Peter Hemmelrath / 19.12.2024 / 12:00 / Foto: Peter Hemmelrath / 26 / Seite ausdrucken

Vertuschung der Behörden im Fall Tarik S.?

Jähe Wendung im Prozess um Tarik S.: Ein bislang zurückgehaltenes Dokument lässt keine Zweifel daran, dass den NRW-Behörden bereits 2021 gerichtsfeste Erkenntnisse dazu vorlagen, dass der Deutsch-Ägypter auch weiterhin als Dschihadist „mit hohem Gewaltpotential" einzustufen sei.

Nur acht Tage nach dem in letzter Minute geplatzten Urteil wurde der Prozess gegen Tarik S. fortgesetzt (Achgut berichtete). Angekündigt war ein „kurzer Termin“, womit nur wenige Journalisten am Mittwoch den Weg in den Saal 201 des Duisburger Landgerichts fanden. Der angebliche Kurztermin aber hatte es in sich, denn ein bislang zurückgehaltenes und nun vom Kammervorsitzenden Mario Plein verlesenes Dokument lässt keine Zweifel daran, dass den nordrhein-westfälischen Behörden bereits 2021 gerichtsfeste Erkenntnisse dazu vorlagen, dass und warum der Deutsch-Ägypter auch weiterhin als Dschihadist „mit hohem Gewaltpotential" einzustufen sei.

Tarik S. war bereits vor mehr als zehn Jahren in der Bielefelder Salafisten-Szene und auch bei der Koran-Verteilungskampagne „Lies!“ aktiv. Zuvor fiel er bereits in der Schule durch Gewalt gegen Mitschüler auf. Sein Vater war Vorstandsmitglied einer in Bielefeld einschlägig bekannten Moschee. 2013 ging Tarik S. nach Syrien, um sich der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Dort leistete er Wach- sowie Polizeidienste und nahm auch an Gefechten teil. 2016 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde sofort verhaftet. Im Jahr darauf wurde er vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen IS-Mitgliedschaft zu fünf Jahren Jugendhaft verurteilt.

Nach seiner Haftentlassung im März 2021 nahm er am Aussteigerprogramm Islamismus (API) des nordrhein-westfälischen Innenministeriums teil. Nach Hinweisen des marokkanischen Geheimdienstes sowie des Bundeskriminalamts, er könne wieder Anschläge begehen, wurde er im Oktober 2023 erneut verhaftet. Als mögliche Anschlagsziele des 30-Jährigen wurden unter anderem die LGBTQ-Szene, die Islam-Kritiker Michael Stürzenberger und Irfan Peci sowie pro-israelische Kundgebungen genannt.

„Über Jihad und Kalifat referiert“

Der Prozess gegen ihn begann am 25. Juli 2024. Am 10. Dezember sollte nach der Verlesung des psychiatrischen Gutachtens sowie den Schlussvorträgen das Urteil gegen ihn verkündet werden. Aufgrund der dünnen Beweislage in Bezug auf die angeklagte Bereiterklärung zu einem Anschlag hatten sich Prozessbeobachter bereits auf einen Freispruch aus Mangel an Beweisen eingestellt. Wäre dies tatsächlich so gekommen, hätte die Justiz Tarik S. noch vor Weihnachten wieder auf freien Fuß setzen müssen. Dass die psychiatrische Sachverständige erst in der Schlussphase des Prozesses hinzugezogen wurde und ihr Gutachten am Tag der Urteilsverkündung verlesen sollte, legt die Vermutung nahe, dass Gericht und andere Prozessbeteiligte diesem nur wenig Bedeutung beigemessen hatten.

Offenbar ein großer Irrtum, denn nachdem die Sachverständige kurz vor dem Termin ihr Gutachten vorgelegt hatte, waren sich alle Prozessbeteiligten sofort einig, das Urteil in den Januar zu verschieben und stattdessen eine ganze Reihe weiterer Sitzungstermine zu vergeben. Zum Inhalt des Gutachtens wurde jedoch kein einziges Wort gesagt. Damit wurde das psychiatrische Gutachten aber auch zu einer Art „Black Box“, von dessen Inhalt die Öffentlichkeit offenbar erst mal nichts erfahren soll.

