Erik Lommatzsch, Gastautor / 26.03.2021 / 16:00 / Foto: Tomaschoff / 18 / Seite ausdrucken

Von der Kunst, ein Ladekabel zu kaufen

Sehr später Freitagabend, Bettgehzeit. Ein Blick auf mein Handy (technikunaffin benutze ich den Begriff durchgängig für mein Wie-auch-immer-Phone) zeigt, dass das Gerät kaum noch geladen ist. Also schnell an die Steckdose damit. Ein weiterer, wenig später erfolgender Blick offenbart: Irgendetwas mit dem Energiefluss funktioniert nicht, die zur Verfügung stehenden Reserven werden immer geringer. Verflixt. Das Problem lässt sich auch für den Laien schnell ausmachen. Das Ladekabel war schon länger arg angeknabbert, nun ist es wohl gebrochen und unbrauchbar. Inzwischen ist die Anzeige bei 0 Prozent und begleitet von einem kurzen, leisen Summen erschwarzt das Display.

Da in der Reservekiste Ebbe herrscht, ist der – natürliche – nächste Gedanke der des käuflichen Erwerbs eines entsprechenden Kabels. Ich brauche das Handy, verflixt nochmal. Die Abhängigkeit von diesem Dings wird einem in dem Moment nicht nur theoretisch bewusst und da sind auch noch die ganzen Daten und Nummern, eingespeichert, ja, die Profis wissen, wie man die trotzdem einsehen kann, ich weiß es gerade nicht. Und ja, man hätte da wohl auch anderweitig sichern oder kopieren können … hätte, hätte, das nützt mir alles gerade nichts. Ein funktionierendes Kabel sollte also möglichst schnell wieder in meinen Besitz gelangen. Eigentlich kein Thema, ein Problem schon gar nicht. Eigentlich. Vor einem reichlichen Jahr wäre die Geschichte hier zu Ende gewesen, oder besser: Es wäre gar keine Geschichte geworden.

Die QR-Grenze passieren

Morgen, gleich am Vormittag einen entsprechenden Händler aufsuchen? Immerhin lebe ich in einer Großstadt, fast im Zentrum, also nichts, worüber man länger nachdenken müsste. Wären da eben nicht die von mir bisher unerprobten Zugangsschwellen (ich weiß, die dienen alle zu meinem und der Menschheit Schutz) zu einer Vielzahl von systemunrelevanten Geschäften. Was sagt denn das weltweite Netz in puncto Kauf? Myriaden von Angeboten, frühester Liefertermin wäre allerdings – es ist inzwischen nach Mitternacht und damit schon Sonnabend – unter normalen Zustellungs- und Portobedingungen Mittwoch. Zu spät. Also doch die Variante Händler vor Ort. Gut, zumal man da ja unterstützend wirken soll.

Ein großer Kettenladen in einem „Center“, der früher, aber eben sehr einprägsam, immer mal erklärte, dass dort Leute einkaufen, die doch nicht blöd sind, hat das Objekt meiner momentanen Sehnsucht, das Handyladekabel, totsicher im Sortiment. Der erste Kunde möchte ich sein, kurz vor der Öffnungszeit bin ich vor den Toren. Mit etwa vierzig anderen ersten Kunden. Ein Angestellter wacht. Schon jetzt nicht mehr ganz entspannt, muss er wohl fast allen die gleiche Frage beantworten. Den neben ihm an der Wand befindlichen QR-Code möge man scannen (nur Idioten können den übersehen), dann warten, dann erfolge der Einlass, einzeln. Scannen? Nun ja. Ich trage mein Problem vor, zum Beweis zeigte ich mein schlummerndes Handy und das ramponierte Kabel.

Offenbar bin ich nicht der einzige QR-Code-Unfähige. Ich werde zu einer kleinen Gruppe dirigiert, einem älteren Paar und einem ebenfalls nicht mehr ganz jugendlichen Herrn, mit dem Bescheid, es käme dann gleich jemand, Zusatz: „Hoffentlich.“ Nach geraumer Zeit, in der man zusehen kann, wie die Scangruppe zwar auch geduldig sein muss, aber nach und nach eingelassen wird und nach einer weiteren Nachfrage kommt tatsächlich jemand. Jemand, der einen Laptop mitbringt, vor dem älteren Paar auf einer Art Partystehtisch abstellt, aufklappt und – sichtlich deren Kaufpotenzial abschätzend – bekanntgibt, sie sollten sich über die Homepage des Ich-bin-doch-nicht blöd-Marktes anmelden und dann einloggen, irgendwas geht an die E-Mail, Kennwort ... Ebenso ersichtlich – aber da ist der Mitarbeiter schon wieder verschwunden – wissen die beiden nicht, was sie tun sollen. Ich hätte es übrigens auch nicht so recht gewusst.

Ich habe es geschafft, ein Ladekabel käuflich zu erwerben!

Die Einlassangestellten haben sich inzwischen vermehrt. Da nicht mehr alle mit der Dauererläuterung („QR-Code scannen …“) beschäftigt sind, frage ich den Herrn von vorhin – ich bin inzwischen in terminlicher Bedrängnis, zugleich muss ich dringend mein Handy wieder zum Sprechen bringen – ob er mir nicht einfach ein solches Kabel aus dem Markt holen könne, was ich dann – vortürig – bei ihm erwerben würde. Hm, seltsames Anliegen. Immerhin verweist er mich nun an den „Service“, eine Theke, die sich, etwas entfernt und glücklicherweise ebenfalls vortürig, also vor der QR-Grenze befindet.

