der nun in einem festen Gebäude untergebracht ist, weil er zweitens keine staatliche Genehmigung hatte, so dass die Fabrik jetzt geschlossen ist, und drittens soll die Milch aus dunklen Quellen gestammt haben. Letzteres erschließt sich mir nicht ganz. Reinweiße Milch soll aus dunklen Kanälen stammen? Die Käseplatten sind verschwunden, aber die Restaurantbesitzer sind nicht betrübt, schließlich hat sich erwiesen, dass Kuba ein Rechtsstaat ist, auch ohne Käse.
Zuletzt für Kubareisende ein zweckdienlicher Hinweis, den ich meinem kubanischen Beifahrer zu verdanken habe. Gelegentlich weisen einige Straße geringfügig tiefe Löcher auf. Mein Bekannter warnte mich: „Klaus, fahre vorsichtig um diese Löcher herum, es könnte sein, dass in ihnen schon jemand wohnt.“ Der kubanische Humor kommt unerwartet und er trifft.