Einen Vorgeschmack darauf gab dann aber ein Beschluss des Amtsgerichts Essen, den Mario Plein am Mittwoch verlas. Mit diesem Beschluss hatte das Amtsgericht im März 2021 angeordnet, dass sich Tarik S. nach seiner Haftentlassung nur im Stadtgebiet von Duisburg aufhalten darf und dabei eine Fußfessel tragen muss. Dies sei zur Gefahrenabwehr notwendig, befand das Gericht. Zu diesem Zeitpunkt war Tarik S. bereits Teilnehmer des API.

Zur Begründung verwies das Gericht unter anderem auf einen nachrichtendienstlichen Hinweis, Tarik S. könne mit einem Auftrag des IS nach Deutschland geschickt worden sein, hier einen Anschlag zu begehen. Auch habe er bereits 2016 in der Haft gegenüber Mithäftlingen „über Jihad und Kalifat referiert“ sowie Schließer als „Kuffar“, also „Ungläubige“, beschimpft. Mehrfach habe er angekündigt, nach seiner Haftentlassung nach Libyen gehen zu wollen, um dort zu „kämpfen“. Auch habe er sich in der Haft ein Handy beschafft, um mit anderen Personen der Gefährderszene zu kommunizieren.

Vortäuschen von Deradikalisierung

Von der Haftanstalt sei seine Gefährlichkeit vor seiner Entlassung an der „oberen Grenze“ des Risikobereichs angesiedelt worden. Auch sei ihm eine „hohe Gewaltaffinität“ attestiert worden. Mehrfach war in dem Beschluss die Rede davon, dass und warum seine gegenüber dem API dargelegte Deradikalisierungsbereitschaft anzuzweifeln sei. So sei eine tatsächliche Abkehr von der IS-Ideologie bei ihm „eindeutig nicht erkennbar“, lautete das Fazit.

Von einem Hinweis eines Nachrichtendienstes, Tarik S. könne in Deutschland einen Anschlag für den IS begehen wollen, war in dem Prozess bereits mehrfach die Rede. Allerdings wurde in diesem Kontext immer nur der Hinweis des marokkanischen Geheimdienstes aus dem Jahr 2023 erwähnt. Dass derlei Erkenntnisse bereits 2021 vorlagen, wurde bislang verschwiegen. Aber auch sonst wirft der mehr als drei Jahre alte Beschluss aus heutiger Perspektive betrachtet eine ganze Reihe von Fragen auf.

Etwa die, ob das API mit Tarik S. jahrelang einen IS-Anhänger betreut hat, wohl wissend, dass dieser auch weiterhin als überzeugter und gefährlicher Jihadist einzustufen ist. Oder die, ob zwischen den NRW-Behörden falsche Informationen zum Status von Tarik S. weitergegeben wurden. Denn Ermittler des polizeilichen Staatsschutzes hatten zu Beginn des Prozesses gegen Tarik S. mit Verweis auf dessen API-Teilnahme ausgesagt, er sei als „deradikalisiert“ eingestuft worden. Und deswegen sei er nur noch gelegentlich in seiner Wohnung besucht worden, um sich von seinem nunmehr geregelten Leben zu überzeugen.

Womit nun nicht weniger im Raum steht als die Frage, ob das Vortäuschen einer Deradikalisierungsabsicht und die damit verbundene API-Teilnahme in Nordrhein-Westfalen dazu führt, dass Jihadisten dann weniger beobachtet werden, was ihnen mögliche weitere Anschlagsplanungen allerdings auch deutlich erleichtern würde. Von Seiten des API sowie dem Landesinnenministerium dürfte dazu jedoch keine Aufklärung zu erwarten sein. Denn das von Herbert Reul (CDU) geführte Ministerium hatte schon vor Monaten zwei Mitarbeitern des API, die als Zeugen vernommen werden sollten, die Aussagegenehmigung verweigert.