Das Glück ist weiter mit mir, eine Angestellte nur für mich. Und abermals eine Glückssteigerung: Nach der Erläuterung der Notlage (ja, ich halte das Wort „Notlage“ für angemessen) meinerseits und Einlassungen wie „aber nur ausnahmsweise“ verschwindet die Frau tatsächlich via Hintertür in den Tiefen des Elektro-Paradieses und taucht nach einer Weile mit einer kleinen Ladekabelauswahl wieder auf. Ich erwerbe das passende Produkt und bin meiner Helferin, ohne die ich zwar kein lebensbedrohliches, aber doch erhebliches Problem gehabt hätte, aufrichtig dankbar. Ich möchte ihr auch gern zulächeln, muss es aber (weil ich zu meinem und der Menschheit Schutz teilgesichtsverhüllt bin), bei der Verbalisierung belassen.

Befriedigende, unglaublich erleichterte Entspannung, Erfolgserlebnis. Es ist mir gelungen, im März 2021 an einem Sonnabendvormittag in einer deutschen Großstadt ein Ladekabel für ein gängiges Handymodell, ein Massenartikel im einstelligen Eurobereich, käuflich zu erwerben. Die neue Normalität.

P.S.: Ob die zeitweise mit mir wartenden, ebenfalls QR-Unfähigen an diesem Tag die Verkaufsfläche noch betreten haben oder, wie ich, ihr Erwerbsvorhaben auf einem Umweg umsetzen konnten, ist mir nicht bekannt.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Hans Reinhardt / 26.03.2021

Kann ich nicht mitreden: ich besitze weder Handy noch Smartphone oder wie immer man die Stradivari des nutzlosen Plunders auch nennen mag. Habe auch noch nie eines gebraucht, bin bisher in jedes Geschäft, welches zufälligerweise gerade mal nicht downgelockt war, eingelassen worden (nach meiner Maskenbefreiung frägt übrigens seit Monaten keiner mehr) und kann mir keine Situation vorstellen, in der ich jemals so einen Unfug benötigen könnte. Kein Smartphone, keine Maske und ungeimpft, Mann, bin ich draußen.

Claudius Pappe / 26.03.2021

Menschen die helfen ! Versuchen sie mal online ein Auto abzumelden, und wenn es schief läuft, die Sache dann zu Ende zu bringen. Beamtenstaat-Termin am 15 April. Hat dann doch funktioniert, weil jemand, jemanden kennt der den Namen des Verantwortlichen kennt und den zur Schnecke macht. Natürlich unter Zuhilfenahme eines An/ Abmeldedienstes der dafür 30 Euro zusätzlich nimmt, denn Privatpersonen ist der Zugang ( auch in Notfällen) nicht gestattet…......................................könnte ja jeder kommen ( Kleinstadt)

Gabriele H. Schulze / 26.03.2021

Ein Hoch auf die kleinen obskuren Handy-Läden! Da wird man meistens fündig.

Thomas Taterka / 26.03.2021

Noch kann man über das Smartphone lachen , bald wird es ein lebenswichtiges Instrument sein . Nach der Bargeldabschaffung , die todsicher kommt , überlebensnotwendig.

RMPetersen / 26.03.2021

“Das ist die neue Normalität.” Was mir dazu einfällt: “Die zügellose Verleumdungskampagne, die derzeit, international koordiniert, gegen UNS geführt wird, zielt darauf ab, Menschen zu verwirren und Zweifel in die Kraft und die Vorzüge des Sozialismus zu säen. Dies kann uns nur darin bestärken, auch in Zukunft alles zu tun für ein friedliches europäisches Haus. (...)” Schon früher mussten die Genossen Bürger und Bürgerinnen findig sein, um Alltagsartikel zu erwerben. Aus Bückware wird QR-Ware.

Bernd Ackermann / 26.03.2021

Kommt ein Mann in einen Blumenladen…nein, das wird jetzt kein Witz, vor kurzem habe ich ein Video bei Youtube gesehen, finde es leider nicht mehr. Er sagt zur Verkäuferin, dass er Blumen kaufen möchte (logisch, weil Blumenladen…) und sie antwortet, sie dürfe nur auf Vorbestellung Ware rausgeben. Er solle wieder vor die Tür gehen, sie von draußen anrufen, sagen was er möchte, wieder reinkommen und dann gibt sie ihm die Dinger. So etwas kann sich doch nur ein Politiker, der nicht in dieser Welt lebt, ausdenken. The inmates are running the asylum.

Johannes Schuster / 26.03.2021

Das ist ein Symptombericht ersten Ranges: Lötkolben kaufen oder rumfragen, wer noch alles kaputte Ladekabel hat und dann aus zwei mach eins. Belegung googlen und schon ist man wieder etwas gebildeter. Sorry, das machen in China Kinder und Jugendliche bauen Roboter. Deutschland: Lötest Du schon oder kaufst du noch ?

Uwe Wilken / 26.03.2021

War das im Blödmarkt in Trier? Ich wollte nur Kleinkram, aber Einlasskontrolle wie bein El Al-Flug nach TelAviv. 50m Schlangestehen, nein danke. Eine Etage höher beim Supermarkt:  Null Problemo! Kocht da jeder Laden sein eigenes Süppchen im vorauseilenden Gehorsam? Unser kleiner Eckladen lässt noch jeden rein. Natürlich nur mit Maultasche, sonst kriegen die Ärger (Der größte Lump in ganzen Land…)

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