Warum die Demokratie an ihre Grenzen kommt

Ihrem Selbstverständnis nach ist die Demokratie eine sich „von unten“ legitimierende Herrschaftsform, welche Freiheit und Gleichheit der Bürger sichert. Doch auch die Demokratie kann in Unfreiheit umschlagen.

Die Tauglichkeit von Begriffen erweist sich an den darin erfassten Phänomenen sowie an den zeitlichen Umständen. Einer davon ist „Freiheit“, der Titel des mit Unterstützung von Barack Obama vertriebenen und mutmaßlich von den vielen Käufern (sc. -innen, m/w/d) kaum gelesenen Memoiren-Bestsellers von Angela Merkel.  

Etwas aus der Mode gekommen ist der Begriff „Totalitarismus“. Im Kalten Krieg diente er dazu, den demokratischen Westen unter Führung der USA abzugrenzen von der kommunistischen Weltmacht Sowjetunion und ihren Satrapien. Zu erinnern ist an ältere Beispiele für totalitäre Herrschaftsformen wie Savonarolas Regime in Florenz oder das Reich der Wiedertäufer in Münster. Für die – im „Gemeinwillen“ Rousseaus verwurzelte – Jakobiner-Diktatur prägte der Historiker Jacob  L. Talmon den Begriff „totalitäre Demokratie“.

„Totalitarismus“ bedeutet die „totale“ Unterwerfung einer Gesellschaft unter den Machtapparat des Staates sowie die „totale“ Durchdringung der Gesellschaft mit der Ideologie der Machthaber. Die Ideologisierung der Gesellschaft geschieht durch Mobilisierung der „Massen“, durch die Medien, nicht zuletzt durch „Volkserziehung“. Durch Indoktrination der Jungen soll das System der Unfreiheit auf Dauer gestellt werden. Zwang und Bereitschaft zur Unterwerfung ergänzen sich. 

Freie Meinung mit Konsequenzen

Ihrem Selbstverständnis nach ist die Demokratie (heute meist mit Attribut „liberale Demokratie“) eine – gemäß dem einst dem Gottesgnadentum entgegengesetzten Prinzip der Volkssouveränität – sich „von unten“ legitimierende Herrschaftsform, welche im staatlich umgrenzten Raum Freiheit und Gleichheit der Bürger sichert. Dass auch diese Herrschaftsform in Unfreiheit – in die „Tyrannei der Mehrheit“ – umschlagen kann, wenn der Konformismus der Mehrheit die Freiheiten erstickt, erkannte Alexis de Tocqueville bei seinem Aufenthalt in den USA. Allerdings sichert in den USA der erste Zusatzartikel zur Verfassung das uneingeschränkte Recht auf freedom of speech. Mit seiner spezifischen, mit Invektiven („Schmährede“, Anm. d. Red.) gegen all seine Gegner, zuletzt gegen Kamala Harrisgespickten Rhetorik gelang Donald Trump sein zweiter Wahlsieg. 

In der Bundesrepublik stößt demgegenüber das Recht auf Redefreiheit (Art. 5 GG: „das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“) auf immer engere Grenzen. Klassisch wirkt diesbezüglich der Spruch der Ex-Bundeskanzlerin Merkel, jeder könne seine Meinung frei äußern, er müsse dann aber auch mit Konsequenzen rechnen.  

„Auch unterhalb ihrer strafrechtlichen Grenzen von Belang“

In der Tat: Wer heute – in Wahrnehmung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung – kundtut, dass im Gewand der liberalen Demokratie allerlei Löcher zu entdecken sind, findet meist nur in seiner Internetbubble Resonanz. Wer zu laut wird – oder mit seiner Polemik die empfindsame Seele eines Politikers (m/w/d) trifft, kann in Teufels Küche kommen.

Im Kampf gegen „rechts“, das heißt gegen hauptsächlich aus dem Umfeld der in der Ära Merkel geborenen AfD kommende verbale Angriffe auf die etablierte Politik, befand der soeben vom Amt als oberster Verfassungsschützer in die Politik gewechselte Thomas Haldenwang, dass Meinungsäußerungen „auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität (sic!) (...) verfassungsschutzrechtlich von Belang sein“ können. Von verfassungsschutzrechtlicher Relevanz seien Meinungsäußerungen, die auf die „Delegitimierung staatlichen Handelns“ zielten.

In der politischen Praxis reicht die Indikation von seiten des Verfassungsschutzes zur Abwehr der „Delegitimation staatlichen Handelns“ nicht mehr aus. Sonst hartgesottene Politiker und -innen, die sich in ihrem „staatlichen Handeln“ angegriffen fühlen, bemühen die Justiz. Wirtschaftsminister Robert Habeck sah sich auf der Plattform „X“ durch die Bezeichnung „Schwachkopf Professional“ beleidigt. Nach seinem Strafantrag verordnete das Amtsgericht Bamberg bei dem angezeigten Rentner eine Hausdurchsuchung. Sodann verhängte das Amtsgericht Düsseldorf gegen eine von 1.600 Euro Monatsrente lebende 74-jährige Frau, die Habeck wegen seiner grünen Migrationspolitik attackiert hatte, eine Strafe von 150 Tagessätzen zu 53 Euro (Achgut berichtete). Das Urteil verknüpfte der Richter mit einer politischen Belehrung über die Migrationspolitik. Jüngst kam es auch auf Anzeige der  CSU-Politikern Dorothee Bär bei einem anderen Mann in Bayern zur Hausdurchsuchung, weil er die Bundestagsabgeordnete auf „X“ als „hirnlosen Krapfen“ tituliert hatte. 