Vertuschung durch Behörden?

Die drängendste Frage aber dürfte sein, warum das am Mittwoch von Mario Plein verlesene Dokument so lange zurückgehalten wurde. Denn die Strafkammer hatte vier Monate des Prozesses nur auf die Frage verwendet, ob eine Zeugenaussage eines Mithäftlings von Tarik S. als glaubwürdig einzustufen sei. Der Mithäftling, ein mutmaßliches Mitglied der Mocro-Mafia, hatte behauptet, Tarik S. habe im Juli in der Untersuchungshaft Anschläge angekündigt sowie andere Häftlinge von einer fundamentalistischen Auslegung des Islams zu überzeugen versucht. Aufgrund der Ermittlungen gegen den Mocro-Mafioso, der in Köln an einer Geiselnahme sowie Folterungen der Geiseln beteiligt gewesen sein soll, ergaben sich jedoch schnell erhebliche Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit.

Also ging Mario Plein dem nach, indem er wochenlang andere Mithäftlinge sowie Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt zu dem Mocro-Mafioso befragte. Dass gleichzeitig ein gerichtliches Dokument vorlag, in dem Dinge beschrieben wurden, die den Beschreibungen des Mithäftlings auffällig ähnlich sind, wurde jedoch in der ganzen Zeit von keinem der Prozessbeteiligten auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt.

Hinzu kommt, dass das Dokument, das am Mittwoch verlesen wurde, nur deshalb noch in die öffentliche Hauptverhandlung eingeführt wurde, weil die ursprünglich für 10. Dezember angekündigte Urteilsverkündung in letzter Minute wegen des unerwarteten Inhalts des psychiatrischen Gutachtens verschoben wurde. Hätte die Kammer an diesem Tag wie geplant ihr Urteil verkündet, wären diese Erkenntnisse wohl niemals an die Öffentlichkeit gelangt.

Damit wird jetzt mit Spannung erwartet, wann das psychiatrische Gutachten verlesen wird und was es zur aktuellen Einschätzung der Gefährlichkeit von Tarik S. aussagen wird. Dass dem Prozess jetzt das „Gschmäckle“ anhaftet, in seiner regulären Spielzeit nur wenig Licht ins Dunkel gelassen und die Wahrheit erst in der Nachspielzeit und selbst dann auch nur „scheibchenweise“ zugelassen zu haben, dürfte aber nicht mehr zu verhindern sein. Warum sich das Gericht monatelang an einem in der Tat fragwürdigen Zeugen abgearbeitet hat, aber gleichzeitig ein so wichtiges Dokument zurückgehalten wurde, dürfte nur schwerlich zu vermitteln sein.

Zurück bleibt die Frage, ob die NRW-Behörden hier bis zuletzt versucht haben, ihre Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Tarik S. gegenüber der Öffentlichkeit zu verbergen. Und genau betrachtet auch die, wie die Geschichte wohl ausgegangen wäre, hätte nicht in allerletzter Minute eine psychiatrische Sachverständige dazwischengegrätscht.

 

Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter.

 

Lesen Sie zum gleichen Thema:

Tariks Doppelleben.

Tariks gute Laune

„Osama, der Deutsche” – Warten auf das Urteil

Tarik S.: Verhandlungs-Störung und verschobene Urteilsverkündung

Foto: Peter Hemmelrath

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Wolfgang Richter / 19.12.2024