Zum Schluss noch eine Episode aus der Hauptstadt. Laut Polizeimeldung Charlottenburg-Wilmersdorf Nr. 2388 vom 21. November 2024 machte im Bus der Linie 110 eine 59-jährige Frau gegenüber ihrem Begleiter homophobe Bemerkungen. Als eine 31-jährige Frau ihr Gegenüber per Videoaufnahme zu filmen begann, kam es zu einer mit Beleidigungen angereicherten Auseinandersetzung. Die alarmierte Polizei nahm die 59-jährige auf ihrem weiteren Weg fest, notierte die Personalien und veranlasste beim Polizeilichen Staatsschutz des Landeskriminalamts Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Immerhin wurden auch Ermittlungen wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gegen die 31-Jährige aufgenommen.

 

Herbert Ammon, geb. 1943 in Brieg (Schlesien), ist ein deutscher Publizist, Historiker, Studienrat a.D. Er engagierte sich in den 1980ern in der damaligen Friedensbewegung, u.a. als Repräsentant des „Offenen Briefes“ des DDR-Regimekritikers Robert Havemann an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew. 1981 zusammen mit Peter Brandt Herausgeber des Buches „Die Linke und die nationale Frage“. Mitgründer und Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa.

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Stefan Riedel / 22.12.2024

„Totalitarismus“ bedeutet die „totale“ Unterwerfung einer Gesellschaft unter den Machtapparat des Staates…” Was bedeutet Staat? Parteien, Machthaber, Oligarchen, selbsternannte Eliten, Filz und Korruption, …? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt?

R. Reiger / 22.12.2024

Totalitarismus: Wenn die Besten Leute flüchten, entweder weg von hier oder in die innere Emigration, fährt die Wirtschaft in die Kiste! !! Da können wir gerade zuschauen, nicht nur bei VW (die nur in D abbauen) sondern bei der Wirtschaft allgemein. Und dagegen kann auch kein (Wirtschafts ? -) Minister, kein Politiker und dann auch kein Richter mehr was machen. Punkt. So schaut es aus, das Endspiel in Deutschland und Europa gegen der Rest der Welt. Nachbemerkung: Es ist schon seltsam, dass ein »Wirtschaftsminister« für den Niedergang einer Volkswirtschaft zuständig ist und nicht für deren Entwicklung in eine gute Zukunft und gesicherten, vermehrten Wohlstand; vielleicht ist das so, weil der Wirtschaftsminister ein »Guter« ist, der noch lernt. Darum heißt dieser Totalitarismus auch der »Totalitarismus der Guten«.

maciste rufus / 22.12.2024

maciste grüßt euch. demokratie ist eine staatsform und kein gesellschaftspolitisches system. sowohl der demos, als auch die herrschaft können sehr unterschiedlich definiert sein, und waren es in der geschichte auch. das ständige gerede von dem, was demokratie denn eigentlich inhaltlich sei, geht vollkommen in die leere. nur “blut und eisen” verändern die welt. rüstet euch und handelt entsprechend. battle on.

gerhard giesemann / 22.12.2024

Mehrheit ist Mehrheit und die Mehrheit ist eher minderbemittelt.

Wolfgang Richter / 22.12.2024

“Klassisch wirkt diesbezüglich der Spruch der Ex-Bundeskanzlerin Merkel, jeder könne seine Meinung frei äußern, er müsse dann aber auch mit Konsequenzen rechnen. ” Entspricht aber nicht ihren “Urheberrecht”, sondern ist geklaut beim ehemals mordenden Despoten der Ugander namens Idi Amin mit der Psychomacke, angeblich auch vor Kannibalismus nicht zurückzuschrecken. Wer bei solchen Kandidaten kopiert, muß mit der Unterstellung leben, aus der “selben politischen Kinderstube” zu kommen.

Wolfgang Richter / 22.12.2024

Bei der russischen Oktoberrevolution hatten die Bolschewiki meines Wissens auch nur eine Minderheitenstellung, haben ihre Vorstellung von dem, wie es zu laufen hat, aber rigoros umgesetzt. Die linksgrünen hierzulande sind auf dem selben Weg unterwegs, auch dank der Deppen mit ihrer “Brandmauer”.

Angelika Meier / 22.12.2024

In meinem Augen ist Demokratietheorie komplett tot. Früher habe ich auch das geglaubt, von der Rückkopplung der Politiker an die Wähler: Wenn die Wähler unzufrieden sind, wählen sie beim nächsten Mal etwas anderes. Aber das funktioniert in der BRD nicht. In Italien scheint es - von außen betrachtet - zu funktionieren. Aber Italien hängt komplett am Geldtopf der EU. Italien ist in der Realität sowas von unsouverän. So gesehen ändern auch dort Wahlen wenig. Bei vielen Ländern dürfte es auch keine Rolle spielen, wen die Wähler wählen. Weil einfach ausländische Mächte viel stärker sind als jede inländische Macht. (Aktuelles Beispiel Rumänien). Momentan sehe ich eher an eine globale Top-Down-Theorie: Die USA und China sind im globalen Machtkampf und alle Länder der Welt müssen sich irgendwie dazu stellen. Und natürlich versuchen die, aber auch kleinere Spieler, Wahlen in anderen Ländern zu beeinflussen.

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