“Zurück bleibt die Frage, ob die NRW-Behörden hier bis zuletzt versucht haben, ihre Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Tarik S. gegenüber der Öffentlichkeit zu verbergen.”—Eine Bestätigung der sog. Sicherheitsbehörden hätte ja bedeutet, daß die gesamte Politik bezüglich “dieser Art der Zuwanderung” als gescheitert einzugesdtehen wäre, die Einwendungen der diesbezüglichen “Vwrschwörungstheoretiker” offiziell besttigt wären, dazu sich die entsprechenden Aussteigerprogramme mit dem dazu aufgebauten, kostspieligen “Verwaltungs-/NGO-Zweig” als Nonsense bestätigen würden, das inzwischen typische Narrativ der direkt angenommenen psychischen Erkrankung für entsprechend Auftretende als “Fake” herausstellen würde. Das ist sicher “nicht hilfreich”, um mit der Haupt-Verursacherin dieser “Misere” zu antworten.

Lutz Liebezeit / 19.12.2024

Die Rechtsprechung ist total degeneriert und hat asig. Da wird eine Frau zu fast 7 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie aus den Räumen einer Geldtransportfirma 8 Millionen Euro gestohlen hat. Schuldig war ja wohl das Transportunternehmen und der Richter hat in dessen Auftrag ein Racheurteil gesprochen? Ein Urteil für den Rechtsfrieden war das ja wohl nicht? Gleichzeitig wird schwere Körperverletzung oft mit Bewährung geahndet und Wiederholungstäter machen Geschäfte und Straßen unsicher. “Misshandlung des Sohnes führt nach kurzer Untersuchungshaft zu Bewährungsstrafe - Am 10.05.2020 gegen 00.20 Uhr schlug der Angeklagte in der gemeinsamen Wohnung in München-Neuperlach seinen 18jährigen Sohn im Streit um zu spätes Heimkommen mit der Faust in das Gesicht.” - “Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Raub, räuberischer Erpressung, vorsätzlicher Körperverletzung, Computerbetrug und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fall A. II. 1. der Urteilsgründe), wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall A. II. 2.) sowie wegen besonders schweren Raubes (Fall A. II. 3.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. ” “Urteile und Gesetze” - suchen.

Jochen Lindt / 19.12.2024

Psychologen, Psychiater und Seelsorger werden die verkorkste Einwanderungspolitik jedenfalls nicht retten.

Lutz Liebezeit / 19.12.2024

Wahrscheinlich hat eine psychologisch geschulte Polizistin mit ihm den Rohrschachtest gemacht und er sah in den Tintenklecksen einen weissen Hoppelhasen?

Sam Lowry / 19.12.2024

“Ich halte nichts von vulgärer, primitiver Ausdrucksweise, aber wie kann man das anders treffend formulieren?” Eben, genau so isses halt…

Bodo Bastian / 19.12.2024

Leute lasst doch den Mann in Ruhe! Ihr benehmt euch ja als hätte er jemanden beleidigt…

Ralf Pöhling / 19.12.2024

Und weiter: Falls die Psychologin wirklich erkannt haben sollte was Tarik S. auf dem Kerbholz hat: Chapeaux. Die meisten Psychologen erkennen Agenten in Tarnung nicht. Vermutlich ist Tarik S. aber auch einfach kein besonders guter Schauspieler. Die Taqiyyah der Muselmanen ist leichter zu enttarnen als z.B. die Tarnung guter CIA oder damaliger KGB Leute. Aber ich kann es nur noch mal wiederholen: Was hier läuft ist geheimdienstlich gesteuert und die Aufklärung darüber wird aus diesen Kreisen aktiv sabotiert. Bis hin zur Blockade ganzer Gerichtsverfahren. Wir sind unterwandert. Bis in den Behördenapparat hinein. Und die NATO ist der Transporteur, denn die USA haben das Problem ja auch. Was wiederum nicht heißt, das jeder im Apparat dazu gehört. Das ist nicht der Fall. Viele im Apparat sind einfach mit der professionellen Unterwanderung überfordert, weil sie das so noch nie erlebt haben. Die denken, es handele sich um schnödes Mobbing. Das ist es aber nicht. Das ist aktive Zersetzung durch professionelles Personal. Wir befinden uns seit 2015 de facto im Krieg.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com